BT-Drucksache 18/13426

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Gruppenverfahren

Vom 28. August 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/13426

18. Wahlperiode 28.08.2017

Gesetzentwurf

der Abgeordneten Renate Künast, Nicole Maisch, Luise Amtsberg, Volker
Beck (Köln), Britta Haßelmann, Katja Keul, Monika Lazar, Irene Mihalic,
Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Gruppenverfahren

A. Problem

Wird eine Vielzahl von Personen durch dieselbe rechtswidrige Verhaltensweise
geschädigt, können die Betroffenen nur in den seltensten Fällen auf Instrumente
kollektiven Rechtsschutzes zurückgreifen, um ihre Ansprüche gemeinsam durch-
zusetzen. Es gilt im Zivilprozess der Grundsatz, dass Geschädigte ihre Ansprüche
vor Gericht individuell durchsetzen müssen und dabei jeder für sich das Prozess-
kostenrisiko zu tragen hat. Im Zuge des sogenannten Abgasskandals hat sich die
Notwendigkeit besserer Möglichkeiten kollektiver Rechtsdurchsetzung deutlich
gezeigt. Tausende Eigentümerinnen und Eigentümer eines Dieselfahrzeugs haben
Klagen eingereicht, die nun einzeln von den Gerichten entschieden werden müs-
sen. Rechtsdienstleiter haben es gegen eine hohe Erfolgsprovision übernommen,
im Wege der Forderungsabtretung Ansprüche gegen verschiedene Automobil-
konzerne zu sammeln, die sie in gerichtlichen Verfahren geltend machen, da ein
effektives Rechtsinstrument zur kollektiven Durchsetzung in der Zivilprozessord-
nung nicht existiert.

Auch weit über den aktuellen Dieselskandal hinaus sind zentrale gesellschaftliche
Bereiche, wie insbesondere der Konsum von Lebensmitteln und Industrieproduk-
ten, die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser, die Anmietung von Wohnraum,
der Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die Risikovorsorge der Bürgerin-
nen und Bürger durch Versicherungen, ihre Altersversorgung durch Kapitalanla-
gen sowie die Sicherung einer fairen marktwirtschaftlichen Ordnung durch Wett-
bewerbs- und Verbraucherschutz in weiten Teilen in den Strukturen des Privat-
rechts geregelt.

Doch das Prozessrecht wird der gestiegenen gesellschaftlichen Bedeutung des Pri-
vatrechts nicht mehr gerecht.

Die deutsche Zivilprozessordnung hat sich zwar für die individuelle Rechtsdurch-
setzung bewährt, aber um den neuen Herausforderungen und der gesellschaftli-
chen Bedeutung des Privatrechts auch auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung ge-
recht zu werden, sind neue Instrumente notwendig.

Durch die Einführung eines Gruppenverfahrens wollen wir insbesondere zwei
Problemen entgegentreten: erstens dem Problem des mangelnden Zugangs zum

Drucksache 18/13426 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Recht bei – auch kleineren – massenhaft auftretenden Individualschäden und –
damit verbunden – zweitens dem daraus folgenden Defizit bei der Rechtsdurch-
setzung.

Am 11. Juni 2013 hat die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten die Ein-
führung kollektiver Rechtsschutzverfahren empfohlen, um einen effektiveren Zu-
gang zum Recht zu gewährleisten. Die Empfehlung enthält eine Reihe gemeinsa-
mer, nicht verbindlicher Grundsätze für kollektive Rechtsdurchsetzung, mit der
ein kohärentes allgemeines Konzept in der Europäischen Union ohne Harmoni-
sierung der Systeme der Mitgliedstaaten gewährleistet werden soll. In der Emp-
fehlung werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, innerhalb von zwei Jahren ge-
eignete Maßnahmen einzuführen. Spätestens zwei Jahre nach der Umsetzung der
Empfehlung wird die Kommission anhand der Jahresberichte der Mitgliedstaaten
den Stand der Dinge prüfen und entscheiden, ob weitere Maßnahmen erforderlich
sind, um den in der Empfehlung gewählten allgemeinen Ansatz zu stärken.

B. Lösung

Der Gesetzentwurf verfolgt drei Ziele: Erstens soll die mit dem Kapitalanleger-
Musterverfahrensgesetz (KapMuG) geschaffene Möglichkeit der Bündelung in-
dividueller Ansprüche, durch die Einführung eines Gruppenverfahrens, verallge-
meinert und in die Zivilprozessordnung integriert werden. Zweitens sollen die Zu-
gangsschranken zum Gruppenverfahren gegenüber dem KapMuG abgesenkt wer-
den, um eine stärkere Rechtsdurchsetzungswirkung zu erreichen. Drittens soll ein
angemessener Rahmen geschaffen werden, in dem die Zivilgerichte bei massen-
haften Schadensfällen zu einer angemessenen Konfliktlösung beitragen können.

C. Alternativen

Beibehaltung des bisherigen Zustands.

D. Kosten

Wenn sich Rechtsbruch nicht mehr „lohnt“ und damit die Anwendung rechtswid-
riger Geschäftsbedingungen, verbraucherschutzwidriger Praktiken, fehlerhafter
Anlageberatung und andere Rechtsverstöße aufgrund effektiverer Rechtsdurch-
setzungsmöglichkeiten zurückgehen, wird das gesamtwirtschaftlich positive Fol-
gen haben und auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher langfristig vor-
teilhaft sein.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13426

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Gruppenverfahren

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung der Zivilprozessordnung

Die Zivilprozessordnung in der Fassung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I S. 431; 2007 I
S. 1781), die zuletzt durch Artikel 11 Absatz 15 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2745) geändert wor-
den ist, wird wie folgt geändert:

1. In der Inhaltsübersicht werden nach der Angabe zu § 605a folgende Angaben eingefügt:

„Buch 6

Gruppenverfahren

Abschnitt 1

Eröffnung des Gruppenverfahrens

§ 606 Zulässigkeit

§ 607 Anwendungsbereich

§ 608 Örtliche Zuständigkeit

§ 609 Antrag auf Eröffnung des Gruppenverfahrens

§ 610 Gegenstand des Gruppenverfahrens

§ 611 Antragsbefugnis

§ 612 Eröffnungsbeschluss

§ 613 Konkurrierende Gruppenklagen

§ 614 Bekanntmachung im Klageregister; Verordnungsermächtigung

Abschnitt 2

Teilnahme am Gruppenverfahren

§ 615 Teilnahme

§ 616 Teilnahmeerklärung

§ 617 Verspätete Teilnahmeerklärung

§ 618 Aussetzung anhängiger Verfahren

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Abschnitt 3

Durchführung des Gruppenverfahrens

§ 619 Gruppenkläger

§ 620 Teilnehmer

§ 621 Beendigung der Teilnahme

§ 622 Verfahrensregeln

§ 623 Vergleich

§ 624 Genehmigung des Vergleichs

§ 625 Bekanntmachung des Vergleichs; Austritt

§ 626 Wirkung des Vergleichs

§ 627 Urteil

§ 628 Wirkung des Urteils

§ 629 Kosten

Abschnitt 4

Rechtsmittel im Gruppenverfahren

§ 630 Statthaftigkeit

§ 631 Einlegung und Kosten“.

2. Das Buch 6 der Zivilprozessordnung wird wie folgt gefasst:

„Buch 6

Gruppenverfahren

Abschnitt 1

Eröffnung des Gruppenverfahrens

§ 606

Zulässigkeit

Ein Gruppenverfahren ist zulässig, wenn und soweit

1. die Mitglieder einer hinreichend bestimmbaren Gruppe Ansprüche oder sonstige Rechtsverhältnisse
geltend machen, die den gleichen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt betreffen,

2. die Entscheidung über diese Ansprüche oder sonstigen Rechtsverhältnisse von gleichen oder ähnlichen
tatsächlichen Umständen oder Rechtsfragen abhängen kann,

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/13426

3. in Anbetracht der konkreten Umstände die Durchführung des Gruppenverfahrens im Vergleich zu zahl-
reichen einzelnen Verfahren vorzugswürdig ist und

4. ein Gruppenkläger vorhanden ist, der willens und geeignet ist, das Gruppenverfahren mit Wirkung für
die Gruppe durchzuführen.

§ 607

Anwendungsbereich

In Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit findet kein Gruppenverfahren
statt.

§ 608

Örtliche Zuständigkeit

(1) Für ein Gruppenverfahren ist das Gericht ausschließlich zuständig, bei dem der Beklagte im Inland
seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.

(2) Hat der Beklagte keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland, so kann das Gruppenverfahren bei
jedem Gericht durchgeführt werden, welches für die Entscheidung über den Anspruch mindestens eines
Gruppenmitglieds zuständig wäre.

(3) Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung für die Bezirke mehrerer
Landgerichte eines von ihnen als Gericht für Gruppenverfahren zu bestimmen; dasselbe gilt entsprechend
für die Oberlandesgerichte. Die Landesregierungen können die Ermächtigung auf die Landesjustizverwal-
tungen übertragen.

§ 609

Antrag auf Eröffnung des Gruppenverfahrens

(1) Eine Klage kann mit dem Antrag verbunden werden, ein Gruppenverfahren durchzuführen. Dazu
müssen die in § 606 genannten Voraussetzungen des Gruppenverfahrens dargelegt werden. Außerdem sind
die Teilnahmeerklärungen von mindestens zehn Mitgliedern der Gruppe beizufügen. Einer dieser Teilneh-
mer oder eine Einrichtung gemäß § 611 Nr. 2 ist als Gruppenkläger vorzuschlagen.

(2) Der Antrag ist dem Beklagten zuzustellen.

(3) Ist eine Rechtsstreitigkeit bereits anhängig, so kann vom Kläger unter den Voraussetzungen des
§ 606 ein Antrag auf Durchführung eines Gruppenverfahrens gestellt werden. Absätze 1 und 2 gelten ent-
sprechend.

§ 610

Gegenstand des Gruppenverfahrens

(1) Im Gruppenverfahren kann ein Leistungs- oder Feststellungsantrag gestellt werden.

(2) Außerdem können im Gruppenverfahren auch Feststellungen zum Vorliegen oder Nichtvorliegen
von anspruchsbegründenden oder anspruchsausschließenden Voraussetzungen oder Feststellungen zu
Rechtsfragen beantragt werden, soweit die Ansprüche der Gruppenmitglieder von diesen Feststellungen ab-
hängen können.

(3) Die Gruppe kann in Untergruppen unterteilt werden.

Drucksache 18/13426 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

§ 611

Antragsbefugnis

Zur Beantragung eines Gruppenverfahrens und zur Durchführung des Verfahrens als Gruppenkläger
sind befugt:

1. jedes Mitglied der nach § 606 Nr. 1 bestimmbaren Gruppe oder

2. eine Einrichtung, die in der Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 des Unterlassungsklagegesetzes
oder in dem Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Artikel 4 der Richtlinie 98/27/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der
Verbraucherinteressen (ABl. EG Nr. L 166, S. 51) in der jeweils geltenden Fassung eingetragen ist.

§ 612

Eröffnungsbeschluss

(1) Das Gericht entscheidet über die Eröffnung des Gruppenverfahrens durch Beschluss aufgrund
mündlicher Verhandlung.

(2) Liegen die Voraussetzungen des § 606 vor, eröffnet das Gericht das Gruppenverfahren. Der Eröff-
nungsbeschluss enthält mindestens

1. den im Gruppenverfahren zu behandelnden Antrag,

2. eine knappe Darstellung des dem Gruppenverfahren zugrunde liegenden gleichen Lebenssachverhalts,

3. Angaben zur Bestimmung der Mitglieder der Gruppe und

4. die Ernennung des Gruppenklägers mit dessen Name und Anschrift sowie Name und Anschrift seines
Prozessbevollmächtigten.

(3) Liegen die Voraussetzungen des § 606 nicht vor, weist das Gericht den Antrag auf Durchführung
eines Gruppenverfahrens ab.

(4) Gegen den Beschluss gemäß Absatz 2 oder 3 sind die sofortige Beschwerde und die Rechtsbe-
schwerde statthaft.

§ 613

Konkurrierende Gruppenverfahren

(1) Sind mehrere Anträge auf Durchführung von Gruppenverfahren anhängig, die den gleichen Le-
benssachverhalt betreffen, so kann das Gericht den jeweiligen Antragstellern vor der Beschlussfassung ge-
mäß § 612 zunächst eine Einigungsfrist setzen. Gelingt eine Einigung nicht, so kann das Gericht die konkur-
rierenden Anträge verbinden und gemäß § 612 entscheiden.

(2) Unter mehreren möglichen Gruppenklägern trifft das Gericht eine Auswahl nach billigem Ermes-
sen im Hinblick auf die Eignung des Gruppenklägers, das Verfahren unter Berücksichtigung der Interessen
der Gruppe angemessen zu führen. Dabei können insbesondere die Höhe des dem Gruppenverfahren zu-
grunde liegenden Anspruchs des Gruppenklägers sowie die Höhe und Anzahl der Ansprüche der Teilnehmer,
die sich auf diesen Gruppenkläger geeinigt haben, Berücksichtigung finden.

(3) Ist bereits ein Gruppenverfahren durch Beschluss gemäß § 612 eröffnet, so ist eine weitere Grup-
penklage aufgrund des gleichen Lebenssachverhalts insoweit unzulässig, als die Mitglieder der Gruppe auf
die Möglichkeit der Teilnahme an dem bereits eröffneten Gruppenverfahren verwiesen werden können.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/13426

§ 614

Bekanntmachung im Klageregister; Verordnungsermächtigung

(1) Das Gericht macht den Inhalt des Eröffnungsbeschlusses sowie die Teilnahmeerklärungen im Kla-
geregister unter Angabe des Aktenzeichens öffentlich bekannt.

(2) Mit der Bekanntmachung im Klageregister setzt das Gericht eine angemessene Frist, innerhalb
derer weitere Gruppenmitglieder ihre Teilnahme am Gruppenverfahren erklären können. Die Frist beträgt in
der Regel drei Monate.

(3) Die Bekanntmachung enthält außerdem eine Belehrung über Form, Inhalt und Kosten der Teilnah-
meerklärung, über die rechtlichen Folgen der Teilnahme am Gruppenverfahren sowie über den Höchstbetrag
der vom Teilnehmer zu tragenden Kosten gemäß § 629 Absatz 2.

