BT-Drucksache 18/3256

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation von Opfern von Menschenhandel in Deutschland

Vom 20. November 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3256
18. Wahlperiode 20.11.2014

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kordula Schulz-Asche, Renate Künast,
Luise Amtsberg, Beate Müller-Gemmeke, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Ulle
Schauws, Irene Mihalic, Ekin Deligöz, Kai Gehring, Katja Keul, Monika Lazar,
Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Lisa Paus, Tabea Rößner, Claudia Roth
(Augsburg), Elisabeth Scharfenberg, Hans-Christian Ströbele, Beate
Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation von Opfern
von Menschenhandel in Deutschland

A. Problem
Die Europaratskonvention gegen Menschenhandel ist am 1. Februar 2008 in Kraft
getreten. Sie wurde mittlerweile von 42 Staaten ratifiziert und von zwei weiteren
unterzeichnet. Die Konvention stellt Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung
und zur Arbeitsausbeutung ausdrücklich in einen menschenrechtlichen Kontext
und verpflichtet die Vertragsstaaten zu umfassenden Maßnahmen der Prävention
von Menschenhandel, der Strafverfolgung der TäterInnen und dem Schutz der
Opfer. Ihr Geltungsbereich umfasst alle Formen von Menschenhandel, gleichgül-
tig, ob sie im Kontext organisierter Kriminalität stehen oder nicht. Die Staaten
haben sich unter anderem zu umfangreichen Informationspflichten, zur Identifi-
kation von Opfern und zur Stärkung der Entschädigungsrechte der Betroffenen
verpflichtet.

B. Lösung
Die Umsetzung der Europaratskonvention erfordert gesetzliche Neuregelungen in
den Bereichen des Aufenthaltsgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes, des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch, des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes, der
Gewerbeordnung sowie des Arbeitsgerichtsgesetzes.

C. Alternativen
Keine.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3256

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation von Opfern
von Menschenhandel in Deutschland

Vom …

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Aufenthaltsgesetzes

Das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das
zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 6. September 2013 (BGBl. I S. 3556) geändert worden ist, wird wie
folgt geändert:
1. § 5 Absatz 3 Satz 1 wird wie folgt gefasst:

„In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach den §§ 24, 25 Absatz 1 bis 3 und 4a sowie § 26
Absatz 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4b von der Anwendung
des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen.“

2. In § 15a Absatz 1 wird nach Satz 2 folgender Satz eingefügt:
„Hiervon ausgenommen sind Ausländer, hinsichtlich derer der Verdacht besteht, dass sie Opfer von Straf-
taten nach den §§ 232, 233 oder § 233a des Strafgesetzbuchs sind.“

3. § 25 Absatz 4a wird wie folgt gefasst:
„(4a) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232, 233 oder § 233a des Strafgesetz-

buchs wurde, ist abweichend von § 11 Absatz 1, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Auf-
enthaltserlaubnis zu erteilen. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit.“

4. § 26 Absatz 1 wird wie folgt geändert:
a) In Satz 4 wird die Angabe „§ 25 Abs. 3“ durch die Wörter „§ 25 Absatz 3 oder 4a“ ersetzt.
b) Satz 5 wird aufgehoben.

5. In § 44 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe c wird die Angabe „§ 25 Abs. 1 oder Abs. 2“ durch die Wörter
„§ 25 Absatz 1, 2, 3 oder 4a“ ersetzt.

6. § 59 wird wie folgt geändert:
a) Absatz 7 wird wie folgt geändert:

aa) Satz 1 wird wie folgt gefasst:
„Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer ei-
ner in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz
1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereit-
schaft nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann.“

bb) Satz 3 Nummer 2 wird aufgehoben.
b) In Absatz 8 werden nach dem Wort „Abschiebung“ die Wörter „von einer durch die Ausländerbe-

hörde beauftragten nichtstaatlichen Fachstelle“ eingefügt.

Artikel 2

Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes

In § 1 Absatz 1 Nummer 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes in der Fassung vom 5. August 1997 (BGBl. I
S. 2022), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 22. November 2011 (BGBl. I S. 2258) geändert worden
ist, werden die Wörter „§ 25 Abs. 4 Satz 1, Abs. 4a, 4b oder Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes“ durch die Wörter
„25 Absatz 4 Satz 1“ ersetzt.

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Artikel 3

Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch

Dem § 405 Absatz 6 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (Artikel 1 des Gesetzes
vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594, 595), das zuletzt durch Artikel 8 des Gesetzes vom 18. Juli 2014 (BGBl. I
S. 1042) geändert worden ist, wird folgender Satz angefügt:
„Die gerichtliche Durchsetzung eigener arbeits- oder sozialrechtlicher Ansprüche aus dem Beschäftigungsver-
hältnis begründet in der Regel ein schutzwürdiges Interesse von vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern an
dem Ausschluss der Übermittlungen.“

Artikel 4

Änderung des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes

Das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz vom 23. Juli 2004 (BGBl. I S. 1842), das zuletzt durch Artikel 3
des Gesetzes vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Nach § 4 wird folgender § 4a eingefügt:

