BT-Drucksache 18/11130

Kindergeldzahlungen an Unionsbürgerinnen und Unionsbürger

Vom 8. Februar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11130
18. Wahlperiode 08.02.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Lisa Paus, Dr. Franziska Brantner,
Wolfgang Strengmann-Kuhn, Brigitte Pothmer, Özcan Mutlu, Katja Keul,
Monika Lazar, Dr. Tobias Lindner, Beate Müller-Gemmeke, Dr. Konstantin von Notz,
Claudia Roth (Augsburg), Corinna Rüffer, Elisabeth Scharfenberg,
Hans-Christian Ströbele, Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kindergeldzahlungen an Unionsbürgerinnen und Unionsbürger

Der – damalige – Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, hat
im Dezember 2016 gefordert, das Kindergeld für Unionsbürgerinnen und Uni-
onsbürger, deren Kinder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union
leben, an das Lebenshaltungsniveau des jeweiligen Aufenthaltsstaats des Kindes
anzupassen (www.faz.net/aktuell/wirtschaft/gabriel-will-kindergeld-fuer-eu-aus-
laender-kuerzen-14578847.html <24. Januar 2017>). Aus Sicht der fragestellen-
den Fraktion ist dieser Vorschlag mit unionsrechtlichen Vorgaben schwerlich zu
vereinbaren. Nach Artikel 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäi-
schen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Sys-
teme der sozialen Sicherheit hat eine Person auch für Familienangehörige, die in
einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den
Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehöri-
gen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Ob eine Änderung dieser Vorschrift
mit dem Primärrecht der Europäischen Union – insbesondere der Arbeitnehmer-
freizügigkeit – vereinbar wäre, ist zweifelhaft. Der Gerichtshof der Europäischen
Union (EuGH) hat nämlich 1986 entschieden, dass Artikel 48, 51 des Vertrages
zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (heute: Artikel 45, 48
des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV) der in der
Vorgängerverordnung zugunsten von Frankreich vorgesehene Möglichkeit, Fa-
milienleistungen auf das Leistungsniveau des Staates abzusenken, in dem das
Kind seinen Wohnsitz hat, entgegenstehe (EuGH, Urt. v. 15. Januar 1986, Rs.
41/84 – Pinna). Darüber hinaus wirft der Vorschlag die Frage auf, ob sich der mit
seiner Umsetzung absehbar einhergehende Verwaltungsaufwand angesichts des
in nicht wenigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union deutlich über deut-
schem Niveau liegenden Lebenshaltungsniveaus finanziell überhaupt lohnt. Je-
denfalls hält die fragestellende Fraktion den Vorschlag für ein europapolitisch
verfehltes Signal.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung das Lebenshaltungsniveau

in den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, und auf welche Tat-
sachen, Quellen und Berechnungsmethoden stützt sie ihre Erkenntnisse (bitte
nach Mitgliedstaaten aufschlüsseln)?

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/gabriel-will-kindergeld-fuer-eu-auslaender-kuerzen-14578847.html%20%3c24
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/gabriel-will-kindergeld-fuer-eu-auslaender-kuerzen-14578847.html%20%3c24
Drucksache 18/11130 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
2. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung das Lebenshaltungsniveau
in den Drittstaaten, in denen sich nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit
Kinder von deutschen Staatsangehörigen sowie in Deutschland freizügig-
keitsberechtigten Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern aufhalten, und auf
welche Tatsachen, Quellen und Berechnungsmethoden stützt sie ihre Er-
kenntnisse (bitte nach Staaten aufschlüsseln)?

3. Aufgrund welcher Annahmen und mit welchen Methoden könnte nach Ein-
schätzung der Bundesregierung das Kindergeld an das jeweilige Lebenshal-
tungsniveau im Aufenthaltsstaat des Kindes angepasst werden, und wie
könnte sichergestellt werden, dass die Entwicklung des Lebenshaltungsni-
veaus, einschließlich ggf. hoher Inflationsraten bzw. erheblicher Währungs-
fluktuation, dabei angemessen berücksichtigt würde?

4. Wie viele Kinder von deutschen Staatsangehörigen sowie in Deutschland
freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern leben
nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit
a) in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, oder
b) in einem Drittstaat,
und für wie viele dieser Kinder wird derzeit Kindergeld gezahlt (bitte nach
Staaten aufschlüsseln)?

5. In welcher Gesamthöhe wird derzeit jährlich Kindergeld für im Ausland le-
bende Kinder von welchen Stellen gezahlt (bitte nach Stellen aufschlüsseln)?

6. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Gesamthöhe des jährlich zu zah-
lenden Kindergeldes für im Ausland lebende Kinder sowie die Einsparungen
im Vergleich zur derzeitigen Gesamthöhe im Falle einer Anpassung der
Höhe des Kindergelds an das Lebenshaltungsniveau im jeweiligen Aufent-
haltsstaat des Kindes ein (bitte nach Stellen aufschlüsseln), und worauf stützt
sie ihre Einschätzung?

7. Für wie viele in Deutschland lebende Kinder in einem anderen Mitgliedstaat
der Europäischen Union lebender freizügigkeitsberechtigter Eltern wird der-
zeit nach Kenntnis der Bundesregierung Kindergeld oder eine vergleichbare
Leistung von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union bezogen
(bitte nach Staatsangehörigkeit der Kinder einerseits und der Eltern anderer-
seits sowie nach leistungsgewährendem Staat aufschlüsseln)?
In wie vielen dieser Fälle wird nach Kenntnis der Bundesregierung zugleich
Kindergeld von welchen Stellen in Deutschland gezahlt, und warum (bitte
nach Stellen aufschlüsseln)?

8. Für wie viele Kinder deutscher Staatsangehörigkeit, die in einem anderen
Staat leben als ihre in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union
freizügigkeitsberechtigten Eltern, wird derzeit nach Kenntnis der Bundesre-
gierung Kindergeld oder eine vergleichbare Leistung von einem anderen
Mitgliedstaat der Europäischen Union bezogen (bitte nach Staatsangehörig-
keit der Eltern und nach leistungsgewährendem Staat aufschlüsseln)?

9. Wie schätzt die Bundesregierung die Bereitschaft der anderen Mitgliedstaa-
ten der Europäischen Union, die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 für den Be-
reich der Familienleistungen zu ändern, ein?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11130

10. Hält die Bundesregierung eine etwaige Änderung der Verordnung (EG)

Nr. 883/2004, die die Absenkung von Familienleistungen auf das Leistungs-
niveau des Aufenthaltsstaates des Kindes ermöglichen würde, mit den Vor-
gaben des Primärrechts der Europäischen Union für vereinbar, und wie be-
gründet sie ihre Auffassung vor dem Hintergrund, dass der Gerichtshof der
Europäischen Union 1986 eine andere Auffassung vertreten hat?
Welchen rechtlichen Änderungsbedarf sieht die Bundesregierung – bei An-
nahme der Möglichkeit einer unionsrechtskonformen Absenkung von Fami-
lienleistungen in grenzüberschreitenden Konstellationen innerhalb der Euro-
päischen Union – vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes
in Hinblick auf die Berücksichtigung des Lebenshaltungsniveaus in Dritt-
staaten bei der Berechnung der Höhe des Kindergeldes?

Berlin, den 6. Februar 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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