(4) Das Gericht, das die Bekanntmachung veranlasst, trägt die datenschutzrechtliche Verantwortung
für die von ihm im Klageregister bekannt gemachten Daten, insbesondere für die Rechtmäßigkeit ihrer Er-
hebung, die Zulässigkeit ihrer Veröffentlichung und die Richtigkeit der Darstellung.

(5) Die im Klageregister gespeicherten Daten sind nach Rechtskraft des Urteils im Gruppenverfahren
oder nach dessen sonstiger Beendigung unverzüglich zu löschen.

(6) Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des
Bundesrates nähere Bestimmungen über Inhalt und Aufbau des Klageregisters, insbesondere über Eintra-
gungen, Änderungen, Löschungen, Einsichtsrechte, Datensicherheit und Datenschutz zu treffen. Dabei sind
Löschungsfristen vorzusehen sowie Vorschriften, die sicherstellen, dass die Bekanntmachungen unversehrt,
vollständig und aktuell bleiben sowie jederzeit ihrem Ursprung nach zugeordnet werden können.

Abschnitt 2

Teilnahme am Gruppenverfahren

§ 615

Teilnahme

Jedes Mitglied der Gruppe kann durch Schriftsatz an das Gericht oder durch elektronische Eingabe in
das Klageregister seine Teilnahme am Gruppenverfahren erklären. Der Teilnehmer muss sich anwaltlich
vertreten lassen. Die Teilnahme kann frühestens mit Stellung des Antrags auf Durchführung eines Gruppen-
verfahrens erklärt werden.

§ 616

Teilnahmeerklärung

(1) Die Teilnahmeerklärung muss folgende Angaben enthalten:

1. die Bezeichnung des Teilnehmers und seiner gesetzlichen Vertreter,

2. das Aktenzeichen des Gruppenverfahrens, sofern ein solches bereits vergeben ist, ansonsten Bezug-
nahme auf den Schriftsatz, mit dem die Durchführung des Gruppenverfahrens beantragt wurde,

3. die Erklärung, am Gruppenverfahren teilnehmen zu wollen,

4. die Bezeichnung von Grund und Höhe des der Teilnahme zugrunde liegenden Anspruchs oder entspre-
chende Angaben zu dem sonstigen Rechtsverhältnis, welches der Gruppenklage zugrunde liegt und

5. die Bezeichnung des Beklagten.

Drucksache 18/13426 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

(2) Die Teilnahmeerklärung wird im Klageregister eingetragen und ist dem Beklagten zuzustellen.

§ 617

Verspätete Teilnahmeerklärung

Eine Teilnahmeerklärung, die nach Ablauf der gemäß § 614 Absatz 2 bestimmten Frist eingeht, ist zu-
zulassen, es sei denn, dies ist nicht sachdienlich. Nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhand-
lung ist eine Teilnahmeerklärung nicht mehr möglich.

§ 618

Aussetzung anhängiger Verfahren

(1) Ist ein Gruppenverfahren durch Beschluss nach § 612 eröffnet, so wird ein anderes anhängiges
Verfahren von Amts wegen ausgesetzt, wenn der Kläger in dem auszusetzenden Verfahren zugleich im
Gruppenverfahren Gruppenkläger oder Teilnehmer ist und die Entscheidung des Rechtsstreits von den im
Gruppenverfahren zu treffenden Feststellungen abhängen kann.

(2) Das ausgesetzte Verfahren wird auf Antrag einer Partei fortgesetzt, wenn das Gruppenverfahren
beendet ist oder wenn der Kläger in dem ausgesetzten Verfahren nicht mehr am Gruppenverfahren teilnimmt.

Abschnitt 3

Durchführung des Gruppenverfahrens

§ 619

Gruppenkläger

(1) Das Gruppenverfahren wird mit Wirkung für die Gruppe durch den Gruppenkläger geführt.

(2) Die Stellung als Gruppenkläger begründet kein Schuldverhältnis gegenüber den Teilnehmern des
Gruppenverfahrens.

(3) Auf Antrag eines Teilnehmers kann das Gericht den Gruppenkläger abberufen und durch einen
neuen ersetzen, wenn der bisherige Gruppenkläger das Gruppenverfahren offensichtlich nicht im Interesse
der Gruppe führt.

(4) Beabsichtigt der Gruppenkläger die Rücknahme der Klage nach Eröffnung des Gruppenverfah-
rens, so bedarf es dazu der Einwilligung des Beklagten gemäß § 269 Absatz 2. Liegt diese vor oder gilt sie
als erteilt, so setzt das Gericht den Teilnehmern des Gruppenverfahrens eine angemessene Frist zur Benen-
nung eines neuen Gruppenklägers und bestellt diesen, sofern er geeignet ist. Die Vorschriften des § 613
Absatz 2 und des § 620 Absatz 2 finden entsprechende Anwendung. Wird innerhalb der gesetzten Frist kein
neuer Gruppenkläger vorgeschlagen oder ist die vorgeschlagene Person nicht geeignet, so wird die Rück-
nahme der Klage wirksam.

§ 620

Teilnehmer

(1) Die Teilnehmer des Gruppenverfahrens werden durch das Gericht über den Fortgang des Grup-
penverfahrens informiert, insbesondere über sämtliche Schriftsätze und Zwischenentscheidungen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/13426

(2) Die Information gemäß Absatz 1 erfolgt in der Regel über ein elektronisches Informationssystem,
welches nur den Teilnehmern, dem Gruppenkläger und dem Beklagten zugänglich ist. Die im elektronischen
Informationssystem gespeicherten Daten sind nach rechtskräftigem Abschluss oder sonstiger Beendigung
des Gruppenverfahrens unverzüglich zu löschen.

(3) Die Teilnehmer können mit Ausnahme der in §§ 619 Absatz 4, 623 Absatz 1 Satz 2, 625 Absatz 2
und 631 geregelten Fälle im Gruppenverfahren keine Prozesshandlungen vornehmen und keine Angriffs-
oder Verteidigungsmittel vorbringen.

(4) Für die Beweisaufnahme durch Vernehmung eines Teilnehmers gelten die Regeln über den Beweis
durch Parteivernehmung.

§ 621

Beendigung der Teilnahme

(1) Ein Teilnehmer kann bis zum Ende der mündlichen Verhandlung in erster Instanz durch Schriftsatz
an das Gericht die Beendigung seiner Teilnahme am Gruppenverfahren erklären. Die Verpflichtung zur Kos-
tentragung bleibt davon unberührt. Die Beendigung der Teilnahme wird im Klageregister verzeichnet.

(2) Sinkt die Anzahl der Teilnehmer im Verlauf des Gruppenverfahrens unter neun, so kann das Ge-
richt das Gruppenverfahren von Amts wegen durch unanfechtbaren Beschluss für beendet erklären und in
entsprechender Anwendung des § 91a nur noch über die Kosten entscheiden.

§ 622

Verfahrensregeln

Die Vorschriften der §§ 278 Absatz 2 bis 5, 306, 348 bis 350 und 379 sind im Gruppenverfahren nicht
anzuwenden. In Beschlüssen müssen die Teilnehmer nicht bezeichnet werden.

§ 623

Vergleich

(1) Der Gruppenkläger und der Beklagte können einen gerichtlichen Vergleich dadurch schließen,
dass sie dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten oder einen schriftlichen Ver-
gleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht annehmen. Den Teilnehmern ist über
das gemäß § 620 Absatz 2 eingerichtete Informationssystem Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der
Vergleich bedarf der Genehmigung durch das Gericht und wird nur wirksam, wenn weniger als 30 Prozent
der Teilnehmer ihren Austritt aus dem Vergleich gemäß § 625 Absatz 2 erklären.

(2) Der Vergleich soll auch die folgenden Regelungen enthalten:

1. die Verteilung einer gegebenenfalls vereinbarten Leistung auf die Mitglieder der Gruppe,

2. den von den Gruppenmitgliedern zu erbringenden Nachweis der Leistungsberechtigung,

3. die Fälligkeit der Leistungen sowie

4. die Verteilung der Kosten des Gruppenverfahrens.

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§ 624

Genehmigung des Vergleichs

(1) Das Gericht genehmigt den Vergleich durch unanfechtbaren Beschluss, wenn es ihn unter Berück-
sichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes sowie etwaiger Stellungnahmen der Teilnehmer als ange-
messene gütliche Beilegung der Rechtsstreitigkeit erachtet.

(2) Nach der Genehmigung kann der Vergleich nicht mehr widerrufen werden.

§ 625

Bekanntmachung des Vergleichs; Austritt

(1) Der genehmigte Vergleich wird den Teilnehmern zugestellt.

(2) Die Teilnehmer können innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung des Vergleichs
ihren Austritt aus dem Vergleich erklären. Der Austritt muss schriftlich gegenüber dem Gericht erklärt wer-
den; er kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

(3) Die Teilnehmer sind über ihr Recht zum Austritt aus dem Vergleich, über die einzuhaltende Form
und Frist sowie über die Wirkung des Vergleichs zu belehren.

§ 626

Wirkung des Vergleichs

(1) Das Gericht stellt durch unanfechtbaren Beschluss fest, ob der genehmigte Vergleich wirksam
geworden ist. Der Beschluss wird im Klageregister veröffentlicht. Mit der Bekanntmachung des Beschlusses,
der die Wirksamkeit des Vergleichs feststellt, wirkt der Vergleich für und gegen den Gruppenkläger und den
Beklagten sowie für und gegen alle Teilnehmer, sofern diese nicht ihren Austritt erklärt haben.

(2) Der Vergleich beendet das Gruppenverfahren.

§ 627

Urteil

(1) Im Falle eines Antrags gemäß § 610 Absatz 2 ist die Klage begründet, soweit die beantragten Fest-
stellungen zutreffen und die Ansprüche der Gruppenmitglieder von diesen Feststellungen abhängen können.

(2) Das Urteil im Gruppenverfahren enthält auch die Namen und Anschriften sämtlicher Teilnehmer
und wird auch diesen zugestellt. Dem Urteil ist eine Belehrung über das statthafte Rechtsmittel und dessen
Durchführung beizufügen.

(3) Soweit das Urteil hinsichtlich der Ansprüche einzelner Teilnehmer vollstreckbar ist, ist auch die-
sen Teilnehmern auf ihren Antrag hin eine insoweit beschränkte vollstreckbare Ausfertigung zu erteilen,
soweit sie hieran ein berechtigtes Interesse haben; § 733 gilt entsprechend.

§ 628

Wirkung des Urteils

Im Rahmen des dem Verfahren zugrunde liegenden Lebenssachverhalts wirkt das Urteil für und gegen
den Gruppenkläger und den Beklagten sowie für und gegen alle Teilnehmer, sofern diese nicht ihre Teil-
nahme gemäß § 621 Absatz 1 beendet haben.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/13426

§ 629

Kosten

(1) Soweit die unterliegende Gruppe die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, haften der Gruppen-
kläger und alle Teilnehmer für die Kostenerstattung anteilig. Die Anteile werden nach dem Verhältnis be-
stimmt, in dem der für den jeweiligen Gruppenkläger oder Teilnehmer dem Gruppenverfahren zugrunde
liegende Anspruch zu der Gesamtsumme der dem Gruppenverfahren zugrunde liegenden Ansprüche steht.
Dies gilt entsprechend für sonstige Rechtsverhältnisse.

(2) Die Verpflichtung eines Teilnehmers zur Kostentragung ist jedoch für das gesamte Gruppenver-
fahren einschließlich der Kosten der Teilnahmeerklärung, der Kosten der Rechtsmittelinstanzen sowie einer
etwaigen Erstattung der Kosten des Gerichts oder der obsiegenden Gegenpartei auf einen Höchstbetrag be-
grenzt. Dieser Höchstbetrag entspricht vier Gebühren nach § 13 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes, be-
zogen auf den Wert des für diesen Teilnehmer dem Gruppenverfahren zugrunde liegenden Anspruchs oder
sonstigen Rechtsverhältnisses.

(3) Soweit die Erstattung der Kosten des Gerichts oder der obsiegenden Gegenpartei aufgrund der
Regelung des Absatzes 2 von den Teilnehmern nicht verlangt werden kann, haftet der Gruppenkläger für die
restlichen Kosten.

Abschnitt 4

Rechtsmittel im Gruppenverfahren

§ 630

Statthaftigkeit

(1) Gegen Urteile des Landgerichts, die im Gruppenverfahren ergangen sind, ist die Berufung zuläs-
sig.

(2) Gegen Urteile des Oberlandesgerichts, die im Gruppenverfahren in erster Instanz ergangen sind,
ist die Revision zulässig. Die §§ 545 bis 565 finden entsprechende Anwendung.

§ 631

Einlegung und Kosten

(1) Der Gruppenkläger ist zur Einlegung der Berufung mit Wirkung für die Gruppe berechtigt. Au-
ßerdem ist jeder Teilnehmer berechtigt, innerhalb der Berufungsfrist vorsorglich Berufung einzulegen. Legt
der Gruppenkläger Berufung ein, so werden die Berufungen der Teilnehmer gegenstandlos.

(2) Legt der Gruppenkläger keine Berufung ein, so wählt das Berufungsgericht durch unanfechtbaren
Beschluss aus denjenigen Teilnehmern, die Berufung eingelegt haben, einen neuen Gruppenkläger aus, wel-
cher das Berufungsverfahren durchführt. Die Vorschrift des § 613 Absatz 2 ist entsprechend anzuwenden.
Der Beschluss wird im Klageregister veröffentlicht.

(3) Im Fall der Berufung sind die Teilnehmer verpflichtet, die auf sie entfallenden Gerichtsgebühren
zu entrichten; dabei sind § 629 Absatz 1 und 2 anzuwenden.

(4) Die anwaltliche Vergütung obliegt dem Gruppenkläger. Der Gruppenkläger kann von den Teil-
nehmern eine Beteiligung an diesen Kosten verlangen; dabei sind § 629 Absatz 1 und 2 anzuwenden.

(5) Für die Revision gelten die vorstehenden Absätze entsprechend.“

Drucksache 18/13426 – 12 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Artikel 2

Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches

§ 204 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002
(BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2787)
geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In Nummer 13 wird das Wort „und“ am Ende gestrichen.

