BT-Drucksache 18/12574

zu der Beratung der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten - Drucksache 18/10900 - Jahresbericht 2016 (58. Bericht)

Vom 31. Mai 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12574
18. Wahlperiode 31.05.2017
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Dr. Tobias Lindner, Doris Wagner,
Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner,
Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, Omid Nouripour, Cem Özdemir, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Jürgen Trittin, Luise
Amtsberg, Renate Künast, Monika Lazar, Dr. Konstantin von Notz, Irene
Mihalic, Özcan Mutlu und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten
– Drucksache 18/10900 –

Jahresbericht 2016 (58. Bericht)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Es ist erschreckend, dass eine Gruppe gewaltbereiter Soldaten mit rechtsextremer Ge-
sinnung über Jahre scheinbar unentdeckt in der Bundeswehr agieren und Anschläge
planen konnte. Gerade in einer Organisation, in der militärisches Wissen und Fertig-
keiten vermittelt werden und es gleichzeitig Zugang zu Waffen gibt, sind eine beson-
dere Wachsamkeit und Entschlossenheit gegenüber der rechtsextremistischen Gefahr
geboten. Jeder Fall von Extremismus in der Bundeswehr ist ein Fall zu viel.
Doch obwohl das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) und die Bundeswehr
über zahlreiche Strukturen und Instrumente wie den Militärischen Abschirmdienst ver-
fügen und es eine Reihe von Gelegenheiten gab, um Extremisten in der Bundeswehr
aufzuspüren und diese von ihr fernzuhalten, wurde im Fall Franco A. mehrfach ver-
antwortungslos und fahrlässig gehandelt. Es ist völlig unverständlich und zeugt von
enormen Fehlern, dass es trotz zahlreicher Hinweise wie einer klar rechtsextremisti-
schen Masterarbeit, des Diebstahls von Waffen und Munition und eindeutiger Äuße-
rungen einiger Beteiligten so lange gedauert hat, bis die Gruppe aufflog. Anscheinend
nur durch einen Zufall wurde verhindert, dass die Soldaten Anschlagspläne in die Tat
umsetzen konnten.
Diese Zustände sind nicht hinnehmbar für eine Bundeswehr, die fest in den Vorgaben
des Grundgesetzes verankert ist. Es bedarf einer dringenden und schonungslosen Auf-
klärung, wie es zu diesen schwerwiegenden Fehlern und Versäumnissen kommen

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/109/1810900.pdf
Drucksache 18/12574 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
konnte. Gleichzeitig muss durch eine Reihe von überfälligen Reformprozessen sicher-
gestellt werden, dass derartige Entwicklungen für die Zukunft frühzeitig erkannt und
damit auch wirksam verhindert werden können.
Die grundlegenden Probleme in der Führungskultur zeigen sich an einer Reihe von
weiteren Vorfällen, die die Bundeswehr in jüngerer Zeit erschüttert haben. Hier hätte
die Verteidigungsministerin als Dienstherrin und Inhaberin der Befehls- und Kom-
mandogewalt viel früher und entschlossener handeln müssen, insbesondere da zahlrei-
che Probleme mit Bezug sowohl auf den Extremismus als auch auf die Führungskultur
bei vielen Gelegenheiten in den letzten Jahren immer wieder thematisiert worden sind.
Weder ist es angebracht, die Bundeswehr als Ganzes unter einen Generalverdacht zu
stellen, noch darf man die Vorfälle und Fehler als Einzelfälle kleinreden und verharm-
losen. Nun muss eine ebenso schonungslose wie sachliche Aufklärung erfolgen, um
strukturelle Probleme und Schwachstellen zu erkennen und abzustellen, auch und ge-
rade mit Blick auf die große Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten, die ihren schwie-
rigen Dienst bei der Bundeswehr mit Haltung, Verantwortungsgefühl und Überzeu-
gung tun. Diejenigen, die Verstöße und Verfehlungen begangen haben, müssen hinge-
gen konsequent und schnell zur Verantwortung gezogen werden.
Gute Führung fängt ganz oben an und beginnt mit dem Eingeständnis eigener Fehler
und Versäumnisse. Sie setzt auf Dialog und Überzeugungskraft, denn nur auf diesem
Wege kann es gelingen, Verbesserungen umzusetzen, einen Kulturwandel zu beför-
dern und alle in der Bundeswehr bei diesen wichtigen und notwendigen Prozessen
mitzunehmen.
Mit ihrem schlechten Krisenmanagement, das vor allem der eigenen Selbstverteidi-
gung und Profilierung galt, hat die Ministerin in den vergangenen Wochen viel Ver-
trauen bei den Soldatinnen und Soldaten verspielt.
Nach wie vor bleibt trotz der zahlreichen angekündigten Prozesse unklar, welche Ziele
und welchen Zeitplan die Verteidigungsministerin sich gesetzt hat. In die Gestaltung
dieses wichtigen und umfassenden Prozesses müssen der Deutsche Bundestag und im
Speziellen der Verteidigungsausschuss kontinuierlich und umfassend eingebunden
werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. für sämtliche von der Verteidigungsministerin im Kontext des Falls Franco A.
angekündigten Reformen umgehend einen konkreten Zeitplan vorzulegen und
insbesondere vor dem Ende der Legislaturperiode konkret aufzuzeigen, wie der
Bundestag bei deren Umsetzung informiert und ggf. beteiligt werden soll;

