BT-Drucksache 17/8164

Rechtssicherheit für verwaiste Werke herstellen und den Ausbau der Deutschen Digitalen Bibliothek auf ein solides Fundament stellen

Vom 14. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8164
17. Wahlperiode 14. 12. 2011

Antrag
der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Ekin Deligöz, Katja Dörner, Kai Gehring,
Monika Lazar, Tabea Rößner, Krista Sager, Dr. Konstantin von Notz,
Dr. Tobias Lindner, Ingrid Hönlinger, Beate Müller-Gemmeke,
Katrin Göring-Eckardt, Markus Kurth, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rechtssicherheit für verwaiste Werke herstellen und den Ausbau der
Deutschen Digitalen Bibliothek auf ein solides Fundament stellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Digitalisierung als Herausforderung von gesamtstaatlicher Bedeutung

Die Digitalisierung steht in ihrer Bedeutung für Kultur, Bildung, Wissenschaft
und Wirtschaft auf gleicher Stufe mit anderen revolutionären technologischen
Errungenschaften wie dem Buchdruck oder der Erfindung der Fotografie.
Erstmals besteht durch die Europeana auf europäischer Ebene und die Deutsche
Digitale Bibliothek (DDB) auf Bundesebene die Chance, nationale und euro-
päische Werke aus Kunst, Kultur und Wissenschaft in einer nie zuvor erreichten
Gesamtheit für alle Menschen online verfügbar zu machen.

Die Deutsche Digitale Bibliothek ist ein Zukunftsprojekt von gesamtgesell-
schaftlicher Bedeutung, welches Bürgerinnen und Bürgern einen barrierefreien
und weitgehend entgeltfreien Zugang zu unserem kulturellen und wissenschaft-
lichen Erbe verschaffen soll. Anspruch ist die Zusammenführung digitaler
Bestände, darunter u. a. von Werken der Literatur, Wissenschaft und bildenden
Kunst ebenso wie von Noten, Filmen und Hörfunkproduktionen. Die Bestände
von über 30 000 Einrichtungen des Kultur- und Wissenschaftsbereichs in
Deutschland sollen durch die DDB zentral miteinander vernetzt und deren digi-
talen Inhalte online verfügbar gemacht werden. Somit werden umfassende
Bestände aus Museen, Archiven, Bibliotheken und Mediatheken (z. B. Musik-
und Filmarchiven) über jeden Internetanschluss weltweit erreichbar sein.

Im Sommer 2007 wurde ein Kompetenznetzwerk mit Vertreterinnen und Vertre-
tern aus Bund, Ländern und Kommunen zur Umsetzung der DDB ins Leben ge-
rufen. Nachdem die Errichtung der DDB 2009 durch den Deutschen Bundestag
zusammen mit der Ministerpräsidentenkonferenz der Länder beschlossen
wurde, soll sie Ende 2011 in Betrieb gehen und an die europäische digitale
Bibliothek Europeana angegliedert werden. Ab 2012 ist die öffentliche Zugäng-

lichmachung geplant.

Die DDB ist von wesentlicher Bedeutung für die Sicherung des kulturellen
Erbes. Ihre Errichtung ist ebenfalls ein wichtiger Schritt in Richtung von mehr
barrierefreier Teilhabe an Kultur und Wissen für jeden. Eine der größten Her-
ausforderungen im Zeitalter des digitalen Wandels besteht darin, die Vielfalt
zeitgenössischer und zukünftiger Werke aus den Bereichen Kunst, Kultur und
Wissenschaft im Internet auch für nachfolgende Generationen zu gewährleisten.

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Dafür müssen die Interessen der Urheberinnen und Urheber nach angemessener
Vergütung und Schutz ihrer Urheber- und Urheberpersönlichkeitsrechte mit den
Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer nach Teilhabe via Internet in Ein-
klang gebracht werden.

