BT-Drucksache 18/1933

Sogenannte Homo-Heiler-Szene in Deutschland

Vom 25. Juni 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1933
18. Wahlperiode 25.06.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Lisa Paus, Maria Klein-Schmeink,
Ulle Schauws, Luise Amtsberg, Katja Dörner, Kai Gehring, Katja Keul,
Renate Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sogenannte Homo-Heiler-Szene in Deutschland

In Deutschland bieten und empfehlen einige Organisationen Behandlungen
Homosexueller mit dem Ziel der Änderung der sexuellen Orientierung der Be-
troffenen an, obwohl negative und schädliche Effekte solcher Behandlungen auf
therapierte Personen wissenschaftlich nachgewiesen sind. Zu diesen zählen
neben Ängsten u. a. soziale Isolation, Depressionen und erhöhte Suizidalität.
Ein wissenschaftlich valider Nachweis für die behauptete Wirksamkeit der-
artiger Pseudotherapien existiert dagegen nicht.
Neuerdings wird von einigen Propagandisten dieser Pseudotherapien beteuert,
sie sähen Homosexualität nicht als Krankheit, aber „manche wollten in ihrem
Wunsch begleitet werden, heterosexuelle Potenziale zu entwickeln“. Sie
behaupten: „Homosexuelle mit Änderungswunsch und -willen können ihre
sexuelle Orientierung durch Therapie, Seelsorge oder Selbsthilfegruppen än-
dern.“
Zu den Organisationen, die in Deutschland derartige Pseudotherapien anbieten
und empfehlen, zählen unter anderem das Weiße Kreuz, Wüstenstrom,
Leo e. V., der Bund katholischer Ärzte, das Deutsche Institut für Jugend und
Gesellschaft der Offensive Junger Christen e. V., eine Kommunität in der evan-
gelische Kirche. Die Akademie für Psychotherapie und Seelsorge e. V. (APS)
bot immer wieder ein Forum zur Propagierung solcher Ansätze. Im Internet
informiert die Mission Aufklärung (www.mission-aufklaerung.de/) über die
Hintergründer der Homo-„Heiler“-Szene in Deutschland.
Zum Teil sind diese Organisationen Mitglieder in den Spitzenverbänden der
Wohlfahrtspflege und nutzen diese für ihre Öffentlichkeitsarbeit. Der Deutsche
Paritätische Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e. V. schloss in diesem Jahr
daher den Verein Leo e. V. aus seinem Verband aus.
In den USA hat Exodus International, der „größte christliche Informations-
dienst“ der Ex-Gay-Bewegung, seine Arbeit eingestellt. Fast vier Jahrzehnte
lang hatte Exodus International in 19 Ländern versucht, Homosexuelle zu
heilen. Im Jahr 2013 entschuldigte sich die Gruppe bei Menschen, „denen wir
geschadet haben“, und gab ihre Auflösung bekannt.
Das ARD-Magazin „Panorama“ hat Anfang Mai 2014 über Ärzte berichtet, die
Homosexualität für behandelbar halten und ihre Veränderungsversuche den
Krankenkassen als „Erörterung einer lebensverändernden Erkrankung“ oder als
Behandlung einer „psychischen Störung“ in Rechnung stellen.

Drucksache 18/1933 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Der Weltärztebund WMA, dem über 100 nationale Ärzteverbände – darunter die
deutsche Bundesärztekammer – angehören, beschloss bei seiner 64. Generalver-
sammlung im Oktober letzten Jahres eine Stellungnahme, in der vor den sog.
Konversions- oder Reparations-Pseudotherapien explizit gewarnt wird: „Es gibt
für sie keine medizinische Indikation und sie stellen eine ernste Gefährdung für
die Gesundheit und die Menschenrechte von denen dar, die behandelt werden.“
Das Papier wurde von der Bundesärztekammer in enger Zusammenarbeit mit
der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik
und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) erarbeitet und gemeinsam mit der franzö-
sischen Ärztekammer und der British Medical Association beim Weltärztebund
eingereicht.
In der Stellungnahme wird die Teilnahme an solchen Pseudotherapien seitens
Ärztinnen oder Ärzte als „unethisch“ und „menschenrechtswidrig“ bezeichnet
und gefordert, dass sie „verurteilt und mit Sanktionen und Strafen versehen wer-
den“ (www.wma.net/en/30publications/10policies/s13/).
Auch der 117. Deutsche Ärztetag hat sich deutlich gegen jegliche Stigmatisie-
rung, Pathologisierung oder Benachteiligung von Menschen unterschiedlicher
sexueller Orientierung ausgesprochen und die Streichung von Diagnosekatego-
rien, die Homosexualität pathologisieren oder die Möglichkeit von Behandlun-
gen oder Therapien als Option nahelegen, gefordert.
Schließlich weist auch die Bundesregierung auf die Gefährlichkeit solcher Pseu-
dotherapien hin: „Die vor allem in den 60er und 70er Jahren häufig angebotenen
so genannten „Konversions“- oder „Reparations“-Therapien, die auf eine Ände-
rung von gleichgeschlechtlichem Sexualverhalten oder der homosexuellen
Orientierung abzielten, werden heute in der Fachwelt weitestgehend abgelehnt.
Dies gründet sich auf die Ergebnisse neuerer wissenschaftlicher Untersuchun-
gen, nach denen bei der Mehrzahl der so therapierten Personen negative und
schädliche Effekte (z. B. Ängste, soziale Isolation, Depressionen bis hin zu
Suizidalität) auftraten und die versprochenen Aussichten auf Heilung enttäuscht
wurden. […] Wenn so genannte Konversionstherapien durch Organisationen
oder Gruppierungen angeboten und beworben werden, so können hier unter-
schiedliche, meist religiöse oder weltanschauliche Motive eine Rolle spielen,
die sich einem empirisch-wissenschaftlichen Ansatz entziehen.“ (Bundestags-
drucksache 16/8022, S. 3).
Allerdings hat die Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, – wie das Portal
queer.de berichtete – im Januar letzten Jahres dem Evangelischen Gnadauer
Gemeinschaftsverband zu seinem 125-jährigen Bestehen gratuliert, obwohl die-
ser die „Heilung“ von Homosexualität propagiert. Und im Juni letzten Jahres
eröffnete sie das Landesjugendtreffen des „pietistischen Evangelischen Gemein-
schaftsverbandes“ in Baden-Württemberg, der ebenfalls für Homo-„Heilung“
bzw. „reparative Therapien“ (www.die-apis.de/uploads/media/Gemeinschaft_
2011-10.pdf) geworben hat (www.queer.de/detail.php?article_id=18406, www.
queer.de/detail.php?article_id=19025). Eine Distanzierung der Bundeskanzlerin
von den Ansichten dieser Organisationen zur reparativen Therapie oder auch nur
die Artikulierung eines „Unwohlseins“ im Zusammenhang mit solchen Vorstel-
lungen wurden von der Kanzlerin nicht kundgetan.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Organisationen