2. In Nummer 14 wird der Punkt am Ende durch ein Semikolon und die Angabe „und“ ersetzt.

3. Folgende Nummer 15 wird angefügt:

„15. die Zustellung einer Erklärung der Teilnahme an einem Gruppenverfahren für darin bezeichnete An-
sprüche, soweit diesen der gleiche Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie dem Gruppenverfahren.“

Artikel 3

Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes

Das Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077),
das zuletzt durch Artikel 28 des Gesetzes vom 5. Juli 2017 (BGBl. I S. 2208) geändert worden ist, wird wie folgt
geändert:

1. Dem § 71 Absatz 2 wird folgende Nummer 5 angefügt:

„5. für Gruppenverfahren nach dem sechsten Buch der Zivilprozessordnung, wenn nicht gemäß § 118 die
Zuständigkeit des Oberlandesgerichts begründet ist.“

2. In § 118 werden nach den Wörtern „Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz“ die Wörter „und in Gruppen-
verfahren nach dem sechsten Buch der Zivilprozessordnung, wenn sich das Verfahren auf die in § 32b Ab-
satz 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung genannten Ansprüche bezieht“ eingefügt.

Artikel 4

Änderung des Gerichtskostengesetzes

Das Gerichtskostengesetz vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 7 des Ge-
setzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I S. 2739) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In der Inhaltsübersicht wird nach der Angabe zu 51a folgende Angabe eingefügt:

„§ 51b Gruppenverfahren“.

2. Dem § 9 Absatz 1 wird folgender Satz angefügt:

„Dasselbe gilt für die Auslagen im Gruppenverfahren nach dem sechsten Buch der Zivilprozessordnung.“

3. Dem § 12 Absatz 1 wird folgender Satz angefügt:

„Die Teilnahmeerklärung gemäß § 616 der Zivilprozessordnung soll erst nach Zahlung der Gebühr nach
Nummer 1902 des Kostenverzeichnisses zugestellt und im Klageregister eingetragen werden.“

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 13 – Drucksache 18/13426

4. Dem § 22 wird folgender Absatz 5 angefügt:

„(5) Die Kosten der Teilnahmeerklärung gemäß § 616 der Zivilprozessordnung schuldet der Teilneh-
mer.“

5. Nach § 51a wird folgender § 51b eingefügt:

㤠51b

Gruppenverfahren

(1) Im Gruppenverfahren nach dem sechsten Buch der Zivilprozessordnung werden die im ersten
Rechtszug zu entrichtenden Gerichtsgebühren für den Gruppenkläger und jeden Teilnehmer einzeln be-
stimmt; als Streitwert gilt insoweit der Wert des dem Gruppenverfahren jeweils zugrunde liegenden einzel-
nen Anspruchs oder sonstigen Rechtsverhältnisses.

(2) Ist der Gruppenkläger eine qualifizierte Einrichtung gemäß § 611 Nummer 2 der Zivilprozessord-
nung, die keinen eigenen Anspruch oder eigenes Rechtsverhältnis zum Beklagten geltend macht, so setzt das
Gericht den Streitwert nach billigem Ermessen fest. Dabei kann es sich am durchschnittlichen Streitwert der
Teilnehmer orientieren.“

6. Die Anlage 1 (Kostenverzeichnis) wird wie folgt geändert:

a) In Absatz 2 der Anmerkung zu Nummer 1210 werden nach der Angabe „(§ 10 Absatz 2 KapMuG)“ die
Wörter „oder als Gruppenkläger oder Teilnehmer an einem Gruppenverfahren nach dem sechsten Buch
der Zivilprozessordnung teilgenommen hat“ eingefügt.

b) In dem Gebührentatbestand der Nummer 1902 werden nach der Angabe „(§ 10 Abs. 2 KapMuG)“ die
Wörter „oder Erklärung der Teilnahme an einem Gruppenverfahren nach dem sechsten Buch der Zivil-
prozessordnung als Teilnehmer oder als Gruppenkläger“ angefügt.

Artikel 5

Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes

Das Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz)
vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 788), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 8 des Gesetzes vom 18. Juli 2017
(BGBl. I S. 2739) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. § 17 wird wie folgt geändert:

a) In Nummer 12 wird das Wort „und“ am Ende durch ein Komma ersetzt.

b) In Nummer 13 wird der Punkt am Ende durch das Wort „und“ ersetzt.

c) Folgende Nummer 14 wird angefügt:

„14. das Gruppenverfahren und die Erklärung der Teilnahme.“

2. In der Anlage 1 (Vergütungsverzeichnis) wird nach der Nummer 3338 folgende Nummer 3339 eingefügt:

Nr. Gebührentatbestand
Gebühr oder Satz der Gebühr

nach § 13 RVG

„3339 Gebühr für die Vertretung des Gruppenklägers oder
Teilnehmers im ersten Rechtszug eines Gruppen-
verfahrens nach Buch 6 der ZPO 0,8“.

Drucksache 18/13426 – 14 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Artikel 6

Übergangsregelung

Auf Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, in denen vor dem Tag des Inkraft-
tretens des vorliegenden Gesetzes bereits ein Vorlagebeschluss im Klageregister öffentlich bekanntgemacht
wurde, ist das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz weiterhin anzuwenden.

Artikel 7

Inkrafttreten, Außerkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft. Gleichzeitig tritt das Gesetz über Musterverfahren
in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz) vom 19. Oktober 2012
(BGBl. I S. 2182), das zuletzt durch Artikel 24 Absatz 1 des Gesetzes vom 23. Juni 2017 (BGBl. I S. 1693) ge-
ändert worden ist, außer Kraft.

Berlin, den 28. August 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 15 – Drucksache 18/13426

Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Ausgangslage

Ereignisse, durch die eine Vielzahl von Personen durch dieselbe rechtswidrige Handlung geschädigt wird, zeigen
auf, dass bislang bestehende zivilprozessuale Möglichkeiten nicht ausreichen und eine Notwendigkeit für ein
rechtliches Instrument besteht, das es Geschädigten ermöglicht, gemeinsam gegen den Schädiger ihre Rechte
durchzusetzen. Im Zuge des Dieselskandals sind bereits tausende Klagen bei den Gerichten eingegangen, die in
individuellen Prozessen verhandelt werden. Unbekannt ist die Zahl der Betroffenen, die nicht vor Gericht ziehen,
weil sie das Kostenrisiko oder einen großen Konzern als Klagegegner scheuen. Für sie droht das Ende der Ge-
währleistungsfrist Ende 2017, ohne dass bis dahin Klarheit über ihre Entschädigungsansprüche bzw. die Folgen
der Nachrüstung bestehen wird. Die Zahl von 5,3 Millionen Diesel-Pkw deutscher Hersteller in den Schadstoff-
klassen Euro 5 und Euro 6, die in Folge des Nationalen Dieselgipfels am 2. August 2017 nachgerüstet werden
sollen, zeigt den Umfang der von zu hohen Abgaswerten betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich
an die Gerichte wenden könnten, um ihre Rechte durchzusetzen, sofern keine außergerichtliche Einigung zustande
kommt. Darüber hinaus könnten kartellrechtliche Ansprüche in Betracht kommen, wenn sich die Vorwürfe der
rechtswidrigen Absprachen zwischen den Automobilherstellern bewahrheiten.

Im Bericht des 5.Untersuchungsausschusses der 18.Wahlperiode des Deutschen Bundestages (Abgasskandal,
Drucksache 18/12900), den das Plenum am 30.06.2017 einstimmig zur Kenntnis genommen hat, wird in den
Schussfolgerungen und Empfehlungen die Einführung von kollektiven Rechtsschutzmöglichkeiten für die Ver-
braucherinnen und Verbraucher gefordert. So ausdrücklich sowohl in Ziffer 9 der Empfehlungen der Mehrheit
(aaO S. 554: „Musterfeststellungsklage als Beitrag zum Verbraucherschutz“) als auch im Sondervotum der Frak-
tion DIE LINKE ( aaO S. 562) und im Sondervotum der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (aaO S. 632,
641 mit der Forderung, dass die Bundesregierung den kollektiven Rechtsschutz ausbauen möge, „indem sie Grup-
penklagemöglichkeiten entlang des bereits im Jahr 2014 von der Grünen-Bundestagsfraktion vorgeschlagenen
Entwurfs eines Gesetzes über die Einführung von Gruppenverfahren einführt“).

Die Informations- und Dienstleistungsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland ist durch eine komplexe
rechtliche Regulierung nahezu aller Lebensbereiche gekennzeichnet. Dies betrifft nicht nur das Verwaltungsrecht,
sondern auch und gerade das Privatrecht, welches heute eine Vielzahl von Regulierungsaufgaben übernimmt und
für die Lebensverhältnisse der Bürgerinnen und Bürger daher so relevant ist wie nie zuvor. Zentrale gesellschaft-
liche Bereiche wie insbesondere der Konsum von Lebensmitteln und Industrieprodukten, die Versorgung mit
Strom, Gas und Wasser, der Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln, die Risikovorsorge der Bürgerinnen und
Bürger durch Versicherungen, ihre Altersversorgung durch Kapitalanlagen sowie die Sicherung einer fairen
marktwirtschaftlichen Ordnung durch Wettbewerbs- und Verbraucherschutz werden heute in weiten Teilen in den
Strukturen des Privatrechts geregelt.

Zu dieser enorm gestiegenen gesellschaftlichen Bedeutung des Privatrechts passt es nicht, dass die Durchsetzung
des Privatrechts heute noch mit den Mitteln des 19. Jahrhunderts stattfindet, d. h. mit einem Prozessrecht, welches
fast ausschließlich die individuelle Rechtsdurchsetzung durch die einzelnen Bürgerinnen und Bürger im Blick
hat. Für diese individuelle Rechtsdurchsetzung hat sich die deutsche Zivilprozessordnung (ZPO) zwar bewährt,
aber sie muss durch neue Instrumente ergänzt werden, um der genannten gesellschaftlichen Bedeutung des Pri-
vatrechts auch auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung gerecht werden zu können.

Diese neuen Instrumente eines kollektiven Rechtsschutzes reagieren vor allem auf zwei Probleme: Erstens auf
das Problem des mangelnden Zugangs zum Recht bei – auch kleineren – massenhaft auftretenden Individualschä-
den und – damit verbunden – zweitens auf das dadurch entstehende Defizit bei der Rechtsdurchsetzung.

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1. Zugang zum Recht

Das Problem des Zugangs zum Recht besteht darin, dass die oben angesprochenen Regelungsbereiche des Privat-
rechts zwar in der Theorie viele Ansprüche für die einzelnen Bürgerinnen und Bürger bereithalten, dass diese aber
in der Praxis aufgrund faktischer Zugangshürden nicht geltend gemacht werden. Diese Zugangshürden sind so-
wohl sozialer und kultureller Natur – eine gerichtliche Auseinandersetzung ist für die meisten Bürgerinnen und
Bürger etwas Ungewohntes und Unerwünschtes – aber auch finanzieller Natur. Angesichts des sich aus § 91 ZPO
ergebenden Kostenrisikos ist es bei kleineren Schäden oft aus individueller Sicht rational, die entsprechenden
Ansprüche nicht zu verfolgen, mögen sie auch materiell-rechtlich bestehen.

Dieses rationale Desinteresse ist nicht nur im Verbraucher-, Wettbewerbs- und Kapitalanlagerecht evident, son-
dern auch in anderen Bereichen des Privatrechts. Ein einzelner Bürger, der unter vorschriftswidrig entstehendem
Fluglärm leidet, wird diesen oft hinnehmen, weil ihm die Mühe einer rechtlichen Auseinandersetzung belastender
erscheint als die Hinnahme des Lärms – auch wenn das private Nachbarrecht ihm möglicherweise einen Unter-
lassungsanspruch bereitstellt. Eine Versicherungskundin, die aufgrund rechtswidriger Allgemeiner Geschäftsbe-
dingungen finanzielle Nachteile erleidet, nimmt diese in der Regel ebenso stillschweigend hin wie eine Person,
die zur Altersversorgung ein Wertpapier erworben hat, welches aufgrund rechtswidriger Kapitalmarktinformation
zu teuer gekauft wurde. Und auch bei Schadenshandlungen, die von deutschen Unternehmen im Ausland began-
gen werden, schrecken Einzelpersonen häufig vor einer juristischen Auseinandersetzung zurück. Jede Bürgerin
und jeder Bürger erfährt in ihrem bzw. seinem Alltag zahlreiche solcher Beispiele, in denen sie oder er aus Be-
quemlichkeit oder rationaler Abwägung mehr oder weniger bewusst auf die Durchsetzung der eigenen Rechte
verzichtet.

2. Mangelnde Rechtsdurchsetzung

Dieses Phänomen könnte man als individuelle Entscheidung der einzelnen Bürgerinnen und Bürger hinnehmen,
wenn die betreffenden Vorschriften ausschließlich im Interesse der jeweils Betroffenen erlassen wären. Dies ent-
spräche auch dem Modell der Durchsetzung individueller Ansprüche, wie es in der ZPO des 19. Jahrhunderts
entwickelt wurde – auch wenn schon damals erkannt wurde, dass die Durchsetzung individueller Ansprüche stets
zugleich die Durchsetzung des objektiven Rechts bedeutet: Ohne individuelle Aktivität der privatrechtlich Be-
rechtigten „ist der Rechtssatz thatsächlich lahmgelegt“ (Jhering, Der Kampf um’s Recht, S. 48).

Diese Erkenntnis spielt angesichts der im heutigen Privatrecht vorhandenen Regulierungszwecke eine entschei-
dende Rolle und beschreibt zugleich das zweite Problem: Wenn die Rechtsordnung weite Teile des Lebens pri-
vatrechtlich gestaltet, die Bürgerinnen und Bürger aber ihre privatrechtlichen Ansprüche nicht durchsetzen kön-
nen oder wollen, dann kann das Recht seine gesellschaftliche Steuerungsfunktion auch nicht mehr ausreichend
erfüllen. Das Verbraucher- und Wettbewerbsrecht soll eben nicht nur den Einzelnen schützen, sondern zugleich
auch insgesamt für faire Marktbedingungen sorgen, das Kapitalmarktrecht soll zu einer ökonomisch effizienten
Allokation von Ressourcen beitragen, das Umwelthaftungsrecht soll Anreize zu ökologischem Verhalten setzen
usw.. Dies gilt sowohl im Inland, als auch bei wirtschaftlichen Betätigungen deutscher Unternehmen im Ausland.

Wenn Rechtsbruch aber nicht effektiv sanktioniert wird, haben Unternehmen, die das Recht brechen, einen Wett-
bewerbsvorteil gegenüber rechtstreuen Unternehmen. Das Verhalten solcher Unternehmen kann nur so gedeutet
werden, dass diese Akteure anscheinend vermuten, dass Rechtsbruch sich lohnt – anders ist das Auftreten von
Kartellen, rechtswidrigen Geschäftsbedingungen, verbraucherschutzwidrigen Praktiken, fehlerhafter Anlagebera-
tung und anderen Rechtsverstößen kaum zu erklären.

