BT-Drucksache 17/9354

Das Rentenpaket - Inhalt, Ziele, Wirkungen

Vom 18. April 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9354
17. Wahlperiode 18. 04. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge,
Roland Claus, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus, Klaus Ernst, Katja Kipping,
Jutta Krellmann, Jens Petermann, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kathrin
Senger-Schäfer, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Dr. Kirsten Tackmann, Harald
Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Das Rentenpaket – Inhalt, Ziele, Wirkungen

Am 22. März 2012 hat die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula
von der Leyen, das so genannte Rentenpaket der Presse vorgestellt. Sie hob drei
zentrale Bestandteile hervor: Die „Zuschussrente“ und die „Kombirente“ sind
bereits in einem Referentenentwurf zu einem „Lebensleistungsanerkennungsge-
setz“ enthalten. Die Altersvorsorgepflicht für Selbständige liegt in Eckpunkten
vor.

Die bisherige Berichterstattung ist kritisch bis ablehnend: „Zwecklos gegen Al-
tersarmut“ (Frankfurter Rundschau, 23. März 2012); „Nur ein Reförmchen“, das
„wenig gegen Armut im Alter“ helfe (Süddeutsche Zeitung, 23. März 2012);
„ein Irrweg“, der „an der falschen Stelle“ ansetze (DIE ZEIT, 22. März 2012)
oder „Placebos gegen Altersarmut“ (Handelsblatt, 22. März 2012) lauten einige
Schlagzeilen in der überregionalen Presse. Und sie liegen richtig.

Je stärker die Menschen von Altersarmut bedroht sind, desto weniger hilft ihnen
das Rentenpaket. Denn die Voraussetzungen für die Zuschussrente sind viel zu
hoch: Anfänglich sind 40 Versicherungsjahre, darunter 30 Beitragsjahre erfor-
derlich, später sind es 45 und 35 Jahre. Hinzu kommt später die Anforderung
– zunächst fünf, dann steigend auf 35 Jahre – zusätzlich privat für das Alter vor-
zusorgen. Gerade die Hauptrisikogruppen der Altersarmut – Geringverdienende
wegen mangelnder Sparfähigkeit, Langzeiterwerbslose und Erwerbsgeminderte
wegen fehlender Beitragszeiten – werden an diesen hohen Hürden scheitern.

Die Bedingung zusätzlich vorzusorgen, fördert ebenso wie die Vorsorgepflicht
für Selbständige die Versicherungswirtschaft, aber nicht die von Altersarmut
Bedrohten oder bereits Betroffenen.

Je länger und häufiger die Menschen von Erwerbslosigkeit betroffen sind, desto
größer wird die Gefahr der Altersarmut und desto kleiner wird die Chance auf
eine Zuschussrente. Seit dem Haushaltsbegleitgesetz 2011 werden für Hartz-IV-

Betroffene keine Beiträge mehr an die Rentenkasse gezahlt. Für Erwerbslose,
die Arbeitslosengeld I erhalten, werden Pflichtbeiträge an die Rentenkasse ge-
zahlt. Doch bei der Mindestzahl an Beitragsjahren, die notwendig sind, um eine
Zuschussrente erhalten zu können, werden sie nicht mitgezählt. Gleiches gilt für
Zeiten des Bezugs der früheren Arbeitslosenhilfe. Für Erwerbslose, insbeson-
dere für Ostdeutsche, wird es also ungleich schwieriger sein, die Pflichtbeitrags-
hürde von 30 und später 35 Jahren zu überwinden.

Drucksache 17/9354 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Kombirente spielt Alt gegen Jung aus – ein Spiel, das beide verlieren. Wäh-
rend der Kombiphase können ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre
Arbeitskraft günstiger anbieten und dennoch so viel Einkommen erzielen wie
vor der Rente. Sie hätten zunächst keine direkten Einkommenseinbußen. Nach
der Kombiphase müssen sie aber massive Rentenkürzungen in Kauf nehmen.
Wegen der Rente erst ab 67 sind es bis zu 14,4 Prozent. Die Kombirente ist letzt-
endlich das Eingeständnis, dass ein Arbeiten bis 67 und eine abschlagsfreie
Rente für Viele nicht erreichbar sind.