Die Selbstbeschreibung der DDB sieht angesichts des Interessenausgleichs vor,
dass seitens der beteiligten Einrichtungen bei der Verwertung von digitalisier-
ten Inhalten, welche Urheberrechts- und Leistungsschutzrechte betreffen, die
Zustimmung der Rechteinhaberinnen und Rechteinhaber eingeholt und gegebe-
nenfalls eine entsprechende Vergütung gezahlt werden muss.

2. Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie

Die DDB wird durch den Bund, die Länder und die Kommunen finanziert. Für
die anfänglichen Investitionskosten wurden einmalig 5,5 Mio. Euro aus dem
Konjunkturpaket bereitgestellt. Weitere Investitionen von 2,6 Mio. Euro wer-
den ab 2011 zu jeweils 50 Prozent zwischen Bund und Ländern aufgeteilt, so-
dass der Bund jährlich 1,3 Mio. Euro dazu beiträgt. Nach Ablauf von fünf Jah-
ren soll über die Finanzierung der DDB neu entschieden werden. Die DDB
kann somit für ihren Betrieb auf einen definierten Finanzierungsrahmen zu-
rückgreifen. Allerdings steht und fällt das Projekt insgesamt mit dem Fort-
schritt der Digitalisierung der Bestände von Bibliotheken und Archiven respek-
tive mit dem damit verbundenen Finanzierungsbedarf.

In dem „Bericht zur Lage der Bibliotheken“ des Deutschen Bibliotheksverban-
des e.V. (dbv) wird die Befürchtung geäußert, dass die bisher veranschlagten
Mittel zur Digitalisierung seitens der beteiligten Bibliotheken nicht ausreichen
werden. Aus Sicht des dbv würden zusätzlich zur Projektförderung durch die
Deutsche Forschungsgemeinschaft 10 Mio. Euro benötigt, um zwischen 2012
und 2016 jährlich weitere 200 000 Titel digitalisieren zu können, was dringend
erforderlich ist. Darunter befinden sich unter anderem Druckwerke aus dem
15. bis 18. Jahrhundert, welche zeitnah digitalisiert werden müssen, um weite-
ren Substanzverlusten vorzubeugen. Aus finanziellen Gründen wurde bislang
nur ein Bruchteil der Bestände digitalisiert: Von 270 000 Buchtiteln aus dem
16. Jahrhundert sind lediglich 30 000, von 600 000 Titeln aus dem 18. Jahrhun-
dert gerade einmal 40 000 aufgenommen worden. Darüber hinaus ist es eben-
falls erforderlich, bei der Erstellung der Content Cluster, den Substanzerhalt
von Schriften aus dem 19. und 20. Jahrhundert zu berücksichtigen, da diese
ebenfalls von Substanzverlust bedroht sind. Die Bundesregierung steht vor der
Aufgabe, zeitnah den tatsächlichen Finanzierungsbedarf der Digitalisierungs-
arbeit zu ermitteln und im Anschluss, in Kooperation mit den Ländern sowie in
Absprache mit weiteren Finanzierungspartnern aus der Privatwirtschaft, die
Planungssicherheit durch einen langfristigen Finanzierungsplan für die Digita-
lisierung festzulegen.

Die Digitalisierung ist eine Aufgabe von nationaler Bedeutung; daher muss der
Bund Verantwortung übernehmen für die Koordination zwischen Ländern und
Kommunen sowie für weitere Handlungsstrategien. Dazu gehören das Anlegen
eines nationalen Registers über bereits digitalisierte Werke im Rahmen der DDB
ebenso wie mögliche Reformen des Urheberrechts, um den Umgang mit verwais-
ten und vergriffenen Werken sowie Fragen der Langzeitarchivierung zu klären.