Bei sehr kleinen Schadenssummen mag das rationale Desinteresse allerdings auch durch die hier vorgeschlagene
opt-in-Gruppenklage nicht überwindbar sein: Wer etwa nur 25 Euro verloren hat, macht diesen Schaden – wenn
er sich rational verhält – vor Gericht nicht geltend. Trotzdem kann ein solcher Schaden, wenn er sehr breit gestreut
ist, volkswirtschaftlich relevant und im Sinne effektiver Rechtsdurchsetzung sanktionsbedürftig sein. In diesem
Bereich besteht daher weiter ein Bedürfnis für andere Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes, die ohne eine
individuelle Beteiligung auskommen, etwa Ansprüche auf Gewinnabschöpfung o. Ä.. Allerdings lässt sich eine
zahlenmäßige Grenze – also etwa eine Anspruchshöhe ab der oder bis zu der die opt-in-Gruppenklage geeignet
ist – nicht abstrakt festlegen. Dazu sind die Bedingungen der Rechtsdurchsetzung zu sehr vom konkreten Fall und
von der individuellen Lage der Geschädigten abhängig. Es muss daher abgewartet werden, ob das hier vorgelegte
Instrument auch zur effektiven Bewältigung breit gestreuter Kleinschäden geeignet ist und ggf. bis zu welcher

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17 – Drucksache 18/13426

Grenze. Soweit in der Praxis trotz Einführung des Gruppenverfahrens weiterhin ein sozial relevantes Rechts-
durchsetzungsdefizit bestehen bleiben sollte, wäre in der Zukunft an weiteren Instrumenten des kollektiven
Rechtsschutzes zu arbeiten.

3. Rolle des Zivilverfahrensrechts

Es wäre allerdings naiv, nur vom Zivilverfahrensrecht die Lösung all dieser Probleme zu erwarten. Rechtsbefol-
gung und -durchsetzung findet auch und gerade über soziale Konventionen, informelle Sanktionen, Reputations-
systeme, behördliche Aufsicht und im Extremfall über das Strafrecht statt. Das Zivilverfahrensrecht kann hier nur
ein Instrument unter vielen sein. Dieses darf aber auch nicht vernachlässigt werden, zumal es die besondere
Chance einer in gewissem Maße staatsfernen und von den Bürgerinnen und Bürgern selbst initiierten Rechts-
durchsetzung in sich birgt.

4. Internationale Entwicklung

Es verwundert daher nicht, dass die internationale Entwicklung in fast allen Industrienationen von einer Reform
und Erweiterung der Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes gekennzeichnet ist. In der internationalen Dis-
kussion sieht man in diesen Instrumenten und in ihrem Zusammenspiel mit behördlicher Aufsicht einerseits und
alternativen Formen der Streitbeilegung andererseits einen Beitrag zur Herstellung fairer und effizienter Märkte
(so z. B. auf der Anfang 2012 von der Rückversicherung Swiss Re veranstalteten einschlägigen Tagung: „Buil-
ding effective markets – The role of an integrated legal system“).

Sammel- und Gruppenklageverfahren findet man daher heute nicht nur in den USA, Kanada und Australien, son-
dern auch in zahlreichen EU-Staaten wie etwa in Schweden und Dänemark, in den Niederlanden, in Polen, Spa-
nien und Italien (Übersichten über die damit verbundenen Fragestellungen etwa bei Stadler, JZ 2009, 121; Hess,
JZ 2011, 66; Koch, JZ 2011, 438). Auch die Europäische Union als Ganzes befasst sich mit der Entwicklung
derartiger Verfahren vor allem im Kartell- und Verbraucherrecht (dazu etwa Meller-Hannich/Höland, GPR 2011,
168 m. w. N.). Diese Entwicklungen auf EU-Ebene können und müssen aber nicht erst abgewartet werden. Im
Gegenteil: Das deutsche Rechtssystem sollte hier einen angemessenen eigenständigen Beitrag leisten (so bereits
die Regierungsbegründung zum KapMuG, BT-Drs. 15/5091, 17: „Standortfrage“).

II. Unzureichende Problemlösungen im geltenden deutschen Recht

Das geltende deutsche Verfahrensrecht löst die dargestellten Probleme bisher nicht ausreichend. Die Entwicklung
des deutschen Rechts verlief bei der Entwicklung von Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes bisher in zwei
Etappen: Erstens gibt es die insbesondere im Lauterkeitsrecht lange zurückreichende Tradition der vornehmlich
auf Unterlassung gerichteten Verbandsklagen, mit denen keine individuellen Ansprüche gebündelt werden, son-
dern zusätzliche Interventionsbefugnisse für die klagebefugten Verbände geschaffen werden. Die zweite Etappe
der Bündelung individueller Ansprüche zu einem Gruppenverfahren begann erst 2005 mit dem KapMuG.

1. Verbandsklagen

Die vor allem im Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) und im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)
geregelten Verbandsklagen auf Unterlassung sind einerseits eine Erfolgsgeschichte, andererseits aber in ihrer
Wirkung noch unzureichend. Dieser Befund ergibt sich u.a. aus der Studie von Meller-Hannich und Höland aus
2009 (Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente für Verbraucher im nationalen Recht und
rechtliche Bewertung ausgewählter Ansätze zu ihrer Fortentwicklung): Zwar werden eine Vielzahl von Fällen
konstatiert, in denen die Unterlassung rechtswidriger Praktiken mit Erfolg verlangt wurde – trotzdem bleibt die
Steuerungswirkung dieses Instruments beschränkt, weil es nur die Unterlassung rechtswidrigen Verhaltens in der
Zukunft in den Blick nimmt, die durch rechtswidriges Verhalten erzielten Gewinne jedoch unangetastet lässt
(Meller-Hannich/Höland, a. a. O., S. 129: mangelnde Verknüpfung der Unterlassungsklagen mit individuell wirk-
samen Verbraucherschutz).

Auch der inzwischen eingeführte Gewinnabschöpfungsanspruch zu Gunsten des Bundeshaushalts, der von den
nach UKlaG und UWG klageberechtigten Einrichtungen durchgesetzt werden soll, ist in der Praxis bisher kaum
relevant geworden (Meller-Hannich/Höland, a. a. O., S. 123: „kein praktisch taugliches Mittel“, keine Behebung
von Durchsetzungsdefiziten des Rechts). So konnten z. B. weder die – vermutlich im Millionenbereich liegenden

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– Gewinne eines Mobilfunkunternehmens abgeschöpft werden, welches bei der Umrechnung von DM zu Euro
erwiesenermaßen gegen die europarechtlichen Vorgaben verstieß, noch können in nennenswertem Ausmaß die
durch rechtswidrige Vertragsklauseln erzielten und bisher nicht bezifferbaren Gewinne im Bereich von Finanz-
dienstleistungen und Versorgungsunternehmen abgeschöpft werden. Auch im Kartellrecht findet – trotz theore-
tisch bestehender Verbandsklagebefugnis in § 34a des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) –
eine wirksame Gewinnabschöpfung bisher allenfalls dort statt, wo ein einzelner Geschädigter einen sehr großen
Schaden erlitten hat, nicht aber bei einer Häufung von kleineren oder mittleren Einzelschäden bei zahlreichen
Verbraucherinnen und Verbrauchern.

2. Bündelung individueller Ansprüche: KapMuG

Das Problem der Häufung von Einzelschäden und ihre verfahrensmäßige Durchsetzung ist in Deutschland vor
allem mit den seit über zehn Jahren laufenden Prospekthaftungsprozessen gegen die Deutsche Telekom in den
Blick geraten. Dabei wurde erkannt, dass die im materiellen Recht und im Prozessrecht bisher vorgesehenen
Bündelungsformen – nämlich insbesondere die Möglichkeit der Bündelung von Forderungen durch Inkassozes-
sion oder ihre prozessual verbundene Geltendmachung im Wege der streitgenössischen Klage – in echten Mas-
senfällen an ihre Grenzen stoßen und daher aus heutiger Sicht keine befriedigende Lösung darstellen (BT-Drs.
15/5091, 13 f.).

Aus diesem Befund wurde 2005 das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) entwickelt, welches sich
aufgrund seiner historischen Genese auf den besonderen Bereich des Kapitalmarktrechts beschränkt; 2012 er-
folgte eine Neufassung des KapMuG mit zahlreichen Veränderungen aufgrund der bisherigen Erfahrungen. Das
KapMuG ist jedoch auch in seiner heute geltenden Form nicht ausreichend, um die Probleme des Zugangs zum
Recht und der kollektiven Rechtsdurchsetzung in angemessener Weise zu lösen. Insbesondere verbleiben auch
nach der Reform 2012 drei gravierende Strukturprobleme des KapMuG.

Erstens ist das KapMuG auf einen bestimmten materiell-rechtlichen Bereich beschränkt, ohne dass es dafür eine
über den historischen Zufall des Telekom-Prozesses hinausgehende innere Rechtfertigung gäbe (so bereits die
Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf des KapMuG in BT-Drs. 15/5091, 40). Massenhafte Schäden mit im
wesentlichen identischen tatsächlichen oder rechtlichen Fragen kommen nicht nur im Kapitalmarktrecht vor, son-
dern auch in vielen anderen Bereichen des Privatrechts.

Zweitens ändert das KapMuG nichts an den bestehenden Zugangsschranken zum Recht, indem es für die An-
spruchsbündelung die Erhebung normaler Klagen voraussetzt. Das KapMuG ist daher – wiederum aufgrund seiner
Entstehungsgeschichte verständlich – eher ein Mittel zur Bewältigung einer bereits vorhandenen Vielzahl von
Einzelklagen, senkt aber nicht die Zugangsschwelle zum Recht, wie es für eine effektive kollektive Rechtsdurch-
setzung notwendig wäre und wie es auch der international üblichen Praxis entspricht.

Drittens ist das KapMuG als zweistufiges Vorlageverfahren – Klageerhebung beim Landgericht, Musterverfahren
beim Oberlandesgericht und anschließend Fortsetzung der Ausgangsverfahren vor dem Landgericht – zu kompli-
ziert und zu langwierig; es sollte durch ein Verfahren auf einer Ebene ersetzt werden. Auch damit würde eine
Anpassung an internationale Entwicklungen im kollektiven Rechtsschutz vollzogen; das komplizierte Vorlage-
verfahren des KapMuG ist im Rechtsvergleich ohne Beispiel und kann schon aufgrund seiner Komplexität und
Schwerfälligkeit kaum als Vorbild für eine europäische Regelung dienen.

III. Ziele der Einführung des Gruppenverfahrens

Diese Defizite des KapMuG sollen mit der hier vorgeschlagenen Ersetzung des KapMuG durch ein Gruppenver-
fahren soweit wie möglich behoben werden. Der Gesetzentwurf verfolgt daher im wesentlichen drei Ziele: Erstens
soll die mit dem KapMuG geschaffene Möglichkeit der Bündelung individueller Ansprüche verallgemeinert und
in die Zivilprozessordnung integriert werden. Zweitens sollen die Zugangsschranken zum Gruppenverfahren ge-
genüber dem KapMuG abgesenkt werden, um eine stärkere Rechtsdurchsetzungswirkung zu erreichen. Drittens
soll ein angemessener Rahmen geschaffen werden, in dem die Zivilgerichte bei massenhaften Schadensfällen zu
einer angemessenen Konfliktlösung beitragen können.

Dabei ist von der Notwendigkeit einzelner Klagen schon deshalb abzusehen, weil ein nur auf individuellen
Rechtsschutz fokussiertes System bei Massenschäden strukturell überfordert ist. Dies zeigt vor allem der extrem

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 19 – Drucksache 18/13426

langwierige Telekom-Prozess. Das Gruppenverfahren als ein Instrument des kollektiven Rechtsschutzes bean-
sprucht daher gerade nicht, jeden Einzelfall abschließend und in seiner vollen rechtlichen Komplexität zu klären.
Diese Aufgabe bleibt dem insoweit bewährten Individualverfahren vorbehalten. Das Gruppenverfahren soll aber
durch Klärung gemeinsamer Fragen eine überindividuelle Konfliktlösung erleichtern, die in einem Vergleich be-
stehen kann, oder auch darin, dass das Gericht diese gemeinsamen Fragen zu Gunsten der einen oder anderen
Seite klärt, um eine Vielzahl von aufwendigen Einzelprozessen überflüssig zu machen.

IV. Struktur des Gruppenverfahrens

Die hier vorgeschlagene Struktur des Gruppenverfahrens baut einerseits auf den internationalen Erfahrungen auf,
unter denen vor allem die dänische Gruppenklage als erfolgreiches Modell gilt, vgl. dazu Werlauff, European
Business Law Review 24 (2013), S. 173 ff. Außerdem liegen bereits zahlreiche Vorschläge aus der wissenschaft-
lichen Literatur vor, die ebenfalls eingearbeitet wurden (insbesondere der Abschnitt zu „Gruppenklagen“ aus
Micklitz/Stadler, Das Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, 2004; außerdem
Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, 2011; sowie für Österreich Kodek, Die Gruppenklage nach der ZVN
2007, RdW 2007, 711; für eine opt-in-Gruppenklage auch Hess, JZ 2011, 66, 72).

1. Opt-in-Verfahren

In der internationalen Diskussion werden bei Gruppenverfahren „opt-out“ und „opt-in“-Modelle unterschieden.
Im „opt-out“ -Verfahren treffen die Wirkungen einer Entscheidung jedes Mitglied der betroffenen Gruppe, es sei
denn die betreffende Person tritt ausdrücklich aus dem Verfahren aus. Diese Spezies von Gruppenverfahren findet
man insbesondere in den USA, Kanada und Australien vor, außerdem in den Niederlanden bei Vergleichsschlüs-
sen sowie in Dänemark für Verfahren mit geringen Einzelstreitwerten. Da bei opt-out-Verfahren eine rechtliche
Bindung auch ohne Zustimmung der Betroffenen eintreten kann, unterliegen diese Verfahren in den genannten
Staaten strengen Anforderungen (vgl. etwa Halfmeier/Wimalasena, JZ 2012, 649 ff., dort auch zur verfassungs-
rechtlichen Zulässigkeit; vgl. den Vorschlag für eine opt-out-Gruppenklage für Deutschland bei Hopt/Baetge, in:
Basedow u. a., Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozess, 1999, 11, 49 ff.).

