BT-Drucksache 17/9746

Unseriöses Inkasso zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher stoppen

Vom 22. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9746
17. Wahlperiode 22. 05. 2012

Antrag
der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch,
Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Roland Claus,
Katrin Kunert, Sabine Leidig, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze,
Kornelia Möller, Jens Petermann, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke,
Sabine Stüber, Alexander Süßmair und der Fraktion DIE LINKE.

Unseriöses Inkasso zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher stoppen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Unseriöses Inkasso und hohe Inkassogebühren sind seit langem eine Plage für
Verbraucherinnen und Verbraucher. Die überwiegende Mehrheit der betroffenen
Verbraucherinnen und Verbraucher fühlt sich von Inkassoschreiben bedroht,
verängstigt und eingeschüchtert. Unseriöse Inkassounternehmen versuchen mit
rechtsstaatlich bedenklichen Drohgebärden oder Drohungen meist ungerechtfer-
tigte Zahlungen einzutreiben. Ihre Forderungen basieren häufig auf unterge-
schobenen Verträgen aus unlauterer Telefonwerbung oder Kostenfallen im Inter-
net. Ihre Methoden richten sich dabei vorrangig gegen die schwächsten
Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich von der gerichtlichen Legitimation
der Inkassodienste beeindrucken lassen. Gebühren und Zusatzkosten von Inkas-
sodiensten blähen die Hauptforderungen insbesondere bei Bagatellrechnungen
extrem auf. Laut einer Studie der Verbraucherzentralen vom Dezember 2011
(www.vzbv.de/8264.htm), in der 4 000 Verbraucherbeschwerden zu Inkassofor-
derungen bundesweit ausgewertet wurden, verteuerten sich die eigentlichen
Forderungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher durch die Inkasso-
dienste um durchschnittlich 50 Prozent, bei überschuldeten Menschen gar um
266 Prozent.

Trotz der bekannten, oft rechtlich fragwürdigen Methoden nicht weniger Inkasso-
firmen wurden bisher erst zwei Inkassozulassungen aufgrund verbraucherschä-
digender Geschäftspraxis entzogen. Eine behördliche Aufsicht und eine ver-
brauchergerechte Kontrolle der Inkassounternehmen existieren so gut wie nicht.
Auch die Selbstregulierung der Unternehmen funktioniert nicht. 15 Prozent der
von den Verbraucherzentralen untersuchten unseriösen Inkassounternehmen
sind Mitglieder im Bundesverband der Deutschen Inkasso-Unternehmen e. V.
(BDIU), der seine Mitglieder unter besondere „berufsrechtliche Richtlinien“

stellt.

Die Bundesregierung hat die massenhafte Abzocke der Verbraucherinnen und
Verbraucher jahrelang ignoriert. Die Forderungen des Bundesrates vom 27. Mai
2011 zur Bekämpfung unseriöser Inkassodienste (Bundesratsdrucksache 271/11)
sowie der VerbraucherSchutzMinisterKonferenz vom 16. September 2011 wur-
den von der Bundesregierung bisher nicht aufgegriffen. Unseriöse Inkassounter-

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nehmen können weiter die derzeit lückenhafte Rechtslage ausnutzen. Ver-
braucherinnen und Verbrauchern wird weiterhin unberechtigt Geld aus der
Tasche gezogen und damit wird die Inkassoindustrie mit gigantischen Summen
finanziert. Die Aufdeckung von Missständen wird von der Bundesregierung bis-
her nicht wahrgenommen, sie obliegt vielmehr immer noch den rechtlich und
finanziell unzureichend ausgestatteten Verbraucherzentralen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

umgehend einen Gesetzentwurf vorzulegen, der mindestens folgende gesetz-
liche Regelungen enthält:

1. Inkassokosten sind an die Höhe der Hauptforderung zu koppeln. Die Schuld-
nergebühren dürfen maximal 20 Prozent der Hauptforderung für Bearbei-
tungskosten und die ersten beiden Mahnungen bzw. maximal 100 Euro
insgesamt betragen. Davon abweichende vertragliche Regelungen sind unzu-
lässig.

