BT-Drucksache 18/1538

Proteste bei der Fußball-WM 2014 in Brasilien

Vom 22. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1538
18. Wahlperiode 22.05.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Monika Lazar, Claudia Roth (Augsburg), Özcan Mutlu, Jürgen
Trittin, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Katja Keul, Renate Künast, Irene
Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Proteste bei der Fußball-WM 2014 in Brasilien

In Brasilien findet in diesem Jahr die Fußballweltmeisterschaft statt. Die Vor-
bereitungen auf das Turnier, das am 12. Juni 2014 in Sao Paolo beginnt und am
13. Juli 2014 in Rio de Janeiro endet, stehen bereits seit der Vergabe und beson-
ders seit den Massendemonstrationen im Sommer 2013 im Fokus der Öffent-
lichkeit.
Seit Beginn der Bauarbeiten sind nach Medienberichten insgesamt acht Arbeiter
beim Bau der Infrastruktur für die Fußball-WM ums Leben gekommen. Die Sta-
dien sind nicht planmäßig fertiggeworden, einige Bauvorhaben wurden gleich
ganz gestrichen. So ist der für die Bewältigung der Besuchermassen benötigte
Ausbau von Flughäfen im Land sowie die Modernisierung und der Ausbau des
öffentlichen Personennahverkehrs in vielen Austragungsorten abgebrochen bzw.
gar nicht erst begonnen worden. Zugleich gilt diese Fußball-WM als die teuerste
WM aller Zeiten. Insgesamt sollen sich die durch den brasilianischen Staat zu
tragenden Kosten für die Vorbereitung der Fußball-WM zwischen 8,3 Mrd.
Euro und 10 Mrd. Euro belaufen (www.dw.de/brasiliens-pr%C3%A4sidentin-
rousseff-verteidigt-hohe-kosten-f%C3%BCr-fu%C3%9Fball-wm/a-17574843,
zuletzt abgerufen am 12. Mai 2014).
Während für die Fußball-WM und die im Jahr 2016 in Rio de Janeiro stattfin-
denden Olympischen Sommerspiele viele Mrd. Euro ausgegeben werden, leidet
das Land unter massiven Mängeln im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesen.
So haben im Sommer 2013 im Zuge des Confederations Cups schätzungsweise
zwei Millionen Menschen aus Protest gegen die Politik der brasilianischen Re-
gierung unter der Präsidentin Dilma Roussef überall im Land demonstriert. Sie
prangerten dabei u. a. die zwischen der brasilianischen Regierung und dem
Weltfußballverband FIFA (= Fédération Internationale de Football Association)
geschlossenen Verträge an. Danach muss die FIFA keinerlei Steuerabgaben leis-
ten, auch gibt es nur sehr eingeschränkt ermäßigte Tickets für bestimmte Bevöl-
kerungsgruppen, womit einem Großteil der brasilianischen Staatsbürgerinnen
und Staatsbürger der direkte Zugang zu diesem Sportgroßereignis versperrt
wird. Es gibt zudem zahlreiche Berichte über massive Korruption bei der
Vorbereitung des Turniers (www.berliner-zeitung.de/sport/korruption-wie-die-
wm-2014--nach-brasilien-kam,10808794,23495878.html, zuletzt abgerufen am
12. Mai 2014). Auch massive Zwangsumsiedlungsmaßnahmen von Bewohne-
rinnen und Bewohnern von Favelas hat es in Brasilien gegeben. Die Praxis der
brasilianischen Behörden wurde u. a. von der UN-Beauftragten für das Recht auf

