BT-Drucksache 17/9567

Soziale und ökologische Offenlegungspflichten für Unternehmen regeln

Vom 9. Mai 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9567
17. Wahlperiode 09. 05. 2012

Antrag
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Ute Koczy, Uwe Kekeritz,
Ingrid Hönlinger, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Viola von Cramon-Taubadel,
Marieluise Beck (Bremen), Agnes Brugger, Thilo Hoppe, Katja Keul, Sven-
Christian Kindler, Kerstin Müller (Köln), Ingrid Nestle, Omid Nouripour, Lisa Paus,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian
Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Soziale und ökologische Offenlegungspflichten für Unternehmen regeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Jahr 2011 wurden sowohl die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschen-
rechte der Vereinten Nationen (VN) als auch die neue EU-Strategie für die so-
ziale Verantwortung der Unternehmen verabschiedet. Damit wurde der langjäh-
rige internationale Streit darüber beendet, ob die weltweite Einhaltung grund-
legender Menschenrechtskriterien durch Unternehmen freiwillig erfolgen oder
verbindlich gemacht werden soll. Beide Vorlagen drängen auf eine Kombination
von verbindlichen Regelungen und freiwilligen Maßnahmen und erkennen an,
dass negative soziale und ökologische Auswirkungen von Unternehmenshan-
deln nicht allein auf freiwilliger Basis verhindert werden können.

Der Deutsche Bundestag begrüßt diesen wichtigen Schritt, bedauert allerdings,
dass es auf nationaler und auf EU-Ebene bisher versäumt wurde, verbindliche
soziale und ökologische Offenlegungspflichten für Unternehmen festzulegen. In
der Bundesrepublik Deutschland gibt es bisher lediglich eine nationale Strategie
zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen, die ausschließlich frei-
willige Maßnahmen befördert.

Die bisherigen Berichtspflichten nach deutschem und EU-Recht sind nicht aus-
reichend, um konkrete und verbindliche Berichte über die sozialen und ökologi-
schen Bedingungen der Geschäftstätigkeit von Unternehmen zu gewährleisten.
Auch im Interesse gleicher Wettbewerbsbedingungen ist eine gesetzliche Offen-
legungspflicht zu nichtfinanziellen Leistungsindikatoren notwendig.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Unternehmen gesetzlich zu verpflichten, Informationen zu sozialen und öko-

logischen Aspekten ihrer Geschäftstätigkeit zu veröffentlichen und dabei zu
prüfen, inwieweit insbesondere Informationen in Bezug auf

a) Menschenrechte,

b) Umwelt- und Klimaschutz, die über die bereits bestehenden Offenle-
gungspflichten hinausgehen,

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c) Arbeitnehmer/-innenrechte, auch den Zugang der Arbeitnehmer und Ar-
beitnehmerinnen zu Gewerkschaften, Anzahl der Angestellten, faktische
Arbeitszeiten und Löhne,

d) soziale Sicherung, den Zugang sowohl zu betrieblichen als auch überbe-
trieblichen sozialen Sicherungssystemen,

e) Unternehmensstruktur, Umsätze und Gewinne nach Ländern (country by
country),

f) Zulieferer, Produktherkunft und -lebenszyklus, Handelsstrukturen, Pro-
duktionsstandorte und Produktionsbedingungen in den Zuliefererbetrie-
ben,

g) im Falle rohstofffördernder Unternehmen die Mengen geförderter Roh-
stoffe sowie die Höhe von Förderlizenzen,

h) Konzepte der Kundenorientierung, Verwendung von Kundengeldern und
weitere verbraucherrelevante Aspekte, inklusive der für den Schutz der
Privatsphäre wichtigen Daten, und

i) im Falle landwirtschaftlich erzeugender Unternehmen die bewirtschaftete
landwirtschaftliche Fläche mit den erzeugten Mengen für jedes Land ver-
öffentlicht werden können;

2. die Offenlegungspflicht so auszugestalten, dass den Kapazitäten von kleinen
und mittelständischen Unternehmen ausreichend Rechnung getragen wird;

3. zu prüfen, wie und in welcher Form die veröffentlichten Informationen effi-
zient und wirkungsvoll regelmäßig überprüft und inwiefern gerade kleine
und mittlere Unternehmen bei der Umsetzung von Offenlegungspflichten un-
terstützt werden können;

4. zu prüfen, inwieweit Sanktionen für den Fall von Verstößen gegen die Offen-
legungspflichten festgelegt werden können;

