BT-Drucksache 17/891

Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern wirksam durchsetzen

Vom 2. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/891
17. Wahlperiode 02. 03. 2010

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Möhring, Dr. Barbara Höll, Klaus Ernst, Jan Korte,
Matthias W. Birkwald, Eva Bulling-Schröter, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus,
Diana Golze, Ulla Jelpke, Katja Kipping, Harald Koch, Jutta Krellmann, Ralph
Lenkert, Ulla Lötzer, Dorothee Menzner, Jens Petermann, Richard Pitterle,
Yvonne Ploetz, Michael Schlecht, Dr. Herbert Schui, Raju Sharma, Sabine Stüber,
Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Axel Troost, Sahra Wagenknecht, Halina Wawzyniak,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern wirksam durchsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Bundesrepublik Deutschland kommt dem Gleichstellungsauftrag des
Grundgesetzes (Artikel 3, Absatz 2) sowie ihren europäischen und inter-
nationalen Verpflichtungen zur Gleichstellung von Frauen und Männern hin-
sichtlich der gleichen Entlohnung für gleiche und vergleichbare Tätigkeiten
nicht in ausreichendem Umfang nach. Trotz verschiedenster Versuche von
Bundesregierungen, durch freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft,
durch Appelle, Aktionstage oder Förderprogramme das Lohngefälle zwi-
schen Männern und Frauen zu verringern, bewegt sich diese Differenz seit
Jahren konstant bei über 20 Prozent.

Auch der am 29. Oktober 2008 von der Bundesregierung beschlossene Fort-
schrittsbericht 2008 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, in dem das Ziel
festgeschrieben war, bis 2010 den Verdienstabstand zwischen Frauen und
Männern auf 15 Prozent und bis 2015 auf 10 Prozent zu reduzieren, zeigt
keinerlei Ergebnisse. Der Bruttostundenverdienst von Frauen liegt nach wie
vor – je nach Berechnungsbasis – zwischen 22 und 24 Prozent unter dem der
Männer. Bei Vollzeitbeschäftigten ist diese Differenz mit 27 Prozent sogar
noch größer, da die Entgeltdiskriminierung mit steigendem Gehalt noch zu-
nimmt.

2. Der von den Bundesregierungen im vergangenen Jahrzehnt massiv aus-
gebaute und geförderte Niedriglohnsektor hat die Entgeltungleichheit zwi-
schen den Geschlechtern verstärkt, da in ihm überproportional viele Frauen
beschäftigt sind. Jüngste Beispiele wie z. B. Schlecker zeigen, dass die im
Niedriglohnsektor gezahlten Dumpinglöhne durch radikale Lohnsenkungen

sogar noch weiter abgesenkt werden sollen. Das wiederum würde die be-
stehende Entgeltungleichheit weiter verschärfen.

Eine wirksame Strategie zur Bekämpfung der Entgeltungleichheit zwischen
Frauen und Männern muss daher die Einführung eines flächendeckenden
gesetzlichen Mindestlohns beinhalten.

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3. Die im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP enthaltene Auf-
gabenstellung, „das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ für Frauen
und Männer umsetzen zu wollen, bleibt inhaltlich vollständig hinter den
Anregungen der Europäischen Kommission vom 18. Juli 2007 zurück, zur
Bekämpfung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles auch gleichwertige
Arbeit gleich zu bezahlen.

4. Die Herstellung gerechter Entlohnungssysteme ist auch eine Aufgabe der
Tarifpartner. Die Tarifvertragsverhandlungen der vergangenen Jahrzehnte
haben am Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern nichts
geändert. Deshalb ist nun der Gesetzgeber gefragt, die Tarifpartner künftig
unter Beachtung der Tarifautonomie auf konkrete Maßnahmen zur Her-
stellung geschlechtergerechter Entgeltsysteme zu verpflichten.

