BT-Drucksache 18/10981

Konzept zur Spitzensportreform grundlegend überarbeiten - Beteiligungsrechte für Athletinnen und Athleten verankern

Vom 25. Januar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10981
18. Wahlperiode 25.01.2017
Antrag
der Abgeordneten Özcan Mutlu, Monika Lazar, Anja Hajduk, Luise
Amtsberg, Volker Beck (Köln), Katja Keul, Renate Künast, Irene Mihalic,
Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Konzept zur Spitzensportreform grundlegend überarbeiten – Beteiligungsrechte
für Athletinnen und Athleten verankern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Spitzensportreform ist ein zentrales Vorhaben von Sport und Staat. Das Bundes-
ministerium des Innern (BMI) hat zusammen mit der Sportministerkonferenz (SMK)
und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) am 24. November 2016 ein ge-
meinsames Konzept vorgelegt. Auf der DOSB-Mitgliederversammlung am 3. Dezem-
ber 2016 wurde dieses Konzept mit der Maßgabe angenommen, „dass es einer Fort-
schreibung der Inhalte sowie einer Weiterentwicklung und Spezifizierung der Maß-
nahmen bedarf“. Daher sollten in einer fundierten Überarbeitung Verbesserungen er-
reicht werden, die im Spitzensportsystem der Athletinnen und Athleten mit und ohne
Behinderung wirken sollen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– vom bisherigen Ziel der Medaillenmaximierung abzusehen und eine breite ge-
sellschaftliche Debatte anzustoßen, um gemeinsame Ziele und verbindliche Maß-
nahmen für eine langfristig ausgerichtete, moderne Entwicklung des Spitzen-
sports und Breitensports zu vereinbaren („Gesamtkonzeption Sportentwick-
lung“);

– Athletinnen und Athleten sowie Trainerinnen und Trainer tatsächlich in den Mit-
telpunkt der Spitzensportförderung zu stellen;

– sich für Beteiligungs- und Mitspracherechte der Athletinnen und Athleten in den
neuen Förder- und Entscheidungsgremien von Sport und Staat einzusetzen;

– deutlich verbesserte Möglichkeiten für eine Duale Karriere von Athletinnen und
Athleten im Hinblick auf Ausbildung, Beruf und Studium zu entwickeln, dies gilt
besonders für staatliche Arbeitgeber;

– bessere Rahmenbedingungen und Fördermöglichkeiten für Vereine, Verbände
und Stützpunkte zu unterstützen, um die berufliche Situation für Trainerinnen und
Trainer nachhaltig zu verbessern;

Drucksache 18/10981 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
– ein Transparenzportal für die staatliche Sportförderung einzurichten;
– in einen grundsätzlich zu überarbeitenden Katalog der Förderkriterien insbeson-

dere aufzunehmen: Breitensportwirkung und Mitgliederzahl in den Verbänden,
internationale Bedeutung und Verbreitung der Sportart, glaubwürdige Maßnah-
men gegen Doping, Korruption, Spielmanipulationen, gruppenbezogene Men-
schenfeindlichkeit und Präventionsmaßnahmen gegen sexualisierte, physische
und psychische Gewalt sowie ein Eintreten für einen umweltverträglichen Sport;

– zuwendungsrechtliche Möglichkeiten auszuschöpfen, z. B. zur Bürokratieentlas-
tung für Verbände, Stützpunkte und Leistungssportpersonal, und eine Einführung
von Wettbewerbskomponenten in der Sportförderung, insbesondere zur Verbes-
serung der medizinischen und beruflichen Betreuung von Athletinnen und Athle-
ten in Verbänden und an Stützpunkten, zu prüfen;

– die Olympiastützpunkte (OSP) und Bundesstützpunkte zu evaluieren und die Er-
gebnisse in die Entscheidung über eine Reduzierung der Anzahl der OSPs ein-
fließen zu lassen sowie die Kriterien für eine Schließung von Bundesstützpunkten
offen zu legen;

– zugunsten der Wettbewerbschancen von sauberen Athletinnen und Athleten die
finanzielle Förderung für die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) und die Nati-
onale Anti Doping Agentur (NADA) zu erhöhen und deren Unabhängigkeit mit
voranzutreiben, um insbesondere die Untersuchungen über Dopingbetrug in ein-
zelnen Staaten und in Sportverbänden voranzubringen und Maßnahmen im Be-
reich der Dopinganalytik, Anti-Doping-Forschung und Dopingprävention besser
zu unterstützen;

– auf internationaler Ebene aufgrund der multiplen Korruptions-, Doping- und Ma-
nipulationsfälle im Sport in Abstimmung mit anderen Staaten wirksame und dau-
erhafte Maßnahmen und Anstrengungen von Seiten des Sports zu fordern und auf
einem glaubwürdigen strukturellen und personellen Neuanfang in den Organisa-
tionen und Verbänden des Sports, der auch mit besonderer Förderung von Frauen
in Führungsgremien einhergeht, zu bestehen.

