BT-Drucksache 18/1331

Ökostromförderung gerecht und bürgernah

Vom 6. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1331
18. Wahlperiode 06.05.2014

Antrag
der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, Ralph Lenkert, Hubertus
Zdebel, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm,
Roland Claus, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Kerstin Kassner, Jutta
Krellmann, Sabine Leidig, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas
Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle, Michael Schlecht, Dr. Kirsten Tackmann,
Dr. Axel Troost, Dr. Sahra Wagenknecht und der Fraktion DIE LINKE.

Ökostromförderung gerecht und bürgernah

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ist eine Erfolgsgeschichte. Es sorgt für
massenhaftes Engagement für Klima- und Ressourcenschutz sowie Selbstbestim-
mung. Hunderttausende Bürgerinnen und Bürger, Landwirtinnen und Landwirte,
Kommunen und Energiegenossenschaften haben in eine saubere Stromversorgung
investiert. Windräder, Solarpaneele und andere erneuerbare Energien verdrängen
fossilen und atomaren Strom. Vor allem wegen des EEG hat Deutschland die
Chance, die selbst gesetzten Ziele der Senkung von CO2-Emissionen zu erreichen.

Gleichzeitig ist der Preis für die Erzeugung grünen Stroms deutlich gesunken.
Wind- und Solarstrom aus neuen Anlagen ist nicht mehr teurer als die Stromerzeu-
gung durch neue fossile Kraftwerke. Berücksichtigt man die verborgenen Kosten
der fossilen und atomaren Stromproduktion (rund 40 Mrd. Euro jährlich), dann
sind erneuerbare Energien schon heute die günstigsten Energiequellen.

Das hohe Ausbautempo und die wirksame Kostensenkung waren nur mit dem EEG
möglich. Vorrang für Ökostrom, verlässliche Einspeisevergütungen und starke
Innovationsanreize haben sich als richtig erwiesen. Andere Modelle der Förderung
erneuerbarer Energien (Mengensteuerung, Ausschreibungen, Auktionen) sind ge-
scheitert oder bringen deutlich schlechtere Ergebnisse. Entsprechend gilt das EEG
als Vorbild und wird von mittlerweile über 50 Ländern nachgeahmt.

Für Stromkonzerne, die auf Atom- und Kohlemeiler setzen, ist das EEG eine Be-
drohung. Sie verlieren die Herrschaft über ihr eigenes Geschäftsfeld. Die Betriebs-
stunden ihrer alten Kraftwerke sinken. Die Investitionshoheit wurde ihnen durch
den Vorrang von EEG-Strom entzogen. Der weitere schnelle Ausbau erneuerbarer
Energien ist zugleich ein Machtwechsel. Nicht ein kleiner Kreis von Strommana-
gern bestimmt über das Fundamentalthema Energie, sondern mittelständische Un-
ternehmen und eine engagierte Bürgerschaft.

Auf der Grundlage des EEG ist eine neue Branche mit fast 400 000 Beschäftigten
entstanden. Trotz aktueller Probleme bei Solarfirmen werden auch künftig viele

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sinnvolle Jobs entstehen, wenn das EEG seine Schubkraft behält. Diese Wert-
schöpfung ist sowohl ökonomisch als auch ökologisch wichtig. Es entstehen auf-
grund der dezentralen Struktur der erneuerbaren Energien neue Wirtschaftskreis-
läufe in vielen Regionen. Gleichzeitig sinkt der Import fossiler Energieträger: zu
Lasten von Ölscheichs, Oligarchen und Kohlebaronen – zu Gunsten einer friedli-
cheren Welt.

