BT-Drucksache 17/8793

Alleinerziehung von Kindern würdigen - Alleinerziehende gebührend unterstützen

Vom 29. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8793
17. Wahlperiode 29. 02. 2012

Antrag
der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald,
Dr. Martina Bunge, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Yvonne Ploetz,
Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kersten Steinke,
Alexander Süßmair, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Katrin Werner, Sabine
Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Alleinerziehung von Kindern würdigen – Alleinerziehende gebührend
unterstützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Alleinerziehung von Kindern hat in den vergangenen Jahrzehnten zuse-
hends an Bedeutung gewonnen und ist für viele Kinder und ihre sorgenden
Eltern zu einer selbstverständlichen Realität geworden. Dieser Trend hält un-
unterbrochen an. Mittlerweile ist jede fünfte Familie mit mindestens einem
Kind unter 18 Jahren eine Alleinerziehendenfamilie. Das sind insgesamt über
1,6 Millionen Familien. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, für diese weit
verbreitete gesellschaftliche Realität von Alleinerziehung und Einelternfami-
lien im Rahmen einer modernen und zukunftsweisenden Familienpolitik Rah-
menbedingungen zu schaffen. Diese Rahmenbedingungen müssen die Vielfalt
in der Gesellschaft beachten und den Kindern ein geschütztes Aufwachsen frei
von Armut und Diskriminierung sichern und den sorgenden Eltern die nötige
Unterstützung und Anerkennung zukommen lassen. Sowohl Kinder als auch
Eltern brauchen genügend Zeit, ihre Familie zu leben.

Die Gründe für Alleinerziehung sind vielfältig. Bestenfalls entscheiden sich
Eltern in Übereinstimmung und ohne äußeren Zwang für die Alleinerziehung.
Schlimmstenfalls zwingen gewaltvolle Zustände in Familien Frauen unfreiwil-
lig zur Alleinerziehung sowie Schutz für sich und ihre Kinder zu suchen. Teils
kommt ihnen in dieser schwierigen Phase über Frauenhäuser die benötigte
Unterstützung zu. Genauso vielfältig wie die Gründe für Alleinerziehung zwi-
schen diesen Extrempolen sein können, genauso vielfältig muss eine moderne
Gesellschaft durch eine zukunftsweisende Familienpolitik diesen Lebensrealitä-
ten mit Unterstützung und Förderung Rechnung tragen.

Vor diesem Hintergrund muss aber auch festgestellt werden, dass zu über
90 Prozent die Mütter die Verantwortung der Alleinerziehung auf sich genom-

men haben. Lediglich 10 Prozent der Alleinerziehenden sind Väter, welche
überwiegend Verantwortung für bereits ältere Kinder tragen. Die Konsequen-
zen davon für die Betroffenen sind vielfältig. Insbesondere alleinerziehende
Mütter sind massiv von Armut bedroht. Sie sind überdurchschnittlich häufig
auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Hartz IV) angewie-
sen wegen Erwerbslosigkeit, zu niedriger Erwerbsbeteiligung oder der generell
schlechteren Bezahlung in den sogenannten typischen Frauenberufen (Gender

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Pay Gap). Die geschlechterspezifische Segregation des Arbeitsmarktes führt
dazu, dass es eine weibliche Konzentration in niedrig bezahlten Berufen, ver-
mehrte Teilzeitarbeit und selten einen Aufstieg in Führungspositionen gibt.
Gleichzeitig sind die Bereiche, in denen Frauen tätig sind, gesellschaftlich oft
geringer angesehen und vergütet. Daher liegt der durchschnittliche Bruttostun-
denlohn von Frauen in Deutschland 23 Prozent unter dem der Männer. Geför-
dert wird diese Schere durch die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Be-
ruf und die oftmals prekären Beschäftigungsverhältnisse, in die viele alleiner-
ziehende Frauen abgedrängt werden.

So ist das Armutsrisiko von Alleinerziehenden und ihren Kindern mit über
40 Prozent (Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 7/2010, S. 7 f.) um ein Viel-
faches höher, als das Armutsrisiko in Paar-Eltern-Familien. Armut und Dis-
kriminierung von Alleinerziehenden sowie eine daraus resultierende struktu-
relle Benachteiligung von Kindern in Einelternfamilien sind eine Folge dieser
Konstellation.