Ursprünglich wurde im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP ange-
kündigt, eine Kommission gegen Altersarmut einzusetzen. Diese sollte „der
Meinungsbildung der Bundesregierung“ dienen und „ein langfristiges Konzept
entwickeln, wie auch in Zukunft Altersarmut vermieden werden kann“ (Bundes-
tagsdrucksache 17/3796, S. 5). Die Fraktion DIE LINKE. hatte die Bundes-
regierung bereits frühzeitig aufgefordert, nicht allein über Armutsbekämpfung,
sondern vor allem auch über Armutsvermeidung zu sprechen (Bundestagsdruck-
sache 17/4422). Im April 2011 hätte die Kommission eingesetzt werden sollen,
um im September 2012 ihre Vorschläge vorzulegen. Aus der Ankündigung
wurde ein Abwarten und letztendlich eine Absage.

An die Stelle der Kommission trat der so genannte Regierungsdialog Rente.
Gleich zu Beginn des Dialogs präsentierte die Bundesministerin für Arbeit und
Soziales den am Rentendialog Beteiligten und der Öffentlichkeit, nicht aber dem
Parlament, ihre Vorschläge, an denen sich trotz des durchaus kritischen Diskus-
sionsprozesses im Wesentlichen kaum etwas geändert hat. So kritisiert die
Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) in einer Stellungnahme des Fach-
bereichs Sozialpolitik, dass der Regierungsdialog nicht nur „wenig Rente“, son-
dern auch „wenig Dialog“ umfasse (IG Metall Vorstand, FB Sozialpolitik,
26. März 2012). Auch andere Verbände bedauerten öffentlich, dass zwar von al-
len Beteiligten umfangreiche Vorschläge eingebracht worden seien, diese aber
bisher keine Rolle gespielt hätten (Sozialverband Volkssolidarität, Pressemittei-
lung vom 21. März 2012; Sozialverband SoVD, Pressemitteilung 22. März
2012; DGB, Sozialpolitik aktuell, 4/2012).

Die nun auf dem Tisch liegenden Vorschläge sind dementsprechend zur Armuts-
bekämpfung, geschweige denn zur Armutsvermeidung, schlicht ungeeignet. Sie
stellen lediglich ein neues Förderprogramm für die private Versicherungswirt-
schaft dar. Am Kern der Probleme – der grassierenden Niedriglohnbeschäfti-
gung, der mangelnden Absicherung von Langzeiterwerbslosigkeit und Erwerbs-
minderung, der ungenügenden Anerkennung von Erziehungs- und Pflegearbeit
sowie der sinkenden Rentenzahlbeträge aufgrund der Niveauabsenkung in der
gesetzlichen Rentenversicherung – gehen sie völlig vorbei.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele westdeutsche Männer und wie viele westdeutsche Frauen sind
2010 nach mindestens 40 Versicherungsjahren – davon mindestens 30
Pflichtbeitragsjahren aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung oder
selbständiger Tätigkeit, Wehr-, Zivil- und Freiwilligendienst oder Zeiten der
Kindererziehung und Pflege exklusive Zeiten des Bezugs von Arbeitslosen-
geld oder Arbeitslosenhilfe respektive Arbeitslosengeld II (ALG II) – mit 10,
11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, bis unter 25, bis unter 31, 31 und mehr
Entgeltpunkten in
a) eine Erwerbsminderungsrente und
b) eine Altersrente
gegangen, und wie hoch ist ihr jeweils prozentualer Anteil an allen Erwerbs-

minderungs- respektive Altersrentnerinnen und -rentnern in Westdeutschland?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9354

