BT-Drucksache 17/8559

Umgang der Bundeswehr mit Rechtsextremismus

Vom 7. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8559
17. Wahlperiode 07. 02. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Keul, Omid Nouripour, Monika Lazar, Agnes Brugger,
Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Viola von Cramon-Taubadel,
Britta Haßelmann, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Tom Koenigs, Kerstin
Müller (Köln), Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof
Schmidt, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Umgang der Bundeswehr mit Rechtsextremismus

Rechtsextremismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, mit dem sich auch
die Bundeswehr seit ihrer Gründung auseinandersetzen muss. Rechtsextremisti-
sche Tendenzen müssen in allen gesellschaftlichen Bereichen bekämpft werden.
Von der Bundeswehr als staatliche Einrichtung und Armee der Demokratie er-
warten wir dabei besondere Anstrengungen. Der überwiegende Teil der Solda-
tinnen und Soldaten der Bundeswehr füllt das Leitbild vom Staatsbürger in Uni-
form in der Tat zuverlässig aus. Jegliches rechtes Gedankengut widerspricht
diesem Leitbild zutiefst. Immer wieder gab und gibt es in der Bundeswehr den-
noch Fälle rechtsextremistischer Tendenzen, die unterschiedlich stark geahndet
und sanktioniert wurden.

Ende der 90er-Jahre trat das Problem rechtsextremistischer Vorkommnisse u. a.
an der Führungsakademie der Bundeswehr derart massiv zu Tage, dass sich auf
Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Verteidi-
gungsausschuss des Deutschen Bundestages als Untersuchungsausschuss kon-
stituierte, um die bekannt gewordenen Vorfälle aufzuarbeiten. Trotz der wichti-
gen Arbeit des Untersuchungsausschusses und des Versuchs seitens des
Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg), dem Problem aktiver zu begeg-
nen, ist die Bundeswehr bis heute nicht vor rechtsextremistischen Tendenzen ge-
feit. Jedes Jahr gibt es weit über 100 gemeldete rechtsextreme Vorfälle durch
Soldatinnen und Soldaten, wie die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zum
Jahresbericht des Wehrbeauftragten eingeräumt hat. Wie hoch hier die Dunkel-
ziffer ist, lässt sich nicht abschätzen.

Rechtsextreme Vorfälle wurden in der Vergangenheit stets in allen Dienstgraden
gemeldet. Auch kommt es immer wieder vor, dass nach ihrer Entlassung aus
dem Dienst Soldatinnen und Soldaten rechtes Gedankengut publizieren. Dieses
schlechte Vorbild findet weitgehend ungehinderte Verbreitung.

Nach einer Umfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr

(SoWi) aus dem Jahr 2007 ordnen sich selbst 13 Prozent der Studierenden der
beiden Bundeswehrhochschulen der „Neuen Rechten“ zu. Die Studierendenzeit-
schrift „Campus“ der Universität der Bundeswehr München fiel beispielsweise
durch einen stark biologistisch geprägten Beitrag auf. Vor allem ein Leitartikel
des Chefredakteurs geriet bundesweit in die Schlagzeilen. Darin wurde die Eig-
nung von Soldatinnen für den Dienst an der Waffe aus biologistischen Gründen
in Frage gestellt. Trotz Bemühungen der Rektorin, den Chefredakteur abzulö-

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sen, wurde er vom Studentischen Konvent der Universität deutlich in seinem
Amt bestätigt.

Auch aus dem Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e. V. (Reser-
vistenverband) sind besorgniserregende Vorfälle bekannt geworden. Der Ver-
band führt für seine Mitglieder und Begleiter von der Bundeswehr unterstützt
regelmäßig Wehrübungen durch. In der Vergangenheit konnten wiederholt Per-
sonen, die rechtsextremistischen Gruppierungen angehören oder offen mit ihnen
sympathisieren, teilnehmen. Der Reservistenverband bemüht sich aktiv darum,
den Ausschluss von Rechtsextremisten aus seinen Reihen voranzutreiben. Noch
scheinen diese Anstrengungen aber nicht auszureichen.

Ebenfalls eine Auseinandersetzung erfordert, dass auch ein Verein von Soldatin-
nen und Soldaten wie der Verband deutscher Soldaten (VdS) e. V. rechtes Ge-
dankengut verbreitet. Zu Recht wurde es 2004 Soldatinnen und Soldaten durch
den Bundesminister der Verteidigung verboten, in Uniform an Veranstaltungen
des VdS teilzunehmen.

Auch der nun bekannt gewordene Fall der verbrecherischen Bande Nationalso-
zialistischer Untergrund (NSU) wirft Fragen in Richtung Bundeswehr auf. So
muss aufgeklärt werden, welche Versäumnisse oder Verstrickungen es auf Sei-
ten des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) gab. Auch die Tatsache, dass
Sprengstoff aus Bundeswehrbeständen für Anschläge dieser Gruppe verwendet
worden ist, bedarf einer umfassenden Aufklärung.

Wir fragen daher die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse hatte und hat der MAD über die Gruppierung NSU?

2. Wie viel Sprengstoff wurde aus den Beständen der Bundeswehr seit 1990
widerrechtlich entwendet, und welche Informationen hat das Bundesministe-
rium der Verteidigung (BMVg) über den jeweiligen Hintergrund der Entwen-
dung sowie den Verbleib des Sprengstoffes (bitte nach Jahren, Menge und Art
des entwendeten Sprengstoffes aufschlüsseln)?

3. Welche Informationen hat das BMVg über die Verstrickung aktiver oder ehe-
maliger Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in die Entwendung von
bundeswehreigenem Sprengstoff?

