BT-Drucksache 17/9580

Notfonds für tierhaltende Betriebe einrichten

Vom 8. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9580
17. Wahlperiode 08. 05. 2012

Antrag
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens,
Karin Binder, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Roland Claus, Katrin Kunert,
Caren Lay, Sabine Leidig, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze,
Kornelia Möller, Jens Petermann, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke,
Sabine Stüber, Alexander Süßmair und der Fraktion DIE LINKE.

Notfonds für tierhaltende Betriebe einrichten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Immer häufiger kommen tierhaltende Betriebe unverschuldet in existenzgefähr-
dende Situationen. Neue oder bisher nicht einheimische Tierseuchen oder -er-
krankungen führen zu wirtschaftlich schwer beherrschbaren Gefahren für Tier-
bestände. In den vergangenen Jahren waren solche neuen Risiken beispielsweise
die Vogelgrippe, die Blauzungenkrankheit, das Blutschwitzen der Kälber oder
eine Faktorenerkrankung bei Rinderbeständen einiger Regionen, deren Verbin-
dung mit Clostridium botulinum weiter ungeklärt ist. Aktuelles Beispiel ist das
Schmallenberg-Virus, das bei Schafen, Ziegen und Rindern zu missgebildeten,
nicht überlebensfähigen Nachkommen führt. Tod und Krankheit in Nutztier-
beständen sind für die Landwirtinnen und Landwirte eine schwere emotionale
Bürde. Darüber hinaus führen sie direkt oder indirekt infolge der Bekämpfungs-
maßnahmen zu wirtschaftlichen und finanziellen Existenzbedrohungen. Solange
die Ursachen von Tiererkrankungen noch nicht identifiziert und amtlich aner-
kannt sind, bleiben staatliche oder andere Unterstützungsleistungen versagt und
die Last liegt auf den Schultern der Bäuerinnen und Bauern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

• einen Notfonds für tierhaltende Betriebe einzurichten, aus welchem diese
notwendige Beihilfen bei ungeklärten oder noch nicht amtlich anerkannten
Tiererkrankungen erhalten können;

• zu prüfen, wie ein solcher Notfonds den rechtlichen Vorgaben der Welthan-
delsorganisation (WTO) sowie denen der Europäischen Union (EU) gemäß
ausgestaltet werden kann, bzw. sich ggf. auf EU- und WTO-Ebene für Ände-
rungen der Regeln einzusetzen, die eine Notifizierung eines solchen nationa-
len Notfonds ermöglichen;
• in den Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2013 10 Mio. Euro für den
Notfonds einzuplanen und diesen Titel in den Folgehaushalten bedarfs-
gerecht anzupassen.

Berlin, den 8. Mai 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Drucksache 17/9580 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Begründung

Bis die Gründe eines massiven Tiersterbens gefunden sind und entsprechende
Ausgleichszahlungen oder Beihilfen erfolgen, können landwirtschaftliche Be-
triebe in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten geraten. Erinnert sei an das
Auftreten des Blutschwitzens bei Kälbern oder den Verdacht des so genannten
chronischen Botulismus. Auch die Verluste durch das völlig neue Schmallen-
berg-Virus im Jahr 2012, die Blauzungenkrankheit (Serotyp 8) in den Jahren
2006 und 2007 oder die Vogelgrippe im Jahr 2006 (HPAI H5N1 Typ Asia) haben
die Agrarwirtschaft schwer getroffen.

Alle diese Tiererkrankungen sind zum Zeitpunkt des ersten Auftretens nicht nur
für die Agrarbetriebe, sondern teilweise auch für die Wissenschaft neu. Der
Erreger muss identifiziert, Analysemethoden müssen entwickelt und Schutz-
maßnahmen, wie zum Beispiel die Tötung der Bestände (Keulung) oder
Impfung, eingeleitet werden. Impfstoffe sind oftmals noch nicht vorhanden und
müssen erst entwickelt werden. Das braucht Zeit.

Niemand weiß genau, wie sich das Auftauchen neuer Tierseuchen in den kom-
menden Jahren weiterentwickeln wird. Allerdings wird seit Jahren aus der Wis-
senschaft vor den steigenden Infektionsrisiken durch globale Personen- und
Handelsströme gewarnt. Auch die Folgen des Klimawandels können zu neuen
Risiken beitragen, insbesondere bei vektorübertragenen Infektionskrankheiten.
Die Afrikanische Pferdepest (African Horse Sickness, AHS), die Chikungunya-
Infektion, die Afrikanische Schweinepest und das West-Nil-Virus (WNV) könn-
ten ähnliche Potentiale zur Gefährdung der europäischen Tierbestände haben.
„Veränderte Umweltbedingungen wie Klimawandel, Globalisierung im Handel,
weltweiter Reiseverkehr, Urbanisierung auf der einen und zunehmender Kon-
takt mit Wildtieren auf der anderen Seite beeinflussen die Ausbreitung von In-
fektionskrankheiten ganz wesentlich. Heute noch von ‚exotischen‘ Infektions-
erregern zu sprechen, verbietet sich vor diesem Hintergrund, da sie binnen kur-
zer Zeit auch in unseren Breiten Probleme verursachen können,“ fassen Autoren
vom Friedrich-Löffler-Institut im Artikel „Gibt es noch exotische Tierseuchen?“
zusammen (Conraths, F. et al., Forschungsreport 2/2011).

Neben einer Stärkung der Ressortforschung im Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und der Ein-
richtung eines epidemiologischen Zentrums muss der Agrarwirtschaft auch direkt
unter die Arme gegriffen werden. Durch die Einführung eines Notfonds kann
den betroffenen Betrieben schnell und möglichst unbürokratisch geholfen wer-
den. Sobald die Ursachen der Tiererkrankungen festgestellt sind bzw. eine Tier-
seuche amtlich anerkannt wurde, können die regulären Ausgleichszahlungen
bzw. Beihilfen greifen. Die bereits vorab ausgezahlten Mittel sollen dann an den
Fonds zurückfließen (revolvierender Fonds). Das Gleiche gilt für Tiererkran-
kungen, welche nach gründlicher Untersuchung als Eigenverschulden festge-
stellt wurden.

Da ein solcher Notfonds nicht handelsverzerrend, sondern akute Notlagen lin-
dernd wirkt, müsste er im Rahmen des WTO-Landwirtschaftsabkommens
(Agreement on Agriculture, AoA) als „Green-Box-“fähig einzustufen sein. Sol-
che Stützungen sind unbeschränkt erlaubt.

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