2. Wie viele ostdeutsche Männer und wie viele ostdeutsche Frauen sind 2010
nach mindestens 40 Versicherungsjahren – davon mindestens 30 Pflichtbei-
tragsjahren aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung oder selbstän-
diger Tätigkeit, Wehr-, Zivil- und Freiwilligendienst oder Zeiten der Kinder-
erziehung und Pflege exklusive Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld oder
Arbeitslosenhilfe respektive ALG II – mit 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18,
19, 20, bis unter 25, bis unter 31, 31 und mehr Entgeltpunkten in

a) eine Erwerbsminderungsrente und

b) eine Altersrente

gegangen, und wie hoch ist ihr jeweils prozentualer Anteil an allen Erwerbs-
minderungs- respektive Altersrentnerinnen und -rentnern in Ostdeutschland?

3. Wie viele Männer und wie viele Frauen sind 2010 – nach den einzelnen Bun-
desländern differenziert – nach mindestens 40 Versicherungsjahren – davon
mindestens 30 Pflichtbeitragsjahren aus sozialversicherungspflichtiger Be-
schäftigung oder selbständiger Tätigkeit, Wehr-, Zivil- und Freiwilligen-
dienst oder Zeiten der Kindererziehung und Pflege exklusive Zeiten des Be-
zugs von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe respektive ALG II – mit
10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, bis unter 25, bis unter 31, 31 und
mehr Entgeltpunkten in

a) eine Erwerbsminderungsrente und

b) eine Altersrente

gegangen, und wie hoch ist ihr jeweils prozentualer Anteil an allen Erwerbs-
minderungs- respektive Altersrentnerinnen und -rentnern des jeweiligen
Bundeslandes?

4. Wie hoch war die Arbeitslosenquote sowie die Unterbeschäftigtenquote ins-
gesamt und differenziert nach Geschlecht

a) in Deutschland insgesamt,

b) in den neuen Bundesländern,

c) in den alten Bundesländern und

d) in den jeweils einzelnen Bundesländern

1992 bis 2011?

5. Wie hoch war die Langzeitarbeitslosenquote insgesamt und differenziert
nach Geschlecht

a) in Deutschland insgesamt,

b) in den neuen Bundesländern,

c) in den alten Bundesländern und

d) in den jeweils einzelnen Bundesländern

1992 bis 2011?

6. Wie hat sich die kumulierte Arbeitslosigkeit in den individuellen Erwerbs-
biographien Ost- und Westdeutscher insgesamt sowie differenziert nach
einzelnen Bundesländern, Geschlecht und Bildungsstand seit der Wieder-
vereinigung entwickelt?

7. Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Aussage von
Johannes Geyer und Viktor Steiner (in: Zeitschrift für Arbeitsmarktfor-
schung, Vol. 43 (2), 169–190), dass die kumulierte Arbeitslosigkeit bis zum
Renteneintritt bei den ostdeutschen „Männern mit geringer oder mittlerer Bil-

dung […] von gut zwei auf über neun Jahre, bei den Frauen von ungefähr drei

Zugangsvoraussetzungen) vorgetragenen Kritik, dass gerade die besonders
dem Risiko der Altersarmut ausgesetzte Gruppe der Erwerbsminderungs-
rentnerinnen und -rentner von der Zuschussrente kaum profitieren wird,
weil für sie die Anspruchsvoraussetzungen in der Mehrheit unerreichbar
sind – auch vor dem Hintergrund, dass die schrittweise Ausweitung der
Zurechnungszeit die Zahlbeträge zunächst nur um wenige Euro anhebt?
Drucksache 17/9354 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

auf 13 Jahre“ (ebd., S. 180) steigen werde, die Regelung in der geplanten
Zuschussrente, dass Beitragszeiten aufgrund des Bezugs von Arbeitslosen-
geld, Arbeitslosenhilfe und zeitweise auch Arbeitslosengeld II explizit nicht
für die Erfüllung der 30, später dann der 35 Beitragsjahre gezählt werden
sollen, und was bedeutet dies speziell für langjährig versicherte Geringver-
dienende im Osten?

