BT-Drucksache 17/8985

Finanzielle Forderungen der Deutschen Bahn AG an den "Zug der Erinnerung"

Vom 14. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8985
17. Wahlperiode 14. 03. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens,
Karin Binder, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Roland Claus, Dr. Lukrezia
Jochimsen, Katrin Kunert, Caren Lay, Sabine Leidig, Dr. Gesine Lötzsch,
Kornelia Möller, Jens Petermann, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke,
Sabine Stüber, Dr. Kirsten Tackmann, Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Finanzielle Forderungen der Deutschen Bahn AG an den „Zug der Erinnerung“

Der gemeinnützige Verein „Zug der Erinnerung e. V.“ unterhält seit Ende 2007
eine Ausstellung, die an die Deportation der jüdischen Bevölkerung Europas
durch die Deutsche Reichsbahn erinnert. Der Ausstellungswagen hat bereits an
vielen Bahnhöfen Station gemacht und erfreut sich eines hohen Publikumsinte-
resses. Die Resonanz ist auch im politischen Bereich sehr positiv; so hat der Aus-
schuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages in einer Beschluss-
empfehlung in der 16. Legislaturperiode (Bundestagsdrucksache 16/10565)
festgehalten, Projekte wie der „Zug der Erinnerung“ seien „für eine lebendige
und zukunftsorientierte Erinnerungskultur unverzichtbar.“

Weniger positiv ist allerdings die Reaktion der Deutschen Bahn AG (DB AG).
Der „Zug der Erinnerung“ klagt seit seiner Gründung, dass die DB AG durch
bürokratische Gängelei und finanzielle Forderungen das Erinnerungsprojekt be-
hindere. Vor allem die Berechnung von Trassen- und Stationskosten steht auch
in der öffentlichen Kritik. Seit seiner Gründung musste der Verein nach eigenen
Angaben mehrere Zehntausend Euro an die DB AG abführen. Der Verein führt
in einem Gutachten vom November 2009 an, die Summe, die die Deutsche
Reichsbahn durch die Deportationen verdient habe, betrage nach heutigem Wert
rund 445 Mio. Euro, mit Zinsen rund 2 Mrd. Euro. Laut einer Pressemitteilung
vom 19. Oktober 2011 sei von dieser Schuld „noch nicht einmal 0,1 Prozent“ be-
glichen. Die Bundesregierung hat darauf hingewiesen, der Bund könne, obwohl
Alleineigentümer der DB AG, ,keine zwingenden Vorgaben zum Umgang mit
dem „Zug der Erinnerung“ machen.‘ (Bundestagsdrucksache 16/8018). Gleich-
wohl hat der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung die Er-
wartung geäußert, die DB AG werde die vom „Zug der Erinnerung“ erhobenen
Gebühren „eins zu eins“ an den Verein zurückspenden (Antwort auf die Münd-
liche Frage 12 der Abgeordneten Sevim Dag˘delen vom 9. April 2008, Plenar-
protokoll 16/153, S. 16103 A).
Eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages
kommt allerdings zu dem Schluss, dass die Rechtsgrundlage, auf der die DB AG
die Gebühren berechnet, „zweifelhaft“ sei. Das zugrunde liegende Allgemeine
Eisenbahngesetz (AEG) diene dem Zweck, einen wirksamen und unverfälschten
Wettbewerb auf der Schiene beim Erbringen von Eisenbahnverkehrsleistungen
sicherzustellen. Der „Zug der Erinnerung“ sei aber kein Wettbewerber gegen-
über herkömmlichen gewerblichen Eisenbahnverkehrsunternehmen, so dass die

Drucksache 17/8985 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Anwendung des AEG zweifelhaft sei. Das Gleiche gilt für die Berechnung der
Stationsservicegebühren: Auch hier werde der „Zug der Erinnerung“ wie ein ge-
wöhnliches auf dem Markt konkurrierendes Eisenbahnverkehrsunternehmen
behandelt. Ausdrücklich bestätigt der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen
Bundestages, dass die DB AG durch Ausnahmeregelungen zumindest auf die
Stationsentgelte verzichten könnte.

Die DB AG weigert sich bislang, von der Verzichtmöglichkeit Gebrauch zu
machen. Zwar hat sie im Sommer 2009 einen Großteil der Einnahmen, die sie
vom „Zug der Erinnerung“ erhalten hatte, zurückgespendet (über die Stiftung
„Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“). Seither hat der „Zug der Erinne-
rung“ jedoch weitere 100 000 Euro Gebühren an die DB AG zahlen müssen,
ohne dass die DB AG zu weiteren Spenden/Rückerstattungen bereit ist: In einem
Schreiben an den „Zug der Erinnerung“ von September 2011, das den Fragestel-
lern vorliegt, erklärt sie, den Ausstellungszug nur noch „generell unterstützen“
zu wollen, „nicht aber finanziell“. Der „Zug der Erinnerung“ sieht sich derzeit
außerstande, weitere Fahrten zu unternehmen, so dass ein wichtiges gedenk-
politisches Instrument droht, stillgelegt zu werden.