㤠4a
Hinweispflichten

Ergeben sich bei der Prüfung nach § 2 Anhaltspunkte dafür, dass Personen Opfer einer Straftat nach
den §§ 232, 233 oder § 233a des Strafgesetzbuchs, nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des
Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes sind, sind
sie unverzüglich schriftlich in einer für sie verständlichen Sprache darauf hinzuweisen, dass sie
1. Anspruch auf eine mindestens dreimonatige Ausreisefrist gemäß § 59 Absatz 7 des Aufenthaltsgeset-

zes und auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe von § 25 Absatz 4a oder 4b des Auf-
enthaltsgesetzes haben können,

2. Unterstützung und Hilfe durch Opferhilfeeinrichtungen oder Gewerkschaften erhalten können, etwa
in Form von Beratung oder Rechtsschutz, sowie

3. die aus dem Beschäftigungsverhältnis erwachsenen arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche geltend
machen können.“

2. Dem § 13 Absatz 3 wird folgender Satz angefügt:
„Die gerichtliche Durchsetzung eigener arbeits- oder sozialrechtlicher Ansprüche aus dem Beschäftigungs-
verhältnis begründet in der Regel ein schutzwürdiges Interesse von vollziehbar ausreisepflichtigen Aus-
ländern an dem Ausschluss der Übermittlungen.“

Artikel 5

Änderung der Gewerbeordnung

Dem § 139b der Gewerbeordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Februar 1999 (BGBl. I
S. 202), das zuletzt durch Artikel 11 des Gesetzes vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348) geändert worden ist,
wird folgender Absatz 9 angefügt:

„(9) Ergeben sich im Rahmen der Aufsicht Anhaltspunkte dafür, dass Personen Opfer einer Straftat nach
den §§ 232, 233 oder § 233a des Strafgesetzbuchs, nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des
Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes sind, sind sie un-
verzüglich schriftlich in einer für sie verständlichen Sprache darauf hinzuweisen, dass sie

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3256
1. Anspruch auf eine mindestens dreimonatige Ausreisefrist gemäß § 59 Absatz 7 des Aufenthaltsgesetzes

und auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe von § 25 Absatz 4a oder 4b des Aufenthalts-
gesetzes haben können,

2. Unterstützung und Hilfe durch Opferhilfeeinrichtungen oder Gewerkschaften erhalten können, etwa in
Form von Beratung oder Rechtsschutz, sowie

3. die aus dem Beschäftigungsverhältnis erwachsenen arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche geltend ma-
chen können.“

Artikel 6

Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes

Nach § 11a des Arbeitsgerichtsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 1979 (BGBl. I S.
853, 1036), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348) geändert worden
ist, wird folgender § 11b eingefügt:

㤠11b
Prozessstandschaft von Verbänden

(1) Rechtsfähige Verbände, die nach ihrer Satzung die Interessen von ausländischen Arbeitnehmern auf
Bundes- oder Landesebene vertreten, können die Ansprüche von vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern,
Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a oder 4b des Aufenthaltsgesetzes oder Ausländern,
denen nach § 59 Absatz 7 des Aufenthaltsgesetzes eine Ausreisefrist gesetzt wurde, in eigenem Namen geltend
machen, wenn und soweit die Anspruchsberechtigten einwilligen. § 11 bleibt unberührt.

(2) Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverord-
nung ohne Zustimmung des Bundesrates Voraussetzungen zu bestimmen, die Verbände nach Absatz 1 zu er-
füllen haben, um eine pflichtgemäße Aufgabenerfüllung zu gewährleisten.

(3) Das Bundesamt für Justiz führt eine Liste der Verbände nach Absatz 1, die mit Stand zum 1. Januar
eines jeden Jahres im Bundesanzeiger bekannt gemacht wird. In die Liste werden Verbände nach Absatz 1 auf
Antrag eingetragen.“

Artikel 7

Härteleistungen für Opfer von Menschenhandel

§ 1
Es wird ein Fonds für Härteleistungen für Opfer von Menschenhandel bei dem Bundesamt für Justiz ein-

gerichtet. In Höhe der Leistung gehen Ansprüche der Opfer gegen die Täter auf die Bundesrepublik Deutschland
über.

§ 2
Der Deutsche Bundestag stellt dem Fonds die finanziellen Mittel für die zur Erfüllung der Aufgaben not-

wendige Personal- und Sachausstattung zur Verfügung.

§ 3
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung

ohne Zustimmung des Bundesrates weitere Einzelheiten zu bestimmen.

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Artikel 8

Berichterstatterstelle „Menschenhandel“

§ 1
Berichterstatterstelle „Menschenhandel“

(1) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird eine Berichterstatterstelle „Menschenhandel“
eingerichtet. Sie ist unabhängig und fachlich eigenständig.

(2) Der Berichterstatterstelle ist die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendige Personal- und Sachaus-
stattung zur Verfügung zu stellen. Sie ist im Einzelplan des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in
einem eigenen Kapitel auszuweisen.

§ 2
Rechtsstellung der Berichterstatterstelle

(1) Die Bundesministerin oder der Bundesminister für Arbeit und Soziales ernennt auf der Grundlage
eines öffentlichen Auswahlverfahrens eine Person zur Leitung der Berichterstatterstelle für eine Amtszeit von
vier Jahren. Diese Amtszeit kann einmal um vier Jahre verlängert werden. Die Person steht nach Maßgabe
dieses Gesetzes in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis zum Bund. Sie ist in der Ausübung ihres Amtes
unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.