5. Die bisherige Regelung einer ausschließlich individuellen Möglichkeit zur
Durchsetzung von Klagen gegen diskriminierende Entgeltsysteme oder Be-
wertungsverfahren hat sich in der Praxis nicht bewährt. Es sind deshalb ge-
setzgeberische Maßnahmen erforderlich, diesen individuellen Klageweg
durch andere geeignete Klagemöglichkeiten zu ergänzen.

6. Es ist dringend erforderlich, noch in diesem Jahr, dem Europäischen Jahr zur
Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, verpflichtende Maß-
nahmen zur Beseitigung der Entgeltungleichheit zwischen Frauen und
Männern festzulegen. Zu Umfang und Ursachen der ungleichen Entlohnung
von Frauen und Männern existieren bereits eine Vielzahl von Analysen, die
konkrete Handlungsempfehlungen enthalten. Die Bundesregierung ist jetzt
aufgefordert, dem Parlament einen konkreten Zeitplan für deren politische
Umsetzung vorzulegen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um die Entgeltgleichheit von Frauen und
Männern durchzusetzen. Dieser Maßnahmenkatalog soll folgende Schritte ent-
halten:

1. Die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns, der
noch in dieser Wahlperiode auf 10 Euro pro Stunde angehoben wird.

2. Die Einstellung der Subventionen für Mini- und Midijobs und entsprechende
Änderungen im Vierten Buch Sozialgesetzbuch (§§ 8, 8a, 20 Absatz 2
SGB IV).

3. Die Sicherstellung der Rahmenbedingungen für eine mögliche Vollzeit-
erwerbstätigkeit von Frauen. Dazu gehören u. a. der Rechtsanspruch jedes
Kindes auf eine hochwertige, flächendeckende und elternbeitragsfreie ganz-
tägige Betreuung, ein individueller, nicht übertragbarer Elterngeldanspruch
von 12 Monaten (Alleinerziehende 24 Monate) sowie die Abschaffung des
Ehegattensplittings zugunsten einer individuellen Besteuerung, unabhängig
vom Familienstand.

4. Die Erarbeitung eines Gesetzes, das die Tarifvertragsparteien verpflichtet,
diskriminierende Entgeltsysteme abzubauen und dafür zeitliche und inhalt-
liche Vorgaben zur konkreten Umsetzung zu machen. Dieses sollte folgende
Eckpunkte beinhalten:

a) die Verpflichtung der Tarifpartner zur diskriminierungsfreien Arbeits-
bewertung,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/891

b) die Überprüfung bestehender Entgeltsysteme durch die Tarifpartner an-
hand folgender Verfahrensregelungen:

In einem kollektiven Verhandlungsverfahren wird ein zeitlich abgestufter
Entgeltgleichheitsplan erstellt, der auf die zügige völlige Gleichstellung
der Geschlechter innerhalb der Tarifstruktur zielt.

Für den Fall, dass sich die Tarifparteien nicht auf ein Verfahren einigen
können, erfolgt die Einsetzung einer Entgeltgleichheitskommission durch
das Arbeitsgericht, der beide Tarifparteien als Beisitzer angehören.

5. Die Verankerung des Entgeltgleichheitsgrundsatzes im Tarifvertragsgesetz
(TVG) und der Ausbau des Verbandsklagerechtes des § 9 TVG, so dass im
Ergebnis analog zu § 97 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) unabhängig
von einem vorliegenden Rechtsstreit ein Beschlussverfahren zur Prüfung der
Gültigkeit einer tarifvertraglichen Entgeltregelung bzw. eines Kriteriums zu-
lässig würde.

6. Die Erweiterung der kollektiven Mitbestimmungsrechte von Betriebs- und
Personalräten in Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und Bundespersonal-
vertretungsgesetz (BPersVG) bei Fragen mittelbarer und unmittelbarer Ent-
geltdiskriminierung. Dazu sind u. a. in § 80 Absatz 1 Nummer 2a und in
§ 87 Absatz 1 Nummer 10 BetrVG sowie in § 68 Absatz 1 Nummer 5a und
in § 75 BPersVG Mitbestimmungsrechte zur Durchsetzung der tatsächlichen
Gleichstellung von Frauen und Männern bei der Entlohnung explizit auf-
zunehmen.

