BT-Drucksache 18/3044

Für eine nachhaltige und zukunftsweisende Liegenschaftspolitik des Bundes

Vom 5. November 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3044
18. Wahlperiode 05.11.2014
Antrag
der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Dr. Tobias Lindner, Britta
Haßelmann, Lisa Paus, Agnieszka Brugger, Corinna Rüffer, Renate Künast, Katja
Keul, Hans-Christian Ströbele, Annalena Baerbock, Anja Hajduk, Bärbel Höhn,
Sven-Christian Kindler,Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Steffi Lemke, Peter
Meiwald, Dr. Julia Verlinden, Harald Ebner, Matthias Gastel, Stephan Kühn
(Dresden), Nicole Maisch, Özcan Mutlu, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel,
Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine nachhaltige und zukunftsweisende Liegenschaftspolitik des Bundes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Verkauf von Immobilien der BImA (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben)
stellt vor Ort oftmals ein Politikum dar. Die wohnungs- und stadtentwicklungspoli-
tischen Herausforderungen und Problemlagen werden beim Bieterverfahren selten
bedacht oder nach Verkauf zu wenig berücksichtigt. In Städten mit einem hohen
Bedarf an bezahlbaren Wohnungen führen hohe Verkaufspreise auf Basis von Bie-
terverfahren oder auch nach Verkehrswert zum Verlust bezahlbaren Wohnraums und
zu Verdrängungen von Bewohnerinnen und Bewohnern. Auch in strukturschwachen
Regionen können überhöhte Verkaufspreise nachhaltiger Stadtentwicklung, Siche-
rung der Daseinsvorsorge und Leerstandsvermeidung entgegenstehen. Gerade vor
dem Hintergrund der Bundeswehrreform und dem Abzug alliierter Truppen gewinnt
diese Frage immer mehr an Bedeutung. Es fehlen Konzepte, um diese gravierenden
Strukturveränderungen, mit denen die Kommunen konfrontiert sind, aufzufangen.
Die Liegenschaftspolitik der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben hat einen Ein-
fluss auf die Wohnungsmärkte und die Stadtentwicklung vor Ort. Die bisherige Lie-
genschaftspolitik des Bundes untergräbt oftmals andere Anstrengungen des Bundes
für den Erhalt bzw. die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Daher ist es not-
wendig, die Preise so zu gestalten, dass bezahlbarer Wohnraum erhalten, Mieterin-
nen und Mieter vor Verdrängung geschützt und eine zukunftsfähige und inklusive
Stadtentwicklung ermöglicht werden. Ein guter Weg ist dabei eine frühzeitige Ein-
bindung der betroffenen Kommune im Vorfeld eines Konversions- und Liegen-
schaftsverkaufs.
Lebenswerte Städte und Gemeinden in wachsenden und schrumpfenden Regionen
zu sichern, ist Anliegen des Bundes. Das muss sich auch in der Liegenschaftspolitik
des Bundes widerspiegeln. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben verfügt
deutschlandweit über einen Gesamtbestand an Wohnungen in Höhe von ca. 71 000
Wohnungen. Aktuell militärisch genutzt werden 20 634 Wohnungen und nach ihrer