2. endlich ein einheitliches elektronisches Meldewesen in der Bundeswehr zu ext-
remistischen Vor- und Verdachtsfällen aufzubauen und dem Deutschen Bundes-
tag regelmäßig Bericht über die Innere Soziale Lage (ISoLa) der Bundeswehr zu
erstatten;

3. sowohl eine Überprüfung der Prinzipien der Inneren Führung als auch des Leit-
bildes des Staatsbürgers in Uniform vorzunehmen, um ihre Vermittlung und Um-
setzung in der Bundeswehr und im allgemeinen Truppenalltag zu stärken, insbe-
sondere vor dem Hintergrund der stark veränderten Einsatzrealitäten für die Sol-
datinnen und Soldaten;

4. neben der angekündigten grundsätzlichen Überprüfung der Inneren Führung ge-
eignete Sofortmaßnahmen zu ergreifen, um schnellstmöglich die Grundlagen für
eine bessere Meldekultur zu etablieren, damit Soldatinnen und Soldaten, die
Missstände melden wollen, nicht länger Nachteile für ihre Karrieren und im Ar-
beitsalltag befürchten müssen;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12574
5. im Rahmen einer Überarbeitung sowohl der Wehrdisziplinarordnung als auch

einschlägiger zentraler Dienstvorschriften die internen Kontrollmechanismen in
ihrer Unabhängigkeit zu stärken und weitere Korrekturmechanismen insbeson-
dere bei schwerwiegenden Verstößen sicherzustellen und dies auch für Berufs-
soldatinnen und Berufssoldaten zu prüfen;

6. eine Stärkung der Vertrauensleute in der Bundeswehr vorzunehmen und ihre
Schulungen auszubauen;

7. umgehend die Ausbildungsmodule zur politischen Bildung einer kritischen Eva-
luation zu unterziehen, ihnen ggf. mehr Raum in der Ausbildung zu widmen und,
wo nötig, inhaltlich und methodisch zu verbessern;

8. entsprechende Anstrengungen für eine demokratischere Streitkultur und ein offe-
neres Diskussionsklima in den Streitkräften zu unternehmen;

9. sicherzustellen, dass sämtliche Kasernen der Bundeswehr nur Namen von Per-
sönlichkeiten tragen, die sich im Rahmen der Geschichte im Sinne ethischer,
rechtsstaatlicher, freiheitlicher und demokratischer Traditionen in beispielhaftem
und erinnerungswürdigem Maße verdient gemacht haben;

10. die Umbenennung der betreffenden Kasernen am jeweiligen Standort und in der
Kommune durch einen inklusiven Vermittlungsprozess über die Hintergründe der
Neubenennung zu begleiten;

11. sämtliche Studien des ehemaligen Militärgeschichtlichen Forschungsamtes der
Bundeswehr (MGFA), des ehemaligen Sozialwissenschaftlichen Instituts der
Bundeswehr (SOWI) sowie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwis-
senschaften der Bundeswehr (ZMSBw) zu Namensgebern von Bundeswehrka-
sernen zu veröffentlichen;

12. den gültigen Traditionserlass der Bundeswehr in der Fassung von 1982 in einem
transparenten Prozess unter Einbeziehung anerkannter Historikerinnen und His-
toriker, von Verbänden und weiteren relevanten zivilgesellschaftlichen Akteuren
einer grundlegenden Überarbeitung zu unterziehen und dabei klar herauszustel-
len, dass die Wehrmacht jenseits des Widerstandes nicht traditionsbegründend für
die Bundeswehr sein kann;

13. historisch-kritische Untersuchungen zu Regimentern und Divisionen einzelner
Regionen – beispielsweise unter Rückgriff auf Arbeitsgruppen, die sich aus inte-
ressierten aktiven und ehemaligen Soldatinnen und Soldaten und Historikern zu-
sammensetzen und von Kommandeuren oder Standortältesten initiiert werden –
vorzunehmen, um durch eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Frage, was
war und warum es so war, die demokratisch-rechtsstaatliche Identität und Sensi-
bilität in der Truppe weiter zu stärken;

14. im Rahmen einer unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchung die wesentli-
chen Ausbildungsinhalte der Bundeswehr einer kritischen Würdigung zu unter-
ziehen und zu eruieren, welche Bestandteile der militärischen Ausbildung der
Bundeswehr weiterhin Bestand haben können und sollen, gleichwohl sie sich aus
Erfahrungen früherer deutscher Streitkräfte speisen;

15. sämtliche internen Kontrollmechanismen zur Erkennung und Meldung extremis-
tischer Vorfälle im Lichte der Erkenntnisse rund um den Fall Franco A. und die
bis zum 16.5.2017 auf Weisung des Generalinspekteurs durchgeführte Kasernen-
begehung zu überprüfen;

16. die Fehler des Militärischen Abschirmdienstes aufzuarbeiten und Vorschläge zu
einer Reform des gesamten nachrichtendienstlichen Wesens vorzulegen, um auch
effektiver und schneller die Gefahr des Rechtsextremismus gerade in den Streit-
kräften zu erkennen;

Drucksache 18/12574 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

17. die Maßnahmen zur sicheren Verwahrung von Munition und Waffen an den
Standorten der Bundeswehr sowie in den Einsatzgebieten zu verbessern und bei
Verlusten den Deutschen Bundestag umgehend darüber zu informieren.

Berlin, den 30. Mai 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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