(2) Das Amtsverhältnis beginnt mit der Aushändigung der Urkunde über die Ernennung durch die Bun-
desministerin oder den Bundesminister für Arbeit und Soziales.

(3) Das Amtsverhältnis endet außer mit dem Ablauf der Amtszeit
1. spätestens mit Erreichen der Altersgrenze nach § 51 Absatz 1 und 2 des Bundesbeamtengesetzes,
2. mit der Entlassung.
Die Bundesministerin oder der Bundesminister für Arbeit und Soziales entlässt die Leiterin oder den Leiter der
Berichterstatterstelle vor Ablauf der Amtszeit auf deren/dessen Verlangen oder wenn Gründe vorliegen, die bei
einer Richterin oder einem Richter auf Lebenszeit die Entlassung aus dem Dienst rechtfertigen.

(4) Das Rechtsverhältnis der Leitung der Berichterstatterstelle gegenüber dem Bund wird durch Vertrag
mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales geregelt.

§ 3
Aufgaben der Berichterstatterstelle „Menschenhandel“

(1) Die Berichterstatterstelle nimmt insbesondere folgende Aufgaben wahr:
1. Beobachtung und Bewertung der nationalen Entwicklungen im Bereich Menschenhandel,
2. Messung der Ergebnisse von Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels unter besonderer Be-

rücksichtigung der Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte der Betroffenen,
3. Entwicklung von Konzepten, Strategien, Maßnahmen zur Verbesserung der rechtlichen und tatsächlichen

Situation der Betroffenen von Menschenhandel.
(2) Die Umsetzung dieser Aufgaben erfolgt insbesondere durch folgende Maßnahmen:

1. Berichterstattung an den Bundestag über die Entwicklung der Bekämpfung des Menschenhandels alle zwei
Jahre,

2. Sammlung und Auswertung von Daten staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen,
3. regelmäßige Konsultationen insbesondere mit Organisationen der Zivilgesellschaft, die im Bereich der

Stelle tätig sind,
4. regelmäßige Konsultationen mit den in ihrem Zuständigkeitsbereich tätigen Beauftragten der Bundesre-

gierung und des Deutschen Bundestages,
5. Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen.

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§ 4
Befugnisse

Alle Bundesbehörden und sonstigen öffentlichen Stellen im Bereich des Bundes sind verpflichtet, die Be-
richterstatterstelle bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen, insbesondere die erforderlichen Auskünfte
zu erteilen. Die Bestimmungen zum Schutz personenbezogener Daten bleiben unberührt.

Artikel 9

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 4. November 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Drucksache 18/3256 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Begründung

A. Allgemeiner Teil

Menschenhandel ist ein komplexes Problem, das im nationalen, europäischen und internationalen Kontext auf-
tritt. Immer mehr Menschen werden im Zusammenhang mit Menschenhandel Opfer von physischer und psychi-
scher Gewalt. Menschenhandel kann zur sexuellen Ausbeutung sowie zur Arbeitsausbeutung erfolgen. Fallzahlen
in den Wirtschaftsbereichen Gastronomie- und Hotelgewerbe, Sexindustrie, Landwirtschaft, Baubranche, der
Fleisch verarbeitenden Industrie sowie in Privathaushalten, in der Pflege oder bei Au-Pairs nehmen zu. In der
Bundesrepublik richten sich die Unterstützungsstrukturen bisher weitgehend an Betroffene des Menschenhandels
zur sexuellen Ausbeutung. Das Unterstützungssystem für Betroffene des Menschenhandels zur Arbeitsausbeu-
tung weist noch erhebliche Lücken auf.
Die Europaratskonvention gegen Menschenhandel ist am 1. Februar 2008 in Kraft getreten, mittlerweile von 42
Staaten ratifiziert und von zwei weiteren unterzeichnet. Sie stellt Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung und
zur Arbeitsausbeutung ausdrücklich in einen menschenrechtlichen Kontext und verpflichtet die Mitgliedstaaten
zu umfassenden Maßnahmen der Prävention, der Strafverfolgung und des Opferschutzes. Ihr Geltungsbereich
umfasst alle Formen von Menschenhandel, gleichgültig ob sie im Kontext organisierter Kriminalität stehen oder
nicht. Den Staaten werden unter anderem umfangreiche Informationspflichten und die Pflicht zur Identifikation
von Opfern auferlegt; die Entschädigungsrechte der Betroffenen werden gestärkt. Die Überwachung der Umset-
zung der Konvention obliegt einer 15-köpfigen Expertengruppe (GRETA).
Auf der Ebene der Europäischen Union betreffen im Wesentlichen drei Richtlinien die Situation von Opfern von
Menschenhandel. Aufenthaltsrechtliche Fragen sind Gegenstand der Richtlinie 2004/81/EG vom 29. April 2004
über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder
denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren
(„Opferschutzrichtlinie“). Die Richtlinie 2009/52/EG vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen
und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen
(„Sanktionsrichtlinie“) betrifft unter anderem die Durchsetzung arbeitsrechtlicher Ansprüche von Opfern von
Menschenhandel. Die Richtlinie 2011/36/EU vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschen-
handels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates („Men-
schenhandelsrichtlinie“) sieht unter anderem vor, dass Opfer von Menschenhandel besser geschützt werden.
Die Umsetzung der Europaratskonvention und der Richtlinien erfordert gesetzliche Neuregelungen in den Berei-
chen des Aufenthaltsgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes, des Dritten Buches Sozialgesetzbuch, des
Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes, der Gewerbeordnung, des Arbeitsgerichtsgesetzes und sonstigen Berei-
chen, die im Folgenden einzeln erläutert werden.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Aufenthaltsgesetzes)