2. Inkassounternehmen sind zu verpflichten, Verbraucherinnen und Verbrau-
cher schriftlich und gemeinsam mit der Zahlungsaufforderung zu informie-
ren über

a) das Unternehmen einschließlich dessen Anschrift, mit dem der (behaup-
tete) Vertrag geschlossen wurde,

b) die Höhe der Hauptforderungen,

c) den Inhalt des Vertrages,

d) Zeitpunkt, Art und Weise des Zustandekommens des Vertrages und

e) das Datum des Verzugseintritts.

3. Es ist eine bundesweit tätige Verbraucherschutzbehörde zu schaffen, die
unter anderem die zugelassenen Inkassounternehmen und verbraucherschä-
digende Geschäftspraktiken überwacht.

4. Eine Inkassogenehmigung darf nur nach eingehender vorheriger behörd-
licher Prüfung erteilt werden.

5. Es ist ein Sanktionskatalog für unseriöse Inkassomachenschaften festzulegen
und ein Schadensersatzanspruch bei ungerechtfertigter Abmahnung ist zu
schaffen. Der Bußgeldrahmen ist empfindlich zu erhöhen.

6. Die rechtliche und finanzielle Stärkung der Verbraucherzentralen ist sicher-
zustellen.

Berlin, den 22. Mai 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Um als Inkassounternehmen tätig werden zu können, bedarf es neben einer
gerichtlichen Registrierung wenig. Die Inkassotätigkeit bewegt sich mangels
einschlägiger Regelungen in einem rechtlich nahezu ungeklärten Raum. In-
kassounternehmen unterliegen keiner effektiven Aufsicht, d. h. selbst bei ekla-
tanten Verstößen gegen die Zulassungskriterien (wie z. B. Fachkenntnisse,

Zuverlässigkeit, persönliche Eignung) wird die Zulassung nicht entzogen. Außer-
dem existiert kein Sanktionskatalog, nach dem im Vorfeld eines Zulassungsent-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9746

zugs etwaige Verstöße geahndet werden können. Da es keine Gebührenordnung
gibt, können Inkassounternehmen Phantasiegebühren fordern. Es existiert keine
Koppelung zwischen der eigentlichen Forderung und zusätzlichen Inkasso-
kosten wie z. B. in Österreich. Dadurch kann eine geringe Forderung von weni-
gen Euro sich durch die angeblichen Inkassokosten schnell auf das 50-Fache
erhöhen („angeschwollene Bagatellforderung“). Manche Firmen schüchtern be-
wusst ein, etwa mit der Androhung von Hausbesuch, Gerichtsvollzieher,
Schufa-Eintrag oder Kontopfändung. Häufig basieren die Forderungen auf unter-
geschobenen Verträgen. 99 Prozent der ca. 4 000 von den Verbraucherzentralen
bundesweit untersuchten Inkassoforderungen (www.vzbv.de/8264.htm) waren
unberechtigt.

Zu Nummer 1

In Österreich werden in einer Gebührenordnung für Inkassoinstitute von der
Hauptforderung abhängige Höchstsätze für Schuldnergebühren festgelegt. Die
Schuldnergebühren belaufen sich derzeit für die allgemeinen Bearbeitungs-
kosten und die ersten beiden Mahnungen auf durchschnittlich 20 Prozent der
Hauptforderung (Verordnung über die Höchstsätze der Inkassoinstituten gebüh-
renden Vergütungen, Fassung vom 10. März 2009). Die Praxis, Ratenzahlungs-
vereinbarungen formularmäßig mit Schuldanerkenntnissen verbinden zu kön-
nen, muss gesetzlich ausgeschlossen werden. Derzeit wird der Verbraucher bzw.
die Verbraucherin durch diese Verbindung darüber getäuscht, dass er/sie durch
seine/ihre Unterschrift nicht nur eine Ratenzahlung vereinbart, sondern damit
die Höhe aller Kosten- und Gebührenforderungen des Inkassounternehmens
rechtlich absichert.

