BT-Drucksache 18/10162

Probleme bei Mittelstandsanleihen

Vom 20. Oktober 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10162
18. Wahlperiode 20.10.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Nicole Maisch, Dr. Gerhard Schick, Dr. Thomas Gambke,
Renate Künast, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Katja Keul, Monika Lazar,
Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Probleme bei Mittelstandsanleihen

Seit der Finanzkrise im Jahr 2008 werden sogenannte Mittelstandanleihen emit-
tiert. Dadurch sollte es insbesondere für mittelständische Unternehmen leichter
werden, sich unabhängiger von der Bankwirtschaft zu refinanzieren. Mit dem
Slogan „Mittelstand“ hat man eine Säule der Marktwirtschaft dafür verwendet,
unter anderem von Kleinanlegerinnen und Kleinanlegern Kapital einzuwerben.
Doch der Ruf der Anleihen hat sich zunehmend verschlechtert. Angesichts der
Tatsache, dass jeder vierte Euro von Insolvenzen und Zahlungsverzögerungen
betroffen ist (siehe www.welt.de/finanzen/geldanlage/article154000182/Lassen-
Sie-lieber-die-Finger-von-Mittelstandsanleihen.html) und bereits Anleihen mit
einem Volumen von rund 1 Mrd. Euro ausgefallen sind (siehe www.fixed-income.
org/fileadmin/pdf/Achtung_Anleihe_.pdf, S. 19), wird in der Presse von „Etiket-
tenschwindel“ (siehe www.zeit.de/2015/23/mittelstandsanleihen-geldanlage),
einem „Marketinggag“ (siehe www.shz.de/tipps-trends/mittelstandsanleihen-
hochgelobt-und-tief-gefallen-id14219006.html) und einem „Tummelplatz für Sa-
nierungsfälle“ (siehe www.welt.de/finanzen/geldanlage/article154000182/Lassen-
Sie-lieber-die-Finger-von-Mittelstandsanleihen.html) gesprochen. Ausfälle oder
Insolvenzen der Firmen KTG Agrar, Mifa, German Pellets oder Windreich und
Schwierigkeiten bei Beate Uhse, um nur einige wenige zu nennen, sorgen für
große Verunsicherung bei den Kapitalgeberinnen und Kapitalgebern. Allein seit
Ende Juli dieses Jahres stehen Anleihen von mehr als einer halben Milliarde
Euro zur Disposition (siehe www.faz.net/aktuell/finanzen/anleihen-zinsen/
mittelstandsanleihen/wieso-der-damm-bei-mittelstandsanleihen-jetzt-bricht-14
459542.html). Zudem dürfte sich die Lage eher noch zuspitzen, da die meisten
Papiere erst 2017 und 2018 fällig werden. So werden bis Ende 2018 rund 116 Mit-
telstandsanleihen mit einem Volumen in Höhe von circa 4,3 Mrd. Euro zur Rück-
zahlung fällig (siehe www.wiwo.de/finanzen/geldanlage/mittelstandsanleihen-
wo-anleger-mit-verlusten-rechnen-muessen/12947238.html).
Es zeichnet sich das Bild ab, dass einigen Unternehmen von Ratingunternehmen
ein zu positives Rating ausgestellt wurde und die Solidität der Unternehmen nicht
ausreichend geprüft wurde. Laut Kreditversicherungsgesellschaft Euler Hermes
geraten sogar Unternehmen öfters in Schwierigkeiten, die eine Investment-
Grade-Bewertung erhalten hatten, als Unternehmen mit einer schlechteren Be-
wertung (siehe boerse.ard.de/anlageformen/anleihen/mittelstandsanleihen-weitere-
ausfaelle-programmiert100.html). In diesem Zusammenhang gibt es auch die
Forderung, dass eigentlich die Anleihen bewertet werden müssten und nicht die
Unternehmen (siehe www.finance-magazin.de/geld-liquiditaet/kredite-und-anleihen/