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militärischen Nutzung frei gegeben sind 10 265 Wohnungen. Noch mehr, nämlich
40 093 Wohnungen, befinden sich in Nichtkonversionsliegenschaften.
Der Verkauf von ehemals militärisch genutzten Liegenschaften, durch den Abzug
alliierter Truppen und die Bundeswehrreform, lösten vor Ort zahlreiche kontroverse
Debatten aus. Daraufhin hat der Haushaltsausschuss des Bundestages am 21. März
2012 die Erstzugriffsoption für den Direktverkauf von Konversionsliegenschaften
ermöglicht. Ein offenes Bieterverfahren und der Verkauf an den Meistbietenden sind
in diesen Fällen nicht erforderlich. Kommunen bzw. Gebietskörperschaften, auf de-
nen sich die Liegenschaften befinden, Gesellschaften/Unternehmen, Stiftungen oder
Anstalten, an denen die Kommune/Gebietskörperschaft mehrheitlich beteiligt ist,
können die Liegenschaften zum gutachterlich ermittelten Verkehrswert erwerben.
Ab dem Haushaltsjahr 2015 plant die Bundesregierung über vier Jahre ein 100 Mio.
Euro umfassendes Programm, aus dem die Abgabe von Konversionsliegenschaften
an Gebietskörperschaften und ihre Unternehmen unterhalb des Verkehrswertes fi-
nanziert werden soll. Doch neben der stadtentwicklungspolitischen Herausforderung
des Truppenrückzugs bietet die zunehmende Entmilitarisierung ein enormes Poten-
tial für die Entsiegelung von Flächen und deren Renaturierung. Diese umweltpoliti-
sche Friedensdividende muss viel stärker für den Naturschutz genutzt werden.
Der überwiegende Teil des Wohnungsbestandes der BImA, die Nichtkonversions-
liegenschaften, müssen nach geltendem Recht im Regelfall weiterhin zum Höchst-
preis verkauft werden. Eine Abgabe zum Verkehrswert ist nur im Ausnahmefall vor-
gesehen und eine verbilligte Abgabe unter dem Verkehrswert ist für diese Liegen-
schaften nicht möglich. Mieterschutzinteressen spielen bei der Ermittlung des Ver-
kehrswerts eine untergeordnete Rolle.
Das Beispiel des Verkaufs der Wohnimmobilien in der Großgörschenstraße/Katzler-
straße in Berlin hat öffentlich illustriert, wie das Verkaufsverfahren per Bieterwett-
bewerb die Mietpreise treiben kann. Auch ein per Verkehrswert ermittelter Mindest-
verkaufspreis lässt zuweilen eine Refinanzierung über eine reguläre Mieterhöhung
in Bestandsmietverträgen nicht zu. Potentielle Investoren und sogar Kommunen
können auf dieser Basis ihr Renditeziel nur über hohe Neuvertragsmieten oder durch
Luxussanierung erreichen. Diese Verkaufspolitik der Bundesregierung konterkariert
alle Bestrebungen, auf angespannten Wohnungsmärkten für bezahlbaren, klima-
freundlichen und barrierefreien Mietwohnraum zu sorgen. Für den Fall, dass der
Verkauf von Bundesimmobilien auf Grund des erheblichen Wertes der Zustimmung
des Bundestags bedarf, wie zum Beispiel bei den Liegenschaften in der Großgör-
schen- und Katzlerstraße, wird der Bundestag sein Recht wahrnehmen und dem Ver-
kauf nicht zustimmen, solange der Kaufvertrag keine effektiven Mieterschutzklau-
seln enthält. Ziel muss es sein, die Wohnbevölkerung vor Verdrängung zu schützen.
Die Verkaufspolitik der BImA muss künftig strukturpolitische, darunter auch städ-
tebauliche und wohnungspolitische Ziele ausdrücklich berücksichtigen. Das EU-
Beihilferecht steht dem nicht entgegen. Insbesondere Städten mit angespanntem
Wohnungsmarkt sollte durch den Verkauf von BImA-Liegenschaften eine Möglich-
keit gegeben werden, ihre wohnungspolitischen Ziele umzusetzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine nachhaltige Liegenschaftspolitik für die Bundesanstalt für Immobilien-
aufgaben zu etablieren, indem
a) ein Moratorium beim Verkauf von BImA-Liegenschaften dort eingelei-

tet wird, wo strukturpolitische, wohnungspolitische und städtebauliche
Ziele dies erforderlich machen, bis die Forderungen 1b bis e umgesetzt
sind;

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b) § 1 des BImA-Gesetzes durch eine Öffnungsklausel ergänzt wird, die
die Berücksichtigung strukturpolitischer, darunter auch städtebaulicher
und wohnungspolitischer Ziele des Bundes, der Länder und der Kom-
munen ausdrücklich zulässt;

c) mit Rücksicht auf am Gemeinwohl orientierte Vorhaben von Kommu-
nen, wie die Schaffung bezahlbaren Wohnraums und einer lebendigen,
inklusiven und sportfreundlichen Stadt, für begründete Ausnahmefälle
eine verbilligte Abgabe von bundeseigenen Immobilien auch unterhalb
des Verkehrswertes ermöglicht wird;

d) der hohe Zeit- und Verwertungsdruck, resultierend aus den aktuellen
rechtlichen Rahmenbedingungen, nicht an die Kommunen weitergege-
ben wird;