Dies zu verhindern ist eine der zentralen Aufgaben einer modernen und zu-
kunftsweisenden Familienpolitik. Hier hat die Bundesregierung kläglich ver-
sagt. So gibt es immer noch keinen gesetzlichen Mindestlohn, der wirkungsvoll
vor Armut schützt. Die Programme der Bundesregierung, die Alleinerziehen-
den den Weg ins Berufsleben weisen sollen, stellen mehrheitlich keine wir-
kungsvolle Unterstützung dar. In den Jobcentern herrscht vielmals weiterhin
der repressive Gedanke des Forderns vor. So werden zum Beispiel Alleinerzie-
hende immer wieder gezwungen, sich auf Arbeitsplätze zu bewerben, die
außerhalb der Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen liegen und
den familiären Zeittakt außer Acht lassen. Stattdessen ist eine wirksame Förde-
rung zu favorisieren, die die Sondersituation alleinerziehender Eltern indivi-
duell berücksichtigt und den familiären Zeittakt beachtet.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss weiter gestärkt werden. Hier ist
die Bundesregierung ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden, in dem sie
ihr Engagement auf eine moderierende Rolle reduziert hat. Das hat zwar eine
mediale Aufmerksamkeit des Themas zur Folge aber keine positiven Auswir-
kungen auf den Alltag vieler Alleinerziehenden. Atypische und familienun-
freundliche Beschäftigungszeiten wie Wochenendarbeit oder Arbeit in Spät-
und Frühschichten haben in den vergangenen Jahren insbesondere im Dienst-
leistungssektor massiv zugenommen. Die Arbeitszeiten sind oftmals nicht in
Einklang zu bringen mit den Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtun-
gen und den zeitlichen Bedürfnissen von Familien. Einen besonderen Schutz,
den Beschäftigte benötigen, um die Verantwortung in Familien übernehmen zu
können, will die Bundesregierung den Betroffenen nicht zubilligen. Die Folge
ist eine massive Ausgrenzung von Alleinerziehenden auf dem Arbeitsmarkt so-
wie ein Abdrängen in den Niedriglohnbereich, in Minijobs und andere prekäre
Beschäftigungsverhältnisse, wodurch die Familien nicht finanziell abgesichert
werden. Die Politik muss die Verantwortung übernehmen, damit familien-
freundliche und existenzsichernde Arbeitsbedingungen flächendeckend und
branchenübergreifend Realität werden.

Die Transferleistungen sind völlig unzureichend. Der Kinderzuschlag als ein
Instrument zur Vermeidung von Hartz IV wird kaum nachgefragt und hat als
Instrument zur Armutsvermeidung versagt. Die Hartz-IV-Regelsätze für Kinder
sind trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes von Anfang 2010 immer
noch nicht bedarfsorientiert und armutsfest berechnet. Das Konstrukt der Be-
darfsgemeinschaft erschwert Alleinerziehenden den Aufbau einer neuen part-
nerschaftlichen Beziehung. Dort wo die Bundesregierung Verbesserungen an-
gekündigt hat, wie zum Beispiel beim Unterhaltsvorschuss, blieben sie bislang

aus. Unterhaltsvorschuss wird nach wie vor nur bis zu 72 Monate beziehungs-

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weise bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres ausgezahlt, was unzurei-
chend ist.

Auch auf der Ebene einer unterstützenden Infrastruktur sind die Defizite
unübersehbar. Der Ausbau der Kinderbetreuung stockt und die Umsetzung ei-
nes Rechtsanspruches für Kinder unter drei Jahren zum 1. August 2013 wird
nicht realisierbar sein. Zahlreiche öffentliche Jugendeinrichtungen aber auch
öffentliche Bibliotheken, Kultureinrichtungen, Musikschulen und Einrichtun-
gen zur Hausaufgabenhilfe sind in den vergangenen Jahren der Finanznot in
den Kommunen zum Opfer gefallen. Darunter leiden auch die Angebote der
örtlichen Kinder- und Jugendhilfe, auf die Alleinerziehende überdurchschnitt-
lich häufig angewiesen sind. Ganztagsschulen, die Kindern eine Förderung und
Betreuung anbieten, sind vielerorts Mangelware. Alleinerziehende und ihre
Familien sind aber mehr noch als andere Familien auf diese Infrastruktur ange-
wiesen. Hier ist ein Umsteuern einzuleiten.