Auf Grundlage des geltenden Rechts dürfen urheberrechtlich geschützte Werke
nicht ohne eine individuelle Rechteeinholung online öffentlich verfügbar ge-
macht werden, was bei verwaisten Werken ein nach wie vor ungelöstes recht-
liches Problem darstellt. Deshalb soll zum Schutz der Urheberinnen und Urhe-
ber verwaister Werke nach dem Richtlinienvorschlag KOM(2011) 289 des
Europäischen Parlaments und des Rates eine „sorgfältige Suche“ durchgeführt
werden. Diese „sorgfältige Suche“ nach den Rechteinhaberinnen und Rechte-

inhabern soll noch vor der Veröffentlichung erfolgen. Für eine „sorgfältige
Suche“ nach dem Richtlinienvorschlag des Europäischen Parlaments und des

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Rates gibt es von Bundesseite jedoch bisher keine verbindlichen Konzepte,
respektive Gesetzesänderungen. Für einen rechtssicheren Umgang mit verwais-
ten Werken bei der Digitalisierung im Rahmen der DDB und der Zugänglich-
machung durch die DDB ist eine entsprechende Gesetzgebung dringend not-
wendig.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– in Kooperation mit den Ländern, den betroffenen Kultur- und Wissenschafts-
einrichtungen sowie unter Einbeziehung der Expertise des Kompetenznetz-
werkes der DDB eine Strategie für die Digitalisierung, Zugänglichmachung
und Langzeitarchivierung des kulturellen Erbes festzulegen, um den lang-
fristigen Betrieb und den Ausbau der digitalen Bestände der DDB zu ge-
währleisten;

– zeitnah den tatsächlichen jährlichen Finanzierungsbedarf der Digitalisierungs-
arbeit und Zugänglichmachung für die nächsten zehn Jahre zu ermitteln;

– in Kooperation mit Ländern, Kommunen sowie in Absprache mit weiteren
Finanzierungspartnern aus der Privatwirtschaft finanzielle Planungssicher-
heit sowohl für die Digitalisierung als auch für die DDB herzustellen und
eine langfristige Finanzierungsstrategie festzulegen, welche gewährleistet,
dass sonstige kulturpolitische Ausgaben auf staatlicher und kommunaler
Ebene davon nicht beeinträchtigt werden;

– im zeitlichen und strategischen Ablauf der nationalen Digitalisierung und
Veröffentlichung und in der Zusammenstellung der Content Cluster bevor-
zugt insbesondere jene Werke zu berücksichtigen, die von Substanzverlust
bedroht sind;

– darauf zu achten, gemeinfreies Material generell und ebenso jenes aus der
Kooperation mit Privaten entgeltfrei und dauerhaft öffentlich zugänglich zu
machen und zu gewähren, dass gemeinfreies Material auch nach seiner Digi-
talisierung gemeinfrei bleibt. Es sollten Maßnahmen ergriffen werden, die
die Verwendung auffälliger Wasserzeichen oder anderer visueller Schutz-
vorkehrungen, welche die Verwendbarkeit des digitalisierten gemeinfreien
Materials beeinträchtigen, verhindern;

– Doppeldigitalisierungen, zum Zweck einer effizienten Nutzung der für die
Digitalisierung verfügbaren Mittel, durch die Beteiligung der DDB an einem
entsprechenden Register auf europäischer Ebene, welches nach dem Richt-
linienvorschlag des Europäischen Parlaments und des Rates einzurichten ist,
zu vermeiden;

– die erforderlichen Regelungen für die Pflichtexemplarhinterlegung von in
digitaler Form geschaffenem Material zu schaffen, um dessen langfristige
Bewahrung zu gewährleisten;

– den rechtlichen Umgang mit verwaisten und vergriffenen Werken zeitnah zu
klären und dabei die Forderungen laut dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN (Bundestagsdrucksache 17/4695 „Zugang zu verwaisten Wer-
ken erleichtern“) umzusetzen. Die Bundesregierung sollte die Bereitstellung
und Förderung von auf europäischer Ebene verknüpften Rechteinformations-
datenbanken, wie beispielsweise ARROW, unterstützen;

– auf eine harmonisierte europäische Lösung im Umgang mit verwaisten und
vergriffenen Werken einzuwirken;