Zu Nummer 2

Inkassounternehmen treiben für andere Unternehmen Forderungen ein. Mangels
gesetzlicher Vorgaben ist es den Inkassounternehmen überlassen, welche Infor-
mationen sie den (vermeintlichen) Schuldnerinnen und Schuldnern mit der Zah-
lungsaufforderung mitteilen. Von dem Recht darauf, diese Informationen zu
erfahren, machen viele eingeschüchterte Verbraucherinnen und Verbraucher kei-
nen Gebrauch. Die vorgesehenen Bestimmungen sind insbesondere erforder-
lich, um vor allem unseriösen Geschäftspraktiken effektiv entgegenzuwirken.

Zu Nummer 3

In Deutschland sind rund 750 teils bundesweit agierende Inkassounternehmen
zugelassen. Nach Angabe des Branchenverbands BDIU bewegen allein die beim
BDIU organisierten Inkassounternehmen ein Forderungsvolumen von über
24 Mrd. Euro. Für die Zulassung, deren Widerruf und die Kontrolle, dass
niemand unbefugt im Sinne des Rechtsdienstleistungsgesetzes in der Inkasso-
branche tätig ist, sind bundesweit insgesamt 79 Amts-, Land- oder Oberlandes-
gerichte zuständig. Gerichtsintern erfolgt die Kontrolle in der Regel von nicht
dafür ausgebildeten Rechtspflegern, die mit der Überwachung fachlich und vom
Umfang her überfordert sind. Einmal erteilt, gibt es nur wenige Möglichkeiten,
eine Inkassoerlaubnis wieder zu entziehen, wie der Ausgang einer Klage gegen
die „Deutsche Zentral Inkasso GmbH“ klarstellte (Berliner Verwaltungsgericht
vom 25. August 2011, Az.: VG 1 K 5.10). Laut einer Umfrage der Verbraucher-
zentrale Schleswig-Holstein im Jahr 2010 wurde die Erlaubnis, als Inkassounter-
nehmen tätig werden zu dürfen, bundesweit bisher erst achtmal entzogen, wobei
nur zwei dieser Maßnahmen auf Verbraucherbeschwerden und unseriöse Ge-
schäftspraktiken zurückzuführen waren. Eine gesetzliche Aufsicht über In-
kassounternehmen existiert in Deutschland nicht. Für bundesweit agierende
Unternehmen bedarf es einer bundesweiten Überwachung.

Drucksache 17/9746 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Zu Nummer 4

Eine einfache Registrierung der Inkassounternehmen ist nicht ausreichend. Viel-
mehr nutzen Inkassounternehmen die gerichtliche Registrierung zur Einschüch-
terung und Täuschung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Aufdrucke auf In-
kassoanschreiben wie z. B. „zugelassen durch den Präsidenten des Landgerichts“
spiegeln eine nicht kontrollierte Seriosität vor, die im Ergebnis trotz
Unhaltbarkeit von Forderungen die Verbraucherinnen und Verbraucher zur Zah-
lung bewegt. Eine interne Studie der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein
kam zu dem Ergebnis, dass mindestens 15 Prozent der Verbraucherinnen und Ver-
braucher aus Unkenntnis oder Angst unberechtigte Forderungen zahlen. Ein In-
sider schätzt den Beitreibungserfolg gar auf 25 Prozent (www.stern.de/tv/sterntv/
ein-aussteiger-berichtet-die-tricks-der-abofallen-beitreiber-1618808.html).

Zu Nummer 5

Bisher gibt es keinerlei Sanktionsmöglichkeiten gegen unseriöse Inkassounter-
nehmen, abgesehen von der kaum praktizierten Möglichkeit des Entzugs der
Zulassung. Es bedarf daher eines abgestuften Sanktionssystems mit Geldbußen
bis zu einem Verbot der Inkassotätigkeit. Ein Schadensersatzanspruch wegen
unberechtigter Abmahnung würde präventiv zu mehr Sorgfalt bei Zahlungsauf-
forderungen durch Inkassodienste führen.

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