7. Die Erarbeitung eines Gleichstellungsgesetzes für die Privatwirtschaft,
welches Betriebe so lange zu gleichstellungspolitischen Maßnahmen und
Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ver-
pflichtet, bis das Ziel der gleichen Entlohnung von Frauen und Männern für
gleiche und vergleichbare Arbeit erreicht ist.

8. Die Anpassung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) an
europarechtliche Mindestvorgaben. Zur Förderung der Entgeltgleichheit ge-
hört dabei insbesondere:

a) Den Grundsatz der Entgeltgleichheit explizit ins AGG aufzunehmen und
unter Bezug auf Artikel 141 des EG-Vertrages (EGV) zu präzisieren (§ 8
Absatz 2 AGG). Das Benachteiligungsverbot muss dabei sämtliche Ent-
geltbestandteile und -bedingungen umfassen und klarstellen, dass Sys-
teme beruflicher Einstufung zur Festlegung des Entgelts geschlechter-
gerecht ausgestaltet sein müssen.

b) Die Sanktionen neu zu regeln und das Verschuldenserfordernis in § 15
Absatz 1 und 3 AGG zugunsten eines verschuldensunabhängigen Scha-
denersatz- und Entschädigungsanspruchs zu streichen.

9. Die Verbesserung der individuellen und kollektiven Klagemöglichkeiten bei
direkter und indirekter Lohndiskriminierung. Dazu ist es erforderlich,

a) ein echtes Verbandsklagerecht einzuführen, das Verbände berechtigt,
sowohl im Namen und mit Einverständnis der Betroffenen zu klagen
(Prozessstandschaft) als auch ohne individuell klagewillige Betroffene
Klage zu erheben, weil eine tarifvertragliche Regelung diskriminiert;

b) den Untersuchungsgrundsatz in arbeitsrechtlichen Prozessen mit AGG-
Bezug zu erweitern, um das Gericht zu verpflichten, sowohl im Be-
schlussverfahren als auch im Urteilsverfahren mittelbare Diskriminie-
rungstatbestände – z. B. die diskriminierende Wirkung ganzer Arbeits-
bewertungssysteme oder die Gleichwertigkeit konkreter Tätigkeiten –

von Amts wegen zu überprüfen bzw. Arbeitsbewertungsgutachten der
Beschlussfassung zugrunde zu legen;

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c) die Rechtsfolgen benachteiligender tarifvertraglicher Regelungen (§ 7
Absatz 2 AGG) dahingehend zu konkretisieren, dass neben der „Unwirk-
samkeit“ der diskriminierenden Vereinbarung (z. B. in einem Tarif-
vertrag) klargestellt wird, dass der Grundsatz der Meistbegünstigung für
alle Diskriminierungsmerkmale in § 1 AGG gilt;

d) die Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit Klagerecht auszustatten
und sie als unabhängige, institutionell geförderte Stelle außerhalb des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)
umzustrukturieren.

Berlin, den 2. März 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Zum Einkommensabstand zwischen Frauen und Männern tragen eine Vielzahl
von Faktoren bei. Auch wenn es immer noch Formen unmittelbarer Lohn-
diskriminierung gibt, sind gegenwärtig Formen mittelbarer Diskriminierung
von größter Bedeutung. Dazu gehören tarifliche oder betriebliche Systeme der
Entgeltfestlegung, die geschlechtsneutral formuliert sind und auf den ersten
Blick nur schwer als diskriminierend identifiziert werden können. Ein Beispiel
sind Kriterien innerhalb von Arbeits- und Leistungsbewertungssystemen zu
Ungunsten von Frauen, denen gesellschaftliche, hierarchische Bewertungen
von Tätigkeiten zugrunde liegen, die traditionell als „weiblich“ und „männlich“
gelten.