Vor allem dank des EEG ist zu einer greifbaren Option geworden, was noch vor
wenigen Jahren eine kühne Vision war: eine weitgehend emissionsfreie Stromver-
sorgung zu akzeptablen Preisen und mit breit verankerter Beteiligung der Bevölke-
rung. Deshalb muss das EEG als Motor der Energiewende erhalten bleiben. Wer
gönnerhaft behauptet, das EEG habe als Anschub gute Dienste geleistet, aber nun
müsse sich der grüne Strom am Markt bewähren, der beteiligt sich an interessenge-
leiteter Täuschung und bedient die Interessen von konventioneller Kraftwerksin-
dustrie und Großinvestoren. Die laufende EEG-Reform darf nicht zur faktischen
EEG-Abschaffung werden.

Die Reform muss sich auf die beiden Probleme konzentrieren, die tatsächlich wich-
tig sind. Erstens geht es um die gerechte Verteilung der Kosten, also vor allem um
die Beseitigung unhaltbarer Befreiungen von der Zahlung der EEG-Umlage. Und
zweitens geht es um eine richtig verstandene Systemintegration. Nicht die erneuer-
baren Energien müssen sich an den Markt anpassen, was bei fluktuierenden Ener-
gien kaum möglich ist. Umgekehrt muss es laufen: Bei einem stetig wachsenden
Anteil von Ökostrom haben fossile Kraftwerke zunehmend nur noch die Funktion
zur Sicherung der Versorgungssicherheit bei schwankender Einspeisung von Öko-
strom („Backup“). Auf diese beiden Herausforderungen reagiert die Bundesregie-
rung einerseits gar nicht und andererseits falsch.

Zudem ist es geboten, den Umbau des Stromsystems gerecht zu gestalten. Gute
Arbeit sowie auskömmliche Mindestlöhne, Renten und Sozialtransfers helfen
Energiearmut zu verhindern. Es sind aber auch spezielle sozialpolitische Bausteine
notwendig.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. ihren Entwurf zur Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zurückzuziehen
und einen neuen Gesetzentwurf mit folgenden Maßgaben vorzulegen:

a) Unberechtigte IndustrieRabatte zu Lasten der Privathaushalte abschaffen

Bei einer Neuregelung der Befreiungen bestimmter Industrieunternehmen von
der EEG-Umlage ist die internationale Wettbewerbssituation zu berücksichti-
gen. Dabei dürfen Arbeitsplätze nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Es
sind jedoch jene Privilegien abzubauen, die mit Standortsicherung nichts zu
tun haben. Unternehmen erhalten Ermäßigungen nur noch dann, wenn folgen-
de drei Kriterien gleichzeitig erfüllt sind:
Die Unternehmen produzieren technologiebedingt überdurchschnittlich
energieintensiv. Dies muss über unternehmensspezifische Qualifizierungs-
kriterien (Strommengenschwellen, Stromintensität, Benchmarks) nachge-
wiesen werden. Sie sind so auszugestalten, dass ein Missbrauch verhindert
wird. Ein Missbrauchsbeispiel stellt die Praxis dar, feste Beschäftigung in
Leiharbeit umzuwandeln, um rechnerisch den Anteil des Stromverbrauchs
an der Wertschöpfung zu erhöhen. Zudem ist eine zeitlich gestaffelte Ver-
ringerung der Privilegierung vorzusehen.
Die Unternehmen stehen mit einem relevanten Teil ihrer Produkte im
Wettbewerb mit ausländischen Firmen, welche keinen adäquaten umwelt-

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politischen Regelungen unterliegen. Dabei soll sich die Bundesrepublik
Deutschland an der bestehenden EU-Regelung zur Strompreiskompensati-
on im Emissionshandel orientieren, die gegenwärtig 15 Branchen enthält
und durch die Kategorie Schienenbahnen zu erweitern ist.
Die Unternehmen legen einen Energieeffizienzplan vor und verpflichten
sich zu einer Effizienzsteigerung beim Stromverbrauch in Höhe von 2 Pro-
zent pro Jahr oder zu Lastmanagementmaßnahmen als Beitrag zur Integra-
tion fluktuierenden Stroms aus erneuerbaren Energien.