Im Gegensatz dazu wird im vorliegenden Entwurf ein verfassungsrechtlich wesentlich unproblematischeres „opt-
in“-Verfahren vorgeschlagen, d. h. die Wirkungen einer Entscheidung im Gruppenverfahren treffen nur diejeni-
gen Personen, die ausdrücklich ihre Teilnahme erklärt haben. Derartige Verfahren sind in Dänemark und Schwe-
den bereits etabliert. Das „opt-in“-Verfahren hat den Vorzug der strikten Freiwilligkeit ohne Vereinnahmung am
Verfahren nicht Beteiligter.

Auch darin unterscheidet es sich vom geltenden KapMuG: Das KapMuG zwingt jeden Betroffenen, dessen An-
sprüche von den im Musterverfahren zu treffenden Feststellungen abhängen, gemäß § 8 KapMuG in ein ggf.
langwieriges Musterverfahren, auch wenn der Kläger dies möglicherweise gar nicht wünscht (kritisch dazu etwa
Schneider/Heppner, BB 2012, 2703, 2710 f.). Das hier vorgeschlagene Gruppenverfahren ist dagegen freiwilliger
Natur, d. h. es bleibt jedem Betroffenen selbst überlassen, ob er sich dem Gruppenverfahren als Teilnehmer an-
schließt oder ob er seinen individuellen Anspruch im normalen Verfahren durchzusetzen versucht oder auch ganz
untätig bleibt.

Damit wird das eingangs konstatierte rationale Desinteresse zwar nicht komplett überwunden; demgegenüber
überwiegen aber die mit der Freiwilligkeit verbundenen Vorzüge: Auch das Gruppenverfahren beruht auf dem
Gedanken der Privatautonomie, denn es schreibt den Bürgerinnen und Bürgern weder vor, dass sie ihre Ansprüche
durchsetzen müssten, noch auf welchem Wege dies zu geschehen hat; es macht ihnen nur ein zusätzliches Angebot
der kollektiven Rechtsdurchsetzung.

Zugleich wird aber auch die Struktur des Verfahrens im Hinblick auf die Beteiligten gegenüber dem KapMuG
verändert. Das KapMuG muss aufgrund seines Zwangscharakters sämtliche Kläger der Ausgangsverfahren zu
„Beigeladenen“ machen, denen umfassende prozessuale Rechte zustehen. Diese Rechte der Beigeladenen werden
aber in der Praxis des KapMuG kaum wahrgenommen. Würden sie wiederum massenhaft wahrgenommen, wäre
ein Massenverfahren kaum noch vernünftig abzuwickeln.

Das Gruppenverfahren wird dagegen auf Seiten der klägerischen Gruppe nur vom Gruppenkläger geführt. Die
Teilnehmer werden über den Fortgang des Verfahrens informiert, können aber selbst keine Prozesshandlungen

Drucksache 18/13426 – 20 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

vornehmen. Wer mit der Verfahrensführung durch den Gruppenkläger nicht einverstanden ist, wird entweder gar
nicht erst seine Teilnahme erklären oder im Laufe des Verfahrens wieder austreten. Das rechtliche Gehör der
Teilnehmer des Gruppenverfahrens wird für sie durch den Gruppenkläger ausgeübt; dem haben sie durch ihre
Teilnahme und ihren freiwilligen Verbleib im Gruppenverfahren zugestimmt, so dass ein individuelles Gehör
jedes einzelnen Teilnehmers verfassungsrechtlich nicht geboten ist (ebenso bereits Micklitz/Stadler, a. a. O.,
S. 1385; Stadler, in: Meller-Hannich (Hrsg.), Kollektiver Rechtsschutz (2008), S. 93, 100).

Schon das geltende deutsche Recht geht diesbezüglich etwa in § 6 des Spruchverfahrensgesetzes (SpruchG) deut-
lich weiter: Dort wird das rechtliche Gehör sämtlicher Berechtigter zulässigerweise durch den vom Gericht be-
stellten Vertreter wahrgenommen, ohne dass den Betroffenen auch nur ein Ein- oder Austrittsrecht zustünde (vgl.
zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung Kubis, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl. 2010,
§ 6 SpruchG Rn. 1 m. w. N.).

Die Interessen der Teilnehmer werden außerdem dadurch geschützt, dass der Gruppenkläger durch Beschluss des
Gerichts auf Antrag eines Teilnehmers ausgewechselt werden kann, wenn er das Gruppenverfahren erkennbar
nicht im Interesse der Gruppe führt.

2. Echtes oder begrenztes Gruppenverfahren möglich

Was den Gegenstand des Gruppenverfahrens angeht, so ermöglichen die hier vorgeschlagenen Regeln sowohl ein
„echtes“ Gruppenverfahren wie auch ein „begrenztes“ Gruppenverfahren (Terminologie nach Lange, a. a. O.,
S. 185). Ein „echtes“ Gruppenverfahren enthält z. B. einen Leistungsantrag wie im Individualverfahren und
könnte mit einem Urteil mit vollstreckbarem Inhalt enden. Dies wird voraussichtlich die Ausnahme bleiben, da
viele Ansprüche subjektive oder sonstige individuelle Voraussetzungen haben. Diese können so unterschiedlich
sein, dass sie sich nicht für eine gemeinsame Behandlung im Gruppenverfahren eignen, weil z. B. die jeweils
individuelle Beweisaufnahme dann keinen Effektivitätsgewinn gegenüber Einzelprozessen verspricht.

Andererseits sind auch Fälle vorstellbar, in denen die Anspruchsvoraussetzungen so einheitlich sind, dass sie
vollständig im Gruppenverfahren abgearbeitet werden können: Wenn etwa das materielle Recht den Passagieren
eines ausgefallenen Fluges eine pauschale Entschädigung gewährt (ohne Rücksicht auf individuell eingetretene
Schäden), so ließe sich dies im Gruppenverfahren durchführen, da der Gruppenkläger dann im Streitfall nur be-
weisen muss, dass die Gruppenmitglieder in dem betreffenden verspäteten Flugzeug saßen. Auch etwaige Ein-
wendungen wären dann genereller Natur (z. B. das Vorliegen höherer Gewalt, soweit dies den Anspruch aus-
schließt) und sinnvollerweise im Gruppenverfahren mit Wirkung für die ganze Gruppe zu klären.

Auch ein nach allgemeinen Regeln gemäß § 256 ZPO zulässiger Feststellungsantrag kann zulässiger und sinnvol-
ler Gegenstand eines Gruppenverfahrens sein, z. B. die Unwirksamkeit einer Preiserhöhung oder sonstigen Ver-
tragsänderung bezogen auf eine Gruppe von Kundinnen und Kunden eines bestimmten Unternehmens, die zu ein
und denselben Vertragsbedingungen abgeschlossen haben. Auch hier kann das Gruppenverfahren effektiver als
zahlreiche Einzelprozesse sein.

Neben diesen Bündelungen ohnehin zulässiger Leistungs- oder Feststellungsanträge kommt aber auch eine dritte
Kategorie von Gruppenverfahren in Betracht, die insoweit dem Musterverfahren nach dem KapMuG ähnelt und
dieses ersetzt. Ein solches „begrenztes“ Gruppenverfahren beschränkt sich auf Feststellungen zu gemeinsamen
Tatsachen oder Rechtsfragen (etwa wie im KapMuG zu fehlerhaften Kapitalmarktinformationen) und endet schon
deswegen nicht mit einer vollstreckbaren Entscheidung. In diesen Fällen müsste ein individuelles Verfahren nach-
geschaltet werden, um für einen einzelnen Anspruchsteller zu einem vollstreckbaren Titel zu kommen. Bei le-
bensnaher Betrachtung wird das nachgeschaltete Individualverfahren aber die Ausnahme bleiben: Siegt die kla-
gende Gruppe im Gruppenverfahren, so wird für den Beklagten in der Regel ein starker Anreiz zur gütlichen
Streitbeilegung gesetzt. Ist dagegen der Beklagte im Gruppenverfahren siegreich, so sind weitere Individualver-
fahren für die Kläger regelmäßig sinnlos. Es ist daher insgesamt effizienter, dass – wie hier vorgeschlagen – ein
Gruppenverfahren von Anfang an eingeleitet werden kann, ohne dass man zunächst – wie noch im KapMuG –
eine Reihe von Individualklagen erheben müsste.

3. Faire Kostenregeln auf beiden Seiten

Die Kostenregeln im Gruppenverfahren sehen vor, dass die finanziellen Zugangsschranken beim Gruppenverfah-
ren im Vergleich zum Individualprozess abgesenkt werden. Dies wird dadurch erreicht, dass die bereits jetzt im

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21 – Drucksache 18/13426

KapMuG geltenden Kostenregeln zur Anmeldung von Ansprüchen auf die Teilnahme am Gruppenverfahren er-
streckt werden. Außerdem wird das für den einzelnen Teilnehmer im Gruppenverfahren entstehende Kostenrisiko
auf einen Höchstbetrag begrenzt. Dies macht die Teilnahme besser kalkulierbar. Der Entwurf folgt damit der
insoweit erfolgreichen Regelung in Dänemark.

Zugleich wird aber das im deutschen Zivilprozessrecht bewährte „loser pays“-Prinzip (§ 91 ZPO) in vollem Um-
fang beibehalten. Dies dient vornehmlich dem Schutz des Beklagten. Er wird im Gruppenverfahren nicht schlech-
ter gestellt als im Individualverfahren. Soweit ein obsiegender Beklagter eine Kostenerstattung aufgrund der zu
Gunsten der Teilnehmer geltenden individuellen Höchstgrenzen nicht erlangen kann, haftet der Gruppenkläger
für die restliche Kostenerstattung. Damit entfaltet das „loser pays“-Prinzip auch im Gruppenverfahren eine wich-
tige Steuerungswirkung zur Vermeidung sinnloser Prozesse: Gerade der Gruppenkläger wird aufgrund der für ihn
bestehenden Residualhaftung keine aussichtslosen Verfahren führen.

4. Fortentwicklung des KapMuG

Das Gruppenverfahren löst das KapMuG ab und ersetzt dieses. Zugleich ist das Gruppenverfahren aber als Fort-
entwicklung des KapMuG zu verstehen: So weit wie möglich lehnen sich die Vorschriften zum Gruppenverfahren
an diejenigen des KapMuG an, um so auf die unter dem KapMuG bereits gemachten Erfahrungen zurückgreifen
zu können. Das Gruppenverfahren erfindet also das Rad nicht neu, sondern entwickelt das KapMuG mit den für
die Erreichung seiner Ziele notwendigen Änderungen weiter.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1

Der Entwurf sieht eine Integration der Regelungen zum Gruppenverfahren in die ZPO vor, um eine Zersplitterung
des Verfahrensrechts zu vermeiden. Eine solche Integration ist in der Literatur mehrfach vorgeschlagen worden
(zuletzt etwa durch Schilken, in: Festschrift Picker, 2010; Lange, a. a. O., S. 334 m. w. N.). Sie entspricht auch
der Tendenz im materiellen Recht, in welchem z. B. die verbraucherrechtlichen Regelungen heute weitgehend
innerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) vorzufinden sind und nicht mehr in einer Vielzahl von Sonder-
gesetzen.

Zu § 606 (Zulässigkeit)

Die Vorschrift beschreibt die Voraussetzungen eines Gruppenverfahrens und lehnt sich dabei sowohl an die Vor-
schläge von Micklitz und Stadler (a. a. O., S. 1431) wie auch an internationale Erfahrungen an. In der Norm kom-
men zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe vor, insbesondere die „hinreichend bestimmbare“ Gruppe und der
„gleiche zugrunde liegende Lebenssachverhalt“ in Nr. 1, die „ähnlichen“ Umstände in Nr. 2, die Vorzugswürdig-
keit des Gruppenverfahrens gegenüber zahlreichen Einzelverfahren (Nr. 3) sowie die Eignung des vorgeschlage-
nen Gruppenklägers (Nr. 4). Diese Merkmale sind vom Gericht bei der Zulassungsentscheidung gemäß § 612 zu
überprüfen. Sie ermöglichen es dem Gericht, mit Blick auf den jeweiligen Einzelfall zu beurteilen, ob die Durch-
führung eines Gruppenverfahrens angemessen ist. Die dadurch entstehende starke Stellung des Gerichts im Hin-
blick auf die Zulassung des Gruppenverfahrens ist beabsichtigt und entspricht bewährter internationaler Praxis.
Das Gruppenverfahren soll eine effiziente und angemessene Form der Konfliktlösung bereitstellen. Ob es dies im
konkreten Fall leisten kann, ist vom Gericht anhand der in § 606 genannten Voraussetzungen zu entscheiden.

Der in Nr. 1 genannte Lebenssachverhalt stellt ebenso wie bereits in § 4 Absatz 1 KapMuG den „Bündelungsrah-
men“ (Lange, a. a. O., S. 233) dar, auf den sich das Verfahren bezieht. Er ist notwendig, um den Gegenstand und
die Wirkung des Gruppenverfahrens zu bestimmen. Ein rein abstraktes Verfahren – etwa zu einzelnen Rechtsfra-
gen – ohne Bezug auf einen konkreten Lebenssachverhalt ist nicht zulässig. Damit ist allerdings noch nicht vor-
gegeben, wie umfangreich ein solcher gleicher Lebenssachverhalt in einem Gruppenverfahren sein kann. Ebenso
wie bereits im KapMuG mag man z. B. verschiedene Wertpapierprospekte zu einem Lebenssachverhalt zusam-
menfassen können, wenn sie ein und dieselbe Information betreffen (vgl. Kruis, in: Kölner Kommentar KapMuG,
§ 1 KapMuG a. F. Rn. 109 ff.).

Drucksache 18/13426 – 22 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Das Merkmal der hinreichend bestimmbaren Gruppe zielt in eine ähnliche Richtung und soll zu weite oder unbe-
stimmte Gruppenverfahren vermeiden. So wäre etwa eine Gruppe „sämtliche Verbraucherinnen und Verbraucher“
oder „alle Kundinnen und Kunden von Lebensversicherungen“ zu unbestimmt. Hinreichend bestimmbar wäre
daher eine Gruppe von sämtlichen Personen, die in einem bestimmten Zeitraum ein bestimmtes Produkt oder
Wertpapier erworben haben, oder sämtliche Personen, die bei einem Versicherungsunternehmen X, in einem be-
stimmten Zeitraum die Versicherungspolice C abgeschlossen haben.

