BT-Drucksache 18/10965

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG)

Vom 24. Januar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10965

18. Wahlperiode 24.01.2017

Gesetzentwurf

der Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln),
Britta Haßelmann, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von
Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die
Entschädigung für Opfer von Gewalttaten

(Opferentschädigungsgesetz ‒ OEG)

A. Problem

Das Opferentschädigungsgesetz (OEG) gewährt eine Form sozialer Entschädi-
gung und ist Ausdruck der Verantwortung der Allgemeinheit für Opfer von Ge-
walttaten. Eine Ausnahme besteht jedoch, wenn die Tat von dem Angreifer durch
den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges verursacht worden ist (§ 1 Absatz 11 OEG).
Die durch diese Ausnahme entstandene Schutzlücke soll durch das Pflichtversi-
cherungsgesetz (PflVG) ausgeglichen werden, indem in diesen Fällen Ersatzan-
sprüche gegen den „Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfäl-
len“ geltend gemacht werden können (§ 12 Absatz 1 Nr. 3 PflVG). Dieser Ent-
schädigungsfonds wird vom Verein Verkehrsopferhilfe e. V. getragen, der wiede-
rum von den Autohaftpflichtversicherern getragen wird und der Rechtsaufsicht
durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz untersteht.
Die Leistungspflicht des Verkehrsopferhilfe e. V. ist aber bei Verletzung oder Tö-
tung von Personen auf maximal 7,5 Millionen Euro pro Schadensfall begrenzt,
unabhängig von der Anzahl der verletzten oder getöteten Personen. Das mag zu-
nächst viel erscheinen, wenn hier an die Grundfälle des Entschädigungsfonds ge-
dacht wird, z. B. das vorsätzlich herbeigeführte Aufeinanderprallen von zwei
Pkws. Diese Summe könnte jedoch schnell überschritten werden, wenn eine Per-
son absichtlich mit einem Kraftfahrzeug in eine Menschenansammlung hineinrast
und eine Vielzahl von Verletzten und Hinterbliebenen Ansprüche geltend ma-
chen, da in diesen Fällen trotz vieler Geschädigter von nur einem Schadensfall im
rechtlichen Sinne ausgegangen wird.

B. Lösung

Um rechtssichere Versorgung und Entschädigung für alle Opfer sicherzustellen,
wird die Ausnahme von der Anwendbarkeit des OEG bei Schäden aus einem tät-
lichen Angriff, die von dem Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs

Drucksache 18/10965 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

oder eines Anhängers verursacht worden sind, aufgehoben. Ersatzansprüche ge-
gen den Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen bleiben un-
berührt.

C. Alternativen

Keine.

Die Anhebung der Mindestversicherungssumme in der Anlage zu § 4 Absatz 2
Nr. 1 PflVG (je Schadensfall für Personenschäden 7,5 Millionen Euro und für
Sachschäden 1,12 Millionen Euro), nach dessen Höhe sich der Entschädigungs-
fonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen bzw. die Leistungspflicht der Ver-
kehrsopferhilfe richtet, ist nicht zweckmäßig. Eine Anhebung der Mindestversi-
cherungssumme beträfe das gesamte Pflichtversicherungsgesetz, sodass damit
auch Folgen für die Kfz-Haftpflicht in Gänze eintreten würden.

Ein Härteausgleich nach § 1 Absatz 12 OEG in Verbindung mit § 89 Bundesver-
sorgungsgesetz ist keine dauerhafte Alternative, da der Härteausgleich von der
Einstufung als besonderer Härtefall und der Zustimmung der jeweils für die
Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde abhängig ist.

Zusätzlich in Betracht kommende Leistungen durch den Fonds für Opfer terroris-
tischer Straftaten können nicht als ausreichende Alternative angesehen werden,
da nach diesem nur Härteleistungen an die Opfer gezahlt werden, auf die kein
Rechtsanspruch besteht. Damit haben Betroffene, die nicht unter das OEG fallen,
sondern auf die Härteleistungen für Opfer terroristischer Straftaten angewiesen
sind, deutlich weniger Ansprüche und Rechtssicherheit als diejenigen, die An-
sprüche nach dem OEG geltend machen können.

