BT-Drucksache 18/1959

Bad Bank-Pläne der Atomkonzerne zurückweisen - Rückstellungen der AKW-Betreiber in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen

Vom 1. Juli 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1959
18. Wahlperiode 01.07.2014

Antrag
der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Caren Lay, Klaus Ernst, Dr. Dietmar
Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter,
Roland Claus, Susanna Karawanskij, Kerstin Kassner, Jutta Krellmann, Sabine
Leidig, Ralph Lenkert, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze,
Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Dr. Kirsten Tackmann,
Dr. Axel Troost, Dr. Sahra Wagenknecht und der Fraktion DIE LINKE.

Bad Bank-Pläne der Atomkonzerne zurückweisen – Rückstellungen der
AKW-Betreiber in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Nach dem Motto „Gewinne werden privatisiert, Verluste werden sozialisiert“ wol-
len sich die Atomkonzerne aus der Verantwortung für die von ihnen verursachten
Folgen der Atomenergienutzung stehlen und ihre Kosten für die Stilllegung der
Atomanlagen und die ungelöste dauerhafte Atommülllagerung auf ein Minimum
begrenzen. Nach den Mitte Mai 2014 bekannt gewordenen Plänen der drei großen
Energiekonzerne E.on, RWE und EnBW sollen die Kernkraftwerke in eine öffent-
lich-rechtliche Stiftung eingebracht werden, die die Meiler bis zum endgültigen
Ausstieg aus der Atomenergie im Jahr 2022 betreibt. Gleichzeitig soll die Stiftung
für den Milliarden teuren Abriss der Atomkraftwerke und die Lagerung der radio-
aktiven Abfälle verantwortlich sein. Gehören soll diese sogenannte Bad Bank für
Atomkraftwerke dem Bund; der Staat soll die gesamten Risiken übernehmen, die
derzeit noch bei den AKW-Betreiberfirmen liegen. Damit wollen sich die Konzer-
ne vom Verursacherprinzip verabschieden.

Diese Pläne lehnt der Deutsche Bundestag ab. Nach Jahrzehnten rentabler Geschäf-
te mit der Risikotechnologie müssen darum die gesamten Kosten für den Atomaus-
stieg heute und in Zukunft ohne Wenn und Aber von den Atomkonzernen geschul-
tert werden.

Die auf eine verfehlte Geschäftsstrategie zurückzuführenden schweren Verluste der
Konzerne und die hohe Schuldenlast lassen gleichzeitig die Sorge wachsen, dass
die Rückstellungen für Stilllegung und langfristige Lagerung möglicherweise ge-
fährdet sind und im Ernstfall nicht zur Verfügung stehen könnten. Die Bundesre-
gierung hat die Verantwortung und die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass die
Entsorgungsrücklagen der Konzerne vor Spekulationen geschützt sind und zur
Deckung der Atommüllfolgekosten dauerhaft zur Verfügung stehen.

Drucksache 18/1959 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

zur Sicherstellung eines fairen Verfahrens und damit eines glaubwürdigen Neuan-
fangs in der Atommüllendlagersuche folgende Maßnahmen zu ergreifen:
1. umgehend eine unabhängige gutachterliche Analyse der zu erwartenden Rück-

bau- und Entsorgungskosten sämtlicher Atomreaktoren zu beauftragen;
2. umgehend einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Überführung der Rückstel-

lungen der Atomkraftwerksbetreiber für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung
in einen öffentlich-rechtlichen Fonds vorsieht, um das Geld vor Spekulation zu
schützen und für dauerhafte Atommüllfolgekosten zu sichern. Dabei muss ge-
währleistet sein, dass die Unternehmen auch in Zukunft in der Haftung für
weitere, darüber hinaus anfallende Kosten bleiben;

3. die Konsequenzen aus der Unterrichtung des Bundesrechnungshofes von 2011
(Bundestagsdrucksache 17/5350) zu ziehen und eine bessere staatliche Prüfung
der Rückstellungen und eine umfassende Information des Parlaments sicherzu-
stellen.