Die in Nr. 2 bezeichneten gleichen oder ähnlichen tatsächlichen Umstände beziehen sich ebenso wie im KapMuG
auf anspruchsbegründende oder anspruchsausschließende Voraussetzungen; dasselbe gilt für die Rechtsfragen.
Insoweit soll kein Unterschied zu § 2 Absatz 1 und § 3 Absatz 1 Nr. 1 KapMuG bestehen (zum Begriff der Ab-
hängigkeit s. unten bei § 610). Die dennoch abweichende Formulierung im Hinblick auf „gleiche oder ähnliche“
Umstände und Rechtsfragen soll den Gerichten jedoch die nötige Flexibilität ermöglichen; bei nur „ähnlichen“
Umständen oder Rechtsfragen können ggf. Untergruppen gemäß § 610 Absatz 3 gebildet werden.

Nr. 3 verlangt außerdem, dass das Gruppenverfahren gegenüber zahlreichen Einzelverfahren „vorzugswürdig“
ist. Damit soll darauf hingewiesen werden, dass ein Gruppenverfahren nur sinnvoll ist, wenn es im Vergleich zu
vielen Einzelklagen als angemessene Form der Konfliktlösung erscheint. Eine zahlenmäßige Grenze ist dabei –
abgesehen von dem Seriösitätsindiz der in § 609 Absatz 1 geforderten zehn Teilnahmeerklärungen – nicht vorge-
sehen, da die Vorzugswürdigkeit des Gruppenverfahrens von den Umständen des Einzelfalls abhängt: Schon bei
zehn Anspruchstellern mag ein Gruppenverfahren sinnvoll sein, wenn alle Ansprüche sich auf dieselbe angeblich
fehlerhafte Kapitalmarktinformation beziehen und dies die wesentliche zu beurteilende Frage darstellt. Anderer-
seits ist aber auch vorstellbar, dass ein Gruppenverfahren auch bei einer größeren Zahl von Anspruchstellern
gegenüber Einzelklagen nicht vorzugswürdig ist, wenn jeder Anspruch so starke materiell-rechtlich relevante in-
dividuelle Besonderheiten aufweist, dass eine Zusammenfassung im Gruppenverfahren kaum weiterhilft.

Bezüglich der in Nr. 4 verlangten Eignung des Gruppenklägers gibt § 613 Absatz 2 gewisse Anhaltspunkte. Im
Grundsatz ist von einer Eignung des vorgeschlagenen Gruppenklägers auszugehen, sofern keine konkreten An-
haltspunkte dagegen sprechen. Der Gruppenkläger muss „willens“ sein, diese Aufgabe zu übernehmen, d. h. die
Ernennung zum Gruppenkläger kann nicht gegen den Willen des Betroffenen stattfinden; dies ist eine Klarstellung
ggü. dem KapMuG (vgl. bereits Lange, in Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 8 KapMuG a. F. Rn. 32).

Zu § 607

Anders als das KapMuG ist das Gruppenverfahren nicht auf ein bestimmtes Teilgebiet des Privatrechts be-
schränkt, so dass grundsätzlich alle Klagen im Anwendungsbereich der ZPO für ein Gruppenverfahren in Betracht
kommen. Die Vorschrift des § 607 stellt daher nur klar, dass in den genannten Angelegenheiten ein Gruppenver-
fahren keinesfalls zulässig ist.

Ob sich konkrete Ansprüche mit Blick auf ihren rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhang für ein Gruppen-
verfahren eignen, wird daher hier nicht vom Gesetzgeber abstrakt vorgegeben. Vielmehr ist es Sache des angeru-
fenen Gerichts, diese Frage im Rahmen seiner Entscheidung über die Zulassung des Gruppenverfahrens anhand
der in § 606 vorgegeben Kriterien zu beantworten.

Zu § 608

Absatz 1 konzentriert die örtliche Zuständigkeit für Gruppenverfahren auf das Gericht am Sitz des Beklagten.
Dies soll die Abwicklung ggf. konkurrierender Anträge auf die Durchführung von Gruppenverfahren erleichtern.
Die Interessen der Kläger, an einem anderen Ort Klage erheben zu können, können im Gruppenverfahren aufgrund
der möglichen Vielzahl von Klägern ohnehin nicht ohne Weiteres berücksichtigt werden.

Die Regelung des Absatz 2 beruht auf der Überlegung, dass auch bei im Ausland befindlichen Beklagten die
Möglichkeit bestehen sollte, ein Gruppenverfahren in Deutschland durchzuführen, wenn sich die Aktivitäten des
ausländischen Beklagten in der Weise in Deutschland auswirken, dass sie hier nach den allgemeinen Regeln zu-
ständigkeitsbegründend sind. Die internationale Zuständigkeit wird in der Vorschrift nicht behandelt; insoweit
gehen ohnehin die europarechtlichen Regelungen im Rahmen ihres Anwendungsbereichs vor.

Die Regelung in Absatz 3 hängt mit der Entscheidung zusammen, die sachliche Zuständigkeit für Gruppenver-
fahren bei den Landgerichten anzusiedeln, soweit nicht die bisher dem KapMuG unterfallenden Materien betrof-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23 – Drucksache 18/13426

fen sind (siehe Artikel 3). Die Länder werden damit ermächtigt, Gruppenverfahren bestimmten Land- und Ober-
landesgerichten zuzuweisen, um diesbezügliche Spezialkompetenzen aufzubauen und die Gerichtsorganisation
entsprechend anzupassen.

Zu § 609

Das Gruppenverfahren wird durch einen Antrag nach § 609 eingeleitet, der entweder zusammen mit der Klage-
schrift gestellt wird – so der in Absatz 1 vorgesehene Regelfall – oder gemäß Absatz 3 aus einem bereits anhän-
gigen Prozess heraus. Der Antrag muss die Voraussetzungen für ein Gruppenverfahren gemäß § 606 darlegen und
enthält zugleich den Vorschlag, wer als Gruppenkläger ernannt werden soll. Außerdem sind die genannten Teil-
nahmeerklärungen beizufügen, einschließlich jener des avisierten Gruppenklägers, da zu diesem Zeitpunkt noch
nicht feststeht, ob er tatsächlich zum Gruppenkläger ernannt wird. Im Falle des § 611 Nr. 2 (qualifizierte Einrich-
tung als vorgeschlagener Gruppenkläger) wird diese Einrichtung i. d. R. keinen eigenen Anspruch geltend machen
– sofern sie insoweit nicht als Zessionarin auftritt – und muss daher auch keine Teilnahmeerklärung abgeben. Die
Anzahl von zehn Teilnehmern ist nur eine aus dem geltenden Recht des KapMuG entlehnte Mindestvorausset-
zung, mit der eine gewisse zahlenmäßige Bedeutung des Antrags gesichert werden soll; die Einhaltung dieser
Mindestanzahl führt noch nicht automatisch zur Zulässigkeit des Gruppenverfahrens.

Zu § 610

Die Vorschrift stellt in Absatz 1 zunächst klar, dass im Gruppenverfahren dieselben Anträge gestellt werden kön-
nen wie im Individualverfahren.

Absatz 2 erweitert darüber hinaus den möglichen Gegenstand eines Gruppenverfahrens. Die hier verwendete For-
mulierung der möglichen Gegenstände eines auf bestimmte tatbestandlich relevante Feststellungen„begrenzten“
Gruppenverfahrens entspricht den möglichen Feststellungszielen im bisherigen KapMuG (§ 2 Absatz 1
KapMuG). Wird ein solches „begrenztes“ Gruppenverfahren gewählt, so ist der Streitgegenstand des Gruppen-
verfahrens ein „gebündelter Ausschnitt“ aus den Individualverfahren der Gruppenmitglieder, nur dass die Klage-
erhebung durch jedes Gruppenmitglied hier – anders als im KapMuG – eben nicht mehr Voraussetzung des Grup-
penverfahrens ist (vgl. dazu Lange, a. a. O. S. 233).

Der Begriff der „Abhängigkeit“ der Ansprüche der Gruppenmitglieder von den beantragten Feststellungen ist wie
in § 3 Absatz 1 Nr. 1 KapMuG zu verstehen, d. h. es ist eine abstrakte Abhängigkeit gemeint. Das Gruppenver-
fahren setzt nicht voraus, dass jeder einzelne Anspruch nur noch von der im Gruppenverfahren zu treffenden
Feststellung abhängt. Vielmehr ist gemeint, dass die festzustellenden Tatsachen oder Rechtsfragen für jedes Grup-
penmitglied entscheidungserheblich sein können.

Die gemäß § 610 Absatz 3 mögliche Bildung von Untergruppen ermöglicht ein gemeinsames Verfahren für Grup-
penmitglieder, deren Anspruchsvoraussetzungen zwar in Teilen, aber nicht komplett identisch sind, z. B. Versi-
cherungsnehmer mit unterschiedlichen Policen oder Erwerber von Wertpapieren aufgrund verschiedener Pros-
pekte, die aber dennoch in der Weise verbunden sind, dass sie als ein Lebenssachverhalt zu werten sind.

Zu § 611

Gemäß Nr. 2 dieser Norm steht die Befugnis zur Beantragung eines Gruppenverfahrens und zu seiner Durchfüh-
rung als Gruppenkläger nicht nur Mitgliedern der jeweiligen Gruppe zu, sondern auch den in Nr. 2 bezeichneten
qualifizierten Einrichtungen. Diese haben insbesondere im Rahmen ihrer nach UWG und UKlaG bestehenden
Unterlassungsklagebefugnisse ein erhebliches know-how im Bereich der Durchsetzung von Verbraucher- und
Wettbewerbsrecht aufgebaut, das hier nicht ungenutzt bleiben soll. § 611 Nr. 2 ermöglicht diesen Institutionen
die Führung eines Gruppenverfahrens, ohne dass auf eine Zession der zugrunde liegenden Ansprüche oder ähnli-
che Hilfskonstruktionen zurückgegriffen werden müsste. Tritt eine qualifizierte Einrichtung als Gruppenklägerin
auf, so ist in dem zu stellenden Antrag deutlich zu machen, dass die begehrten Rechtswirkungen nicht zwischen
ihr und dem Beklagten, sondern zwischen den Teilnehmern und dem Beklagten eintreten sollen.

Zu § 612

Da das Gruppenverfahren eine Ausnahme vom ansonsten die ZPO prägenden Grundsatz der individuellen Rechts-
verfolgung darstellt, ist ein Vorverfahren zur Prüfung der Zulässigkeit des Gruppenverfahrens notwendig. Auch

Drucksache 18/13426 – 24 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

dies entspricht internationalen Standards. In diesem Vorverfahren prüft das Gericht die Zulässigkeitsvorausset-
zungen und erörtert mit den Parteien die angemessene Durchführung des Verfahrens einschließlich der Formulie-
rung der im Gruppenverfahren sachdienlichen Anträge. Möglicherweise ist bereits an dieser Stelle eine gütliche
Einigung möglich.

Anders als im KapMuG, in dem die verfahrenseinleitenden Beschlüsse weitgehend als unanfechtbar ausgestaltet
sind, ist der Beschluss über die Eröffnung oder Nichteröffnung des Gruppenverfahrens mit der sofortigen Be-
schwerde und der Rechtsbeschwerde anfechtbar. Dafür spricht schon die erhebliche Bedeutung, welche die Ein-
leitung eines Gruppenverfahrens für die Verfahrensbeteiligten haben kann. Hinzu kommt, dass die unbestimmten
Rechtsbegriffe des § 606 erst durch die Rechtsprechung ausgefüllt und präzisiert werden müssen, so dass eine
Kontrolle der Rechtsanwendung hier auch im Interesse der Rechtsentwicklung nötig ist. Aus der Anfechtbarkeit
des Beschlusses ergibt sich schon nach allgemeinen Regeln die Pflicht zur Begründung des Beschlusses (Mu-
sielak, ZPO, § 329 Rn. 5).

Zu § 613

Anders als das KapMuG enthält das Gruppenverfahren in der hier entworfenen Form keinen Zwang zum An-
schluss an das Verfahren. Dies hat zur Konsequenz, dass auch die Führung paralleler Gruppenverfahren zu einem
Lebenssachverhalt im Grundsatz denkbar ist, soweit es sich um unterschiedliche Teilnehmergruppen handelt. Aus
Effizienzgesichtspunkten ist eine solche Doppelung von Gruppenverfahren jedoch nicht erwünscht und sollte da-
her in der Regel mit den in § 613 vorgesehenen Mitteln vermieden werden können.

Die in Absatz 2 genannten Kriterien zur Auswahl des Gruppenklägers unter mehreren Kandidaten entsprechen im
wesentlichen dem geltenden Recht zur Auswahl des Musterklägers gemäß § 9 Absatz 2 KapMuG. Entscheidend
ist gemäß § 613 Absatz 2 Satz 1 die Beurteilung der Eignung des potentiellen Gruppenklägers; die in Satz 2 ge-
nannten weiteren Kriterien sind nur Indizien für eine solche Eignung. Beantragt eine Einrichtung gemäß § 611
Nr. 2 ihre Ernennung zum Gruppenkläger, so wird diese – Fälle der Zession ausgenommen – regelmäßig keinen
eigenen Anspruch haben, der dem Gruppenverfahren zugrunde liegen könnte; daraus ergibt sich jedoch nicht,
dass diese Einrichtung im Vergleich zu einem möglichen Gruppenkläger mit hohem eigenen Anspruch weniger
geeignet wäre.

Ist einmal ein Gruppenverfahren eröffnet, so ist es zweckmäßig, dass weitere Betroffene sich diesem Gruppen-
verfahren als Teilnehmer anschließen, anstatt ein weiteres eigenes Gruppenverfahren durchzuführen. § 613 ent-
hält in dem Begriff „verwiesen werden können“ insoweit ein Ermessen des Gerichts, dass es in besonderen Aus-
nahmefällen auch ein zweites Gruppenverfahren zulassen kann. Ein solcher Ausnahmefall könnte etwa vorliegen,
wenn das erste Gruppenverfahren nicht interessengerecht geführt wird oder wenn eine Teilnahme am ersten Grup-
penverfahren nicht mehr möglich ist – etwa weil dieses sich bereits in der Rechtsmittelinstanz befindet – und die
versäumte Teilnahme von den Betroffenen nicht zu vertreten ist.