5. das Verbraucherinformationsgesetz um einen Informationsanspruch gegen-
über Unternehmen zu ergänzen;

6. Verbraucherinnen, Verbrauchern und Betroffenen von Menschenrechtsver-
letzungen und Umweltschäden durch Unternehmenshandeln in Deutschland
und in den Produktionsländern das Recht zu geben, von den Unternehmen die
Offenlegung der relevanten Informationen einzufordern;

7. sich im Rahmen der Reform der EU-Modernisierungsrichtline (2003/51/EG)
für eine umfassende soziale und ökologische Offenlegungspflicht für Unter-
nehmen einzusetzen;

8. eine abgestimmte, unterstützende Position zur Reform der Transparenzricht-
linie (2004/109/EG) zur Aufnahme börsennotierter Unternehmen und der
Rechnungslegungsrichtline (78/660/EWG und 83/349/EWG) zur Aufnahme
großer, nicht börsennotierter Unternehmen zu entwickeln;

9. sich auf internationaler Ebene für umfassende Offenlegungspflichten welt-
weit einzusetzen und dadurch zur Schaffung eines globalen Standards für
Transparenz und sozial und ökologisch verträgliches Wirtschaften beizutra-
gen.

Berlin, den 9. Mai 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9567

Begründung

Der CSR-Aktionsplan (CSR: Corporate Social Responsibility) der Bundesregie-
rung aus dem Jahr 2012 wirbt für einen rein freiwilligen Ansatz zur menschen-
rechtlichen Unternehmensverantwortung und bleibt damit hinter den Entwick-
lungen und aktuellen Positionen auf EU-Ebene zurück. Um die Vorgaben der
VN-Leitprinzipien und der neuen EU-Strategie für die soziale Verantwortung
der Unternehmen angemessen umzusetzen, muss die Bundesregierung dringend
ihre diesbezüglichen Politikansätze korrigieren und eine Reihe von neuen Rege-
lungen treffen. Ein wichtiger Punkt ist dabei die soziale und ökologische Be-
richtspflicht von Unternehmen.

Für Unternehmen bestimmter Größe und Rechtsform bestehen bereits Berichts-
pflichten hinsichtlich ihrer finanzwirtschaftlichen Daten. Das gilt noch nicht für
ihre sozialen und ökologischen Produktionsbedingungen – dafür bestehen zur-
zeit keine verbindlichen Offenlegungspflichten. Dabei wäre die Offenlegung
von nichtfinanziellen Informationen zu sozialen und ökologischen Bedingungen
der Geschäftstätigkeiten von Unternehmen in vielerlei Hinsicht bedeutsam. Eine
solche Offenlegung wäre nicht nur wichtig, um den Verbraucherinnen und Ver-
brauchern die Möglichkeit zu geben, sich umfassend über die Produktionsbedin-
gungen eines Unternehmens zu informieren und ihr Konsumverhalten dement-
sprechend anzupassen. Auch Investoren könnten anhand sozialer und ökologi-
scher Berichtspflichten eine fundiertere Entscheidung bezüglich der nichtfinan-
ziellen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit treffen. Die Unternehmen selbst
könnten durch die verbindliche Offenlegung Risiken ihrer Produktionsweisen
besser erkennen und früher Schritte einleiten, um ihre Produktion sozialer und
ökologischer zu gestalten. Nicht zuletzt könnten problematische Unternehmens-
aktivitäten in Bezug auf Arbeitnehmer/-innen- und Menschenrechte, Korrup-
tion, Lobbyaktivitäten, Umwelt- und Klimaschutz bei den Unternehmen und ih-
ren Zulieferbetrieben nicht mehr so einfach geheim gehalten werden.

Bisherige Argumente gegen die Offenlegungspflicht beziehen sich im Wesent-
lichen auf Kosten und Verwaltungsaufwand. Diese sind in vielen Fällen jedoch
nicht stichhaltig; die relevanten Daten werden von der überwiegenden Anzahl
der Unternehmen bereits jetzt erhoben. Es ist auch im Interesse der Betriebe,
eine klare Übersicht über ökologische und sozialpolitische Bedingungen ihrer
Geschäftstätigkeit zu haben.