Privilegierte Unternehmen zahlen eine EEG-Mindestumlage in Höhe von 15
Prozent der Umlage für nichtprivilegierte Verbraucher.

b) Eigenstromprivilegien einschränken

Die Privilegien des Eigenverbrauchs von Strom, die bei netzbezogenen Umla-
gen und Abgaben wirken, sind hinsichtlich der EEG-Umlage im Bestand und
bei Neuanlagen – wirtschaftlich angemessen – abzubauen. Die Befreiung des
Kraftwerkseigenverbrauchs von der EEG-Umlage ist zu streichen. Werden
durch Regelungen zum Eigenverbrauch Anlagen zur Stromerzeugung aus er-
neuerbaren Energien oder aus Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) unwirtschaft-
lich, so soll ihre Wirtschaftlichkeit über eine erhöhte EEG-Einspeisevergütung
oder einen erhöhten KWK-Bonus ausgeglichen werden. Durch eine Bagatell-
grenze sind zudem kleine Anlagen generell von den neuen Eigenverbrauchsre-
gelungen auszunehmen.

c) Einspeisevergütung erhalten – Verzicht auf Direktvermarktung und Ausschrei-
bung

Auf die vorgesehene schrittweise beginnende Verpflichtung zur Direktver-
marktung von EEG-Strom ab dem 1. August 2014 ist genauso zu verzichten
wie auf die geplanten Ausschreibungen zur Ermittlung der Förderhöhe ab
2017.

d) Verzicht auf Mengenkorridore/Reform der EEG-Vergütungen

Die Vergütung von Ökostrom an besonders ertragreichen Standorten ist herun-
terzufahren (Abbau sogenannter Überförderung), gleichzeitig aber die Förde-
rung von weniger ertragreichen Standorten zu verbessern. Investitionen in
Windkraftanlagen müssen auch im Westen und Süden Deutschlands rentabel
möglich sein. Auf geplante weitere Deckel/Mengenkorridore bei Windkraft
und Photovoltaik (PV) ist zu verzichten. Der bereits bestehenden Ausbaude-
ckel von insgesamt 52 Gigawatt für Solaranlagen ist aus dem EEG zu strei-
chen.

Bei der Verstromung von Biomasse ist der Fokus auf Abfall- und Reststoffe zu
legen, ohne Energiepflanzen völlig auszuschließen. Überdies sollte der ver-
bleibende Biomasseanbau umgestellt werden: In Biogasanlagen sollen mindes-
tens 60 Masseprozent Gülle oder rein pflanzliche Nebenprodukte eingesetzt
werden. Für die verbleibenden 40 Prozent sind folgende ökologische Standards
einzuhalten: maximal 30 Masseprozent am Gesamteinsatz von einer Fruchtart,
Verzicht auf Gentechnik und Verbot des Umbruchs von Dauergrünland. Für
Mais wird nur noch die Grundvergütung gezahlt. Die Förderregeln für Biogas-
anlagen sollen ferner einen systemdienlichen Betrieb ermöglichen. Darum ist
unter anderem der Flexibilisierungsbonus weiter zu zahlen. Zudem ist der Zu-
bau an installierter Leistung nicht wie geplant auf 100 MW jährlich, sondern
auf 200 MW pro Jahr zu begrenzen, sofern sich damit infolge einer flexibili-

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sierten Fahrweise die produzierte Strommenge gegenüber dem 100-MW-
Deckel nicht erhöht.

Der Einspeisebonus für die Einspeisung von Biogas in das Erdgasnetz ist in
Höhe von 2 Cent/kWh beizubehalten.

Zum Schutz der Gewässer sind neue große Laufwasserkraftanlagen über
20 MW nicht mehr zu genehmigen. Die Förderklasse für kleine Neuanlagen
bis 0,5 MW ist abzuschaffen.

