BT-Drucksache 18/10755

Lage von jesidischen Flüchtlingen

Vom 15. Dezember 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10755
18. Wahlperiode 15.12.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Luise Amtsberg, Claudia Roth (Augsburg), Omid Nouripour,
Peter Meiwald, Volker Beck (Köln), Cem Özdemir, Katja Keul, Tom Koenigs,
Dr. Franziska Brantner, Marieluise Beck (Bremen), Renate Künast, Monika Lazar,
Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Lage von jesidischen Flüchtlingen

Jesidinnen und Jesiden wurden als Angehörige einer Minderheit auf dem Gebiet
des Irak und Syriens seit 2012 Opfer schwerer Verbrechen gegen die Mensch-
lichkeit sowohl von staatlichen als auch von nichtstaatlichen Akteuren. Die An-
griffe des ISIS/Daesh auf die Jesidinnen und Jesiden wurden von der Untersu-
chungskommission des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen im Juni
2016 als Völkermord eingestuft.
Zahlreiche Frauen und Kinder befinden sich nach wie vor in der Gewalt von
ISIS/Daesh, v. a. in Syrien, wo sie hundertfach vergewaltigt und dutzendweise
weiterverkauft werden; tausende Jungen und Männer werden vermisst.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat die systematischen und weit ver-
breiteten schwersten Menschenrechtsverletzungen durch ISIS/Daesh in Syrien
und dem Irak unter anderem durch Resolution 2249 (2015) aufs Schärfste verur-
teilt.
Viele derer, die die Verbrechen überlebt haben und sich aus der Gefangenschaft
von ISIS/Daesh befreien konnten, sind in die Anrainerstaaten des Irak und Syri-
ens geflohen, wo sie unter unzureichenden Bedingungen in Lagern ausharren
müssen oder über Griechenland in die Europäische Union. Zahlreiche Betroffene
befinden sich derzeit noch in Griechenland, in Flüchtlingslagern, in denen es
häufig an nötiger psychosozialer Betreuung, sprachkundiger Übersetzung und
hinreichendem Schutz, zum Teil aber auch an humanitärer Versorgung mangelt.
Mehrere Tausende sind in den letzten Jahren nach Deutschland geflohen, viele
der derzeit noch in Griechenland befindlichen Jesidinnen und Jesiden haben
Familienangehörige in Deutschland. Viele Überlebende der Gewalt des
ISIS/Daesh sind schwer traumatisiert. Weiterhin bestehen bürokratische Hürden
bei deutschen Botschaften, die zu zeitlichen Verzögerungen bei der Visa-An-
tragsstellung zum Familiennachzug führten (www.nds-fluerat.org/wp-content/
uploads/2014/01/Info_Familienzusammenf%C3%BChrung-Fl%C3%BCchtlinge-
Erbil_Fristwahrung.pdf).
Der Europäische Rat hat im September 2015 einen zeitlich befristeten Vertei-
lungsmechanismus für Personen aus Herkunftsstaaten mit mindestens 75 prozen-
tiger durchschnittlicher Anerkennungsquote in der EU beschlossen; insgesamt
sollen im Laufe von zwei Jahren 160 000 Menschen aus Griechenland und Italien
auf andere EU-Mitgliedstaaten verteilt werden. Auf Deutschland entfallen hierbei

http://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2014/01/Info_Familienzusammenf%C3%BChrung-Fl%C3%BCchtlinge-Erbil_Fristwahrung.pdf
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Drucksache 18/10755 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

27 485 Schutzsuchende. Die Bundesregierung hat in Ihrer Antwort auf die Bun-
destagsdrucksache 18/10152 angekündigt, die bisher sehr schleppende Aufnahme
zu beschleunigen und Griechenland und Italien monatlich jeweils bis zu 500 Um-
siedlungsplätze zur Verfügung zu stellen.
Das Land Baden-Württembergs hat über 1 000 missbrauchte Frauen und Mäd-
chen aufgenommen, die Opfer von ISIS/Daesh geworden sind, Schleswig-Hol-
stein und Niedersachsen haben sich mit kleineren Kontingenten beteiligt.
Eine der Frauen, die in Baden-Württemberg Zuflucht gefunden haben, ist die
23 Jahre alte Jesidin Nadia Murad. Sie wurde jüngst in New York zur Sonderbot-
schafterin für Opfer des Menschenhandels ernannt. Nadia Murad hatte bereits im
Oktober den Václav-Havel-Menschenrechtspreis 2016 des Europarats, der her-
ausragendes Engagement der Zivilgesellschaft zur Verteidigung der Menschen-
rechte würdigt, erhalten. Zusammen mit Lamiya Aji Bashar erhält Nadia Murad
auch den diesjährigen Sacharow-Preis für geistige Freiheit des Europäischen Par-
laments für ihr Engagement für die Jesidinnen und Jesiden und dafür, dass sie auf
das Schicksal von Frauen aufmerksam machen, die Opfer sexueller Versklavung
durch ISIS/Daesh wurden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele jesidische Schutzsuchende aus dem Irak und aus Syrien befinden

sich nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit in griechischen Flüchtlings-
lagern?

2. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Unterbringung und
Versorgung der in Griechenland befindlichen jesidischen Schutzsuchenden
aus dem Irak und aus Syrien?

3. Inwiefern wird nach Kenntnis der Bundesregierung die besondere Schutzbe-
dürftigkeit infolge von Traumatisierung – insbesondere der jesisidischen ge-
flüchteten Frauen aus dem Irak und aus Syrien – bei der Versorgung und
Unterbringung in Griechenland berücksichtigt?

4. Wie viele jesidische Schutzsuchende aus dem Irak und aus Syrien wurden
bis Dezember 2016 aus Griechenland in die Bundesrepublik Deutschland
umverteilt?

5. Wie viele jesidische Schutzsuchende aus dem Irak und aus Syrien haben bis
einschließlich Dezember 2016 eine Umverteilungszusage nach Deutschland
erhalten, aber befinden sich noch auf die Umverteilung wartend in Griechen-
land (bitte einzeln aufschlüsseln)?

6. Handelt es sich bei den aufgenommenen Personen nach Kenntnis der Bun-
desregierung im Wesentlichen um Familienangehörige von in Deutschland
lebenden Flüchtlingen?

7. Wirkt sich nach Kenntnis der Bundesregierung eine familiäre Bindung nach
Deutschland positiv auf die Erteilung einer Aufnahmezusage aus?

8. Bewertet die Bundesregierung jesidische Schutzsuchende, insbesondere die
Frauen und Kinder, die sich aus ISIS/Daesh Gefangenschaft befreien konn-
ten und nun in Griechenland verweilen, als besonders schutzbedürftige
Gruppe?

9. Inwiefern können jesidische Schutzsuchende aus dem Irak und aus Syrien
noch vom im September 2015 im Rat beschlossenen Umverteilungsmecha-
nismus von Schutzsuchenden mit hoher Schutzquote aus Griechenland und
Italien auf andere EU-Mitgliedstaaten profitieren, angesichts der Tatsache,
dass irakische Schutzsuchende zuletzt nicht unter 75 Prozent EU-weitem An-
erkennungsschnitt fallen und damit nicht mehr zu der zu verteilenden Gruppe
gehören?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10755

10. Wird sich die Bundesregierung innerhalb der europäischen Gremien dafür

einsetzen, dass zumindest jesidische Schutzsuchende aus dem Irak wieder
unter das Umverteilungsprogramm fallen?

11. Was unternimmt die Bundesregierung, um die lokale Versorgung der rund
3 200 jesidischen Frauen und Kinder, die derzeit noch im Nordirak verweilen
und dringend Hilfe benötigen, voranzubringen?
a) Welche Projekte für Jesidinnen und Jesiden hat die Bundesregierung im

Nordirak bislang gefördert (bitte unter Angabe des Projektzwecks, Orts,
der Durchführungsorganisation und Förderquelle auflisten)?

b) Welche Rolle spielen dabei Maßnahmen zur psychosozialen Betreuung?
12. Was unternimmt die Bundesregierung, um die Neuansiedlung von jesidi-

schen Frauen und Kinder aus dem Nordirak in Deutschland voranzubringen?
13. In welchen Ländern befindet sich nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit

noch eine größere Anzahl jesidischer Flüchtlinge aus dem Irak und aus Sy-
rien?

14. Wird die Bundesregierung gegenüber den Bundesländern für eine Kontin-
gentaufnahme von verfolgten jesidischen Frauen und Kindern aus dem Nord-
irak analog dem Baden-Württembergischen Modell werben?

Wenn nein, warum nicht?
15. Wie viele Jesidinnen und Jesiden warten derzeit in Griechenland auf eine

Familienzusammenführung im Rahmen des Dublin-Verfahrens, und wie
hoch ist der Anteil an Minderjährigen darunter?

16. Was unternimmt die Bundesregierung gegen bürokratische Hürden seitens
der deutschen Botschaft in Griechenland, welche den Familiennachzug nach
Deutschland verzögern?

17. Wie ist aktuell die durchschnittliche Wartezeit auf Termine zur Antragstel-
lung für Visa zur Familienzusammenführung in den deutschen Konsularver-
tretungen in der Türkei, im Irak, dem Libanon und Jordanien (bitte jeweils
einzeln aufführen), und wie lang ist die sich anschließende Bearbeitungszeit?

18. Inwiefern wirkt sich die Einstufung der Verbrechen gegen Jesidinnen und
Jesiden in Irak und Syrien als Genozid seitens der Vereinten Nationen auf
die Bemühungen der Bundesregierung zum Schutz der Betroffenen in
Deutschland, innerhalb der EU und vor Ort aus?

Berlin, den 13. Dezember 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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