8. Werden Zeiten, in denen Erwerbslose in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen,
Strukturanpassungsmaßnahmen, Arbeitsgelegenheiten nach der Entgelt-
variante, Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung oder an-
deren Arbeitsfördermaßnahmen tätig waren, bei der Zuschussrente als Bei-
tragszeiten anerkannt, und wenn nein, mit welcher Begründung werden
diese Zeiten in einem Gesetz zur Anerkennung von Lebensleistung außen
vor gelassen?

9. Bis zu welcher Höhe könnte eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer
des Jahrganges 1964, die oder der 35 Jahre jeweils genau einen Entgelt-
punkt (nach heutigen Werten) erzielt hätte, aufgrund der Kombirente ohne
Anrechnung auf die Rentenzahlung hinzuverdienen, und wie hoch wären
ihre oder seine monatlichen Abschläge in Prozent und Euro, wenn sie oder
er mit 63, 64, 65 oder 66 vorgezogen in Rente ginge?

10. Wie hoch waren im Jahresdurchschnitt 2010 und 2011 sowie im jüngst
verfügbaren Monat des Jahres 2012 die Beschäftigtenzahlen und die Be-
schäftigungsquoten sowie die Erwerbstätigenzahlen und Erwerbstätigen-
quoten im gesamten Bundesgebiet, in den einzelnen Bundesländern und
jeweils differenziert nach Geschlecht, Voll- und Teilzeitbeschäftigung,
nach den Altersgruppen der 50- bis unter 55-Jährigen, 55- bis unter 60- Jäh-
rigen, 60- bis unter 65-Jährigen, 60-, 61-, 62-, 63- und 64-Jährigen?

11. Wie hoch waren im Jahresdurchschnitt 2010 und 2011 sowie im jüngst
verfügbaren Monat des Jahres 2012 die Arbeitslosenzahlen und -quoten im
gesamten Bundesgebiet, in den einzelnen Bundesländern und jeweils diffe-
renziert nach Geschlecht sowie den Altersgruppen der 50- bis unter 55-Jäh-
rigen, der 55- bis unter 60-Jährigen, der 60- bis unter 65-Jährigen der 60-,
61- , 62-, 63- und 64-Jährigen?

12. Um welchen monatlichen Betrag respektive Prozentsatz erhöhte sich eine
durchschnittliche, mit einem Abschlag von 10,8 Prozent versehene, volle
Erwerbsminderungsrente, wenn
a) die Zurechnungszeit auf das vollendete 62. Lebensjahr angehoben würde,
b) eine Günstigerprüfung der letzten vier Erwerbsjahre vor Eintritt der

Erwerbsminderung durchgeführt würde,
c) auf die maximalen Abschläge in Höhe von 10,8 Prozent vollständig

verzichtet würde oder
d) alle in den Teilfragen 12a bis 12c genannten Maßnahmen gelten und

gemeinsam wirkten?

13. Wie begegnet die Bundesregierung der unter anderem von Johannes Steffen
von der Arbeitnehmerkammer Bremen (Zuschussrente. Die zeitlichen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/9354

14. Welche Kritik haben die am Regierungsdialog Rente beteiligten Sozialver-
bände und Gewerkschaften an den Vorschlägen der Bundesministerin für
Arbeit und Soziales

a) zur Zuschussrente,

b) zur Kombirente,

c) zur Altersvorsorgepflicht für Selbständige,

d) zu den Anpassungen in der Erwerbsminderungsrente

geäußert?

15. Welche alternativen Vorschläge haben die am Regierungsdialog beteiligten
Sozialverbände und Gewerkschaften in den Regierungsdialog Rente einge-
bracht?

Berlin, den 17. April 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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