Drucksache 18/1538 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
angemessenes Wohnen, Raquel Rolnik, kritisiert (www.amnesty.ch/de/aktuell/
magazin/2011-3/interview-raquel-rolnik, zuletzt abgerufen am 13. Mai 2014).
Die Probleme des Landes bei der Vorbereitung drücken sich auch in der Zustim-
mung zum Turnier innerhalb der brasilianischen Bevölkerung aus: waren bei der
Vergabe des Turniers im Jahre 2008 noch 79 Prozent für die WM gewesen, so ist
dieser Wert stetig gesunken. Die Zustimmung zur WM betrug im Februar 2014
nur noch 52 Prozent (www.faz.net/aktuell/sport/fussball-wm/fussball-wm-in-
brasilien-vorfreude-auf-das-fussball-fest-sinkt-12819498.html).
Es gibt widersprüchliche Prognosen darüber, wie sich die Situation in Brasilien
während der in insgesamt zwölf Austragungsorten stattfindenden Fußball-WM
entwickeln wird. Dass es zu Protesten innerhalb der Bevölkerung kommen wird,
ist unstrittig. Fraglich ist aber das Ausmaß der Proteste. Nach Angaben der FIFA
ist bereits das gesamt Ticketkontingent für die WM-Spiele mit deutscher Be-
teiligung ausgeschöpft. Damit ist mit mindestens 55 000 deutschen Fans zu
rechnen, die sich während der WM in Brasilien aufhalten werden. Um ihre Si-
cherheit zu gewährleisten, entsendet die Bundesregierung routinemäßig deut-
sche Polizeibeamte, die vor Ort mit den Sicherheitsorganen zusammenarbeiten
sollen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie schätzt die Bundesregierung die Sicherheitslage in Brasilien im Vorfeld

der WM ein?
2. Sind nach den kürzlich erfolgten Sicherheitsberatungen zwischen deutschen

und brasilianischen Behörden im Vorfeld der WM Änderungen in der Ein-
schätzung der Sicherheitslage im Land erfolgt?
a) Wenn ja, welche?
b) Wenn nein, warum nicht?

3. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus
der Risikoanalyse der „Agência Brasileira de Inteligência“ (Abin), wonach die
größte Gefährdung für einen regulären Ablauf der Spiele durch Massende-
monstrationen ausgeht (www.faz.net/aktuell/politik/ausland/amerika/brasilien-
vor-der-wm-die-welt-zu-gast-bei-chaoten-12908763-p3.html, zuletzt abgeru-
fen am 19. Mai 2014), und welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen
zieht sie vor diesem Hintergrund aus den massiven Aufgebot an brasiliani-
schem Sicherheitspersonal während der WM (www.zeit.de vom 10. Mai 2014
„Vor WM: Brasilien schickt 30 000 Soldaten an die Grenze“)?

4. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
dabei aus den Worten des Chefs des brasilianischen Präsidialamtes, Gilberto
Carvalho, wonach die größte Bedrohung für einen geregelten Ablauf der
WM nicht von Massenkundgebungen, sondern von „eingeschleusten Krawall-
machern“ ausgehe (www.merkur-online.de/sport/fussball-wm/wm-gegner-
erneut-ausschreitungen-brasilien-zr-3560789.html, zuletzt abgerufen am
19. Mai 2014), und wie schätzt sie vor diesem Hintergrund die Lage vor Ort
für deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ein?

5. Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um die
Polizeibehörden in Brasilien für Strategien der Gewaltdeeskalation und
Gewaltprävention zu sensibilisieren?

6. Wie schätzt die Bundesregierung ihre eigenen Möglichkeiten durch Ent-
sendungspersonal ein, während der WM in Konfliktsituationen schnell und
angemessen zu reagieren?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1538
7. Inwieweit hält die Bundesregierung die Kooperation zwischen den brasilia-
nischen Sicherheitsbehörden untereinander und mit der deutschen Polizei
bzw. den konsularischen Vertretern der Bundesrepublik Deutschland für
ausreichend (bitte begründen)?

8. Wie verhält sich die Bundesregierung zu der massiven Mobilisierung
des Militärs im Vorfeld der WM (www.zeit.de/news/2014-05/10/fussball-
wm-vor-wm-brasilien-schickt-30000-soldaten-an-die-grenze-10225203), und
welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht sie aus der Aussage,
wonach die militärische Präsenz das Bild dieses Sportgroßereignisses vie-
lerorts prägen wird?

9. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die nichtpolizeiliche Ge-
fahrenabwehr der brasilianischen WM-Organisatoren?