Berlin, den 1. Juli 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Mitte Mai dieses Jahres wurden die Pläne der drei großen Energiekonzerne E.on, RWE und EnBW bekannt,
ihr gesamtes deutsches Atomgeschäft an den Bund übertragen zu wollen. Vattenfall wird bislang mit diesen
Plänen nicht in Verbindung gebracht, klagt aber als einziges Unternehmen auch in Washington vor dem
ICSID-Schiedsgericht auf Schadensersatz für die stillgelegten AKWs Brunsbüttel und Krümmel. Der Kon-
zern hat obendrein mit der im Januar 2014 erfolgten Abspaltung seines Kontinental-UK-Geschäfts auch seine
Haftung begrenzt.

Nach bislang bekannten Zahlen wollen die Konzerne lediglich rund 36 Mrd. Euro an bislang gebildeten
Rückstellungen einbringen, die sie für den Abriss der Atommeiler und die Entsorgung des Atommülls bislang
gebildet haben sollen. Eine Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) im Auftrag von
Greenpeace kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass allein für Stilllegung/Rückbau, Entsorgung und Risiko-
rücklage mindestens 44 Mrd. Euro anfallen könnten (www.greenpeace.de, S. 24). Auch aktuelle Berechnun-
gen gehen davon aus, dass die Kosten für Rückbau und Entsorgung die derzeit vorhandenen Rückstellungen
noch deutlich übersteigen könnten.

Die tatsächlichen Kosten für die Atomenergie wurden mit Hilfe von mehreren Milliarden Subventionen seit
Jahrzehnten verschleiert. Nach der Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) ist die
Atomkraft in Deutschland von 1950 bis 2010 mit circa 204 Mrd. Euro subventioniert worden. Der Staat leis-
tete und leistet direkte Zuschüsse und gewährt indirekte Vergünstigungen bei Bau und Betrieb der Atom-
kraftwerke, die der Steuerzahler zu tragen hat. Darüber hinaus begrenzt er die Haftung der Konzerne für nuk-
leare Unfälle auf derart niedrige Summen, die – wie das Beispiel Tepco und Fukushima eindringlich zeigt –
in Anbetracht der möglichen Schadenauswirkung unverantwortlich gering sind.

Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen unverständlich, dass die Bundesregierung bereit ist und sogar
plant, mit den Atomkonzernen „über die Realisierung der rechtlichen Verpflichtungen“ beim Rückbau der
Atomkraftwerke und der Entsorgung des Atommülls zu verhandeln. Auf Nachfragen unter anderem der Frak-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1959

tion DIE LINKE. musste die Bundesregierung inzwischen einräumen, dass sie bereits seit Februar 2014 über
das Bad-Bank-Angebot der Atomwirtschaft informiert ist (Bundestagsdrucksache 18/35).

Die Bundeskanzlerin ist offenbar gewillt, den Energiekonzernen zumindest einen Teil der Verantwortung für
die Risiken und Kosten der Stilllegung der AKW und der Entsorgung des Atommülls abzunehmen und sie
den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern aufzubürden. Denn sie kündigte in einem am 16. Mai 2014 in der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ veröffentlichten Interview an, die entsprechenden Risiken nicht „einsei-
tig“ weg vom Unternehmen hin zum Staat, also zum Bürger verlagern zu wollen. Das bedeutet, dass die Bun-
desregierung darüber verhandeln will, welchen Kostenanteil die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler beim
Abbau der Atomkraftwerke und der Entsorgung des Atommülls übernehmen, um die Konzerne zu entlasten
und damit das Verursacherprinzip weiter auszuhöhlen.

Die Unternehmen stehen in der Pflicht, für die Kosten der Stilllegung und der Atommülllagerung in vollem
Umfang die Verantwortung zu übernehmen. Mit dem Betrieb der Atomkraftwerke und den damit verbunde-
nen staatlichen Begünstigungen haben sie jahrzehntelang enorme Gewinne gemacht und hatten zudem mit
steuerfreien Rückstellungen erhebliche Vorteile gegenüber anderen Unternehmen im Wettbewerb.