Zu Nummer 1 (§ 5)
Die Änderung in § 5 Absatz 3 Satz 1 ist eine Folgeänderung zu Artikel 1 Nummer 3, mit dem § 25 Absatz 4a in
eine Anspruchsnorm umgestaltet wird. Die Änderung dient lediglich der Klarstellung, da sich ihr Regelungsge-
halt bereits jetzt aus § 5 Absatz 1 Nummer 3 ergibt. Danach setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im
Falle eines entsprechenden Anspruchs des Ausländers in der Regel nicht voraus, dass der Aufenthalt Interessen
der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigt oder gefährdet.

Zu Nummer 2 (§ 15a)
Mit der Änderung sollen Opfer von den in § 25 Absatz 4a genannten Straftaten aus der Verteilung ausgenommen
werden. Die Verteilung ist für die Opfer nicht zumutbar und für die Strafverfolgung der Täter hinderlich. Die

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Opfer werden in der Regel von spezialisierten Beratungsstellen betreut. Zum Teil werden die Opfer von den
Tätern bedroht, sodass die Polizei sie etwa durch Unterbringung in geschützten Unterkünften abschirmen muss.
Die örtlich zuständigen Ermittlungsbehörden haben ein Interesse an der Erreichbarkeit der Betroffenen. Die Be-
ratung und Kooperation wird erheblich erschwert, wenn die Personen an einen anderen Ort verteilt werden.
Mit der Änderung wird nicht ausgeschlossen, dass Opfer von Menschenhandel an einen anderen Ort ziehen, wenn
dies zu ihrem Schutz notwendig ist. In diesen Fällen sollen die Behörden in Kooperation mit spezialisierten Be-
ratungsstellen den vom Opfer gewollten Umzug vorbereiten und begleiten.

Zu Nummer 3 (§ 25)
Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a wird als Anspruchsnorm ausgestaltet. Wenn konkrete
Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Ausländer Opfer einer Straftat nach den §§ 232, 233 oder 233a des
Strafgesetzbuches wurde, soll er künftig eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erhalten ohne wei-
tere Voraussetzungen zu erfüllen. Damit werden Opfer von Menschenhandel anerkannten Asylberechtigten und
Flüchtlingen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention gleichgestellt. Dies ist sachgerecht, da sie gleicherma-
ßen einen völkerrechtlich verbürgten Schutzanspruch gegenüber dem Aufenthaltsstaat haben.
Mit der Neuregelung wird Artikel 14 Absatz 1 und 2 der Europaratskonvention gegen Menschenhandel umge-
setzt. Danach sind die Vertragsstaaten verpflichtet, Opfern einen verlängerbaren Aufenthaltstitel zu erteilen,
wenn der Aufenthalt aufgrund der persönlichen Situation des Opfers erforderlich ist oder das Kindeswohl dies
erfordert. Diesen Anforderungen wird der bisherige § 25 Absatz 4a, der die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis
allein von der Beteiligung im Strafverfahren abhängig macht, nicht gerecht. Es wäre zwar möglich, die Erteilung
der Aufenthaltserlaubnis weiterhin von anderen Voraussetzungen abhängig zu machen. Dies würde dem Schutz-
bedürfnis der Betroffenen jedoch nicht gerecht.
Opfer von Menschenhandel werden nach der Rückkehr in ihre Herkunftsländer oftmals familiär und gesellschaft-
lich geächtet. Ihr Zugang zu grundlegenden Leistungen der Daseinsvorsorge und zur beruflichen Betätigung wird
dadurch erheblich erschwert oder gar faktisch unmöglich gemacht. Aufgrund fortbestehender gesellschaftlicher
Tabus gilt dies insbesondere für Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung. Doch auch Opfer von
Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung sind von familiärer und gesellschaftlicher Ächtung betroffen, etwa dann,
wenn ihr Umfeld von den TäterInnen bezahlt oder anderweitig belohnt wurde, damit es das Vorgehen der Täte-
rInnen duldet, billigt oder gar unterstützt.
Darüber hinaus sind Opfer von Menschenhandel, die an Ermittlungs- und Strafverfahren gegen TäterInnen mit-
wirken oder ihre Mitwirkung – etwa durch Anzeigeerstattung – in Aussicht stellen, der Gefahr von Repressalien
der TäterInnen in erheblichem Maße ausgesetzt. Diese richten sich oftmals auch gegen die Angehörige der Opfer,
die sich noch im Herkunftsland befinden. Gegen all dies ist die staatliche Hoheitsgewalt oftmals machtlos. Teil-
weise werden Repressalien der TäterInnen staatlicherseits gar faktisch geduldet oder gefördert.
Voraussetzung für einen umfassenden Schutz der Opfer von Menschenhandel ist daher, dass den Opfern ein auf
Dauer angelegter Aufenthaltsstatus gewährt wird, der von ihrer Mitwirkung in Ermittlungs- und Strafverfahren
entkoppelt wird. Dies ist der Bereitschaft zur Mitwirkung in Ermittlungs- und Strafverfahren auch nicht abträg-
lich, denn ein auf Dauer angelegter Aufenthaltsstatus ermöglicht oftmals erst die therapeutische Unterstützung,
derer viele Opfer von Menschenhandel bedürfen und die ihrerseits oftmals die Grundlage für eine Bereitschaft,
an der Verfolgung der TäterInnen mitzuwirken, herstellt. Unberührt von den aufenthaltsrechtlichen Regelungen
bleibt ohnehin die Verpflichtung jedes Zeugen in Ermittlungs- und Strafverfahren wahrheitsgemäß auszusagen
(§§ 51, 70, 161a der Strafprozessordnung).
Die aufenthaltsrechtliche Gleichbehandlung von Opfern von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung und
Opfern von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung ist nicht nur aufgrund des vergleichbaren Schutzbedürfnis-
ses der Betroffenen, sondern auch aus systematischen Gründen angezeigt, da das deutsche Recht auch an anderen
Stellen beide Deliktstypen gleichbehandelt, so insbesondere im Strafmaß der §§ 232, 233 des Strafgesetzbuches,
bei der (eingeschränkten) Anwendung des Weltrechtsprinzips (§ 6 Nummer 4 des Strafgesetzbuches) und bei der
Strafbarkeit der Nichtanzeige geplanten gewerbsmäßigen Menschenhandels (138 Absatz 1 Nummer 6 des Straf-
gesetzbuches).
Opfern von Menschenhandel soll fortan die Erwerbstätigkeit ohne Einschränkungen erlaubt sein. Beschränkun-
gen bei dem Zugang zu selbständiger und unselbständiger Beschäftigung für InhaberInnen von auf Dauer ange-
legten Aufenthaltserlaubnissen sind sozial- und integrationspolitisch verfehlt.