10. In welchem Umfang hat die Bundesrepublik Deutschland Kommunika-
tions- und Informationssysteme im Hinblick auf den Confederations Cup
2013, die Fußball-WM und die Olympischen Sommerspiele 2016 an die
brasilianischen Polizei- und Zivilschutzbehörden geliefert, und wo kommen
diese nach Kenntnis der Bundesregierung zum Einsatz (bitte nach Produkt,
Kosten und Einsatzort aufschlüsseln)?

11. Welchen Inhalts ist der zwischen der brasilianischen Regierung und der
Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH Inter-
national Services (GIZ IS) ausgehandelte Rahmenvertrag zur Durchfüh-
rung von Beschaffungsleistungen (vgl. Antwort der damaligen Parlamen-
tarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung, Gudrun Kopp, vom 7. November 2011 auf die
Schriftliche Frage 140 der Abgeordneten Ute Koczy auf Bundestagsdruck-
sache 17/7701)?
a) Welche Leistungen wurden dort vereinbart (bitte nach Produkt, Kosten

und Einsatzort aufschlüsseln)?
b) Wurden alle dort festgelegten Leistungen erbracht, oder stehen noch

Leistungen aus?
12. Welche Bauvorhaben im Bereich der Infrastruktur konnten für die WM

2014 in Brasilien nach Kenntnis der Bundesregierung nicht abgeschlossen
werden?

13. Welche durch die Internationale Projekt- und Exportfinanzierung (IPEX)
der von der KfW Bankengruppe geförderten Bauvorhaben zur Vorbereitung
der Fußball-WM 2014 konnten nicht abgeschlossen werden (bitte nach Pro-
jekt, Kosten und Stand der Umsetzung des Projekts aufschlüsseln)?

14. Fördert die KfW Bankengruppe IPEX auch Bauvorhaben für die Olympi-
schen Sommerspiele 2016?
Wenn ja, welche (bitte nach Projekt, Kosten und Stand der Umsetzung des
Projekts aufschlüsseln)?

15. Sind die brasilianischen Behörden nach Einschätzung der Bundesregierung
in der Lage, bei Unfällen im Umfeld der WM schnell und angemessen zu
reagieren?

16. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung von Notfallplänen, die bei der
Fußball-WM ggf. greifen würden?

17. Wie schätzt die Bundesregierung die Arbeit der Koordinationsstelle Fan-
projekte (KOS) ein, welche während des Turniers „Fanbotschaften“ er-
richten wird und somit als Anlaufpunkt für deutsche Fans dient?

Drucksache 18/1538 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
18. Hat die Bundesregierung Kenntnis von den Sicherheitskooperationen, die
zwischen Brasilien und anderen Ländern im Rahmen der WM getroffen
wurden?
Wenn ja, wie schätzt die Bundesregierung diese im Vergleich zu den eige-
nen Anstrengungen ein?

19. Wie verhält sich die Bundesregierung zur Kritik der UN-Beauftragten für
das Recht auf angemessenes Wohnen, Raquel Rolnik, an der Praxis der
Zwangsumsiedlungen durch die brasilianischen Behörden im Zuge der Vor-
bereitungen auf die Fußball-WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016?

20. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus dem baulichen Zustand und etwaige Nachnutzungskonzepte der brasi-
lianischen Stadien (bitte nach Stadien aufschlüsseln)?

21. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus dem Ausschluss des deutschen Industrieunternehmens Siemens AG von
weiteren Auftragsvergabeverfahren in Brasilien aufgrund von Schmiergeld-
zahlungen beim Bau von U-Bahnen in Sao Paolo und Brasilia, wie er zu-
letzt am 24. Januar 2014 nochmals von einem brasilianischen Gericht be-
stätigt wurde (www.sueddeutsche.de/wirtschaft/siemens-in-brasilien-boom-
und-raus-1.1902394, zuletzt abgerufen am 19. Mai 2014)?
a) Hat die Bundesregierung bereits Gespräche mit der Siemens AG über die

Vorgänge geführt, die zum Ausschluss von weiteren Vergabeverfahren
geführt haben?

b) Hat die Bundesregierung entsprechende Gespräche mit den brasiliani-
schen Behörden geführt?

c) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Gerichts-
urteil?