2. weitere Gesetzentwürfe vorzulegen bzw. Maßnahmen zu ergreifen zur sozialen
Absicherung der Energiewende im Strombereich. Dazu zählen:

a) Strompreisaufsicht einführen

Die Willkür der Stromversorger bei der Preisbildung ist durch eine funktionie-
rende Aufsicht und Regulierung des Endkundengeschäfts zu beenden. Es ist
ein Genehmigungsvorbehalt für Grundversorgertarife im Energiewirtschafts-
gesetz einzuführen, wie er bis zum Jahr 2007 galt.

b) Stromsperren verbieten

Die in Richtlinie 2003/54/EG enthaltene EU-Vorschrift, nach der die Mit-
gliedstaaten schutzbedürftige Verbraucherinnen und Verbraucher vor dem
Ausschluss der Stromversorgung angemessen schützen sollen, ist durch eine
Änderung der Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) umzusetzen.
Stromsperren aufgrund von Zahlungsunfähigkeit sind unverzüglich zu untersa-
gen. In einem zweiten Schritt ist das Verbot von Abklemmungen auch gesetz-
lich zu verankern.

c) Stromsteuer senken

Die Stromsteuer für private Verbraucherinnen und Verbraucher von gegenwär-
tig 2,05 Ct/kWh ist auf den EU-Mindeststeuersatz von 0,1 Ct/kWh abzusen-
ken.

d) Energiewendefonds auflegen

Die Zahlungsverpflichtungen der Stromkunden über die EEG-Umlage werden
auf einen um ein Drittel verlängerten Zeitraum gestreckt, indem ein Teil der
Förderung von Ökostromanlagen in einen Energiewendefonds ausgelagert
wird. Die resultierende Minderbelastung des EEG-Kontos ist an die Stromkun-
den weiterzugeben, um eine Verringerung der EEG-Umlage zu erreichen. Zu-
dem ist insbesondere zur Übernahme der Zinskosten dieses Streckungsmodells
eine anteilige Steuerfinanzierung der Ökostromförderung vorzusehen.

e) Einheitliches Netzentgelt vorschreiben

In Deutschland ist ein bundeseinheitliches Netzentgelt einzuführen, um zu ver-
hindern, dass in Regelzonen mit einem hohen Anteil von Ökostromanlagen
deutlich höhere Netzentgelte anfallen als in Regionen mit geringer regenerati-
ver Erzeugung.

f) Heizkostenzuschuss und Klimawohngeld zahlen

Der Heizkostenzuschuss beim Wohngeld ist wieder einzuführen und um eine
Komponente für Stromkosten zu erweitern. Die Heiz- und Stromkostenkom-
ponente soll im Wohngeld zu einer Energiekostenkomponente („Klimawohn-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1331

geld“) zusammengeführt werden. Die Hartz-IV-Regelsätze sind entsprechend
anzupassen. Klimawohngeld und Hartz-IV-Regelsätze sind so auszugestalten,
dass Energiearmut bei umsichtigem Verbrauch sicher verhindert wird.

g) Abwrackprämie für Stromfresser

Jeder Privathaushalt soll bei der Neuanschaffung eines Kühlschranks, einer
Wasch- oder Spülmaschine mit geringem Energieverbrauch einen Zuschuss
von 200 Euro erhalten. Die Abwrackprämie gilt für neue Kühlschränke,
Wasch- und Spülmaschinen der Energiesparklasse A+++. Aus Gründen des
Ressourcen- und Umweltschutzes ist sie zudem an folgende Bedingungen ge-
knüpft:
Die zu ersetzenden Elektrogeräte sind mindestens zehn Jahre alt.
Das Altgerät wird durch den Händler zurückgenommen und fachgerecht
entsorgt.
Das Neugerät gehört der gleichen Geräteklasse (Größe) wie das Altgerät
an.