D. Kosten

Die Kosten ergeben sich aus der Anwendung des OEG in Verbindung mit dem
Bundesversorgungsgesetz. Kostenträger sind Bund und Länder. Die genaue Höhe
der dadurch für Bund und Länder entstehenden Kosten kann nicht beziffert wer-
den.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10965

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die
Entschädigung für Opfer von Gewalttaten

(Opferentschädigungsgesetz ‒ OEG)

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten
(Opferentschädigungsgesetz – OEG)

§ 1 des Opferentschädigungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Januar 1985 (BGBl. I
S. 1), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 20. Juni 2011 (BGBl. I S. 1114) geändert worden ist, wird wie
folgt geändert:

1. Absatz 11 wird aufgehoben.

2. Die Absätze 12 bis 14 werden die Absätze 11 bis 13.

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 24. Januar 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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Drucksache 18/10965 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Begründung

Die Ausnahme aus dem Anwendungsbereich des OEG von Schäden aus einem tätlichen Angriff, die von dem
Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verursacht worden sind, wird aufge-
hoben. Das Argument, das bei Einführung dieser Ausnahme vorgebracht wurde – dass diese Schäden nur über
den Entschädigungsfonds praktisch im gleichen Verfahren abgewickelt werden sollen wie bei Bestehen einer
Deckung durch Haftpflichtversicherung (Bundestagsdrucksache 7/2506, S. 18) – muss aus Opferschutzgesichts-
punkten zurücktreten, da sich gezeigt hat, dass bei Fällen des Einsatzes des Kraftfahrzeug als „Waffe“ für einen
Anschlag die Gefahr besteht, dass Opfer nicht angemessen entschädigt und versorgt werden können. Das OEG
sieht keine Obergrenze, keine Beschränkung der Leistungsdauer oder Verjährung vor. Das OEG bietet über das
Bundes-versorgungsgesetz einen umfangreichen Leistungskatalog, der insbesondere bei dauerhaften Schädi-
gungsfolgen weit über eine Entschädigung hinausgeht, die auf Grundlage des PflVG von der Verkehrsopferhilfe
erbracht werden kann.

Daneben sollen Ansprüche gegen den „Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen“ weiter gel-
tend gemacht werden können. Das OEG bietet zwar über das Bundesversorgungsgesetz umfangreiche Leistungen:
Heil- und Krankenbehandlung, Beschädigtenrente, Pflegezulage, Bestattungsgeld, Sterbegeld, Hinterbliebenen-
rente und weitergehende Leistungen z. B. zur beruflichen Rehabilitation. Die Rentenleistungen sind jedoch nach
dem System des Bundesversorgungsgesetzes vorrangig vom Grad der Schädigungsfolgen abhängig; Leistungen
werden gemäß § 31 Bundesversorgungsgesetz erst ab einem Schädigungsfolgengrad von 30 Prozent erbracht.
Nicht ersatzfähig über das OEG sind außerdem Eigentums- und Vermögensschäden (mit Ausnahme von Beschä-
digung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder Zahnersatz) und auch ein
Schmerzensgeldanspruch ist im Versorgungsrecht des OEG bzw. Bundesversorgungsgesetz nicht vorgesehen.
Der Entschädigungsfonds der Verkehrsopferhilfe sieht dagegen den Ersatz von Sachschäden und bei einer beson-
deren Schwere der Verletzungen auch die Leistung von Schmerzensgeld vor. Daher sollen die Ersatzansprüche
der Opfer auch weiterhin gegen den Entschädigungsfonds möglich sein.

Die Regelung ist nicht davon abhängig, ob die Gewalttat mittels eines Kraftfahrzeugs im Rahmen eines terro-
ristischen Anschlags verübt wurde. Auch vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe anderer Art, z. B. eines
Amokläufers, der mit einem Kraftfahrzeug in eine Menschenmenge rast, wären erfasst.

Um vor allem die Möglichkeit einer doppelten Geltendmachung von Ansprüchen auszuschließen, sollen, soweit
den Versorgungsberechtigten Ansprüche gegen den Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfäl-
len zustehen, diese Ansprüche auf Bund und Länder übergehen (§ 5 OEG in Verbindung mit § 81a Bundesver-
sorgungsgesetz).

Diese Neuregelung ersetzt nicht weiterhin notwendige Reformen des sozialen Entschädigungsrechts.

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