Sollten Appelle an die DB AG nichts fruchten, ist eine Gesetzesänderung zu er-
wägen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hoch waren die Gebühren, die dem Ausstellungsprojekt „Zug der Erin-
nerung“ seit Januar 2008 berechnet worden sind (bitte nach Jahren darstellen
und jeweils Trassen-, Stations- und Nebenkosten angeben)?

2. Hat die DB AG in der Vergangenheit Spenden an den „Zug der Erinnerung“
getätigt, und wenn ja, in welcher Höhe?

Decken diese die vom „Zug der Erinnerung“ berechneten Gebühren (bitte so-
weit rechtlich möglich genaue Beträge angeben)?

a) Inwieweit und in welcher Höhe sind dem „Zug der Erinnerung“ seitens
der DB AG über Dritte Spenden zugeleitet worden?

b) Decken diese Spenden die bis heute vom „Zug der Erinnerung“ erhobenen
Gebühren?

c) Falls die Spenden die Gebühren nicht decken, ist die DB AG bereit, die
Differenz durch (ggf. weitere) Spenden auszugleichen, und wenn nein,
warum nicht, und wenn ja, unter welchen Bedingungen?

3. Sofern die von der DB AG geleisteten Spenden die erhobenen Gebühren
nicht ausgleichen, bleibt die Bundesregierung bei ihrer Position, dass diese
Gebühren von der DB AG eins zu eins an den „Zug der Erinnerung“ zurück-
gespendet werden sollten?

Wenn nein, warum nicht, und wenn ja,

a) was hat die Bundesregierung unternommen, um innerhalb der DB AG
diese Position zu vertreten,

b) inwiefern hat die Bundesregierung auf Aufsichtsratsversammlungen das
Thema zur Sprache gebracht,

c) wie haben die Verantwortlichen der DB AG darauf reagiert,

d) welche weiteren Schritte will die Bundesregierung unternehmen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8985

4. Welche Zahlungen will die Bundesregierung als Nachfolgerin des Eigen-
tümers der Deutschen Reichsbahn an die Opfer der NS-Deportationen vor-
nehmen, angesichts der Tatsache, dass die Deutsche Reichsbahn Deporta-
tionseinnahmen in Höhe von umgerechnet 445 Mio. bzw. mit Zinsen rund
2 Mrd. Euro erzielt hat (bitte begründen)?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Berechnung von Gebühren an den
„Zug der Erinnerung“ vor dem Hintergrund der genannten Ausarbeitung
des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, der die
Rechtsgrundlage für „zweifelhaft“ erklärt?

6. Inwiefern ist das Gutachten innerhalb der DB AG erörtert worden, und zu
welchen Konsequenzen hat es geführt?

7. Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung als Alleineigentümerin
der DB AG, um diese dazu zu bewegen, von ihrer Möglichkeit auf aus-
nahmsweisen Verzicht auf die Berechnung von Stations- und Anschlussge-
bühren Gebrauch zu machen, und wie stellt sich die DB AG hierzu?

8. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung von Gerichtsverfahren in den
USA, in denen NS-Opfer bzw. ihre Verbände von der DB AG Entschädi-
gungen fordern?

a) Wie haben sich die Prozesse oder Prozessvorbereitungen bis heute ent-
wickelt?

b) Wie ist der gegenwärtige Prozessstand?

c) Inwiefern ist die Bundesregierung beteiligt?

d) Welche Position nimmt die Bundesregierung zu den (angekündigten)
Klagen ein, insbesondere zum Anliegen, dass die Deportationsgewinne
der Deutschen Reichsbahn an NS-Opferverbände abgeführt werden
sollen?

e) Inwiefern thematisiert die Bundesregierung diese Klagen in den Gre-
mien der DB AG?

f) Welche Position vertritt die DB AG?

9. Auf welche Weise hat die Bundesregierung den „Zug der Erinnerung“ seit
2008 unterstützt?

10. Wie bewertet die Bundesregierung die Möglichkeit, durch eine gesetzliche
Klarstellung (etwa des § 14 Absatz 4 und 5 AEG und der Eisenbahninfra-
struktur-Benutzungsverordnung) Initiativen wie den „Zug der Erinnerung“
generell von der Pflicht zur Zahlung von Trassen- und Stationspreisen zu
befreien, und inwiefern beabsichtigt sie selbst, entsprechende Schritte ein-
zuleiten?

Berlin, den 13. März 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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