BT-Drucksache 17/8586

Arbeitslosengeld statt Hartz IV - Zugang zur Arbeitslosenversicherung erleichtern

Vom 7. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8586
17. Wahlperiode 07. 02. 2012

Antrag
der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Dr. Lukrezia Jochimsen,
Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge, Heidrun Dittrich, Werner
Dreibus, Klaus Ernst, Katja Kipping, Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Yvonne
Ploetz, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler, Harald Weinberg,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Arbeitslosengeld statt Hartz IV – Zugang zur Arbeitslosenversicherung erleichtern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Es gibt in Deutschland eine große Zahl versicherungspflichtiger Beschäftigter,
die in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, aber im Falle der Erwerbslosig-
keit dennoch sofort in das Bedürftigkeitssystem von Hartz IV fallen. Der Grund:
Sie sind zu kurz beschäftigt, um entsprechende Ansprüche auf das Arbeitslosen-
geld I zu erwerben oder ihr Lohneinkommen ist so gering, dass das Arbeits-
losengeld ergänzend mit Arbeitslosengeld II aufgestockt wird. Nach Angaben
der Bundesagentur für Arbeit rutscht inzwischen jeder vierte Erwerbslose direkt
in Hartz IV. Von den 453 657 Erwerbstätigen, die im Januar 2012 arbeitslos wur-
den, traf dies auf 113 333 zu.

Die Ursache für diese Entwicklung liegt maßgeblich in den arbeitsmarktpoliti-
schen Fehlentscheidungen der sogenannten Hartz-Gesetze, die 2002 unter einer
von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geführten Regierung beschlossen
und von den darauffolgenden Regierungen von CDU/CSU und SPD sowie
CDU/CSU und FDP fortgeführt wurden. Die Hartz-Gesetzgebung fördert auf
der einen Seite die prekäre, kurzfristige Beschäftigung, wie zum Beispiel die
Leiharbeit, und schränkt auf der anderen Seite die Schutzfunktion der Arbeits-
losenversicherung ein, in dem die Rahmenfrist von drei auf zwei Jahre verkürzt
wurde, also der Zeitraum, in dem sozialversicherungspflichtige Beschäftigte
Ansprüche auf das Arbeitslosengeld I erwerben können.

Eine grundlegende Korrektur der arbeitsmarktpolitischen Fehlentscheidungen
ist mehr als überfällig. Es handelt sich hier um ein generelles Problem, auch
wenn Beschäftigte in bestimmten Bereichen, wie der Leiharbeit, Touristik oder
Kulturbranche, besonders betroffen sind.

Als völlig unzureichend erwiesen hat sich die 2009 beschlossene und im Sommer

dieses Jahres auslaufende Sonderregelung für Beschäftigte mit häufig kurzen
Arbeitsverhältnissen (§ 123 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch – SGB III). Sie
sollte es diesen Betroffenen ermöglichen, unter bestimmten Voraussetzungen
bereits mit einer Versicherungszeit von sechs Monaten/180 Tagen, statt regulär
zwölf Monaten Ansprüche auf das Arbeitslosengeld I zu erwerben. Monitoring-
Berichte der Bundesregierung zeigen jedoch, dass in den zurückliegenden Jah-
ren nur etwa jeder dritte Antrag genehmigt wurde. Viele Betroffene erfüllen

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nicht die restriktiven Zugangsbedingungen einer „überwiegend […] nicht mehr
als sechs Wochen“ dauernden Beschäftigungszeit. Sie haben zu lange Befristun-
gen, um unter die Sonderregelung zu fallen, sind aber zu oft zu kurzzeitig be-
schäftigt, um im regulären Verfahren innerhalb der Rahmenfrist von zwei Jahren
die zwölf Monate Versicherungszeit zu erwerben. Eine weitere Hürde ist die
willkürlich eingeführte Verdienstgrenze von monatlich 2 625 Euro. Wird diese
erreicht, haben die Betroffenen gar keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I.
Viele stellen deshalb erst gar keinen Antrag. Von zwischen August 2009 und
März 2011 eingereichten 1 319 Anträgen wurden lediglich 463 genehmigt.

Die Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung muss den realen Bedingungen
am Arbeitsmarkt Rechnung tragen und deshalb dringend wieder gestärkt wer-
den. Dazu ist die Rahmenfrist zum Erwerb von Arbeitslosengeld-I-Ansprüchen
wieder auf drei Jahre zu verlängern. Für Beschäftigte mit überwiegend kurzen
Beschäftigungsverhältnissen sind die Zugangsbedingungen zum Arbeitslosen-
geld I darüberhinaus in der Art zu erleichtern, dass die im § 123 SGB III enthal-
tene Beschäftigungsbedingung gestrichen und die Verdienstgrenze abgeschafft
wird, stattdessen sollen für den Bezug die allgemeinen Regelungen zur Beitrags-
bemessungsgrenze gelten. Darüber hinaus sind die prekären Beschäftigungsver-
hältnisse einzudämmen und dazu als erste und wichtige Maßnahme die Mög-
lichkeiten zum Einsatz von Leiharbeit und der Befristung von Arbeitsverträgen
einzuschränken.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf mit folgenden Änderungen vorzulegen:

1. Die Rahmenfrist, innerhalb derer Beschäftigte nach dem SGB III (derzeit
§ 124, ab 1. April 2012 § 143) Anwartschaften auf das Arbeitslosengeld I er-
werben können, wird von zwei auf drei Jahre verlängert.

2. In der Sonderregelung zum Erwerb von Arbeitslosengeld-I-Ansprüchen für
kurzeitig Beschäftigte nach dem SGB III (derzeit § 123, ab 1. April 2012
§ 142) werden die restriktiven Zugangsbedingungen Beschäftigungsdauer
(§ 123 Absatz 2 Nummer 1) und Verdienstgrenze (§ 123 Absatz 2 Nummer 2)
gestrichen. Die bestehenden Leistungsansprüche (§ 127 Absatz 3) bleiben
bestehen und werden entsprechend modifiziert. Die neue Sonderregelung gilt
vorerst drei Jahre und ist einer wissenschaftlichen Evaluierung zu unterziehen.

Berlin, den 7. Februar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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