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mangelnder-glaeubigerschutz-bei-mittelstandsanleihen-1258421/). So haben auch
Pensionskassen, die regelmäßig nur in „gut“ geratete Anlagen investieren dürfen,
zum Leidwesen ihrer Leistungsberechtigten in das Segment „Mittelstandsanlei-
hen“ investiert.
Durch diese negativen Entwicklungen kam der Markt für Mittelstandsanleihen
fast zum Erliegen und der eigentliche Zweck rückte dadurch zunehmend in den
Hintergrund (siehe www.handelsblatt.com/finanzen/maerkte/anleihen/mittelstands
anleihen-weg-mit-dem-schrott/11135932.html). Gerade weil die Anleihen als
Produkte für Normalanleger vermarktet wurden (siehe www.zeit.de/2015/23/
mittelstandsanleihen-geldanlage) und die angebotenen höheren Zinsen angesichts
des vorherrschenden niedrigen Zinsniveaus besonders lukrativ erschienen, sind
von den zunehmenden Zahlungsausfällen viele Kleinanlegerinnen und Kleinan-
leger betroffen, die mitunter einen großen Anteil ihres Vermögens in diese Pro-
dukte investiert hatten.
Im Schuldverschreibungsgesetz aus dem Jahr 1899 wird den Anleihegläubigerin-
nen und Anleihegläubigern das Recht eingeräumt, eine gemeinsame Vertretung
zu wählen. Nach dem Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) von 2009 kann der
Emittent entscheiden, ob das Gesetz anzuwenden ist oder nicht; hierzu bedarf es
einer konstitutiven Erklärung in den Anleihebedingungen. Fehlt in den Anlei-
hebedingungen eine entsprechende Erklärung, können die Anleihegläubiger kei-
nen gemeinsamen Vertreter wählen.
Insbesondere im Fall der Insolvenz soll die gemeinsame Vertretung dazu beitra-
gen, dass Interessen der jeweiligen Gläubiger effizient vertreten werden. Dabei
ist grundsätzlich eine Vertretung zu begrüßen, da die Anlegerinnen und Anleger
ihre Interessen dadurch zumindest deutlich machen können, was sonst insbeson-
dere Kleinanlegerinnen und Kleinanlegern oftmals nur schwer möglich ist. In ei-
nigen Fällen wurde diese Regelung jedoch genau zum Leidwesen dieser ausge-
nutzt.
Bislang gingen sowohl Anlegerinnen, Anleger als auch gemeinsame Vertreter da-
von aus, dass die mit der gemeinsamen Vertretung anfallenden Kosten vom
Schuldner zu zahlen sind, § 7 Absatz 6 SchVG (2009). Seitdem der Bundesge-
richtshof BHG (BGH, Beschl. v. 14.07.2016, Az. IX ZA 9/16) entschieden hat,
dass der gemeinsame Vertreter keine Partei kraft Amtes ist, sehen sich Kleinan-
leger – auch jene, die den gemeinsamen Vertreter nicht gewählt haben – Kosten
ausgesetzt, wenn der gemeinsame Vertreter beispielsweise Prozesse (Tabellen-
feststellungsklagen) oder Ähnliches führt.
Großkanzleien mit Eigeninteressen, Investmentfonds mit Sitz im Ausland und
Offshore-Banken, die sich bei drohender Insolvenz in die gefährdeten Unterneh-
men einkaufen, eine Machtposition sichern und zum Nachteil anderer Akteure
(kleine Anleger, Angestellte, Eigentümer) bereichern, profitieren von den aktuel-
len Regelungen. Zu wesentlich reduzierten Kursen steigen sie in die Unternehmen
als Gläubiger ein und sichern sich so überproportional viele Stimmrechte. Zusätz-
liche Stimmrechte mobilisieren sie zum Beispiel über das Einsammeln von
Stimmrechten von (Offshore-)Gesellschaften etc. Mit dieser Stimmrechtsmacht
üben die spezialisierten Anleger bereits in Sanierungsverfahren Druck aus und
können sich bereichern. Kommt es zum Insolvenzverfahren, können sie durch
ihre Machtstellung oftmals ihren Favoriten als gemeinsamen Vertreter durchset-
zen und sich zusätzlich einen Sitz im Gläubigerausschuss sichern und das Insol-
venzverfahren dominieren. Da die Anleihegläubiger oft die größte Gläubiger-
gruppe darstellen, werden sie in der Regel auch darüber entscheiden, ob der bis-
herige (vorläufige) Insolvenzverwalter bestätigt wird oder nicht. Statt dann die
Belange aller Gläubigerinnen und Gläubiger zu vertreten, nutzen sie ihre Stel-
lung, um über verschiedene Mechanismen zu profitieren. Bei Geschäften des in-
solventen Unternehmens, zum Beispiel Verkauf von Unternehmensassets oder
Überbrückungskrediten, verwenden sie ihre Position, um vorteilhafte Geschäfte

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für sich selbst zu machen. Fehlende Regelungen zur Vergütung des gemeinsamen
Vertreters erlauben es zudem, über extrem hohe Vergütungszahlungen die Insol-
venzmasse zum Leidwesen der restlichen Stakeholder zu schmälern (siehe www.
fixed-income.org/fileadmin/pdf/Achtung_Anleihe_.pdf, S. 32).

Wir fragen die Bundesregierung:

Zur allgemeinen Beurteilung von Mittelstandsanleihen und zur Finanzierung des
Mittelstands mit Anleihen:

1. Wie hat sich der Markt für Mittelstandsanleihen aus Sicht der Bundesregie-
rung entwickelt?

2. Welche Erklärung hat die Bundesregierung für die vielen Ausfälle bei den
emittierten Mittelstandsanleihen sowie für den Rückgang des Emissionsvo-
lumens in den letzten zwei Jahren?

3. Welche Instrumente sieht die Bundesregierung als geeignet an, um die Un-
sicherheit im Anleihemarkt zu entschärfen (bitte begründen)?

4. Sind aus Sicht der Bundesregierung die Standards für Emittenten auch ange-
sichts der hohen Ausfallquoten ausreichend (bitte begründen)?