Auf EU-Ebene gibt es bisher nur die so genannte Modernisierungsrichtline
(2003/51/EG), nach der Lageberichte von Kapitalgesellschaften auch nicht-
finanzielle Leistungsindikatoren wie Umwelt- und Arbeitnehmerbelange be-
rücksichtigen müssen, „soweit dies für das Verständnis des Geschäftsverlaufs,
des Geschäftsergebnisses oder der Lage der Gesellschaft erforderlich ist […].“
Diese Richtline soll überarbeitet und bis Mitte 2012 ein Reformvorschlag vor-
gelegt werden. Berichtspflichten sollen danach verbindlich gemacht werden.
Unklar ist allerdings, ob der Reformvorschlag sich explizit auch auf soziale und
ökologische Aspekte beziehen wird, ob die Offenlegungspflicht auch Zulieferer
umfassen wird und ob Sanktionen im Falle einer Verletzung der Berichtspflich-
ten festgelegt werden.

Im Oktober 2011 wurde die Reform der Transparenzrichtlinie (2004/109/EG)
zur Aufnahme börsennotierter Unternehmen und der Rechnungslegungsricht-
line (78/660/EWG und 83/349/EWG) zur Aufnahme großer, nicht börsennotier-
ter Unternehmen veröffentlicht. Dies wird in Anlehnung an das US-amerikani-
sche Gesetz zur Offenlegung von Zahlungen für Zugang und Abbau von Erdöl,
Erdgas und anderen Bodenschätzen auch als „europäischer Dodd-Frank-Akt“
bezeichnet. Europäische Unternehmen, die in der Mineralgewinnung und Forst-
wirtschaft tätig sind, sollen nun Zahlungen (Steuern, Abgaben und Bonuszah-

lungen) offenlegen, die sie an Regierungen für den Zugang und Abbau von
Erdöl, Erdgas, anderen Bodenschätzen und Wald zahlen. Während sich EU-Mit-

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gliedstaaten wie Frankreich und Großbritannien auf europäischer Ebene für eine
verpflichtende Offenlegung im Rohstoffsektor eingesetzt haben, blockiert die
Bundesregierung diese Entwicklung.

In vielen anderen EU-Ländern gibt es im Vergleich zu Deutschland weiter ge-
hende Berichtspflichten für Unternehmen, wie z. B. in Frankreich, wo nicht nur
börsennotierte Unternehmen über soziale und ökologische Aspekte ihrer Ge-
schäftstätigkeit berichten müssen, sich die Pflicht auch auf Zulieferer bezieht
und die offengelegten Informationen durch Dritte überprüft werden sollen. Den-
noch bleibt auch dieses Beispiel hinter einer umfassenden sanktionsbewehrten
Berichtspflicht zu sozialen und ökologischen Bedingungen der Produktion in
eigenen Unternehmen sowie ihrer Lieferkette zurück.

In der Bundesrepublik Deutschland hat das Handelsgesetzbuch die europäische
Regelung aus der Modernisierungsrichtline in § 289 Absatz 3 übernommen. So
ist über nichtfinanzielle Indikatoren nur zu berichten, soweit sie für die
Geschäftstätigkeit von Bedeutung sind. Die Auswahl der Indikatoren und die
Bewertung ihrer Relevanz bleiben den Unternehmen selbst überlassen.

Es gibt eine ganze Reihe von freiwilligen Initiativen im Bereich der Nachhaltig-
keits- bzw. Umweltberichterstattung. Dazu gehören EMAS (Eco-Management
and Audit Scheme), GRI (Global Reporting Initiative), DVFA/EFFAS (Deut-
sche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management/European Federa-
tion of Financial Analysts Societies). Diese sind begrüßenswert. Sie reichen aber
nicht aus, um eine umfassende Nachhaltigkeitsberichterstattung hinsichtlich
Tochtergesellschaften und der Lieferkette von Unternehmen zu gewährleisten.
Von ca. 11 000 Unternehmen in Deutschland mit mehr als 250 Beschäftigten
wenden weniger als 1 Prozent den internationalen Berichtsstandard „Global
Reporting Initiative“ an. Wenn Unternehmen Nachhaltigkeitsberichte veröffent-
lichen, berichten sie eher über einzelne Projekte und Initiativen als umfassend
über die tatsächliche Lage der Beschäftigten sowie Mißstände in der Lieferkette.

Transparenz des Handelns des Staates und von Unternehmen im Hinblick auf
die sozialen und ökologischen Auswirkungen ihres Handelns ist notwendige
Voraussetzung für die Meinungs- und Willensbildung und die demokratische
Kontrolle in einem lebendigen demokratischen Rechtsstaat. Die gesetzliche
Normierung von Offenlegungspflichten von Unternehmen im Hinblick auf
soziale und ökologische Aspekte ihrer Geschäftstätigkeit ist daher auch Be-
standteil einer modernen Informationsfreiheitspolitik.

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