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Zu Nummer 4 (§ 26)
Mit der Änderung in Absatz 1 wird die Mindestgültigkeitsdauer der Aufenthaltserlaubnis für Opfer von Men-
schenhandel gemäß § 25 Absatz 4a auf ein Jahr festgesetzt. Eine kürzere Mindestdauer würde dem Anliegen
widersprechen, die Opfer zu stabilisieren. Damit wird die Regelung in § 26 Absatz 1 Satz 5 für die Erteilung und
Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Absatz 4a hinfällig. Bei der Erteilung und Verlängerung
von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Absatz 4b bietet bereits § 26 Absatz 1 Satz 1 die Möglichkeit einer hin-
reichend flexiblen Handhabe durch die Ausländerbehörden.

Zu Nummer 5 (§ 44)
Mit der Änderung erhalten InhaberInnen von Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 25 Absatz 3 und 4a einen An-
spruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs. Eine Gleichstellung mit anerkannten Flüchtlingen, die bereits
über einen Teilnahmeanspruch verfügen, ist geboten, weil auch diese Personengruppen regelmäßig längerfristig
in Deutschland leben.

Zu Nummer 6 (§ 59)
Die Änderungen in § 59 Absatz 7 Satz 1 und 3 sind Folgeänderungen zu Artikel 1 Nummer 3. Da bei Vorliegen
konkreter Anhaltspunkte dafür, dass ein Ausländer Opfer von Menschenhandel wurde, nunmehr ohne weitere
Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, bedarf es bei der Erteilung der Aufenthaltserlaub-
nis nach § 25 Absatz 4a keiner vorgelagerten Ausreisefrist.
Die Ergänzung des § 59 Absatz 8 stellt klar, dass nicht die Ausländerbehörde, sondern von ihr beauftragte nicht-
staatliche Fachstellen die betroffenen Opfer über ihre Rechte unterrichten. Nichtstaatliche Fachstellen arbeiten
mit einem Netzwerk von für die Rechtsdurchsetzung erforderlichen Rechtsanwälten und Dolmetschern und ha-
ben die Expertise für eine Beratung in der stark belastenden Situation der Abschiebung. Insofern können sie
besser gewährleisten, dass die Opfer tatsächlich ihre Rechte in Anspruch nehmen.