e) die Bundeshaushaltsordnung so geändert wird, dass bei allen Veräuße-
rungen der BImA Kommunen sowie privatrechtliche Gesellschaften,
Unternehmen und Stiftungen, an denen die Kommunen mehrheitlich
beteiligt sind, ein Erstzugriffsrecht ohne Bieterverfahren zur Erfüllung
öffentlicher Aufgaben erteilt wird;

f) die öffentliche Hand bezüglich ihrer Liegenschaftspolitik, der Verwer-
tung ihrer Grundstücke und Gebäude eine Vorbildfunktion einnimmt
und Zielsetzungen des Städtebaus, der Wohnungspolitik, der ökologi-
schen Modernisierung der Wirtschaft, der Regionalentwicklung, der In-
klusion und des Klimaschutzes besonders berücksichtigt;

g) das Know-how in den Bereichen der energetischen Gebäudesanierung,
warmmietenneutralen Sanierung, des Einsatzes ökologischer Baustoffe,
der Energieeffizienz und erneuerbaren Energien innerhalb der Abtei-
lung Facility Management der BImA ausgebaut und eine bessere Ver-
netzung mit den Bundesämtern, wie dem Bundesinstitut für Bau, Stadt-
und Raumforschung und dem Umweltbundesamt, angestrebt wird;

h) für geplante Verkäufe von Liegenschaften mit Wohnungen oder für
Wohnungsbau geeignete Flächen in Gebieten mit angespannten Woh-
nungsmärkten überprüft wird, ob aktuell ein Verkauf erforderlich ist;

i) bei Verkäufen von Liegenschaften mit Wohnungen und zur Wohnbe-
bauung geeigneten Flächen in angespannten Wohnungsmärkten ein ef-
fektiver Mieterschutz vertraglich vereinbart wird, der über die beste-
henden mietrechtlichen Regelungen hinausgeht. Insbesondere sollen
dadurch Luxusmodernisierungen, Eigenbedarfskündigungen und die
Umwandlung in Eigentumswohnungen zu Lasten der Mieterinnen und
Mieter verhindert werden. Es ist weiterhin vertraglich festzulegen, dass
die Mieterschutzbestimmungen im Fall der Weiterveräußerung beste-
hen bleiben;

j) in Zusammenarbeit mit den betroffenen Ländern beim Verkauf von Lie-
genschaften mit Wohnungsnutzung oder bei dem Potential für Wohn-
raumnutzung ein Mindestanteil an mietpreis- und belegungsgebunde-
nen Wohnungen vorgesehen werden muss;

2. mit der Aufnahme von Flüchtlingen in BImA-Liegenschaften die Kommu-
nen und Länder zu unterstützen, indem
a) eine Zwischennutzung für die Unterbringung von Flüchtlingen in

BImA-Liegenschaften mit Wohnbebauung ermöglicht wird;
b) die Mietzinsen für BImA-Liegenschaften, die zum Zwecke der Flücht-

lingsunterbringung angemietet werden, nicht über der Kostenerstattung
der Kommunen für die Flüchtlingsunterbringung liegen und Kommu-
nen in Haushaltsnotlage Liegenschaften der Bundesanstalt für Immobi-
lienaufgaben befristet kostenfrei überlassen werden;

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3. eine nachhaltige Konversion durch Perspektivenplanung und langfristige
Konzepte voranzutreiben, indem
a) die Möglichkeit für Zwischennutzung für alle Standorte geprüft wird

wobei sichergestellt werden muss, dass die Ergebnisse der Perspektiv-
planung durch die Zwischennutzung nicht beeinträchtigt werden;

b) die BImA als Vertreterin des Bundes im Fall einer möglichen Verun-
reinigung mit Altlasten die Kosten für eine entsprechende Untersu-
chung, Dokumentation und Entsorgung zu tragen hat;

c) bei allen Grundstücken bis zum Verkauf grundsätzlich die Eigentü-
merverantwortung (z. B. die Verkehrssicherungspflicht) der BImA be-
stehen bleibt;

d) die BImA mit der Standortkommune, den betroffenen Bundesländern,
ihren Bürgerinnen und Bürgern sowie anderen Betroffenen eine Per-
spektivenplanung durchführt und eine Konversionsvereinbarung zur
nachhaltigen Regional- oder Stadtentwicklung abschließt, wobei
Grundregeln wie „Grün bleibt Grün“ und „Innenentwicklung vor Au-
ßenentwicklung“ Leitlinien bei allen Verfahren sein können;

e) in Konversionsvereinbarungen die interkommunalen und regionalen
Entwicklungsperspektiven berücksichtigt werden, um Fehlentwicklun-
gen vorzubeugen und dabei auch die Nachbarkommunen sowie andere
betroffene Gebietskörperschaften und Akteure zu beteiligen;

f) für Liegenschaften im Außenbereich mit den betroffenen Gemeinden
und der BImA ebenfalls Entwicklungsziele festgelegt werden, welche
die Interessen der Träger öffentlicher Belange sowie der Bürgerinnen
und Bürger angemessen berücksichtigen;