Zu § 614

Die Institution des Klageregisters wird aus dem KapMuG übernommen. Die Bekanntmachung des Eröffnungs-
beschlusses im Klageregister dient dazu, anderen Gerichten die Möglichkeit zu geben, von dem Gruppenverfahren
und seinen Teilnehmern Kenntnis zu erlangen, etwa für die Zwecke der Aussetzung gemäß § 618. Außerdem
dient die Bekanntmachung der möglichen Erweiterung der Gruppe durch den Hinweis auf die Teilnahmemög-
lichkeit. De facto wird dieser Hinweis jedoch nicht zu einer tatsächlichen Information der Gruppenmitglieder
führen, sondern der Gruppenkläger und sein Prozessvertreter werden im eigenen Interesse auf die Teilnahmemög-
lichkeit öffentlich hinweisen; dabei können sie jedoch auf das öffentlich zugängliche Klageregister verweisen.

Zu § 615

Für die Teilnahmeerklärung ist zur Vereinfachung der Abwicklung auch ein elektronisches Verfahren einzurich-
ten. Der Anwaltszwang entspricht dem geltenden Recht für die Anmeldung von Ansprüchen gemäß § 10 Absatz 2
KapMuG und soll formwidrige Erklärungen verhindern helfen sowie eine Beratung des Teilnehmers ermöglichen.
Satz 3 stellt klar, dass die Teilnahmeerklärung nicht erst ab Veröffentlichung des Eröffnungsbeschlusses im Kla-
geregister zulässig ist, sondern bereits ab Stellung des Antrags auf Durchführung des Gruppenverfahrens. Dies
kann für die Verjährungshemmung von Bedeutung sein, zumal das Eröffnungsverfahren aufgrund der darin mög-
lichen Rechtsmittel (§ 612 Absatz 4) eine gewisse Zeit dauern kann.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25 – Drucksache 18/13426

Zu § 616

Der notwendige Inhalt der Teilnahmeerklärung entspricht weitgehend dem geltenden Recht zur Anmeldung von
Ansprüchen in § 10 Absatz 3 KapMuG. Die Zustellung der Teilnahmeerklärung an den Beklagten hemmt die
Verjährung (siehe Ergänzung des § 204 BGB in Artikel 2). Die Angabe der Anspruchshöhe ist auch dann nötig,
wenn im Gruppenverfahren kein Leistungsantrag verfolgt wird, sondern sich das Gruppenverfahren auf eine Fest-
stellung von Tatsachen oder die Beantwortung von Rechtsfragen beschränkt: Schon für die Verjährungshemmung
muss der Anspruch – soweit möglich – beziffert werden; außerdem knüpfen die vom Teilnehmer zu entrichtenden
Gebühren an den Wert dieses einzelnen Anspruchs an (siehe den neu einzufügenden § 51b des Gerichtskostenge-
setzes (GKG) in Artikel 4).

Zu § 617

Bei der Zulassung von Teilnahmeerklärungen ist abzuwägen zwischen einer aus Effizienzgründen möglichst gro-
ßen Gruppe einerseits und Aspekten der Rechtssicherheit andererseits, die zu einem gewissen Zeitpunkt eine Fi-
xierung der Gruppe erfordern. Diese Fixierung ist spätestens mit Ende der mündlichen Verhandlung erster Instanz
nötig, so dass eine spätere Teilnahme nicht möglich ist. Vorher sind auch verspätete Teilnahmeerklärungen regel-
mäßig zuzulassen, es sei denn sie sind aufgrund des Verfahrensfortschritts nicht mehr sachdienlich. Letzteres
kann z. B. der Fall sein, wenn auf der Grundlage der bisher teilnehmenden Personen bereits ein Vergleichsvor-
schlag erarbeitet wurde.

Zu § 618

Die Teilnahme am Gruppenverfahren ist zwar freiwillig, aber sie darf zur Vermeidung widersprechender Ent-
scheidungen und aus Effizienzgründen nicht mit einem parallel laufenden Individualverfahren verbunden werden.
Daher wird ein solches Individualverfahren, wenn der Kläger im Individualverfahren zugleich am Gruppenver-
fahren als Gruppenkläger oder Teilnehmer beteiligt ist, wie in § 8 Absatz 1 KapMuG von Amts wegen ausgesetzt.
Das Gericht wird in der Regel von den Parteien über die Existenz des Gruppenverfahrens informiert werden und
kann die Angaben über das Klageregister verifizieren. Sollte ausnahmsweise ein Individualverfahren mangels
entsprechender Information trotz parallelem Gruppenverfahren fortgesetzt werden, ergibt sich insoweit eine ähn-
liche Situation wie bei § 261 Absatz 3 Nr. 1 ZPO, so dass die dazu entwickelten Regeln angewandt werden kön-
nen (vgl. Foerste, in: Musielak, ZPO, § 261 Rn. 9).

Zu § 619

Auf Seiten der klagenden Gruppe ist nur der Gruppenkläger Partei des Verfahrens. Er handelt mit Wirkung für
die Teilnehmer und in deren Interesse. Dies ist jedoch eine rein prozessrechtliche Stellung, die nicht schon als
solche zu schuldrechtlichen Beziehungen zwischen dem Gruppenkläger und den Teilnehmern führt. Dies wird in
Absatz 2 klargestellt. Die in Absatz 3 geregelte Möglichkeit der Abberufung des Gruppenklägers entspricht § 9
Absatz 4 KapMuG, wobei mit dem Wort „offensichtlich“ klargestellt wird, dass es sich hier um einen Ausnah-
mefall handeln wird. Klarstellenden Charakter hat auch § 619 Absatz 4 Satz 1, da die Eröffnung des Gruppenver-
fahrens immer eine mündliche Verhandlung voraussetzt (§ 612 Absatz 1). Die Regelung des § 619 Absatz 4 soll
den Austausch des Gruppenklägers ermöglichen, wenn der bisherige Gruppenkläger das Gruppenverfahren nicht
weiter betreiben möchte.

Zu § 620

Die Teilnehmer sind nicht Partei des Gruppenverfahrens. Sie nehmen an diesem freiwillig teil und stimmen somit
der Wahrnehmung ihrer prozessualen Stellung durch den Gruppenkläger zu. Den Teilnehmern verbleibt als wich-
tigstes Recht das Informationsrecht, auf dessen Grundlage sie über ihren Verbleib im Gruppenverfahren entschei-
den können. Die Regelung zum elektronischen Informationssystem folgt § 12 Absatz 2 KapMuG i. d. F. ab
1.7.2013. Darüber hinaus fasst Absatz 3 die gesetzlich geregelten Fälle zusammen, in denen die Teilnehmer ei-
gene Rechte zur Wahrung ihrer Interessen haben, nämlich bei der vom Gruppenkläger beabsichtigten Klagerück-
nahme, bei einem beabsichtigten Vergleichsschluss und bei der Einlegung von Rechtsmitteln. Absatz 4 stellt klar,
dass Teilnehmer nicht als Zeugen vernommen werden können.

Drucksache 18/13426 – 26 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Zu § 621

In der Literatur gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob es sinnvoll ist, den Teilnehmern die Möglich-
keit zum Austritt aus dem Gruppenverfahren zu gewähren (dafür der österreichische Entwurf von 2007, vgl. Ko-
dek, RdW 2007, 711, 713; für eine zeitlich engere Begrenzung etwa Lange, a. a. O., S. 306). § 621 Absatz 1 gibt
den Teilnehmern dieses Recht, jedoch nur während des ersten Rechtszugs und unter Aufrechterhaltung der Pflicht
zur Kostentragung. Damit wird ein Kompromiss angestrebt zwischen dem berechtigten Interesse des Teilnehmers,
von einem aus seiner Sicht fehlerhaft geführten Gruppenverfahren nicht gebunden zu sein und andererseits zwi-
schen dem Interesse des Beklagten an Rechtssicherheit und Kostenerstattung bei Obsiegen. In der Rechtsmitte-
linstanz tritt insoweit das Interesse des Teilnehmers zurück, da es nur noch um Kontrolle der erstinstanzlichen
Entscheidung geht. Auch in der Rechtsmittelinstanz verbleibt jedoch dem Teilnehmer die Möglichkeit, bei offen-
sichtlich unangemessener Verfahrensführung die Abberufung des Gruppenklägers gemäß § 619 Absatz 3 zu be-
antragen.

Zu § 622

Die Vorschrift entspricht dem geltenden Recht in § 11 Absatz 1 KapMuG.

Zu §§ 623 bis 626

Auch die Regelungen zum Vergleichsschluss entsprechen im wesentlichen dem bisher im KapMuG geltenden
Recht (§§ 17 bis 19 und 23 KapMuG).

Zu § 627

Das Gruppenverfahren endet als eigenständiges Verfahren mit einem Urteil, nicht durch Beschluss wie das Mus-
terverfahren im KapMuG. Soweit im Gruppenverfahren Leistungs- oder Feststellungsanträge nach den allgemei-
nen Regeln gestellt werden, ergeben sich keine Besonderheiten: Diese Anträge sind begründet, wenn und soweit
die behaupteten Ansprüche oder Rechtsverhältnisse bestehen.

Für die besonderen Anträge gemäß § 610 Absatz 2 bedarf es jedoch einer zusätzlichen Regelung in § 627 Ab-
satz 1: Hier reicht es nicht aus, dass die begehrten Feststellungen zu treffen sind, sondern es muss hinzukommen,
dass diese Feststellungen für den Anspruch eines jeden Teilnehmers relevant sind. Andernfalls könnte jedermann
die Klärung bestimmter Tatsachen oder Rechtsfragen im Gruppenverfahren veranlassen, was nicht beabsichtigt
ist. Daher wird hier das bereits in § 610 Absatz 2 verwendete Merkmal der (abstrakt zu beurteilenden, siehe Er-
läuterung zu § 610) Abhängigkeit des Anspruchs von den betreffenden Tatsachen oder Rechtsfragen eingeführt.
Ist diese abstrakte Abhängigkeit für einen Teilnehmer nicht gegeben, ist die Klage – insoweit sie diesen Teilneh-
mer betrifft – mit der entsprechenden Kostenfolge abzuweisen.

Da das Urteil im Gruppenverfahren – je nach seinem Inhalt – unter Umständen vollstreckbar sein kann, verlangt
Absatz 2 die Bezeichnung sämtlicher Teilnehmer. Die Belehrung gemäß § 627 Absatz 2 Satz 2 enthält auch den
Hinweis auf die Berechtigung der Teilnehmer zum Einlegen von Rechtsmittel gemäß § 631.

Soweit das Urteil zu Gunsten der Teilnehmer vollstreckbar ist, ist zur Vollstreckung nach allgemeinen Regeln
zunächst der siegreiche Gruppenkläger befugt. Außerdem gibt Absatz 3 den Teilnehmern bei berechtigtem Inte-
resse die Möglichkeit, ebenfalls eine vollstreckbare Ausfertigung für ihren Teil zu beantragen. Ein solches Inte-
resse liegt etwa vor, wenn der Gruppenkläger untätig bleibt. Der Schuldner wird in diesem Fall über § 733 ge-
schützt.

Zu § 628

Die dogmatische Einordnung der Wirkung des Musterentscheids im KapMuG ist umstritten (vgl. zuletzt etwa
Wolf/Lange, NJW 2012, 3751, 3756). Für das Urteil im Gruppenverfahren ist hier zu unterscheiden: Soweit ein
auch im Individualverfahren möglicher Leistungs- oder Feststellungsantrag gemäß § 610 Absatz 1 Verfahrensge-
genstand ist, entfaltet das Urteil materielle Rechtskraft für die Parteien und für die Teilnehmer (vgl. Lange,
a. a. O., S. 258). Soweit aber ein „begrenztes“ Gruppenverfahren (§ 610 Absatz 2) durchgeführt wird, passt der
Begriff der Rechtskraft nicht, da eine Feststellung zu Tatsachen oder Rechtsfragen keine Aussage über das Be-
stehen eines Anspruchs oder sonstigen Rechtsverhältnisses trifft. Die vorliegende Vorschrift spricht daher nur
von einer Wirkung für und gegen die Parteien und Teilnehmer, um die diesbezügliche dogmatische Diskussion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 27 – Drucksache 18/13426

nicht zu präjudizieren. Zugleich stellt die Vorschrift aber klar, dass die Bindungswirkung nicht etwa abstrakt
besteht (etwa bei einer Rechtsfrage), sondern sich nur auf den dem Gruppenverfahren zugrunde liegenden Le-
benssachverhalt bezieht. Dadurch wird der Zusammenhang zwischen Streitgegenstand und Entscheidungswir-
kung aufrechterhalten (vgl. Lange, a. a. O., S. 262).

Zu § 629

Die Kostenregelung für das Gruppenverfahren ist von besonderer Bedeutung, da hier einerseits die finanziellen
Zugangsschwellen zum Rechtsschutz gesenkt werden sollen, andererseits aber auch der Beklagte entsprechend
den bewährten Grundsätzen im deutschen Zivilverfahrensrecht – d. h. vor allem dem loser pays-Prinzip – zu
schützen ist. Auf Seiten des Beklagten ändert das Gruppenverfahren daher nichts an den Kosten- und Gebühren-
regeln. Insbesondere findet keine Streitwertreduzierung oder -begrenzung allein aufgrund der Tatsache statt, dass
ein Gruppenverfahren durchgeführt wird. Die Rechtsanwaltsgebühren auf Seiten des Beklagten sind daher anhand
der allgemeinen Wertvorschriften zu ermitteln; der Prozessvertreter auf der Beklagtenseite ist also mit Blick auf
die gesetzlichen Gebühren nicht schlechter gestellt als bei einer streitgenössischen Klage. Bei der Ermittlung des
Gegenstandswerts ist jedoch die in der Rechtsprechung allgemein anerkannte Überlegung zu berücksichtigen,
dass ein auf Feststellung gerichtetes Verfahren einen im Vergleich zur Leistungsklage in der Regel etwas gerin-
geren Streitwert hat.

