BT-Drucksache 17/829

Haltung der Bundesregierung zur Klage von Apartheidsopfern gegen deutsche Konzerne

Vom 25. Februar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/829
17. Wahlperiode 25. 02. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, Ingrid Hönlinger, Marieluise
Beck (Bremen), Birgitt Bender, Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken, Thilo
Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Memet Kilic, Ute Koczy, Tom Koenigs, Agnes
Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel
Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele, Josef Philip Winkler und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung zur Klage von Apartheidsopfern gegen deutsche
Konzerne

Opfer des südafrikanischen Apartheidregimes haben auf der Grundlage des
Alien Tort Claims Act (ATCA) in den USA mehrere Unternehmen in Form
einer Sammelklage auf Schadenersatz verklagt, darunter auch die deutschen
Firmen Daimler AG und Rheinmetall AG. Die Kläger werfen den Unterneh-
men vor, in Südafrika von 1948 bis 1994 staatliche Menschenrechtsverbrechen
durch die Lieferung von von ihnen hergestellten Gütern unterstützt zu haben.
Die Richterin am Bezirksgericht New York erklärte die Klage gegen fünf der
beklagten Unternehmen (darunter Daimler und Rheinmetall) am 8. April 2009
für zulässig. Die Beklagten haben gegen die Klagezulassung Berufung einge-
legt, mit einer Entscheidung wird in der ersten Hälfte des Jahres 2010 gerech-
net. Das Berufungsgericht hat am 10. September 2009 die Bundesregierung
aufgefordert, eine Stellungnahme (Amicus Curiae Brief) zu dem Rechtsstreit
abzugeben.

In dieser Stellungnahme an das zuständige Gericht vom 8. Oktober 2009 er-
klärte die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Washington D. C. im
Namen der Bundesregierung u. a., eine in der Sache ergehende Entscheidung
des US-Gerichts würde die Souveränität des deutschen Staates in nicht hin-
nehmbarer Weise beeinträchtigen. Sie sehe für die Kläger die Möglichkeit,
Klage bei den südafrikanischen oder den deutschen Gerichten zu erheben. Es
bestehe zudem die Gefahr, dass Zivilprozesse in Fällen mutmaßlicher Men-
schenrechtsverletzungen als Instrumente gegen internationale Konzerne miss-
braucht würden, wodurch der internationale Handel zu Schaden käme.

Der ATCA, ein in den USA geltendes Gesetz aus dem Jahr 1789, nach dem
staatliche Akteure, Privatpersonen und Unternehmen wegen der Verletzung von
Menschenrechten zu Schadenersatzzahlungen verurteilt werden können, selbst

wenn nur ein sehr geringer territorialer Zusammenhang zu den USA besteht,
steht in der Kritik, die internationalen Zuständigkeitsregelungen zu verletzen.
Ein dem Weltrechtsprinzip im internationalen Strafrecht vergleichbares An-
knüpfungsprinzip im internationalen Privatrecht gibt es darüber hinaus nicht.
Die deutsche Rechtsordnung lässt solche Klagemöglichkeiten nicht oder nur
sehr eingeschränkt zu.

Drucksache 17/829 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Worin konkret sieht die Bundesregierung die Verletzung der Souveränität
der Bundesrepublik Deutschland, wenn deutsche Unternehmen wegen der
mutmaßlichen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen gegenüber Südaf-
rikanern in Südafrika in den USA auf Schadenersatz verklagt werden?

2. Darf nach Auffassung der Bundesregierung eine solche Sammelklage
(class action) gemäß Artikel 13 des Haager Übereinkommens über die Zu-
stellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in
Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965 (HZÜ) in Deutschland
zugestellt werden?

Wenn nein, worin konkret sieht die Bundesregierung Hinderungsgründe?

3. Wie erklärt die Bundesregierung die Differenz zu der Auffassung der süd-
afrikanischen Regierung, die in einer am 1. September 2009 abgegebenen
Stellungnahme die Klage in den USA befürwortet?

4. Mit welchen Stellen der Bundesregierung wurde die Position der Bundes-
regierung abgestimmt?

Wurden der Deutsche Bundestag und seine zuständigen Ausschüsse einbe-
zogen, und wenn nein, warum nicht?

5. Hat die Bundesregierung vor ihrer Positionsfindung mit den Beteiligten
(Kläger und Beklagte) gesprochen und ihre Argumente gehört?

6. Beabsichtigt die Bundesregierung, sich bei allen Klagen gegen deutsche
Unternehmen im Ausland einzuschalten?

Wenn nein, nach welchen Kriterien tut sie es?

Warum ist sie im vorliegenden Fall der Aufforderung des US-amerikani-
schen Berufungsgerichts gefolgt?