Zu Artikel 2 (Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes)

Solange das Asylbewerberleistungsgesetz nicht vollständig abgeschafft und durch den Zugang zu den Regelsys-
temen der sozialen Sicherheit ersetzt wurde, gilt es zumindest binnensystematisch ein Mindestmaß an Kohärenz
zu schaffen. Daher sollen jedenfalls alle InhaberInnen von auf Dauer angelegten Aufenthaltstiteln aus dem An-
wendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes herausgenommen werden. Dazu gehören insbesondere In-
haberInnen von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Absatz 4a, 4b und 5. Leistungsberechtigte nach dem Asylbe-
werberleistungsgesetz sind nach § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und § 23
Absatz 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch pauschal von den Regelsystemen ausgeschlossen. Wer nicht leistungs-
berechtigt nach Asylbewerberleistungsgesetz ist, fällt hingegen in den Anwendungsbereich der Regelsysteme,
ohne dass es dafür einer Änderung des Sozialgesetzbuches bedürfte.
Die Änderung setzt Artikel 9 der Opferschutzrichtlinie um.

Zu Artikel 3 (Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch)

Der in § 405 Absatz 6 neu eingefügte Satz 6 stellt fest, dass in der Regel das schützenswerte Interesse der voll-
ziehbar ausreisepflichtigen Ausländer an der Durchsetzung eigener arbeits- und sozialrechtlicher Ansprüche aus
einem Beschäftigungsverhältnis das Interesse des Staates an der Datenübermittlung überwiegt.
Die Änderung gewährleistet im Zusammenspiel mit den Änderungen in Artikel 87 Absatz 1 des Aufenthaltsge-
setzes und § 13 Absatz 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes, dass Opfer von Menschenhandel ohne recht-
mäßigen Aufenthaltsstatus oder Duldung ihre Ansprüche vor den Arbeitsgerichten geltend machen können.
Die Änderung dient der Umsetzung von Artikel 6 der Sanktionsrichtlinie, wonach wirksame Verfahren zur
Durchsetzung der Lohnansprüche irregulärer EinwanderInnen einzuführen sind.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/3256
Zu Artikel 4 (Änderung des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes)

Zu Nummer 1 (§ 4a – neu)
Die Einfügung von § 4a dient der Umsetzung von Artikel 15 Absatz 1 der Europaratskonvention gegen Men-
schenhandel, der eine umfassende Information der Betroffenen über ihre Rechte sowie über deren Durchsetzbar-
keit in Gerichts- oder Verwaltungsverfahren ab dem ersten Kontakt mit den Behörden vorsieht. Dies betrifft
Behörden, die in Kontakt mit den Betroffenen kommen können, wie die Finanzkontrolle Schwarzarbeit.
Die Änderung ergänzt die unzureichenden Informationspflichten der Behörden aus § 59 Absatz 8 des Aufent-
haltsgesetzes (wonach Betroffene über ihre Rechte aus Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Sanktionsrichtlinie
zu unterrichten sind) sowie aus § 406h der Strafprozessordnung.
Zur konsequenten Umsetzung der Rechtsansprüche der Betroffenen auf Lohn und Schadenersatz sind die Infor-
mationspflichten auf alle Kontrollbehörden auszuweiten und so früh wie möglich im Prozess der Opferidentifi-
kation zu verankern. Hier bietet es sich an, im Rahmen der Prüfbefugnisse der Finanzkontrolle Schwarzarbeit
eine Hinweispflicht einzuführen für den Fall, dass Personen angetroffen werden, die von Menschenhandel be-
troffen sind. Die Betroffenen sind darauf hinzuweisen, dass sie 1. Unterstützung und Hilfe durch Opferhilfeein-
richtungen oder Gewerkschaften erhalten können, etwa in Form einer Beratung oder Rechtsschutz, 2. nach Maß-
gabe der § 59 Absatz 7, § 25 Absatz 4a und 4b des Aufenthaltsgesetzes eine Aufenthaltserlaubnis erhalten können
oder ihnen eine dreimonatige Ausreisefrist gesetzt werden kann, und 3. sie die aus dem Beschäftigungsverhältnis
erwachsenen arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche geltend machen können.

Zu Nummer 2 (§ 13)
Artikel 6 Absatz 2a in Verbindung mit Absatz 1 der Sanktionsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten wirksame
Verfahren zur Durchsetzung der ausstehenden Lohnzahlungen irregulärer Einwanderinnen und Einwanderer ein-
zuführen. Dies bedeutet, dass es nicht nur um die Einräumung von Lohnansprüchen auf dem Papier geht, sondern
auch darum, dass diese Ansprüche tatsächlich durchgesetzt werden können. Diese Verpflichtung wird mit den
Regelungen im Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur An-
passung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl. I 2258) nicht er-
füllt. Die weiterhin bestehende Übermittlungspflicht der Gerichte nach § 13 Absatz 3 ist ein Hindernis bei der
Durchsetzung von Arbeitsrechten irregulärer Einwanderinnen und Einwanderer und steht daher dem Erfordernis
der Wirksamkeit der einzurichtenden Verfahren entgegen.
Der in § 13 Absatz 3 neu eingefügte Satz 3 stellt daher fest, dass in der Regel das schützenswerte Interesse der
vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer an der Durchsetzung eigener arbeits- und sozialrechtlicher Ansprüche
aus einem Beschäftigungsverhältnis das Interesse des Staates an der Datenübermittlung überwiegt.
Die Änderung gewährleistet im Zusammenspiel mit den Änderungen in § 87 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes
und § 405 Absatz 6 SGB III, dass Betroffene von Arbeitsausbeutung und Menschenhandel ohne rechtmäßigen
Aufenthaltsstatus oder Duldung ihre Ansprüche vor den Arbeitsgerichten geltend machen können.

