BT-Drucksache 17/9579

Keine Bürgschaft für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3

Vom 9. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9579
17. Wahlperiode 09. 05. 2012

Antrag
der Abgeordneten Jan van Aken, Dr. Gesine Lötzsch, Ulla Lötzer, Dorothee
Menzner, Niema Movassat, Eva Bulling-Schröter und der Fraktion DIE LINKE.
sowie der Abgeordneten Ute Koczy, Sylvia Kotting-Uhl, Beate Walter-Rosenheimer,
Sven-Christian Kindler, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Agnes
Brugger, Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele,
Daniela Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Bürgschaft für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Atomtechnologie besitzt unvorstellbare Zerstörungskraft und richtet welt-
weit schwerste Schäden für Mensch und Natur an. Spätestens seit der dramati-
schen Atomkatastrophe im japanischen Fukushima gibt es in Deutschland einen
gesamtgesellschaftlichen Konsens, endgültig aus der Atomtechnologie auszu-
steigen. Deshalb hat Deutschland 2011 den Ausstieg aus der Atomenergie mit
breiter parlamentarischer Mehrheit beschlossen.

Dennoch fördert die Bundesrepublik Deutschland die Nutzung und den Ausbau
der Atomtechnologie in anderen Ländern. Mit Beginn der 17. Wahlperiode hat
die schwarz-gelbe Bundesregierung die seit 2001 geltenden nationalen Hermes-
Umweltleitlinien außer Kraft gesetzt. Damit wurde die Exportförderung von
Technologien zum Neubau und zur Umrüstung von Atomanlagen wieder ermög-
licht. Das ist unverantwortlich, inkonsequent und in keiner Weise vermittelbar.
Wenn der Atomausstieg ernst gemeint ist, muss die Exportförderung von Atom-
technologie umgehend beendet werden.

Im Februar 2010 hat die Bundesregierung die erste Bürgschaft für Atomexporte
im Grundsatz zugesagt und erklärt, die Beteiligung von AREVA NP GmbH/
Siemens AG am Bau des Atomkraftwerks (AKW) Angra 3 in Brasilien mit Her-
mesbürgschaften in Höhe von 1,3 Mrd. Euro abzusichern. Die Siemens AG ist
in der Zwischenzeit aus dem gemeinsamen Atomgeschäft mit der AREVA NP
GmbH ausgestiegen. Die Lieferverträge sind unterzeichnet. Nachdem die Grund-
satzzusage bereits mehrfach verlängert wurde und ein von der Bundesregierung

angefordertes zweites Gutachten zu den Risiken des AKW-Projekts der Bundes-
regierung seit kurzem vorliegt und zurzeit bewertet wird, könnte die Bundes-
regierung die Hermesbürgschaft für Angra 3 schon bald endgültig in Deckung
nehmen.

Unabhängige Gutachten zu den Risiken von Angra 3, die von den Organisatio-
nen urgewald e. V. und Greenpeace e. V. in Auftrag gegeben und im März 2012

Drucksache 17/9579 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
veröffentlicht wurden, kommen einhellig zu dem Urteil, dass der Standort hoch
riskant ist. Zu den grundsätzlich unkalkulierbaren Risiken eines AKWs kommen
in der Region um Angra dos Reis fundamentale geologische, geografische, tech-
nische und sicherheitspolitische Schwachpunkte: Erdrutschgefahr; die Lage des
AKWs direkt am Meer und in unmittelbarer Nähe einer dichtbevölkerten Groß-
stadt (Angra dos Reis mit 170 000 Einwohnern); ein veraltetes Sicherheits-
design; mangelnde Zufahrts- und Evakuierungsmöglichkeiten aufgrund einer
einzigen und zu schmalen Straße, die zum AKW führt; keine unabhängige Atom-
aufsicht in Brasilien und die mangelnde Implementierung wichtiger Sicherheits-
auflagen. Und auch die Endlagerfrage für den Atommüll ist in Brasilien ungelöst.

Die Ereignisse bei der Atomkatastrophe in Fukushima haben eindringlich ge-
zeigt, wie die naturräumlichen Risikofaktoren zu einer bis dahin unvorstellbaren
Katastrophe führen konnten. Diese bittere Erkenntnis muss auch bei der sicher-
heitstechnischen Bewertung des geplanten Projekts in Brasilien dringend be-
rücksichtigt werden. Ein „Weiter so“ ist unverantwortlich.

Die deutsche Bürgschaft ist entscheidend für die Finanzierung von Angra 3, da
französische Banken nur dann Kredite vergeben wollen, wenn diese über eine
Bürgschaft abgesichert sind. Zwei französische Banken haben angekündigt, ein
weiteres Gutachten mit einer kompletten „Due-diligence“-Prüfung in Auftrag
geben zu wollen. Trotz eines Beitrags der brasilianischen Entwicklungsbank
Banco Nacional de Desenvolvimento Econômico e Social über etwa 2,7 Mrd.
Euro und des möglicherweise hermesgedeckten Beitrags von 1,3 Mrd. Euro ist
die Gesamtfinanzierung von mindestens 4,5 Mrd. Euro noch nicht geklärt.

Die brasilianische Anwaltskammer hat sich am 5. Juli 2011 an den Obersten Ge-
richtshof Brasiliens gewandt, um einen Baustopp für das AKW Angra 3 zu er-
wirken. Die Anwaltskammer sieht im Bau von Angra 3 einen Verstoß gegen die
brasilianische Verfassung, da bisher keine spezifische Genehmigung des aktuel-
len Projekts durch den Nationalkongress Brasiliens vorliegt. Die ungeklärte
Rechtslage erhöht die Risiken des Projekts und damit die Wahrscheinlichkeit,
dass Bürgerinnen und Bürger in Deutschland als Steuerzahler/-innen für das ge-
scheiterte Projekt einstehen müssen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– die Hermesbürgschaft für die Beteiligung am Bau des Atomreaktors Angra 3
nicht zu gewähren und die entsprechende Grundsatzzusage zurückzuziehen;

– ab sofort keine Hermesbürgschaften für Atomtechnologien oder andere Tech-
nologien, die für den Bau von AKW bestimmt sind, mehr zu vergeben und
damit auch die dem Interministeriellen Ausschuss für Exportgarantien des
Bundes vorliegenden Anträge auf Exportkreditgarantien für Zulieferungen
für Atomanlagen bzw. den Export von Atomtechnologie abzulehnen;

– die Hermes-Umweltleitlinien von 2001 umgehend wieder in Kraft zu setzen
und einzuhalten;

– die Atomverträge mit Brasilien und Argentinien durch eine Kooperation über
erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu ersetzen.

Berlin, den 9. Mai 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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