a) bieten nach Kenntnis der Bundesregierung die sog. Konversions- oder Re-
parations-Therapien in Deutschland an,

b) werben nach Kenntnis der Bundesregierung für diese Pseudotherapien?
2. Können nach Ansicht der Bundesregierung sogenannte Konversions- oder

Reparations-Therapien gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwe-
cken dienende Tätigkeiten im Sinne der Abgabenordnung sein?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1933
Wenn ja, warum?
Wenn nein, warum nicht?

3. Können nach Ansicht der Bundesregierung Tätigkeiten, die auf die Verän-
derung einer homosexuellen Orientierung abzielen, im Sinne des § 52 der
Abgabenordnung darauf gerichtet sein, „die Allgemeinheit auf materiellem,
geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern“?
Wenn ja, warum?
Wenn nein, warum nicht?

4. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus dem Umstand, dass Vereine, die als sogenannte Homo-Heiler auftreten,
nach eigenen Angaben steuerbegünstigte Zwecke verfolgen, und hält die
Bundesregierung in diesem Zusammenhang eine Klarstellung gegenüber
den Landesfinanzverwaltungen zur Gewährleistung einer einheitlichen
Rechtsanwendung für sinnvoll?

5. Wie will die Bundesregierung der Forderung des Weltärztebundes, repara-
tive oder Konversionstherapien wegen den damit verbundenen möglichen
Schäden für Patientinnen und Patienten zu sanktionieren bzw. zu verbieten,
Rechnung tragen?

6. Plant die Bundeskanzlerin bzw. andere Vertreterinnen oder Vertreter der
Bundesregierung weitere Auftritte bei Organisationen, die die sog. Konver-
sions- oder Reparations-Pseudotherapien anbieten oder dafür werben?

7. Ist der Bundesregierung bekannt, dass es in Deutschland Ärzte gibt, die sog.
Konversions- oder Reparations-Therapien bei den Krankenkassen abrech-
nen?
Wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung solche Abrechnungen?

8. Sind nach Ansicht der Bundesregierung sog. Konversions- oder Repara-
tions-Therapien trotz ihrer Wirkungslosigkeit und ihrer potentiellen Schäd-
lichkeit vom Leistungskatalog der Krankenkassen erfasst?

9. Welche Maßnahmen haben nach Kenntnis der Bundesregierung Ärztekam-
mern, Krankenkassen und Aufsichtsbehörden der Länder im Zusammen-
hang mit Falschabrechnungen und Angeboten von sog. Konversions- oder
Reparations-Therapien durch Ärzte oder Psychotherapeuten ergriffen?

10. Welche (approbations)rechtlichen Konsequenzen drohen nach Kenntnis der
Bundesregierung den Ärzten, die sog. Konversions- oder Reparations-
Therapien bei den Krankenkassen abrechnen oder es zumindest versuchen?

11. In welcher Form warnt die Bundesregierung im Sinne des Patientenschutzes
und der gesundheitlichen Aufklärung vor den potentiell „negativen Auswir-
kungen auf die Gesundheit“ (Bundesärztekammer) vor sog. Konversions-
oder Reparations-Therapien?
a) In welcher Weise ist der Patientenbeauftragte der Bundesregierung hier

tätig geworden oder plant dies zu tun?
b) In welcher Weise ist die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

(BZgA) hier tätig geworden oder plant dies zu tun?
c) Fördert die Bundesregierung zivilgesellschaftliche Organisationen, um

vor den Gefährdungen durch solche Pseudotherapien zu warnen?

Berlin, den 24. Juni 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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