7. Warum äußert die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme vom 8. Oktober
2009 die Sorge, durch zivilrechtliche Klagen aufgrund mutmaßlicher
Menschenrechtsverletzungen könne der internationale Handel zu Schaden
kommen?

Haben nach Ansicht der Bundesregierung der internationale Handel und
dessen Interessen Vorrang vor der gerichtlichen Aufklärung etwaiger Men-
schenrechtsverletzungen sowie der Entschädigung und Rehabilitation ihrer
Opfer?

8. Mit welchen Argumenten stellt sich die Bundesregierung in ihrer Stellung-
nahme auf den Standpunkt, die deutschen Gerichte seien zur Verhandlung
der Klage primär zuständig?

9. Wie gelangt die Bundesregierung zu ihrer in der Stellungnahme geäußerten
Auffassung, den Klägern stehe trotz der bereits rechtshängigen Klage in
den USA weiterhin die Möglichkeit offen, in Deutschland zu klagen?

10. Welcher Rechtsweg stünde den Klägern in Deutschland nach Auffassung
der Bundesregierung zur Verfügung?

11. Kann sich die Bundesregierung vorstellen, eine solche Klage durch eine
öffentliche Stellungnahme zu Gunsten der etwaigen Kläger zu unterstützen?

12. Wären die rechtlichen Möglichkeiten der Kläger im vorliegenden Verfah-
ren nach Auffassung der Bundesregierung in Deutschland vergleichbar zu
ihren Möglichkeiten in den USA?

13. Worin liegen nach Ansicht der Bundesregierung die Ursachen dafür, dass

Klagen wegen Menschenrechtsverletzungen nur sehr selten in der Bundes-
republik Deutschland, dafür umso häufiger im Ausland eingereicht werden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/829

14. Ist das deutsche Zivilrecht angesichts der geltenden Verjährungsfrist von
drei Jahren sowie seiner international vergleichsweise restriktiven Ver-
schuldensregeln nach Auffassung der Bundesregierung für etwaige Klagen
bei länger zurückliegenden Menschenrechtsverletzungen geeignet?

15. Sieht die Bundesregierung gesetzgeberischen Handlungsbedarf, um die
Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche aus Menschenrechtsverletzungen
zu erleichtern oder zu ermöglichen?

Wenn nein, warum nicht?

16. Hat die Bundesregierung Kenntnis von einem als „Hintergrundinformatio-
nen“ bezeichneten Papier der Daimler AG, das allen Mitgliedern des Aus-
schusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundes-
tages am 28. Januar 2010 per E-Mail zugesandt wurde und in dem unter
Punkt 4, 4. Unterpunkt behauptet wird, auch die EU-Kommission habe
sich gegen eine Durchführung der Apartheidverfahren in den USA ausge-
sprochen?

Hat die Bundesregierung Kenntnis von dieser Stellungnahme der EU-
Kommission?

Wenn nein, warum nicht?

Was ist der Inhalt dieser Stellungnahme der EU-Kommission?

17. Wird die Klage der Apartheidopfer Bestandteil der bilateralen Regierungs-
verhandlungen über die Entwicklungszusammenarbeit zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und Südafrika im April 2010 sein?

Wenn ja, welche Position wird die Deutsche Bundesregierung dort vertre-
ten?

18. Befürwortet die Bundesregierung das in Argentinien vor einem Gericht in
der Provinz San Martín (Nr. 4012 Az. 292) anhängige Verfahren gegen die
Daimler AG, das wegen Menschenrechtsverletzungen zur Zeit der Militär-
diktatur anhängig ist?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, warum wird die Klage der Apartheidopfer nicht befürwortet?

19. Ist das deutsche Strafrecht angesichts der Einstellungsmöglichkeit des
§ 153f der Strafprozessordnung in den Augen der Bundesregierung aus-
reichend gut geeignet, um Völkerrechtsverbrechen in Deutschland effektiv
zu verfolgen?

20. Sieht die Bundesregierung gesetzgeberischen Handlungsbedarf über das
Völkerstrafrecht hinaus, um die Verfolgung mutmaßlicher Täter von Men-
schenrechtsverletzungen zu erleichtern, und zwar auch, wenn diese Aus-
länder sind und die Taten im Ausland begangen wurden?

Wenn nein, warum nicht?

21. Sieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund möglicher Verstrickungen
transnational agierender Unternehmen in Menschenrechtsverletzungen im
Ausland die Notwendigkeit, über verbindliche Selbstverpflichtungserklä-
rungen (Compliance) hinausgehend, eine Unternehmensstrafbarkeit im
deutschen Strafrecht zu verankern?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 25. Februar 2010
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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