4. bei Konversionsflächen in schrumpfenden Regionen ohne städtebauliche
Entwicklungsperspektive zu beachten,
a) dass bei Standorten mit signifikanter Reduzierung von Dienstposten

und Funktionen sicherzustellen ist, dass die verbleibenden Funktionen
die kommunale Strukturentwicklung nicht behindern;

b) wenn die Perspektivenplanung ergibt, dass eine strukturell zukunfts-
trächtige und nachhaltige Verwertung des Grundstücks nicht möglich
ist, die BImA verpflichtend den Rückbau betreibt, sofern die Planungen
der Kommune dies vorsehen;

c) dass für die Folgenutzung die Prüfung der Potentiale für erneuerbare
Energien erfolgen sollte;

5. mit nachhaltiger Förderung Konversion zu erleichtern, indem
a) zur Bewältigung der Konversionsfolgen die bestehenden Programme

der Städtebauförderung genutzt werden;
b) die speziell für Kommunen oder kommunale Unternehmen zugeschnit-

tenen Förderprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) wie
„Kommunale und soziale Infrastruktur – energieeffizient sanieren“ oder
„Erneuerbare Energien – Bauen, Wohnen, Energie sparen“ genutzt wer-
den;

c) grundsätzlich die Mittel für die CO2-Gebäudesanierungsprogramme der
KfW auf 2 Mrd. Euro jährlich angehoben und verstetigt werden;

6. Konversion für den Naturschutz und das Nationale Naturerbe zu nutzen, in-
dem
a) nach der erfolgten Altlastensanierung oder Altlastensicherung eine Re-

naturierung und die Aufnahme in das Nationale Naturerbe zu prüfen ist;
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b) vor allen Verkaufsüberlegungen von Bundesliegenschaften zu prüfen
sind, ob naturschutzfachlich wertvolle Flächen bei der BImA verblei-
ben sollen, wenn ihre Übertragung an Länder und Naturschutzorgani-
sationen nicht möglich ist. Alternativ kommt eine Übertragung an eine
„Bundesstiftung Natur“ in Frage. Die Flächen müssen für den Natur-
schutz gesichert und ggf. entwickelt werden;

c) für die national bedeutsamen Naturschutzflächen geprüft wird, ob eine
„Bundesstiftung Natur“ als Fonds für den Erhalt und die Entwicklung
dieser Flächen eingerichtet werden sollte für den Fall, dass sie nicht bei
der BImA verbleiben können;

d) der Bundesforst im Rahmen des Nationalen Naturerbes für die übertra-
genen ehemaligen Militärflächen in den nächsten rund 20 Jahren die
Flächenpflege als Dienstleistung durchführt;

e) die bedeutsamen Naturschutzflächen, die dauerhaft im Eigentum des
Bundes verbleiben, durch den Bundesforst im Sinne des Naturschutzes
zu pflegen und zu entwickeln sind;

f) die Flächen, die im Rahmen des „Nationalen Naturerbes“ für den Na-
turschutz gesichert wurden, mit der Zweckbindung Naturschutz an die
Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU), die Länder bzw. an die von
den Ländern benannten Naturschutzorganisationen übertragen werden;

g) die frei werdenden Flächen bevorzugt dem Erhalt der biologischen
Vielfalt anzudienen sind. Es muss geprüft werden, ob sie dazu in Zu-
kunft für die Erreichung des 5-Prozent-Naturwald-Zieles und des 2-Pro-
zent-Wildnis-Zieles der nationalen Biodiversitätsstrategie herangezo-
gen werden können. Das schließt dann auch Waldbau bzw. Forstwirt-
schaft grundsätzlich aus. Wenn sie dafür nicht infrage kommen, können
sie auch forstwirtschaftlich oder als Weideland genutzt werden.

Berlin, den 4. November 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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