So arbeiten in Berufen mit hohen Bruttojahresverdiensten deutlich mehr Män-
ner, in schlecht bezahlten Berufen überwiegend Frauen. Der Anteil der Frauen
im Niedriglohnsektor liegt in Deutschland bei 70 Prozent. Nach Angaben des
Statistischen Bundesamtes vom 28. August 2008 variierte 2006 der Verdienst-
abstand zwischen den Geschlechtern innerhalb der unterschiedlichen Branchen
zwar stark, es gab jedoch keinen Wirtschaftszweig, in dem Frauen mehr ver-
dienten als Männer.

Ein weiterer Grund für die Entgeltdifferenz zwischen den Geschlechtern liegt
in der hohen und überwiegend unfreiwilligen Teilzeitbeschäftigungsrate von
Müttern. Die Schaffung von Rahmenbedingungen für die bessere Vereinbarkeit
von Beruf und Familie für beide Geschlechter und die Abschaffung steuerlicher
Anreize für die konservative Hausfrauenrolle von Frauen (Ehegattensplitting)
sind daher ebenfalls wichtige Voraussetzungen für die Bekämpfung der Entgelt-
ungleichheit.

Ohne ein Eingreifen des Gesetzgebers wird Entgeltgleichheit in absehbarer Zeit
nicht erreicht werden. Die EU-Kommission regt daher eine Verschärfung ge-
setzlicher Bestimmungen an, „die darauf abzielen, diskriminatorische ge-
schlechtsbezogene Elemente im Entgeltsystem zu beseitigen“, um das Prinzip
des gleichen Entgelts für eine gleichwertige Arbeit zu sichern (EU-Kommis-
sion, 18. Juli 2007, Mitteilung zur Bekämpfung des geschlechtsspezifischen
Lohngefälles, KOM (2007) 424 endgültig).

Obwohl die Bundesregierung sich das Ziel gesetzt hat, „die Lohnlücke bis zum
Jahr 2020 auf 10 Prozent zu reduzieren“, hat sie bislang keine konkreten
Schritte dazu unternommen. Die angestrebte Wiedereingliederung von Frauen

nach einer familienbedingten Unterbrechung der Erwerbsbiographie ist ein
wichtiger Baustein, aber allein völlig unzureichend, um die Lohnunterschiede

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erfolgreich zu minimieren. Die vom BMFSFJ ebenfalls angekündigte stufen-
weise Einführung des LOGIB-D-Verfahrens in ausgewählten Unternehmen
versetzt diese Betriebe zwar in die Lage, die Lohndifferenz zwischen ihren
weiblichen und männlichen Beschäftigten nachzuweisen, ist aber als politi-
sches Instrument zur Beseitigung der Entgeltungleichheit völlig ungeeignet.

Die Bundesregierung hat 2009 die bislang verfolgten ersten Ansätze der
branchenbezogenen Einführung von Mindestlöhnen gestoppt. Die Lohnsitua-
tion von Frauen bleibt damit in weiten Bereichen weiterhin prekär oder wird,
wie der Fall Schlecker zeigt, sogar noch verschlechtert. Denn die Erfahrungen
anderer europäischer Staaten zeigen den unmittelbaren Zusammenhang zwi-
schen der Einführung von Mindestlöhnen und der Verringerung der Lohndiffe-
renz zwischen Männern und Frauen. So ist in Großbritannien nach Einführung
eines Mindestlohnes im Jahre 1999 der Einkommensunterschied innerhalb von
sechs Jahren um vier Prozentpunkte gesunken.

Vor diesem Hintergrund ist die Einführung eines flächendeckenden gesetz-
lichen Mindestlohnes nicht nur ein Erfordernis allgemeiner sozialer Gerechtig-
keit, sondern auch ein wichtiges gleichstellungspolitisches Signal.

