BT-Drucksache 17/8581

Opfer des Brustimplantate-Skandals unterstützen - Keine Kostenbeteiligung bei medizinischer Notwendigkeit

Vom 7. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8581
17. Wahlperiode 07. 02. 2012

Antrag
der Abgeordneten Harald Weinberg, Kathrin Vogler, Diana Golze, Karin Binder,
Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst,
Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Yvonne Ploetz, Dr. Ilja Seifert,
Kathrin Senger-Schäfer, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der
Fraktion DIE LINKE.

Opfer des Brustimplantate-Skandals unterstützen – Keine Kostenbeteiligung
bei medizinischer Notwendigkeit

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Wer als Folge medizinisch nicht indizierter ästhetischer Operationen (Schön-
heits-OPs), Tätowierungen oder Piercings medizinisch behandelt werden muss,
den muss seine Krankenkasse nach geltendem Recht an den Kosten der Be-
handlung beteiligen. Diese Selbstverschuldensregelung schufen CDU/CSU und
SPD im Jahr 2007.

Anträge der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, auf
diese Regelung zu verzichten, lehnten die damaligen Regierungsfraktionen der
CDU/CSU und SPD sowie der Fraktion der FDP im Gesundheitsausschuss des
Deutschen Bundestages ab.

Für privat Krankenversicherte gilt die Selbstverschuldensregelung nicht. In der
Regel zahlen die privaten Versicherer sogar die Einsetzung eines neuen Implan-
tats.

Grundsätzlich gilt in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) das Prinzip:
Jede und jeder Versicherte wird unabhängig von der Schuldfrage bei medizini-
scher Notwendigkeit kostenfrei versorgt. Die Behandlungen nach Unfällen bei
riskanten Sportarten wie Skifahren oder Bergsteigen werden ebenso erstattet wie
die Behandlung von Verletzungen während eines Fußballspiels. Frauen oder
auch Männer, die hochhackige Schuhe tragen, müssen keinen Eigenanteil leis-
ten, wenn sie umknicken. Motorradfahrerinnen und -fahrern wird keine Kosten-
beteiligung nach einem Unfall abverlangt, weil sie ein besonders gefährliches
Verkehrsmittel nutzen, auch wenn sie den Unfall selbst verschuldet haben. Fahr-
radfahrerinnen und -fahrern wird bei einem Unfall keine Kostenbeteiligung
abverlangt, weil sie keinen Helm getragen haben. Zu Recht. Würden alle Ver-
haltensweisen, die mit einem erhöhten Gesundheitsrisiko einhergehen, mit einer

Kostenbeteiligung belegt, würde vermutlich jede und jeder Versicherte früher
oder später zur Kasse gebeten.

Dass ausgerechnet die Risiken nach Schönheitsoperationen, Tätowierungen
und Piercings nicht vollständig von den Kassen übernommen werden, ist un-
verständlich und widerspricht dem Gleichheitsgedanken.

Drucksache 17/8581 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Bis zum Jahr 2010 waren es regelmäßig unter 100 000 Euro (unter 0,00007 Pro-
zent des GKV-Volumens), die die gesetzlichen Krankenkassen insgesamt von
den Versicherten an Beteiligung wegen § 52 des Fünften Buches Sozialgesetz-
buch (SGB V) forderten. Bei dem PIP-Skandal (Poly Implant Prothèse) geht es
voraussichtlich um insgesamt deutlich höhere Beteiligungen. Tausenden Frauen
wurden mangelhafte Brustimplantate der mittlerweile insolventen französischen
Firma PIP beziehungsweise ähnliche Produkte der Firmen Rofil Medical Neder-
land B. V. oder GfE Medizintechnik GmbH eingesetzt. Das Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat aufgrund der Risiken am 6. Ja-
nuar 2012 empfohlen, alle betroffenen Implantate dieser Firmen zu entfernen.
Diesen Eingriff übernehmen die Krankenkassen aber nicht vollständig. Viel-
mehr sind sie nach § 52 Absatz 2 SGB V verpflichtet, die Versicherten „in ange-
messener Höhe an den Kosten zu beteiligen“.

In Frankreich dagegen, wo circa 30 000 Frauen PIP-Implantate eingesetzt wur-
den, übernimmt die Krankenkasse prinzipiell den Eingriff, falls kein Haftungs-
fall vorliegt. In der Diskussion um den PIP-Skandal fordern nun auch viele
Beteiligte und Betroffene in Deutschland, dass die Frauen zusätzlich zum ge-
sundheitlichen nicht noch einen finanziellen Schaden zu tragen haben. Die
Kostenbeteiligung hat zur Folge, dass insbesondere Versicherte mit geringem
Einkommen einer medizinisch notwendigen Behandlung fernbleiben. Auch aus
diesem Grund ist die Kostenbeteiligung abzuschaffen.

Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass die Versichertengemeinschaft der
GKV für jede Folgebehandlung von Schönheits-OPs aufkommt, wenn z. B. ein
Brustimplantat turnusmäßig ausgetauscht werden muss. Vielmehr muss darüber
nachgedacht werden, wie die Folgen von ästhetischen Operationen nicht zu
einem finanziellen Risiko für die Betroffenen werden. Voraussetzung dafür ist,
dass die Patientinnen und Patienten umfassend über absehbare notwendige Fol-
gebehandlungen und gesundheitliche Risiken aufgeklärt werden. Die Insolvenz
eines Herstellers oder Dienstleisters sollte nicht dazu führen, dass Geschädigte
auf den Kosten sitzen bleiben. Denkbar sind etwa Fondslösungen, welche die
Risiken von einzelnen Unternehmen beispielsweise auf eine Branche umlegen.
Anbieter könnten auch verpflichtet werden, Komplettpakete auf den Markt zu
bringen, die alle kommenden vorhersehbaren und unvorhersehbaren Folgebe-
handlungen mit umfassen. Dies wären auch wirksame Anreize, damit sich gute
Qualität und eine bessere Aufklärung hinsichtlich der gesundheitlichen Risiken
in diesem Bereich durchsetzen können.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der § 52 Absatz 2 SGB V rückwirkend per
6. Januar 2012 abschafft, und zu regeln bzw. gegebenenfalls auf europäischer
Ebene darauf hinzuwirken, dass künftig weder die Betroffenen noch die gesetz-
liche Krankenversicherung aufgrund von medizinisch notwendigen Folge-
behandlungen von Schönheits-OPs finanziell belastet werden.

Berlin, den 7. Februar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.