Zu Artikel 5 (Änderung der Gewerbeordnung)

Siehe die Begründung zu Artikel 4 Nummer 1.

Zu Artikel 6 (Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes)

Mit dem neu eingeführten § 11b wird eine gesetzliche Prozessstandschaft für Verbände eingeführt. Bereits nach
geltendem Recht können Opfer von Menschenhandel ihre arbeitsrechtlichen Ansprüche grundsätzlich an Dritte
abtreten. Die Zulässigkeit einer solchen gewillkürten Prozessstandschaft kann aber von den Gerichten unter-
schiedlich bewertet werden. Die Einführung einer gesetzlichen Prozessstandschaft dient daher auch einer ein-
heitlichen Rechtsanwendung.
Die Regelung dient der Umsetzung der in Artikel 13 Absatz 2 der Sanktionsrichtlinie verankerten Vorgabe, pro-
zessuale Beteiligungsmöglichkeiten für Verbände zur Unterstützung illegal Beschäftigter einzuführen, um die
Wirksamkeit der Verfahren zur Durchsetzung von Lohnansprüchen sicherzustellen. Die – im Instanzenzug in der
Regel zwingende – Prozessvertretung durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 11 Absatz 2 des Arbeitsge-
richtsgesetzes wird dadurch nicht berührt.

Drucksache 18/3256 – 12 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die Geltendmachung von Lohnansprüchen im Wege der Prozessstandschaft ist geeignet, die Durchsetzung ar-
beitsrechtlicher Ansprüche zu erleichtern, wenn sich die Beschäftigten außerhalb Deutschlands aufhalten – ob
infolge einer freiwilligen Ausreise oder weil sie es erst nach ihrer Ausreise vermocht haben, von den TäterInnen
loszukommen. Sie soll auch InhaberInnen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4b sowie AusländerInnen,
denen eine Ausreisefrist nach § 59 Absatz 7 des Aufenthaltsgesetzes gesetzt wurde, ermöglicht werden, da sie
sich in einer vergleichbaren Situation befinden.
Zur Gewährleistung einer rechtssicheren und pflichtgemäßen Anwendung der Regelung wird das Bundesminis-
terium der Justiz ermächtigt, die Einzelheiten durch Rechtsverordnung zu regeln. Das Bundesamt für Justiz führt
eine ständig zu aktualisierende Liste der Verbände. Dies entspricht der Regelung in § 4 des Unterlassungsklage-
gesetzes, die sich im Rahmen des verbraucherschutzrechtlichen Verbandklagerechts bewährt hat.

Zu Artikel 7 (Ausgleichsfonds für Opfer von Menschenhandel)

Die Einrichtung eines Fonds für Härteleistungen für Opfer von Menschenhandel dient der Umsetzung von Artikel
15 Absatz 4 der Konvention des Europarates zur Bekämpfung von Menschenhandel, nach dem die Entschädigung
der Opfer zu gewährleisten ist. Auf diesem Wege können Opfer eine schnelle Entschädigung erhalten, auch und
insbesondere dann, wenn sie ihre Ansprüche gegenüber den TäterInnen nicht durchsetzen können, weil diese
insolvent oder unauffindbar sind oder aus anderen Gründen nicht als Vollstreckungsschuldner in Betracht kom-
men.
Bislang gelingt die Inanspruchnahme von Leistungen im Rahmen des sozialen Entschädigungsrechts nur in sel-
tenen Fällen. Zwar können Opfer von Menschenhandel staatliche Entschädigungsleistungen nach dem Opferent-
schädigungsgesetz oder von der gesetzlichen Unfallversicherung erhalten. Doch das Opferentschädigungsver-
fahren vor den Versorgungsämtern ist faktisch an das Strafverfahren gekoppelt; ohne Strafverfahren ist es kaum
möglich, eine Entschädigung zu bekommen. Zudem dauern die Verfahren vor den Versorgungsämtern häufig
mehrere Jahre. Der Ersatz des immateriellen Schadens und des entgangenen Verdienstes kann nicht begehrt wer-
den. Vor allem aber besteht ein Anspruch auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz nur bei rechtmä-
ßigem Aufenthalt.
Die Härteleistung soll hingegen als einmalige Kapitalleistung aus Billigkeit gewährt werden. Auf die freiwillig
übernommene Leistung besteht kein Rechtsanspruch. Sie ist als Akt der Solidarität des Staates und seiner Bürger
mit den Betroffenen zu verstehen; zugleich soll mit ihr ein deutliches Zeichen für die Ächtung von Menschen-
handel gesetzt werden. Insofern ist der Fonds vergleichbar mit den bereits bestehenden Fonds für Härteleistungen
für Opfer extremistischer und terroristischer Übergriffe. In Höhe der Härteleistung gehen Ansprüche der Begüns-
tigten gegen die TäterInnen auf den Fonds über.
Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, die weiteren Einzelheiten durch Rechtsverordnung zu be-
stimmen.

