BT-Drucksache 17/8132

Das Regime in Syrien international isolieren

Vom 14. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8132
17. Wahlperiode 14. 12. 2011

Antrag
der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Tom Koenigs, Viola von
Cramon-Taubadel, Ute Koczy, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen),
Agnes Brugger, Ingrid Hönlinger, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele, Josef Philip Winkler
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das Regime in Syrien international isolieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit März 2011 finden wie in zahlreichen anderen Staaten Nordafrikas und des
Nahen Ostens auch in Syrien Protestaktionen gegen die Regierung statt. Diese
Proteste, an denen sich zehntausende Menschen beteiligen, waren zunächst ge-
waltfrei. Die Protestbewegung betonte außerdem, dass es sich nicht um einen
Aufstand entlang religiöser oder ethnischer Trennungslinien handele und for-
derte ausdrücklich keine Einmischung von außen.

Das syrische Regime hat mit großer Brutalität auf die Proteste im Land reagiert.
Dem Vorgehen des Militärs und der sogenannten Sicherheitsdienste sind nach An-
gaben von Menschenrechtsorganisationen inzwischen mindestens 6 000 Men-
schen zum Opfer gefallen, darunter über 200 Kinder. Zehntausende Menschen
wurden verletzt und sind geflohen, mindestens 40 000 sind in Gefangenschaft
und werden gefoltert. Auch außerhalb Syriens agieren Regimevertreter mit Ein-
schüchterung und Repression gegen Oppositionelle. Aus dem Libanon wurden
mehrere Syrer entführt.

Wiederholt kündigte das Regime Reformen an, doch diese waren unzureichend
und kamen zu spät. Sie klingen zynisch angesichts der vielen schweren Men-
schenrechtsverbrechen, die das Regime begangen hat. Zwar wurde der Ausnah-
mezustand aufgehoben, gleichzeitig bestand aber weiterhin völlige Immunität
für die Verbrechen der Sicherheitskräfte und Geheimdienste. Die offiziellen
Reaktionen des Regimes auf die Entwicklungen seit März 2011 sind durch
Apologetik, Fehleinschätzungen und wilde Verschwörungstheorien geprägt.

Die internationale Staatengemeinschaft hat bislang versagt. So hat sich der Si-
cherheitsrat der Vereinten Nationen bis heute nicht in der Lage gezeigt, die
Menschenrechtsverbrechen des Regimes von Dr. Bashar al-Assad zu verurtei-

len und gezielte Sanktionen zu verhängen. Er wurde bisher durch das Veto von
Russland und China daran gehindert, eine dem Vorgehen des Regimes ange-
messene Erklärung abzugeben. Somit kam es auch nicht wie im Fall von Li-
byen zu einer Aufforderung an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH),
sich mit den Verbrechen des Regimes zu befassen.

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Die EU hat zwar inzwischen umfangreiche Sanktionen gegen Syrien beschlos-
sen. Die Europäische Union hat aber fast sechs Monate verstreichen lassen, bis
sie am 2. September 2011 endlich ein Verbot für Ölimporte aus Syrien be-
schloss. Auf Drängen Italiens trat das Verbot sogar erst Mitte November 2011
in Kraft.

Die Bundesregierung hat zwar die Entwicklungszusammenarbeit mit Syrien
bereits im Mai 2011 stark zurückgefahren. Allerdings wurde erst auf öffent-
lichen Druck hin die Zusammenarbeit mit syrischen Ministerien beendet.

Es ist zu begrüßen, dass die Arabische Liga inzwischen die Suspendierung der
Mitgliedschaft Syriens und die Verhängung von Sanktionen beschlossen hat.

Danach hat das syrische Regime zwar der geforderten Entsendung von Beob-
achtern zugestimmt. Es ist allerdings zu befürchten, dass damit wiederum nur
Zeit gewonnen werden soll, da das Assad-Regime die Aufhebung der von der
Arabischen Liga beschlossenen Sanktionen wiederum zur Voraussetzung der
Erfüllung dieser Forderung gemacht hat.

Angesichts des brutalen und repressiven Vorgehens des Regimes sowie der ver-
haltenen internationalen Reaktionen vollzieht sich ein Prozess der Veränderung
des Charakters des Aufstandes. Es kommt vermehrt zu Gewaltanwendung auch
von Seiten der Aufständischen bzw. von übergelaufenen Mitgliedern der syri-
schen Armee. Ethnische bzw. religiöse Trennungslinien erstarken innerhalb der
Gesellschaft, die ohnehin schon stark konfessionell segregiert ist. Auch mehren
sich Rufe nach einer Intervention von außen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich
diese Veränderungen bei einer Fortsetzung der Gewalt und Repression durch
das Regime noch verstärken, ist groß.