Der Gesetzgeber muss darüber hinaus nicht nur die Rahmenbedingungen für
eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben sicherstellen und
die individuellen wie kollektiven Klagemöglichkeiten verbessern, sondern auch
die Tarifpartner bei Beachtung der Tariffreiheit zur diskriminierungsfreien Ent-
geltbewertung in Tarifverträgen verpflichten.

Die Tarifvertragsparteien sind schon heute EU-rechtlich, verfassungsrechtlich
und einfachgesetzlich (insbesondere § 2 Absatz 1 Nummer 2, § 7 Absatz 1
AGG) verpflichtet, ihre Tarifverträge diskriminierungsfrei zu gestalten. Diskri-
minierende Bestimmungen in Tarifverträgen sind nach § 7 Absatz 2 AGG un-
wirksam. Den arbeitsrechtlichen Koalitionen steht zwar die Tarifautonomie des
Artikels 9 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) zur Seite. Diese entbindet sie aber
nicht von den Diskriminierungsverboten bzw. von der Verpflichtung, Entgelt-
systemen diskriminierungsfreie Arbeitsbewertungssysteme zugrunde zu legen.

Der Gesetzgeber kann sich nicht mit dem Verweis auf die Tarifautonomie seiner
eigenen Verpflichtung zum Schutz von Frauen vor Diskriminierung nach
Gemeinschaftsrecht und dem Grundgesetz entziehen. Er ist nach Artikel 3
Absatz 2 Satz 2 GG sogar verfassungsrechtlich explizit verpflichtet, bestehende
Benachteiligungen von Frauen zu beseitigen. Seiner Schutzpflicht kann der
Staat – ohne Artikel 9 Absatz 3 GG zu tangieren – durch eine verfahrensmäßige
Absicherung des Verbotes, wegen des Geschlechts zu diskriminieren, nach-
kommen.

Neben der Konkretisierung bestehender Rechtsvorschriften bedarf es eines
gesonderten Gesetzes zur Durchsetzung der Entgeltgleichheit in Kollektiv-
verträgen. Dies soll als Leitfaden für die Privatwirtschaft und den öffentlichen
Dienst zur Durchsetzung des Grundsatzes des gleichen Entgelts bei gleicher
und gleichwertiger Arbeit gelten. Schließlich müssen starke und unabhängige
Institutionen mit eigenen Beratungs- und Untersuchungskompetenzen den
Tarifvertragspartnern zur Seite gestellt werden.

Entgeltgleichheit in Tarifverträgen kann in Deutschland zurzeit auf zwei Wegen
durchgesetzt werden – durch Klagen der Betroffenen und durch Tarifpolitik.
Individualklagen einzelner diskriminierter Personen sind nicht imstande, den
Grundsatz der Entgeltgleichheit flächendeckend durchzusetzen. Es bestehen
hohe Zugangsbarrieren und Risiken bei der Rechtsmobilisierung. Die Recht-
sprechung kann durch „bessere“ Entscheidungen die diskriminierende Wirk-
lichkeit der kollektiven Entgeltsysteme nicht entscheidend ändern, denn ihre
Entscheidungen gelten nicht für die gesamten Systeme. Die individuelle

Rechtsdurchsetzung führt auch zu Rechtsunsicherheit nicht nur auf Seiten der
Verbände, sondern auch auf Seiten der Arbeitgeber.

Drucksache 17/891 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Daher bedarf es neben einer schnellen Anpassung des AGG an europarecht-
liche Mindestvorgaben der Einführung eines Verbandsklagerechts sowie einer
institutionellen Unterstützung der betroffenen Einzelpersonen im Vorfeld von
Klagen durch eine unabhängige und mit eigenem Klagerecht ausgestattete
Antidiskriminierungsstelle des Bundes ebenso wie erweiterter Untersuchungs-
pflichten der Gerichte bei Verdacht auf mittelbare Diskriminierungstatbestände,
die auf strukturellen und systemischen Ursachen beruhen.

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