– den Umgang mit Rechteinhaberinnen und Rechteinhabern verwaister Werke
folgendermaßen umzusetzen:

a) Um die Strafbarkeit von Bibliotheksverantwortlichen sowie späteren
Nutzerinnen und Nutzern auszuschließen, sollten die Rechte für die

elektronische Zugänglichmachung und Vervielfältigung von verwaisten

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Werken einer Kategorie bei der entsprechenden Verwertungsgesellschaft
zusammengefasst werden. Die Verwertungsgesellschaft zeigt dem Regis-
ter der DDB den mutmaßlichen Waisenstatus eines ihr übertragenen Wer-
kes an. Über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren ab der ange-
nommen Verwaisung muss der Waisenstatus aller als verwaist geltenden
Werke für die sorgfältige Suche nach der Urheberin/dem Urheber im Re-
gister der DDB veröffentlicht werden. Das Register muss jedem Interes-
senten und jeder Interessentin uneingeschränkt und kostenlos zugänglich
sein.

b) Die „sorgfältige Suche“ muss durch die Konsultation der für die jewei-
lige Kategorie des Werkes relevanten Quellen anhand des Registers erfol-
gen, welche von der Bundesregierung in Absprache mit den zuständigen
Verwertungsgesellschaften zu bestimmen sind.

c) Rechteinhaberinnen und Rechteinhaber müssen auch nach der erfolgten
Digitalisierung die Möglichkeit eines Widerspruchsrechts innerhalb eines
Zeitraums, der mindestens fünf Jahre umfassen sollte, nach Veröffentli-
chung des Waisenstatus durch das Register der DDB haben, um bei
fälschlich angenommenem Waisenstatus Widerspruch gegen die Veröf-
fentlichung und Langzeitarchivierung ebenso wie gegen die Verwaltung
durch die Verwertungsgesellschaft einlegen zu können.

d) Innerhalb einer Frist, die mindestens fünf Jahre ab Feststellung der Ver-
waisung betragen sollte, sind angefallene Einnahmen aus der öffentlichen
Zugänglichmachung eines verwaisten Werkes von einer entsprechenden
Verwertungsgesellschaft zurückzustellen und Einnahmen im Falle des
nachweislichen Widerspruchs eines Rechteinhabers durch die Zentral-
stelle für verwaiste Werke vollumfänglich an diesen auszuschütten oder
im Falle keines nachweislichen Widerspruchs eines Rechteinhabers nach
Ablauf dieser Frist sind die Einnahmen vollumfänglich den Sozialwerken
der Verwertungsgesellschaft auszuschütten;

– eine Use-It-Or-Loose-It-Regelung für übertragene Nutzungsrechte im Urhe-
berrecht zu verankern, die Werkrechte, welche durch die Urheberin/den Ur-
heber oder eine Lizenzgeberin/einen Lizenzgeber an einen Verwerter über-
tragen wurden, mit deren obligatorischer kommerzieller oder nichtkommer-
zieller Verbreitung verbindet, um einer Unternutzung von vergriffenen Wer-
ken vorzubeugen und sicherzustellen, dass Nutzungsrechte an einem zur
Nutzung überantworteten Werk, welches nicht innerhalb einer angemesse-
nen Frist (wieder) verfügbar gemacht wird, automatisch wieder an den Ur-
heber/die Urheberin oder den Lizenzgeber/die Lizenzgeberin zurückfallen.
Ist der Urheber nicht auffindbar, würde dieses Werk wie ein verwaistes Werk
behandelt;

– im Rahmen der Umsetzung der Digitalisierung, bei schriftlichen Werken,
Audioprogramme zur Teilhabe für Blinde finanziell einzukalkulieren und
auch die Digitalisierung von schriftlichen Werken mit Audiofunktion zu
kombinieren sowie audiomediales Material stärker zu berücksichtigen;

– im Rahmen der DDB die Bereitstellung eines vielfältigen Angebots für hör-
beeinträchtigte und gehörlose Menschen mit einzubeziehen und daher auch
die Digitalisierung von audiovisuellen Werken generell mit Untertiteln, falls
möglich auch mit der Deutschen Gebärdensprache zu kombinieren.

Berlin, den 13. Dezember 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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