Berlin, den 6. Mai 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

I. Zur Novelle des EEG
Industrieprivilegien

Die Kosten der Energiewende dürfen nicht länger einseitig bei privaten Haushalten, Handwerksfirmen und
nicht „begünstigten“ kleinen und mittleren Unternehmen abgeladen werden. An der Finanzierung muss sich
künftig auch die energieintensive Industrie beteiligen. Diese wird gegenwärtig bei Umlagen und Abgaben
vielfältig entlastet; Unternehmen verdienen netto sogar leistungslos an Instrumenten wie EEG, Ökosteuer
oder Emissionshandel. Diese Lastenverschiebung hat zur Folge, dass der Strompreis für andere Stromver-
braucherinnen und -verbraucher deutlich höher liegt als er müsste. Zahlten die großen Stromverbraucher
demgegenüber einen angemessenen Beitrag, könnte der Strompreis sinken. Bei einer Neuregelung ist die
internationale Wettbewerbssituation von Unternehmen zu berücksichtigen – Beschäftigung darf nicht
leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden.

Die Bundesregierung wird mit ihrem Kabinettsentwurfs für ein EEG 2014 dagegen die privilegierte Strom-
menge konstant halten oder sogar ausweiten. Die angewandte – zu umfangreiche – Liste von 67 Branchen
wird in Verbindung mit großzügigen unternehmensspezifischen Zugangskriterien und Umlagebelas-
tungsdeckeln dazu führen, dass die Zusatzkosten für nichtprivilegierte Endkunden weiter steigen.

Unternehmen sollen Ermäßigungen bei der EEG-Umlage künftig nur dann erhalten, wenn drei Kriterien zu-
sammen erfüllt sind: Erstens, sie produzieren trotz einer Produktion nach „Stand der Technik“ technologie-
bedingt überdurchschnittlich energieintensiv. Zweitens, sie stehen mit einem relevanten Teil dieser Produkte
im Wettbewerb mit außereuropäischen Unternehmen, welche keinen adäquaten umwelt-/energiepolitischen
Regelungen unterliegen, die kostenrelevant sind. Drittens, sie verpflichten sich zu einer Effizienzsteigerung
beim Stromverbrauch in Höhe von 2 Prozent pro Jahr oder zu Lastmanagementmaßnahmen als Beitrag zur
Integration fluktuierenden Stroms aus erneuerbaren Energien. Im Hinblick auf die ermäßigte EEG-Umlage
scheint eine Orientierung an der existierenden Branchenliste der EU für die Strompreiskompensation sinn-

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voll, welche im Kontext des Europäischen Emissionshandelssystems erarbeitet wurde. Mit der neuen Liste
würde die Zahl der von den Privilegierungsregelungen erfassten Industriesektoren von 168 auf 15 sinken.
Sehr stromintensive Sektoren (Stahl, Chemie, Nichteisenmetalle etc.) würden auch weiterhin in den privile-
gierten Bereich fallen. Schienenbahnen, die nicht in der EU-Liste enthalten sind, sollten allerdings als 16.
Branche weiterhin in der Ausgleichsregelung bleiben, um einen Anstieg der Fahrpreise zu verhindern.

Zusätzlich sind unternehmensspezifische Qualifizierungskriterien notwendig, da ansonsten – bei einer reinen
Sektorenzuordnung – zwar etliche Unternehmen aus der Privilegierung herausfallen würden, dafür aber viele
andere hineinkommen, welche die Unterstützung nicht benötigen. Unternehmensspezifische Qualifizierungs-
kriterien könnten Strommengenschwellen oder Stromintensitäten sein. Ferner wäre es sinnvoll, die Privile-
gien an Benchmarks zu binden und/oder eine Degression der Privilegierung einzuführen.

Im Zuge der Reform muss verhindert werden, dass Unternehmen mittels Manipulationen in die Industriepri-
vilegierung gelangen, wie es gegenwärtig nach deutschem Recht möglich ist und praktiziert wird. Eine solche
Manipulation ist die Praxis, feste Beschäftigung in Leiharbeit umzuwandeln. Dies erzeugt auf dem Papier
eine niedrigere Bruttowertschöpfung, also eine höhere Stromintensität.