Nach Jahrzehnten rentabler Geschäfte mit der Risikotechnologie müssen darum die gesamten Kosten für den
Atomausstieg heute und in Zukunft ohne Wenn und Aber von den Atomkonzernen geschultert werden.

Die AKW-Betreiber haben viele Jahre in eine verfehlte Geschäftsstrategie investiert und die Energiewende
blockiert. Die Finanzkrise hat auch diese Konzerne schwer belastet. Die schweren Verluste der Konzerne und
die hohe Schuldenlast lassen die Sorge wachsen, dass die Rückstellungen für Stilllegung und langfristige
Lagerung möglicherweise gefährdet sind und im Ernstfall nicht zur Verfügung stehen könnten. Unter ande-
rem die Haftungsbegrenzung, die Vattenfall durchgeführt hat, und Berichte darüber, dass die Rückstellungen
in die Braunkohle-Verstromung in der Lausitz angelegt sind (Frankfurter Rundschau, 14. Mai 2014, www.fr-
online.de) begründen diese Sorgen.

Die Bundesregierung hat die Verantwortung und die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass die Entsorgungs-
rücklagen der Konzerne vor Spekulationen geschützt sind und zur Deckung der Atommüllfolgekosten dauer-
haft zur Verfügung stehen. Dazu muss endlich auch ein Kontrollinstrumentarium geschaffen und eingesetzt
werden, damit Länder- und Bundes-Finanzverwaltung bzw. andere zuständige staatliche Stellen über die
erforderlichen Informationen verfügen, mit Hilfe derer sie über die Höhe der Rückstellungen sowie deren
Bewertung Klarheit bekommen, um gegebenenfalls regulierend eingreifen zu können. Der Bundesrechnungs-
hof hatte bereits 2011 äußerst kritisch zur bisherigen Praxis Stellung genommen (Bundestagsdrucksache
17/5350). In dem Bericht wird u. a. ausgeführt, dass die Bundesregierung nach eigener Darstellung keinerlei
Informationen über die Werthaltigkeit und die Angemessenheit der Rückstellungen besitzt und die Landesfi-
nanzverwaltungen und die Bundesbetriebsprüfung beim Bundeszentralamt für Steuern die einzigen Stellen
sind, die die Rückstellungswerte für einzelne Kernkraftwerke kennen. „Zu ihren Aufgaben gehört es, bei
Betriebsprüfungen zu kontrollieren, ob die Betreiber Rückstellungen in sachgerechter Höhe bilden. Dabei
ziehen sie auch Gutachten der Energieversorgungsunternehmen als wesentliche Grundlage heran. Die Gut-
achten erstellen zwei private Gesellschaften, an denen die Energieversorgungsunternehmen der Kernkraft-
werke beteiligt waren oder noch heute allein beteiligt sind“ (S. 28). Letztendlich kontrollieren also die Atom-
konzerne ihre Rückstellungen selbst.

Die Rückstellungen sind ferner steuerlich begünstigt. Sie können für Unternehmensaktivitäten wie die Finan-
zierung von Investitionsvorhaben verwendet werden, was die Aufnahme von Krediten und damit Fremdkapi-
talzinsen erspart (Innenfinanzierungsvorteil). Das führt zu wirtschaftlichen Vorteilen für die Betreiber der
Atomkraftwerke. Hinzu kommt ein Zinsvorteil aus der Verschiebung von Steuerzahlungen in die Zukunft.
Die Rückstellungsregelung hat nach konservativen Schätzungen in den vergangenen Jahrzehnten zu einem
wirtschaftlichen Vorteil für die Betreiber der Atomkraftwerke von über 50 Mrd. Euro geführt. Im Falle einer
Insolvenz der Konzerne hingegen stünden die Rückstellungen nicht mehr in vollem Umfang zur Verfügung
und der Bund würde als Ausfallbürge ganz oder teilweise in Anspruch genommen.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.