Auf besondere Beachtung und Förderung sind darüber hinaus Alleinerziehende
mit Behinderung angewiesen. Sie sind von einer weiteren strukturellen Diskri-
minierung betroffen und leiden noch häufiger unter Armut und Arbeitslosigkeit.
Die UN-Behindertenrechtskonvention muss endlich so umgesetzt werden, damit
auch Eltern mit Behinderung ihre Rechte auf Elternschaft umfassend wahr-
nehmen können.

Alleinerziehendenfamilien sind viel stärker als Paar-Eltern-Familien auf gesell-
schaftliche Unterstützung angewiesen, weshalb hier diese strukturellen und
infrastrukturellen Defizite besonders hervorstechen. Alleinerziehende haben
oftmals nicht die Möglichkeit, ihre vielfältige Verantwortung für ihre Kinder zu
teilen, sei es in Erziehungsaufgaben, finanziellen Fragen, Haushaltsführung
oder Unterstützung ihrer Kinder. Mit ihrer Mehrbelastung werden sie ebenso
alleine gelassen, wie mit den negativen Folgen für ihre Gesundheit und ihre
soziale Lage.

Eine Politik für Alleinerziehende ist als Bestandteil einer modernen Familien-
politik zu begreifen, die durch eine Vielfalt an Lebensentwürfen ebenso geprägt
ist wie durch ein breites Angebot an Infrastruktur und Unterstützung, um pass-
genau und flächendeckend auf dem Land und in den Städten auf die Bedürfnis-
lagen von Alleinerziehenden und ihren Kindern einzugehen. Dabei ist sicherzu-
stellen, dass allen Kindern und Jugendlichen ein Aufwachsen frei von Armut
und Ausgrenzung möglich ist und den sorgenden Eltern eine eigenständige
Perspektive offen steht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

konkrete Maßnahmen, insbesondere gesetzgeberische Initiativen einzuleiten
mit dem Ziel,

1. die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unter den besonderen familiären
Bedürfnissen von Alleinerziehenden zu verbessern.

a) Dazu bedarf es einer Flexibilisierung der Arbeitszeit, die sich an dem
Zeittakt familiärer Erfordernisse orientiert. Atypische Arbeitszeiten, wie
an Wochenenden sowie in Spät- und Frühschichten, sind zurückzudrän-
gen. Das individuelle Recht auf Teilzeitarbeit muss uneingeschränkt gel-
ten sowie ein Rückkehrrecht auf Vollzeit gesetzlich verankert werden.
Die Arbeitszeit ist insgesamt so zu gestalten, dass alleinerziehende Müt-
ter und Väter ihre Erwerbstätigkeit mit ihren familiären Aufgaben verbin-
den können. Um diesem Ziel im Rahmen einer kürzeren Vollzeit für alle
näher zu kommen, ist die Umverteilung der vorhandenen Arbeit über den
Weg der kollektiven Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich

notwendig.

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b) Es muss umgehend ein gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von künftig min-
destens 10 Euro pro Stunde eingeführt werden, um den Niedriglohnsektor,
in dem mehrheitlich Frauen beschäftigt sind, wirkungsvoll einzudämmen.
In diesem Zusammenhang sind die Möglichkeiten zu erleichtern, Bran-
chentarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. Die bestehende
Lohnlücke (Gender Pay Gap) muss abgebaut werden. Prekäre Beschäf-
tigungsformen wie Leiharbeit und befristete Beschäftigungen sind zurück-
zudrängen. Arbeitsmarktinstrumente, die Lohndumping befördern, sind
abzuschaffen. Minijobs sind mit sozialversicherungspflichtiger Arbeit
gleichzustellen.

c) Zum Schutz von Alleinerziehenden ist der Kündigungsschutz bis zur
Vollendung des siebten Lebensjahres des Kindes auszuweiten;

2. die berufliche Qualifikation sowie die Integration von Alleinerziehenden in
den Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der jeweiligen familiären Rah-
menbedingungen zu verbessern.

a) Gute Ausbildung als eine wesentliche Grundlage für gute Arbeit ist so zu
gestalten, dass Alleinerziehende sie erfolgreich absolvieren können.
Flexible Teilzeitausbildungen, ob in einer betrieblichen oder außer-
betrieblichen Ausbildung sowie im Studium an Hochschulen, sind als
Alternativen zu Vollzeitausbildungen flächendeckend unter dem Fokus
der Vereinbarkeit von Ausbildung und Familienverantwortung einzuführen
und weiterzuentwickeln. Ein Rechtsanspruch auf Teilzeitausbildung ist ein-
zuführen. Die Berufsausbildungsbeihilfe nach dem Dritten Buch Sozial-
gesetzbuch (SGB III) und dem Bundesausbildungsförderungsgesetz sind
entsprechend weiterzuentwickeln.