4. Sind die geltenden Vorkehrungen und Bestimmungen zur sicheren Aufbe-
wahrung von Sprengstoff in den Beständen der Bundeswehr und dem Schutz
desselbigen vor widerrechtlicher Entwendung aus Sicht des BMVg ausrei-
chend?

a) Wenn nein, warum nicht, und welche Änderungen hat das BMVg dies-
bezüglich eingeleitet bzw. plant es umzusetzen?

b) Wenn ja, wie erklärt das BMVg vor diesem Hintergrund die Entwendung
von rund 38 kg Sprengstoff allein durch die Gruppierung NSU?

5. Was unternimmt die Bundeswehr zur Aufklärung, wie Sprengstoff aus Bun-
deswehrbeständen in die Hände Rechtsextremer gelangen konnte?

6. Weshalb hat der MAD eine „Vertrauensperson“ im Thüringer Heimatschutz?

Welche Anknüpfungspunkte mit der Bundeswehr gibt es hier?

7. Was wurde seit 2000 in der Bundeswehr getan, um rechten Tendenzen ent-
gegenzuwirken?

8. Welche Erkenntnisse des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes MGFA
sowie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr (SoWi) liegen
dem BMVg hinsichtlich der Problematik rechtsextremistischer Tendenzen in

der Bundeswehr vor?

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a) Welche Schlüsse und Maßnahmen hat das BMVg aus diesen Erkenntnis-
sen bisher gezogen?

b) Inwiefern werden etwaige Studien und Publikationen des MGFA bzw.
des SoWi zu erwähntem Thema durch das BMVg unter Verschluss ge-
halten, und wie begründet das BMVg dies?

9. Welche konkreten Handlungsempfehlungen hat die Bundesregierung aus
den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses zu rechtsextremistischen
Vorfällen in der Bundeswehr aus der 15. Wahlperiode umgesetzt?

a) Inwiefern hält sie die Umsetzung der Handlungsempfehlungen für er-
folgreich und ausreichend?

b) Welche weitergehenden Maßnahmen sind aus Sicht des BMVg notwen-
dig, um dem Problem Rechtsextremismus in der Bundeswehr konse-
quenter als bisher zu begegnen?

10. Welchen Zusammenhang sieht das BMVg zwischen der Wiederkehr rechts-
extremistischer Vorfälle in der Bundeswehr und der militärischen Tradi-
tionspflege in der Truppe?

11. Welche Konsequenzen hat die Bundesregierung aus der Studentenbefra-
gung des SoWi von 2007 gezogen?

12. Welche Konsequenzen hat die Bundesregierung aus dem Erscheinen des
umstrittenen Artikels ,„Sport ist ihr Hobby“: Eine ehrliche Debatte ist
nötig‘ in der Studierendenzeitschrift „Campus“ und der anschließenden Be-
stätigung des Autors in seinem Amt als Chefredakteur gezogen?

13. Wie wird an den Bundeswehrhochschulen gezielt gegen rechte Tendenzen
gearbeitet?

14. Wie wird den Aktivitäten der so genannten Neuen Rechten in der Bundes-
wehr entgegengewirkt?

15. Besteht das Verbot aus dem Jahr 2004 für Angehörige der Bundeswehr, in
Uniform an Veranstaltungen des VdS teilzunehmen, weiterhin?

Bestehen weitere explizite Verbote dieser Art?

Wenn ja, für welche Gruppierungen, und seit wann?

16. Welche disziplinarrechtlichen Maßnahmen sind bislang gegen aktive und
ehemalige Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr aufgrund verfas-
sungsfeindlicher öffentlicher Äußerungen eingeleitet worden?

Zu welchen Ergebnissen haben diese geführt (bitte nach Zeitpunkt und
Dienstgrad aufschlüsseln)?

17. Inwiefern ist das BMVg der Auffassung, dass mit dem Konzept der Inneren
Führung in seiner derzeitigen Ausformung den Herausforderungen rechts-
extremistischer Tendenzen in der Bundeswehr angemessen begegnet wer-
den kann?

Welche Anpassungen sind entsprechend aus Sicht der Bundeswehr bzw. des
BMVg mit Blick auf das Konzept der Inneren Führung nötig?

a) Inwiefern wird Rechtsextremismus in der Aus- und Weiterbildung von
Führungskräften thematisiert?

Welche Handlungsempfehlungen werden militärischen Führungskräften
dabei gegeben?

b) Inwiefern wird Rechtsextremismus in der politischen Bildung in der
Bundeswehr thematisiert?

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18. Wurde dem NPD-Funktionär Ronnie Hellriegel, der aufgrund seiner Nazi-
aktivitäten als Reservist entlassen wurde, eine Dankesurkunde durch die
Bundeswehr überreicht, und wenn ja, wer hat einen solchen Vorgang ent-
schieden?

Inwiefern ist die Bundesregierung mit dem Reservistenverband bezüglich
Mitgliedern mit rechtsextremistischer Gesinnung ins Gespräch getreten?

19. Was hat die Bundesregierung bislang unternommen, um zu unterbinden,
dass auch Personen, die Mitglieder oder Sympathisanten rechtsextremer
Gruppierungen sind, an den Wehrübungen des Reservistenverbandes teil-
nehmen?

Was plant sie, um die Teilnahme von Mitgliedern oder Sympathisanten
rechtsextremer Gruppierungen an solchen Übungen in der Zukunft zu un-
terbinden?

20. Wie viele Mitglieder des Reservistenverbandes wurden bislang aufgrund
rechtsextremer Gesinnung ausgeschlossen?

21. Plant die Bundesregierung dem Reservistenverband für seine Wehrübungen
eine „Demokratieerklärung“ für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nahe-
zulegen?

Berlin, den 7. Februar 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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