Zu Artikel 8 (Berichterstatterstelle „Menschenhandel“)

Zu § 1 Absatz 1
Nach Absatz 1 wird eine Berichterstatterstelle eingerichtet und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales
(BMAS) zugeordnet, das für die Bekämpfung von Arbeitsausbeutung zuständig ist. Zudem ist das Projekt „Faire
Mobilität“ bei dem BMAS angesiedelt, das ein Netzwerk von Beratungsstellen für Opfer von Menschenhandel
unterhält.
Mit der Einrichtung der Berichterstatterstelle wird Artikel 19 der Menschenhandelsrichtlinie umgesetzt.
Die Berichterstattung ist nach den Zielen der Richtlinie (Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels so-
wie Schutz der Opfer von Menschenhandel) auszurichten.

Zu § 1 Absatz 2
Die Vorschrift gibt der Berichterstatterstelle Anspruch auf die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendige Per-
sonal- und Sachausstattung, die in einem eigenen Kapitel auszuweisen ist.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 13 – Drucksache 18/3256
Zu § 2 Absatz 1
Absatz 1 Satz 1 regelt die Ernennung der Leitung der Berichterstatterstelle durch die Bundesministerin oder den
Bundesminister für Arbeit und Soziales. Satz 2 sieht vor, dass die Leitung der Berichterstatterstelle in einem
öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis zum Bund steht. Die Ausgestaltung als öffentlich-rechtliches Amt trägt der
Regelung in Satz 3 zur Stellung der Leitung Rechnung, die vorsieht, dass diese unabhängig in Ausübung ihres
Amtes und nur dem Gesetz unterworfen ist. Durch diese Unabhängigkeit soll eine objektive und ausschließlich
an den inhaltlichen Zielen der Richtlinie orientierte Berichterstattung ermöglicht werden. Sie soll die dafür er-
forderliche Akzeptanz bei den staatlichen wie nichtstaatlichen Stellen, die mit dem Thema Menschenhandel be-
schäftigt sind, ermöglichen.

Zu § 2 Absatz 3
Absatz 3 benennt die Fälle der Beendigung des Amtsverhältnisses. Nach Nummer 1 und 2 endet das Amtsver-
hältnis außer mit dem Ablauf der Dienstzeit mit dem Erreichen der Altersgrenze nach § 41 Absatz 1 des Bundes-
beamtengesetzes sowie mit der Entlassung. Eine Entlassung erfolgt nach Satz 2 auf Verlangen der Leitung der
Berichterstatterstelle oder in den Fällen, die bei einer Richterin oder einem Richter auf Lebenszeit eine solche
rechtfertigen.

Zu § 2 Absatz 4
Absatz 4 sieht die Regelung des Rechtsverhältnisses der Leitung der Berichterstatterstelle durch Vertrag mit dem
Bundesministerium für Arbeit und Soziales vor, der der Zustimmung der Bundesregierung bedarf. Inhalt des
Vertrags werden neben Regelungen zur Bezahlung und Versorgung insbesondere solche betreffend Nebentätig-
keiten, Annahme von Belohnungen und Geschenken, Amtsverschwiegenheit, Aussagegenehmigung, Vertre-
tungsfragen und der Dienst- und Rechtsaufsicht sein.

Zu § 3 Absatz 1
Die Aufgaben der Berichterstatterstelle orientieren sich an den Vorgaben aus Artikel 19 der Richtlinie.

Zu § 3 Absatz 2
Die Berichterstatterstelle hat zur Umsetzung ihrer Aufgaben alle zwei Jahre einen Bericht an den Bundestag
vorzulegen. Die Berichte werden sich mit variierender Schwerpunktsetzung regelmäßig auf die Situation der
Betroffenen von Menschenhandel, ihren Möglichkeiten zur Rechtsdurchsetzung, Schutz und Unterstützung so-
wie der Entwicklung im Bereich der Strafverfolgung beziehen. Grundlage sind die Verpflichtungen Deutschlands
aus einschlägigen internationalen, europäischen Rechtsdokumenten.
Im Rahmen der Berichtslegung erhebt die Berichterstatterstelle in einem ausgewogenen Verhältnis Daten bei
staatlichen wie nichtstaatlichen Stellen. Zur Identifizierung von Berichtsschwerpunkten, zur Diskussion von Be-
funden und Empfehlungen hält die Berichterstatterstelle regelmäßige Konsultationen mit nichtstaatlichen Stellen,
die in der Praxis mit Betroffenen von Menschenhandel in Kontakt kommen, wie zum Beispiel spezialisierte Be-
ratungsstellen gegen Menschenhandel, Stellen aus dem Bereich des Flüchtlingsschutz und der Migration sowie
mit Gewerkschaften.
Durch die in dieser Vorschrift vorgesehene Konsultation mit den in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen
Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages wird sichergestellt, dass die Erfahrungen die-
ser Stellen so- wie die Ergebnisse anderer Berichte soweit sie thematische Schnittstellen aufweisen, einbezogen
werden. Hierzu gehört beispielsweise der Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration nach § 94 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes.
In die Empfehlungen des Berichtes können Erkenntnisse aus den nach Absatz 1 Nummer 2 und 3 durchzufüh-
renden Datensammlungen und wissenschaftlicher Untersuchungen einfließen.

Zu Artikel 9 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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