Im Rahmen einer solchen Reform muss zudem der Selbstbehalt der Unternehmen erhöht werden, damit Fir-
men netto – d. h. nach Gegenrechnung von Strompreis senkenden Effekten des EEG - nicht mehr vom EEG
profitieren. Entsprechend den EU-Leitlinien für staatliche Umweltschutzbeihilfen sollte die Mindest-EEG-
Umlage darum 15 Prozent der Gesamtumlage betragen.

Eigenstromprivilegien einschränken

Das Eigenstromprivileg nach § 37 Absatz 3 EEG 2012 ergibt sich daraus, dass Strom, der in eigenen oder
gepachteten Anlagen erzeugt wird, beim Eigenverbrauch keiner EEG-Umlage unterliegt, sofern er nicht
durch ein Netz durchgeleitet wird oder wenn er im räumlichen Zusammenhang zu der Stromerzeugungsanla-
ge verbraucht wird.

Betreiber müssen im Falle des Eigenverbrauchs auch keine anderen Umlagen und Abgaben (Netzentgelt und
-umlage, Stromsteuer, Konzessionsabgabe, KWK-Umlage, Offshore-Umlage) abführen. Entsprechende Zu-
satzbelastungen treffen die restlichen Verbraucherinnen und Verbraucher, öffentliche Haushalte haben Ein-
nahmeausfälle. Gegenüber jenen Endkunden, die den üblichen Haushaltsstrompreis bezahlen müssen, lassen
sich über den Eigenverbrauch Einsparungen bis zu 19 Cent/kWh erzielen. Mittlerweile werden auch in der
Wirtschaft zahlreiche Geschäftsmodelle auf Basis des Eigenstromprivilegs entwickelt und betrieben, die zu
einer regelrechten Flucht aus dem Umlagen- und Abgabensystem geführt haben. Dieser Prozess ist ein
selbstverstärkender Effekt.

Grundsätzlich sollten sich jedoch für eine solidarische Finanzierung alle Endverbraucher an den Kosten von
Energiewende und Infrastruktur beteiligen. Dies gilt insbesondere für den Eigenverbrauch von Strom aus
konventionellen Kraftwerken, sowohl im Bestand als auch bei Neuanlagen.

Bei Änderung bezüglich des Eigenverbrauchs im Falle von Photovoltaik und KWK soll jedoch sichergestellt
werden, dass diese wirtschaftlich bleiben und das Potential dieser Technologien für die Energiewende erhal-
ten bleibt. Insofern müssen bei veränderten Eigenverbrauchsregeln ggf. zugleich die EEG- bzw. KWK-G-
Vergütungszahlungen angepasst werden. Notwendig ist ferner eine Bagatellgrenze für kleine Anlagen, da bei
diesen bürokratische Kosten und der fiskalische Nutzen bei der Erfassung und Abrechnung des Eigenstrom-
verbrauchs in keinem vernünftigen Verhältnis stehen.

Im Rahmen des Eigenverbrauchs belastet die Befreiung des Kraftwerkseigenverbrauchs die Stromkunden
besonders. Laut einer Studie von Energy Brainpool gehen dadurch dem EEG-Konto 2,4 Mrd. Euro im Jahr an
Einnahmen verloren. Diese Umlagebefreiung nutzt zudem insbesondere den ohnehin schon profitablen
Braunkohlemeilern. Eine Einbeziehung in das EEG-System würde rund 2,7 Millionen Tonnen CO2 sparen.