5. Welche wirtschaftliche Bedeutung haben Anleihen bei der Unternehmensfi-
nanzierung im Mittelstand?

6. Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen der Investitions-
schwäche im Mittelstand und der Unsicherheit im entsprechenden Anleihe-
markt?

7. Sieht die Bundesregierung Kleinanlegerinnen und Kleinanleger durch die be-
stehenden Regelungen bei Mittelstandsanleihen als ausreichend geschützt
(bitte begründen)?

Zu Ratings
8. Sieht die Bundesregierung bei der Vergabe der Ratings für Mittelstandsan-

leihen Reformbedarf?
Wäre aus Sicht der Bundesregierung bei der Ratingvergabe ein Fokus auf die
Anleihe statt auf das Unternehmen vorteilhaft (bitte jeweils begründen)?

9. Wie erklärt es sich die Bundesregierung, dass vor allem Mittelstandsanleihen
mit Investment Grade häufig ausfallen?

Zu spezialisierten Fonds und zur gemeinsamen Vertretung
10. Welche Strategien sind der Bundesregierung von Fonds und größeren Unter-

nehmen bekannt, die bei Mittelstandsanleihen zu Ungunsten der kleineren
Anlegerinnen und Anleger angewandt werden?
Welche Fälle sind der Bundesregierung bekannt, und was unternimmt sie da-
gegen?

11. Warum ist es nicht gesetzlich bindend vorgeschrieben, dass es bei jeder An-
leihe eine gemeinsame Vertretung geben muss?

12. Warum besteht bei entsprechender Gestaltung der Vertragsbedingungen die
Möglichkeit, dass der Schuldner die gemeinsame Vertretung selbst bestim-
men kann (einen sogenannten Vertragsvertreter)?

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13. Welche Fälle sind der Bundesregierung bekannt, bei denen die gemeinsame

Vertretung nicht im Sinne zumindest der meisten Anlegerinnen und Anleger
agierte?
Was unternimmt die Bundesregierung dagegen?

14. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass über das Amt
der gemeinsamen Vertretung Druck auf die Insolvenzverwaltung ausgeübt
wurde, sodass sich diese gezwungen sah, Entscheidungen für Partikularinte-
ressen statt für die Gemeinschaft umzusetzen?

15. Sieht die Bundesregierung aktuell eine kollektive und effektive Interessen-
vertretung der Anleihegläubigerinnen und Anleihegläubiger als gegeben an
(bitte begründen)?

16. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse bezüglich der Spannweite der
Vergütungssätze vor?
Wie beurteilt die Bundesregierung diese?

17. Wäre es aus Sicht der Bundesregierung sinnvoll, die Vergütung an einer be-
stimmten Bezugsgröße festzumachen, zum Beispiel am Volumen der An-
leihe, sowie eine Obergrenze vorzugeben?

18. Warum wird aus Sicht der Bundesregierung nicht eine gleichzeitige Amtsin-
haberschaft als Gläubigerausschussmitglied und als gemeinsame Vertretung
untersagt angesichts der Tatsache, dass die Person im Gläubigerausschuss
über ihre eigene Vergütung entscheiden kann?

19. Warum gibt es aus Sicht der Bundesregierung keinerlei fachliche Anforde-
rungen, um das Amt der Vertreterin oder des Vertreters zu übernehmen?
Warum können aus Sicht der Bundesregierung selbst straffällig gewordene
Personen das Amt übernehmen?

20. Wäre es aus Sicht der Bundesregierung eine sinnvolle Maßnahme, eine
Sperrfrist bezüglich der Stimmrechtsabgabe von zum Beispiel sechs Mona-
ten nach dem Kauf der Anleihen einzuführen?
Wäre dies, wenn nicht für alle Bereiche, zumindest für einige Fälle (wie zum
Beispiel für die Wahl der gemeinsamen Vertretung) eine Möglichkeit (bitte
begründen)?

21. Inwieweit sieht die Bundesregierung die Stellung und die Aufgabenbereiche
des Amtes als klar definiert an (bitte ausführen)?

22. Besteht aus Sicht der Bundesregierung eine Spannung zwischen dem Schuld-
verschreibungsgesetz von 2009 und der Insolvenzordnung, beispielweise
hinsichtlich der Anfechtung der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters?
Wenn ja, besteht hier nach Auffassung der Bundesregierung Handlungsbe-
darf?

23. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus, dass der Bun-
desgerichtshof entschieden hat, dass das Amt der gemeinsamen Vertreterin
beziehungsweise des gemeinsamen Vertreters keine Partei kraft Amtes ist,
sondern eine reine Interessenvertretung?

24. Hat die Bundesregierung Kenntnis über Fälle, bei denen die gemeinsame
Vertretung als Partei kraft Amtes handelte?

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25. Wie betrachtet die Bundesregierung die daraus resultierende Rechtslage,

dass dadurch vermutlich Gläubigerinnen und Gläubiger selbst und einzeln
klagen müssten und dadurch das Kostenrisiko tragen müssten?

Berlin, den 18. Oktober 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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