Auf Klägerseite dagegen orientieren sich im ersten Rechtszug die Gerichtskosten und die Anwaltsvergütung nicht
an einem Gesamtstreitwert, zumal dieser ohnehin erst feststehen kann, wenn die Phase der Teilnahmeerklärungen
abgeschlossen ist. Stattdessen wird jeder dem Gruppenverfahren zugrunde liegende Anspruch oder jedes sonstige
Rechtsverhältnis einzeln betrachtet und mit einer entsprechenden Gerichts- und Anwaltsgebühr versehen (siehe
§ 51b des GKG in Artikel 4 und Artikel 5). Die Gebührensätze entsprechen dabei dem geltenden Recht zur An-
meldung eines Anspruchs nach dem KapMuG (0,5 Gerichtsgebühren und 0,8 Anwaltsgebühren). Diese einzelne
Berücksichtigung der dem Gruppenverfahren zugrunde liegenden Ansprüche – und zwar ohne Reduktion des
Werts aufgrund eines ggf. bloß (teilweise) feststellenden Charakters des Gruppenverfahrens – ist schon aufgrund
der verjährungshemmenden Wirkung der Teilnahmeerklärung berechtigt und insoweit dem Mahnverfahren ver-
gleichbar.

Bei den Gerichtsgebühren kann diese einzelne Betrachtung der Ansprüche der Teilnehmer im Vergleich zur streit-
genössischen Klage zu niedrigeren oder höheren Gebühren führen. Beispiel: Es erklären 50 Personen ihre Teil-
nahme am Gruppenverfahren mit einer Anspruchshöhe von jeweils 800 €. Bei streitgenössischer Klage wären
Gerichtsgebühren von 1.428 € einzuzahlen (3 Gebühren aus 40.000 € Streitwert); im Gruppenverfahren dagegen
nur 1.325 € (50 halbe Gebühren aus 800 € Streitwert). Steigt die Anzahl der Teilnehmer bei gleich bleibendem
individuellen Streitwert aber auf 90 an, so betragen die Gebühren im streitgenössischen Verfahren 2358 € (3
Gebühren aus 72.000,- € Streitwert), im Gruppenverfahren dagegen schon 2385 € (90 halbe Gebühren aus 800 €
Streitwert). Aufgrund dieses Effekts ist eine erhebliche Belastung für den Justizfiskus nicht zu erwarten.

Bei den Anwaltsgebühren auf Klägerseite in erster Instanz ergibt sich – wiederum im Vergleich zur streitgenös-
sischen Klage betrachtet – ein ähnlicher Effekt: In demselben Beispiel könnte die Anwältin oder der Anwalt der
Kläger bei streitgenössischer Klage von 50 Streitgenossen für die erste Instanz eine Vergütung von 4.558, 50 €
verlangen (Verfahrensgebühr von 1,3 zzgl. 2,0 Gebühren gemäß VV 1008 sowie Terminsgebühr von 1,2 = 4,5
Gebühren aus 40.000 € Streitwert); im Gruppenverfahren dagegen nur 3.200 € (50 mal 0,8 Gebühren aus 800 €).
Gelingt es ihm aber, 150 Mandanten für das Gruppenverfahren zu sammeln, so ist die Vergütung im Gruppenver-
fahren bereits deutlich höher, nämlich 9.600 € (150 mal 0,8 Gebühren aus 800 €) im Vergleich zu 7.146 € bei der
streitgenössischen Klage (4,5 Gebühren aus 120.000 €). Damit erweist sich das Gruppenverfahren aus Sicht der
Klägeranwältin oder des Klägeranwalts vor allem für solche Fälle als attraktiv, in denen eine große Anzahl von
Betroffenen als Mandanten entweder bereits vorhanden sind oder zumindest in Betracht kommen. In Fällen mit
einer von Anfang an überschaubaren Anzahl von Betroffenen ist das Gruppenverfahren daher aus Anwaltssicht
nicht attraktiv. Diese Anreizwirkungen sind beabsichtigt. Zugleich ergibt sich aus dieser Vergütungsstruktur auch
ein Anreiz, dass eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt möglichst viele Teilnehmer vertritt, während ande-
rerseits die Vertretung eines einzelnen Teilnehmers durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt wenig
lukrativ erscheint. Auch dies ist sinnvoll, da Interessenkonflikte innerhalb der Gruppe eher vermieden werden,
wenn sich ein Großteil der teilnehmenden Gruppenmitglieder auf eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt
einigt.

Drucksache 18/13426 – 28 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Eine weitere Besonderheit des Gruppenverfahrens ist die – vom dänischen Recht inspirierte – Begrenzung der
Kostenerstattungspflicht des Teilnehmers auf einen Höchstbetrag gemäß § 629 Absatz 2. Damit soll aus Sicht des
einzelnen Teilnehmers das Risiko der Teilnahme kalkulierbar gemacht werden: Er weiß bereits bei seiner Ent-
scheidung über die Teilnahme, was er bei einer bestimmten Anspruchshöhe im worst case des vollständigen Un-
terliegens höchstens an Kosten zu tragen hat. Auch damit wird die Schwelle zur Teilnahme ein Stück gesenkt,
zumal anders als im Individualverfahren der Teilnehmer im Gruppenverfahren nicht immer eine persönliche Be-
ratung durch den Anwalt erhalten wird, sondern diese zur effizienten Abwicklung eher über Webseiten oder an-
dere Massenmedien organisiert werden wird. Die Höhe dieser „Deckelung“ wird mit vier Gebühren nach § 13 des
Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) festgesetzt, was in den meisten Fällen zur Deckung auch der gegneri-
schen Anwaltskosten im Fall des Unterliegens ausreichen wird. In dem obigen Beispiel wäre also die Kostentra-
gung für den einzelnen Teilnehmer, der einen Anspruch von 800 € geltend macht, auf einen Gesamtbetrag von
320 € begrenzt.

Die Deckelung gemäß § 629 Absatz 2 ändert aber nichts am loser-pays-Prinzip. Absatz 3 bestimmt daher, dass
der Gruppenkläger residual für eine etwaige Kostenerstattung haftet, soweit diese aufgrund der „Deckelung“ von
den Teilnehmern nicht verlangt werden kann. Ein solcher Fall mag ausnahmsweise vorkommen, wenn die Anzahl
der Teilnehmer eher gering ist und das Verfahren sich über mehrere Instanzen zieht und ggf. teure Beweiserhe-
bungen enthält. Der Gruppenkläger trägt somit ein etwas höheres Risiko als der einzelne Teilnehmer. Dieses
Risiko kann er ggf. versichern, durch interne vertragliche Vereinbarungen auf einzelne Teilnehmer abwälzen oder
schlicht selbst tragen. Daraus ergibt sich ein weiterer gewollter Anreiz, nämlich dass der Gruppenkläger eine
Gruppenklage nicht leichtfertig, sondern nur bei überwiegender Erfolgsaussicht angestrengt.

Zu § 630

In Gruppenverfahren sind Rechtsmittel gegen eine erstinstanzliche Entscheidung ebenso wie im KapMuG stets
zulässig. Dafür spricht schon die in der Regel erhebliche gesellschaftliche Bedeutung derartiger Verfahren sowie
die nötige Einheitlichkeit der Rechtsprechung in eine Vielzahl von Personen betreffenden Fällen. Urteilt das
Landgericht in erster Instanz, so erklärt § 630 Absatz 1 die Berufung für stets zulässig, daraus ergibt sich auch die
grundsätzliche Eröffnung der Sprungrevision, sofern deren weitere Voraussetzungen (§ 566) vorliegen.

Urteilt das Oberlandesgericht in erster Instanz (siehe dazu unten Artikel 3), so wird das dann zulässige Rechts-
mittel in § 630 Absatz 2 als Revision bezeichnet und die §§ 545 ff. ZPO finden entsprechende Anwendung. Urteilt
das Oberlandesgericht dagegen als Berufungsgericht, so trifft § 630 keine Regelung, so dass die allgemeinen
Vorschriften über die Zulassung der Revision zur Anwendung kommen.

Zu § 631

Die Einlegung von Rechtsmitteln auf Seiten der Gruppe ist Sache des Gruppenklägers; nur wenn er kein Rechts-
mittel einlegt, kann aus den dazu bereiten Teilnehmern gemäß § 631 Absatz 1 und 2 ein neuer Gruppenkläger
bestimmt werden, der dann das Rechtsmittelverfahren betreibt. Um sich diese Möglichkeit zu erhalten, muss ein
Teilnehmer jedoch innerhalb der Rechtsmittelfrist vorsorglich das Rechtsmittel einlegen, damit nach Ablauf der
Rechtsmittelfrist Klarheit über die Einlegung oder Nichteinlegung des Rechtsmittels besteht.

Für die Rechtsmittelinstanzen kommen die allgemeinen Wert- und Gebührenvorschriften zur Anwendung. Daher
erfolgt, anders als in der ersten Instanz, die Berechnung nicht anhand des Einzelstreitwerts der Teilnehmer, son-
dern gemäß dem allgemeinen Kostenrecht anhand des Gesamtstreitwerts.

Die Teilnehmer sind verpflichtet, die jeweils auf sie entfallenden Gerichtsgebühren zu Beginn des Rechtsmittel-
verfahrens zu entrichten (§ 631 Absatz 3). Dies gilt jedoch nur insoweit als der Höchstbetrag der vom einzelnen
Teilnehmer zu tragenden Kosten (§ 629 Absatz 2) nicht überschritten ist. Abweichend von den allgemeinen Re-
gelungen beginnt das Verfahren in der Rechtsmittelinstanz jedoch auch bereits, wenn noch nicht sämtliche Teil-
nehmer die Gerichtsgebühr eingezahlt haben.

Die Rechtsanwaltsgebühren der Rechtsmittelinstanz sind zunächst vom Gruppenkläger zu tragen (§ 631 Ab-
satz 4). Er kann jedoch von den Teilnehmern eine anteilige Beteiligung an diesen Kosten verlangen, aber ebenfalls
nur insoweit als dadurch nicht der Höchstbetrag der vom einzelnen Teilnehmer zu tragenden Kosten (§ 629 Ab-
satz 2) überschritten wird.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29 – Drucksache 18/13426

Zu Artikel 2

Bereits nach geltendem Recht hemmt die Anmeldung eines Anspruchs zu einem KapMuG-Verfahren die Verjäh-
rung. Dies wird im einzufügenden § 204 Absatz 1 Nr. 15 BGB auch für die Teilnahme am Gruppenverfahren
normiert. Die Verjährungshemmung kann aber nur für solche Ansprüche gelten, denen der gleiche Lebenssach-
verhalt zugrunde liegt wie dem Gruppenverfahren – ob dies der Fall ist, muss ggf. im Folgeprozess entschieden
werden. Die Hemmung endet gemäß § 204 Absatz 2 Satz 1 BGB sechs Monate nach Beendigung des Gruppen-
verfahrens, d. h. etwa bei Nichteröffnung des Gruppenverfahrens sechs Monate nach Unanfechtbarkeit des die
Eröffnung des Gruppenverfahrens ablehnenden Beschlusses.

Zu Artikel 3

Bisher ist für Musterverfahren nach dem KapMuG das Oberlandesgericht sachlich zuständig, welches insoweit
der Sache nach erstinstanzliche Funktionen einschließlich der Beweisaufnahme wahrnimmt. Das soll für den bis-
herigen Anwendungsbereich des KapMuG unverändert bleiben, um die bereits aufgebaute Expertise der Oberlan-
desgerichte weiterhin zu nutzen (§ 118 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG)). Damit verbleibt es zugleich bei
dem für das KapMuG festgestellten Vorteil, dass wichtige Fragen des Kapitalmarktrechts vergleichsweise zügig
bis zum Bundesgerichtshof gebracht und dort mit erheblicher faktischer Breitenwirkung entschieden werden kön-
nen.

Da aber das vorliegende Gesetz den Anwendungsbereich des Gruppenverfahrens für sämtliche bürgerliche
Rechtsstreitigkeiten öffnet (mit Ausnahme der in § 607 ZPO-E genannten Angelegenheiten), könnte es – je nach
Nutzungsintensität des neuen Verfahrens – zu einer Überlastung der Oberlandesgerichte und des Bundesgerichts-
hofs kommen, wenn man auch für diese Gruppenverfahren die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesge-
richte festlegen würde. Daher werden diese sonstigen Gruppenverfahren gemäß dem neuen § 71 Absatz 2 Nr. 5
GVG im ersten Rechtszug den Landgerichten zugeordnet. Die Landesregierungen können hier auch mit Hilfe der
Verordnungsermächtigung in § 608 Absatz 3 ZPO-E die notwendigen organisatorischen Maßnahmen treffen.

Zu Artikel 4 und 5

Zu den Kostenregelungen siehe oben bei der Erläuterung zu § 629 ZPO-E.

Zu Artikel 6

Das vorliegende Gesetz ersetzt das KapMuG, da sämtliche Regelungsintentionen des KapMuG in dem neuen
Gesetz enthalten sind. Für Musterverfahren, in denen bereits ein Vorlagebeschluss im Klageregister veröffentlicht
wurde, ist in Absatz 2 eine Übergangsregelung getroffen worden, um diese Verfahren nicht „rückabwickeln“ zu
müssen. Ist ein Vorlagebeschluss noch nicht bekanntgemacht, so werden mit Inkrafttreten des vorliegenden Ge-
setzes etwaige Musterverfahrensanträge nach dem KapMuG gegenstandslos und können durch Anträge auf
Durchführung eines Gruppenverfahrens ersetzt werden.

Von einer Befristung des Gesetzes wurde – insoweit abweichend vom KapMuG – abgesehen. Zweifellos müssen
auch die hier vorgeschlagenen Regelungen in Zukunft erprobt, evaluiert und verbessert werden. Darin unterschei-
den sie sich aber nicht von anderen gewichtigen Änderungen im Verfahrensrecht, die in der Vergangenheit eben-
falls ohne Befristung eingeführt wurden; man denke etwa an die Einführung der Insolvenzordnung oder an die
Neuregelung des Rechtsmittelrechts. Eine Befristung suggeriert, dass eine Beurteilung der neu eingeführten Nor-
men innerhalb eines jetzt schon zu übersehenden Zeitraums möglich und zugleich notwendig wäre. Das geht aber
an der Praxis vorbei: Ein Reformbedarf kann sich bei einer Neuregelung sehr schnell zeigen; in einem solchen
Falle kann und wird der Gesetzgeber auch zügig handeln. Andererseits kann es aber auch lange dauern, bis die
Entwicklung von Rechtsprechung und Dogmatik einen deutlichen Reformbedarf erkennen lässt; eine solche Ent-
wicklung kann nicht durch fixe Fristen vorhergesehen werden. Es liegt im Wesen der Demokratie, dass jede ge-
setzliche Regelung nur vorläufigen Charakter hat und von einem zukünftigen Gesetzgeber verändert und verbes-
sert werden kann.

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