b) Um Alleinerziehenden mehr Unterstützung bei der Rückkehr in das
Berufsleben nach einer familienbedingten Auszeit zukommen zu lassen
und besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist ein genereller Rechts-
anspruch auf Qualifizierung und berufliche Weiterbildung einzuführen.
Beratungsangebote und Fördermechanismen, die der speziellen Situa-
tion von Alleinerziehenden Rechnung tragen, sind flächendeckend und
barrierefrei einzurichten;

3. die soziale Infrastruktur für Familien, Kinder und Jugendliche, auf die
Alleinerziehende besonders angewiesen sind, ist auszubauen und Kürzun-
gen sind zurückzunehmen. Das setzt auch eine bessere finanzielle Ausstat-
tung von Ländern und Kommunen voraus, die für diese Infrastruktur im We-
sentlichen verantwortlich sind.

a) Eine gebührenfreie bedarfs- und altersgerechte Kinderganztagesbetreuung
inklusive gesunder Essenversorgung muss aufgebaut werden. Dazu zählen
auch Betreuungsangebote außerhalb der regulären Öffnungszeiten. Die
Betreuung ist inklusiv auszugestalten. Kindern von Alleinerziehenden ist
im Vorgriff auf den Rechtsanspruch ab 2013 bereits jetzt ab dem ersten
Lebensjahr ein Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kindertagesstätte
einzuräumen. Bei der Bereitstellung von Plätzen in Kindertagesstätten gilt
der tatsächliche Bedarf. Zudem ist die rechtliche und finanzielle Grund-
lage für ein flächen- und bedarfsgerechtes ganztägiges Schulangebot
inklusive Ferienbetreuung (darunter mehrtägige Angebote) zu schaffen.

b) Die seit Jahren anhaltenden Kürzungen in der Kinder- und Jugendhilfe
müssen von Bund und Ländern rückgängig gemacht werden. Die ört-
lichen Träger müssen in die Lage versetzt werden, ihren gesetzlichen
Aufgaben nachkommen zu können und einen Schutz und eine Förderung
der Kinder und Jugendlichen im Rahmen des SGB VIII zu gewähren. In

diesem Zusammenhang muss die Kinder- und Jugendhilfe durch einen
öffentlichen und fachlichen Diskurs gestärkt und weiterentwickelt wer-

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den. Standards für die Ausstattung und Qualität der Angebote müssen
entwickelt und umgesetzt werden.

c) Kindern und Jugendlichen muss ein gebührenfreier Zugang zu öffent-
lichen kulturellen Einrichtungen wie Museen, Bibliotheken, Theatern,
Musikschulen ermöglicht werden. Sie benötigen eigene gestaltbare
Räume, in denen sie sich abseits von Kostenzwängen treffen können
sowie Unterstützung erfahren. Dabei sind die Partizipation der Kinder
und Jugendlichen sowie eine angemessene pädagogische und kulturelle
hauptamtliche Begleitung sicherzustellen. Die Akzeptanz von sexueller
und kultureller Vielfalt muss gefördert werden.

d) Die Ausbildung und Qualifikation von Erzieherinnen, Erziehern, Sozial-
pädagoginnen und Sozialpädagogen sind sicherzustellen und dem gestie-
genen Bedarf anzupassen. Ebenso müssen die Arbeitsbedingungen ver-
bessert und die Tätigkeiten angemessen entlohnt werden.

e) Gesetzliche Regelungen, wie das sogenannte Betreuungsgeld, die der
öffentlichen Hand ermöglichen, sich von ihrer Verantwortung für die För-
derung von Kindern freizukaufen, sind zu streichen. Die soziale Notlage
von Familien darf nicht dazu führen, dass diese auf verbriefte Rechte
ihrer Kinder verzichten müssen.