Einspeisevergütung erhalten - Verzicht auf Direktvermarktung und Ausschreibung

Das EEG-Fördersystem fester Einspeisevergütungen hat sich bewährt. Nur so war es möglich, den Anteil
erneuerbarer Energien an der Stromversorgung innerhalb eines Jahrzehnts auf ein Viertel zu steigern – trotz
eines Marktdesigns, das ganz auf die konventionelle Stromerzeugung aus Atom- und Kohlekraftwerken aus-
gerichtet ist. Der von der Bundesregierung geplante Paradigmenwechsel hin zu einer verpflichtenden Direkt-

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vermarktung erneuerbarer Energien und zu späteren Ausschreibungspflichten ist hingegen ein Angriff auf die
„Bürgerenergiewende“.

Die verpflichtende Direktvermarktung von Ökostrom soll das bisherige System fester Einspeisevergütungen
ersetzen, ab 1. August dieses Jahres beginnend mit Anlagen ab 500 kW. 2016 sollen Anlagen ab 250 kW und
2017 Anlagen ab 100 kW folgen. Die viel beschworenen Vorteile der verpflichtenden Direktvermarktung
entpuppen sich aber bei genauerer Betrachtung entweder als Spekulation oder Unsinn. Es wird weder be-
darfsgerechter eingespeist noch investiert werden – die Einspeisung aus Sonne und Wind steuert das Wetter
und nicht die Börse. Eine verpflichtende Direktvermarktung würde aber Ökostromanlagen durch höhere Fi-
nanzierungskosten verteuern. Sie verkehrt zudem die Hierarchie der Energiewende in ihr Gegenteil. Künftig
müssten sich regenerative Anlagen an die konventionelle Erzeugung anpassen und nicht umgekehrt –
Energiewende absurd. Überdies würde die ab 2017 vorgesehene Ausschreibung der Ökostromförderung gro-
ßen finanzstarken Akteuren in die Hände spielen. Für Bürgerenergien würde sich dagegen das Risiko insbe-
sondere bei der kostenintensiven Investitionsvorbereitung derart erhöhen, dass kaum noch Bürgerenergiean-
lagen errichtet werden könnten. Verpflichtende Direktvermarktung und Ausschreibungen führen zu einer
Marktkonzentration, die der dezentralen Entwicklung zuwiderläuft. Dieser Prozess rüttelt am Grundcharakter
der Energiewende, welcher gerade das Engagement von Energiegenossenschaften und anderen Formen von
Bürgerenergien vor Ort ermöglichen soll.

Verzicht auf Mengenkorridore/Reform der EEG-Vergütungen

Der Aufbau eines vorrangig dezentralen regenerativen Stromsystems mit einer breiten Erzeugungsvielfalt
muss Ziel der Energiewende sein. Die von der Bundesregierung vorgesehenen Ausbaudeckel bzw. -korridore
bremsen hingegen die Energiewende ab. Im Falle der Windkraft erschweren sie einen Ausbau in windschwä-
cheren Gebieten. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien ist jedoch deutlich mehr auf den regional erforder-
lichen Zubau zu achten. Windkraft im Süden und PV im Norden reduzieren Transportverluste und erhöhen
durch die größere Verteilung die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien gegenüber der derzeitigen Konzentra-
tion von Wind im Norden und PV im Süden.