Berlin, den 25. Januar 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10981
Begründung

Das von Bundesministerium des Innern (BMI), Sportministerkonferenz (SMK) und Deutschem Olympischen
Sportbund (DOSB) am 24. November 2016 in Berlin vorgelegte gemeinsame Konzept zur „Neustrukturierung
des Leistungssports und der Spitzensportförderung“ ist nicht überzeugend. Es besteht dringender Nachbesse-
rungsbedarf. Die Bundesregierung beabsichtigt, das Konzept im Frühjahr 2017 mittels eines Kabinettsbeschlus-
ses zu verabschieden. Eine Beschlussfassung des Deutschen Bundestages ist angesichts der weitreichenden Be-
deutung dieses sportpolitischen Vorhabens ebenfalls geboten.
Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière hat zu Beginn des Beratungsprozesses das Medaillenziel als End-
punkt der Spitzensportförderung manifestiert: „Wir müssen nach der Tradition in beiden deutschen Staaten und
nach unserer Wirtschaftskraft, mit der wir den Spitzensport fördern, mindestens ein Drittel mehr Medaillen be-
kommen.“ (FAZ vom 17. Juli 2015, S. 31). Bis heute ist der Bundesinnenminister nicht von dieser unrealistischen
Forderung abgerückt.
Die Vereinsautonomie gemäß Art. 9 des Grundgesetzes (GG) ist konstitutiv für den autonomen Sport in Deutsch-
land. Diese Autonomie darf jedoch keine Inselstellung des Spitzensports gegenüber dem Breitensport bedeuten.
Die Sportentwicklung in Deutschland wird in erster Linie getragen von 90.000 Sportvereinen, in denen über 27
Millionen Mitglieder einen Ort für sportliche Bewegung, Leistung, Wettstreit und soziales Miteinander sowie
bürgerschaftliches Engagement finden. Der jeweils für einen Vierjahreszeitraum erstellte Sportbericht der Bun-
desregierung zeigt – trotz politisch unterschiedlich zu bewertender Maßnahmen im Einzelfall – das große Spekt-
rum der Sportentwicklung, -strukturen und -organisationen in Deutschland. Daher greift jede Reformbemühung
für den Spitzensport insbesondere dann zu kurz, wenn es nicht zu einer Analyse der Zusammenhänge und Wech-
selwirkungen mit Sportwelten wie dem Breitensport und Schulsport sowie einem überzeugenden Sportstättenan-
gebot kommt. Die bisherigen Beratungsergebnisse des BMI, der SMK und des DOSB zeigen auf, dass es an
einem überzeugenden Konzept für die Sportentwicklung weiterhin fehlt.
Die Bundesregierung hat es versäumt, Athletinnen und Athleten in den Mittelpunkt der Reform zu stellen. So
soll die finanzielle Förderung nach dem Willen der Bundesregierung auch weiterhin nur an Sportverbände, Stütz-
punkte, sportwissenschaftliche Einrichtungen und das Leistungssportpersonal fließen. Ein/-e Zuwendungsemp-
fänger/-in Athlet/-in ist weiterhin nicht vorgesehen. Bei den künftigen Entscheidungsgremien in der Sportförde-
rung, dem Potentialanalysesystem (PotAS) mit seiner zentralen Kommission und der Förderkommission von
Bund, DOSB und SMK, bleibt die Mitsprache von Athletinnen und Athleten bisher außen vor. Es bedarf daher
eines grundlegend anderen Ansatzes, um Athletinnen und Athleten künftig in den Leistungssportstrukturen und
in der Spitzensportförderung mitbestimmen zu lassen.
Eine Duale Karriere soll Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern einen beruflichen Weg neben der Sportkarri-
ere ermöglichen. Sport und Staat sowie Wirtschaftsunternehmen müssen hierbei größere Verantwortung über-
nehmen, um deutlich bessere Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Sport mit Beruf, Ausbildung oder
Studium zu ermöglichen. Bevor die Forderung der Athletenkommission zur Zahlung eines Sportlergeldes aus
öffentlichen Mitteln erwogen wird, müssen andere Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Die Anstellungsmög-
lichkeiten bei staatlichen Arbeitgebern können grundsätzlich nicht noch weiter ausgedehnt werden. Darüber hin-
aus stellt sich die Frage, ob alle Sportförderstellen der Spitzensportförderung auch einen marktgängigen Berufs-
weg ermöglichen oder ob machen Stellen nur eine kostenintensive Parallellösung ohne große Zukunftsperspek-
tiven für Athletinnen und Athleten nach Beendigung ihrer Sportkarriere darstellen. Hier sind daher künftig auch
Verbesserungen innerhalb von Förderstellen selbst und die Möglichkeiten einer schrittweisen Übertragung der
Spitzensportförderung hin zu zivilen Berufswegen oder Stipendienlösungen zu prüfen. Darüber hinaus muss es
zu Verbesserungen in der Situation der Trainerinnen und Trainer kommen. So sind in einem auf Dauer angelegten
Spitzensportsystem befristete Verträge und Kettenverträge sachlich nicht überzeugend begründbar. Es benötigt
verbindlicher Maßnahmen zwischen allen Akteuren/-innen, um Anstellungsverhältnis und Bezahlung sowie Aus-
und Fortbildung der Trainerinnen und Trainer zu verbessern.
Die bisherigen Beratungen zur Spitzensportreform vernachlässigen in fragwürdiger Weise die Situation des Wett-
kampfsports auf internationaler Ebene. Die positiv getesteten Nachanalysen von gelagerten Dopingproben der
Olympischen Spiele von Peking 2008 und London 2012 zeigen das hundertfache Problem der unerlaubten Leis-
tungssteigerung bei Weltsportereignissen. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) hat in Gutachten und Son-
derberichten belegt, dass es in Russland seit Jahren ein staatlich gelenktes Dopingsystem gegeben hat. Die Olym-