f) Gesundheitsförderung und Maßnahmen zur Primärprävention müssen
entwickelt und angewendet werden, um die sozial bedingte Ungleichheit
der gesundheitlichen Chancen von Alleinerziehenden zu verringern. In
diesem Zusammenhang haben Mutter-/Vater-Kind-Kuren und Rehabilita-
tion für Alleinerziehende als Bestandteil der Vorsorge und Unterstützung
eine besondere Bedeutung. Die derzeitige Ablehnungspraxis der Kran-
kenkassen ist zu stoppen. Darüber hinaus ist eine gesundheitsfördernde
Politik zu entwickeln, die darauf zielt, Ursachen sozialer Ungleichheit
und Armut zu beseitigen.

g) Für Mütter und Väter mit Behinderung muss ein Anspruch auf Teilhabe-
leistungen festgeschrieben werden, damit diese ihre Rechte auf Eltern-
schaft wahrnehmen können. Diese Leistungen, die auch eine persönliche
Assistenz beinhalten, müssen einkommens- und vermögensunabhängig
gewährt werden;

4. die finanzielle Absicherung von Alleinerziehenden und ihren Kindern zu ge-
währleisten. Dazu bedarf es sozialpolitischer Korrekturen.

a) Der Unterhaltsvorschuss ist auszubauen. Die maximale Bezugsdauer von
derzeit sechs Jahren ist zu entfristen. Unterhaltsvorschuss ist bis zur Voll-
endung des 18. Lebensjahrs zu gewähren. Das Kindergeld wird nur noch
zur Hälfte angerechnet.

b) Der Entlastungsbeitrag für Alleinerziehende im Steuerrecht in Höhe von
1 308 Euro muss allen Alleinerziehenden zukommen. Dementsprechend
muss die einschränkende Bedingung zur Gewährung des Entlastungsfrei-
betrages, wonach Alleinerziehende keine Haushaltsgemeinschaft mit
einer anderen volljährigen Person bilden dürfen, aufgehoben werden.

c) Die Kürzung des Elterngelds muss zurückgenommen werden. Das
Elterngeld darf nicht auf andere Transferleistungen wie Hartz IV ange-
rechnet werden. Es ist so auszubauen, dass beide Elternteile einen indivi-
duellen Anspruch auf zwölf Monate Elterngeld erhalten. Alleinerzie-
hende können in diesem Rahmen bis zu 24 Monaten Elterngeld alleine
beziehen beziehungsweise den zwölfmonatigen Anspruch des fehlenden
zweiten Sorgeberechtigten auf volljährige Verwandte ersten Grades über-

tragen. Die Teilzeitarbeitsmöglichkeiten sind zu verbessern. Einkom-
mensverluste durch betreuungsbedingte Arbeitszeitreduzierung sind an-

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teilig auszugleichen. Ein gleichzeitiger Teilzeitelterngeldbezug wird er-
möglicht. In diesem Fall gilt pro Monat Teilzeitelterngeldbezug nur ein
halber Monat des Elterngeldanspruchs als verbraucht. Der Elternzeitan-
spruch ist in Form eines Elternzeitkontos zu gewähren und soll in Zeitab-
schnitten von mindestens zwei Monaten bis zum vollendeten siebten Le-
bensjahr des Kindes in Anspruch genommen werden können.

d) Kindergeld und Kinderzuschlag sind zu einer Kindergrundsicherung wei-
terzuentwickeln. Dazu muss in einem ersten Schritt das Kindergeld auf
200 Euro für das erste Kind und der Kinderzuschlag auf 220 Euro für unter
sechsjährige, 260 Euro für sechsjährige bis unter 14-jährige und 300 Euro
für 14-jährige und ältere Kinder erhöht werden sowie das Wohngeld er-
weitert, der gestrichene Heizkostenzuschuss wieder eingeführt und der
Kinderzuschlag mit einem Mehrbedarf analog des SGB-II-Mehrbedarfes
für Alleinerziehende versehen werden. In einem weiteren Schritt sind
diese Leistungen zusammenzufassen und zu einer Kindergrundsicherung
auszubauen.

e) Die Hartz-IV-Sätze müssen verfassungskonform berechnet und dement-
sprechend erhöht werden. Der Bedarf für Kinder und Jugendliche muss
eigenständig neu ermittelt werden und die Regelsätze sind entsprechend
anzuheben. Das Konstrukt der Bedarfs- und Einsatzgemeinschaft ist ab-
zuschaffen, damit Alleinerziehende beim Aufbau einer neuen Partner-
schaft keine finanziellen Nachteile entstehen.

Berlin, den 29. Februar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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