Die Vergütungen sind darum wie folgt zu reformieren:
Windenergie: Der Betrieb von Windkraftanlagen an Land ist die derzeit günstigste Form der Stromer-
zeugung aus erneuerbaren Energien. Dieser „Billigmacher der Energiewende“ muss weiter angemessen
gefördert werden, statt den Ausbau auf jährlich 2,5 Gigawatt (GW) zu deckeln. Die Vergütung von
Windenergie an besonders ertragsreichen Standorten ist herunterzufahren (Abbau sogenannter Überför-
derung), gleichzeitig aber die Förderung von windschwachen Standorten zu verbessern. Nur mit einer
bundesweit geographisch ausgewogeneren Verteilung der Windenergie ist das Ziel einer vollständig er-
neuerbaren Stromversorgung und Versorgungssicherheit in allen Regionen Deutschlands zu erreichen.
Solarenergie: Ehemals sehr kostenintensiv liegt die Einspeisevergütung für neue PV-Anlagen heute auf
einem Niveau, das vergleichbar ist mit Erzeugungskosten bei Neuinvestitionen in konventionelle Kraft-
werke. Es wäre absurd, den Zubau von Solarenergie gerade jetzt, wo sie nicht mehr der Kostentreiber ist,
auf 2,5 GW im Jahr zu begrenzen. Darum ist auch der bereits bestehende Ausbaudeckel von insgesamt
52 GW für Solaranlagen aus dem EEG zu streichen.
Bioenergie: Ein Fokus auf Abfall- und Reststoffe ist zum Schutz von Ernährungssicherheit und biologi-
scher Vielfalt sinnvoll. Dennoch sollte mit den Vorgaben zu den Mindest- und Höchstanteilen ein ange-
messener Einsatz von Energiepflanzen möglich sein. Beispielsweise sollte der verbleibende Biomassean-
bau umgestellt werden von großflächigen Mais-Monokulturen auf Mischkulturen und ökologisch höher-
wertige Gewächse wie Blühpflanzen. Der Einsatz von Gentechnik ist zu verbieten. Im Falle von Biogas-
anlagen ist zudem ein systemdienlicher Betrieb anzureizen. Strom aus Biogasanlagen ist regelbar und
sollte deshalb ein schwankendes Stromangebot ausgleichen und Systemdienstleistungen erbringen. Dafür
wird jedoch bei angenommener gleicher produzierter Strommenge eine höhere installierte Leistung benö-
tigt. Nur so können Nachfragespitzen schnell abgefahren werden, während zu Zeiten eines hohen Strom-
angebots die Gasmotoren der Biogasanlagen ihre Produktion von Elektrizität reduzieren oder einstellen
können. Darum ist eine Erhöhung des geplanten Ausbaudeckels von jährlich 100 MW auf 200 MW an-
gemessen, sofern sich dadurch die produzierte Strommenge im Vergleich zu einem 100-MW-Deckel
nicht erhöht – und damit auch nicht der Nutzungsdruck auf die Natur. Die Speicherung von Biogas im
Erdgasnetz erhöht die Flexibilitätsoptionen der Biomasse. Deshalb soll der Einspeisebonus erhalten blei-
ben.
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Wasserkraft: Das Potential der Wasserkraft in Deutschland ist weitgehend ausgeschöpft. Darum ist auf
den Ausbau und die energetische Nutzung der letzten frei fließenden Flüsse und Bäche zu verzichten. Im
Unterlauf der Flüsse würden neue Wasserkraftanlagen den Fischzug genauso erschweren wie den Ge-
schiebetransport. Neue große Laufwasserkraftanlagen über 20 MW sind darum nicht mehr zu genehmi-
gen. Im Oberlauf der Gewässer stehen die Eingriffe in empfindliche Ökosysteme in keinem Verhältnis
zum zusätzlichen Ertrag an Ökostrom. Darum soll im EEG die Förderklasse für kleine Neuanlagen bis
0,5 MW abgeschafft werden.

II. Zu den weiteren Maßnahmen zur sozialen Absicherung der Energiewende

Die geforderten Maßnahmen jenseits der EEG-Novelle flankieren die Energiewende im Strombereich sozial-
politisch. Ziel ist es einerseits, Energiearmut zu verhindern sowie Haushalte bei Energieeffizienzmaßnahmen
zu unterstützen, und andererseits Verbraucherinnen und Verbraucher in angemessener Weise von ökologisch
wenig wirksamen oder anderweitig ungerechtfertigten Belastungen zu befreien. Dies ist ein Gebot der Ge-
rechtigkeit und wird zudem die Akzeptanz der Energiewende erhöhen.

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