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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Drucksache 18/10981 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

pischen Winterspiele von Sotschi 2014 waren eine von staatlicher Seite geduldete sportliche Wettbewerbsver-
zerrung zum Nachteil sauberer Athletinnen und Athleten. Darüber hinaus hat die WADA - unabhängig von Sport-
großveranstaltungen - zahlreiche weitere Defizite bei Dopingkontrolllaboren und Anti-Doping-Agenturen in wei-
teren Staaten festgestellt. Es gibt kein faires Wettkampfsystem, welches saubere Athletinnen und Athleten vor
Doping der sportbetrügerischen Konkurrenz schützt. Die in der Wissenschaft diskutierte Möglichkeit von fehler-
haft positiv getesteten Athletinnen und Athleten bei Dopingkontrollen ist schnellstmöglich zu überprüfen. Über-
bordende und überzogene Eingriffe in die Privatsphäre sind rechtlich höchst fragwürdig und gehen zu Lasten der
Akzeptanz des Dopingkontrollsystems.
Daher birgt eine Spitzensportreform in Deutschland, die weiterhin das Medaillenziel als wichtigsten Maßstab
nennt, die Gefahr eines Dopinggebrauchs zur unerlaubten Leistungssteigerung. Der Sport benötigt einen glaub-
würdigen Kurs in der Dopingbekämpfung. Deutschland sollte daher seine Ausgaben für die Welt-Anti-Doping-
Agentur (WADA) deutlich erhöhen. Die Mittel sollen zur Ausweitung der Dopingkontrollen, für die Anti-Do-
ping-Forschung und die Dopingprävention sowie als Investition für einen besseren Schutz sensibler Personenda-
ten verwendet werden. Darüber hinaus soll eine politische Initiative für von Sportorganisationen und staatlichem
Einfluss unabhängige Anti-Doping-Agenturen gestartet werden.
Die vorgelegten Vorschläge führen schließlich zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen und einseitigen Ver-
schiebung in der Zuständigkeitswahrnehmung von Bund und Ländern in der Sportpolitik. So ist es nicht nach-
vollziehbar, dass die Länder künftig über die SMK mit Sitz und Stimme in den Entscheidungsgremien der Sport-
förderung auf Bundesebene, z. B. in der neuen Förderkommission, vertreten sein sollen und im Gegenzug aber
dem Bund kein diesbezügliches Recht in Gremien der Länder bzw. in der SMK eingeräumt werden soll.

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