22. Hat die Bundesregierung Kenntnis von weiteren Korruptionsvorwürfen, die
im Zusammenhang mit den Vorbereitungen auf die Fußball-WM 2014 oder
die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro stehen?
Wenn ja, welche?

23. Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um die
Korruption im Zusammenhang mit Sportgroßereignissen einzudämmen?

24. Hat die Bundesregierung konkrete Gespräche mit den brasilianischen Be-
hörden über die Umsetzung der im Rahmen der 5. UNESCO-Weltsport-
ministerkonferenz MINEPS V getroffenen Verabredungen und in der dort
niedergeschriebenen „Berliner Erklärung“ geführt?
a) Wenn ja, welchen Inhalts waren diese Gespräche, und wurden verbind-

liche Standards, insbesondere im Hinblick auf Korruptionsbekämpfung
bzw. Nachhaltigkeit von Sportgroßereignissen, besprochen?

b) Wenn nein, wann beabsichtigt die Bundesregierung, diese Gespräche zu
führen?

25. Hat die Bundesregierung Vertreter des Weltfußballverbandes FIFA auf die
Situation im Vorfeld der Fußball-WM 2014 angesprochen?
a) Wenn ja, welche Ergebnisse haben die Gespräche gebracht?
b) Wenn nein, warum hat sie noch keine diesbezüglichen Gespräche mit der

FIFA geführt, und wann beabsichtigt sie, solche Gespräche zu führen?
26. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, auf der Ebene der Euro-

päischen Union bzw. über den Europarat selbst auf eine strengere Einhaltung
von Nachhaltigkeitsstandards bei Sportgroßveranstaltungen zu drängen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1538
27. Wie beurteilt die Bundesregierung ihre Möglichkeit, innerhalb der Verein-
ten Nationen (UN) auf eine Einhaltung von Menschen- und Bürgerrechten
sowie auf ökologische Nachhaltigkeitsstandards bei Sportgroßveranstaltun-
gen, etwa über den UN-Sonderbotschafter Willi Lemke, zu drängen?

28. Hält die Bundesregierung die Aufnahme verbindlicher Menschen- und Bür-
gerrechtsstandards sowie internationaler Arbeitsrechtsstandards in die Ver-
gabekriterien von zukünftigen Sportgroßveranstaltungen für geboten?
a) Wenn ja, hat die Bundesregierung ihre Haltung diesbezüglich gegenüber

den Weltverbänden des Sports bereits artikuliert?
b) Wenn nein, warum nicht?

29. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregie-
rung aus der Äußerung des FIFA-Generalsekretärs, Jérôme Valcke, vom
April 2013 (www.bbc.com/sport/0/football/22288688, zuletzt abgerufen am
16. Mai 2014), dass weniger Demokratie bei der Planung einer WM besser
sei und dass es für die Organisatoren leichter als in Ländern wie Deutsch-
land sei, wenn es ein starkes Staatsoberhaupt mit Entscheidungsgewalt wie
Wladimir Putin gibt, und wird die Bundesregierung die FIFA als Dach-
organisation des Deutschen Fußball-Bunds e. V. (DFB) um eine Erklärung
bitten, inwieweit die FIFA die freiheitlich-demokratische Grundordnung in
Deutschland anerkennt?

30. Werden Mitglieder der Bundesregierung zur WM nach Brasilien reisen
(bitte nach Mitglied der Bundesregierung und Spiel der Weltmeisterschaft
aufschlüsseln)?
Wenn ja, wird sich die Bundesregierung vor Ort zu Gesprächen über die
sozialen Spannungen und die Sicherheitslage im Land mit Vertretern der
brasilianischen Regierung treffen und etwaige Missstände offen anspre-
chen?

31. Wie schätzt die Bundesregierung die Vorbereitungen im Hinblick auf die
Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro ein, welche im Jahr 2016
stattfinden sollen?

32. Ist die Bundesregierung in Bezug auf die Olympischen Spiele 2016 bereits
in Kontakt mit den lokalen Behörden?

Berlin, den 22. Mai 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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