Das stellt die internationale Staatengemeinschaft vor ein Dilemma. Im Hinblick
auf Syrien besteht durchaus die Gefahr, dass der Konflikt eine regionale Di-
mension erhält. Syrien ist mit dem Iran verbündet; Syrien ist Nachbarstaat von
Israel; Syrien ist durch ethnische und religiöse Minderheiten mit der Türkei,
dem Libanon, Jordanien und Irak verflochten und Syrien verfügt über chemi-
sche Waffen. Sowohl ein Bürgerkrieg wie auch eine militärische Intervention
beinhalten die Gefahr, dass sich der Konflikt über das Staatsgebiet Syriens hin-
aus verbreitet und bergen zudem ein sehr großes Eskalationspotential mit noch
mehr zivilen Opfern. Der Konflikt könnte auf den Libanon, den Irak, Iran und
möglicherweise auch auf Israel übergreifen.

Seit Beginn der Aufstände hat es verschiedene Versuche gegeben, eine Vertre-
tung der Opposition zu institutionalisieren. Dabei ist eine personelle wie inhalt-
liche Zerstrittenheit der Oppositionskräfte innerhalb und außerhalb Syriens of-
fensichtlich geworden. Am stärksten wahrgenommen wird inzwischen der am
3. Oktober 2011 in Istanbul gegründete Syrische Nationalrat. Der Syrische Na-
tionalrat hat am 21. November 2011 ein politisches Programm vorgelegt, das
auch Vorstellung über die Übergangsperiode nach dem Sturz des Assad-Re-
gimes und für die Zukunft Syriens enthält. Darin wird auch auf die kritischen
Anfragen an den Nationalrat hinsichtlich einer angemessenen Vertretung von
Minderheiten, liberalen Gruppen und Frauen eingegangen.

Das weitere Vorgehen der Bundesregierung im Blick auf die Krise in Syrien
muss sich von folgenden Aspekten leiten lassen:

● Es gibt keine Zukunft Syriens mit dem Assad-Regime. Dr. Bashar al-Assad
muss zurücktreten und sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof für
seine Taten verantworten.

● Je länger das Assad-Regime an der Macht bleibt, desto mehr droht ein Bür-
gerkrieg in Syrien.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8132

● Die internationale Staatengemeinschaft muss dringend alles dafür tun, dass
das Assad-Regime international politisch isoliert wird und abtritt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. dem Regime von Dr. Bashar al-Assad deutlich zu machen, dass es abtreten
und den Weg für einen demokratischen Wandel Syriens freimachen muss;

2. sich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und vor allem in Verhandlun-
gen mit Russland und China u. a. unter Verweis auf die Haltung der Arabi-
schen Liga für eine Verurteilung der schweren Menschenrechtsverletzungen
des Assad-Regimes einzusetzen sowie für einen Beschluss, so dass sich
Dr. Bashar al-Assad und andere Verantwortliche des Regimes vor dem Inter-
nationalen Strafgerichtshof verantworten müssen;

3. sich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verstärkt, vor allem in Ver-
handlungen mit Russland und China, für gezielte Sanktionen, wie etwa das
Einfrieren von Konten und Vermögenswerten sowie für Reisebeschränkun-
gen gegen Dr. Bashar al-Assad und seine Unterstützer, einzusetzen;

4. die syrische Opposition u. a. durch finanzielle Hilfe, Beratung und Reise-
erleichterungen sowie der Ernennung eines Sonderbeauftragten als An-
sprechpartner auf EU-Ebene zu stärken. Insbesondere soll sie in Aussicht
stellen, den Syrischen Nationalrat als legitime Vertretung der syrischen Op-
position anzuerkennen, sofern dieser die Klärung der noch offenen Fragen
einer umfassenderen multi-ethnischen und multi-religiösen Repräsentanz
garantiert und seine Konzepte für einen Transformationsprozess und für eine
liberale und säkulare und den Menschenrechten verpflichtete Demokratisie-
rung weiter entwickelt;

5. angesichts der Propaganda und der Informationsblockade des syrischen
Regimes auf EU- und internationaler Ebene zu prüfen, welche Möglichkei-
ten es gibt, eine Beobachtung der Ereignisse in Syrien durch Satelliten zu
unterstützen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ein Beispiel da-
für liefert das „Satellite Sentinel“-Projekt der Harvard Humanitarian Initia-
tive mit dessen Hilfe die Konfliktregion Abyei und Süd-Kordofan im Sudan
beobachtet wird;

6. innerhalb der EU syrischen Oppositionellen ein Forum zur Konsolidierung
und Institutionalisierung zu ermöglichen. In Zusammenarbeit vor allem mit
den anderen EU-Staaten und der Türkei ein Programm der Aufnahme und
Unterstützung von syrischen Menschenrechtsaktivisten und Oppositionellen
aufzulegen, unabhängig davon, ob sie aus dem Bereich der Politik, des Mili-
tärs oder der Zivilgesellschaft kommen;

7. die medizinische Versorgung und Behandlung von verletzten syrischen
Menschenrechtsaktivisten und Oppositionellen aus humanitären Gründen in
Deutschland zu ermöglichen;

8. Menschenrechtsaktivisten und Oppositionelle bei der Gründung eines Satel-
liten-Fernsehkanals zu unterstützen, mit dessen Hilfe unter anderem die Dis-
kussion über die Zukunft Syriens vorangebracht werden soll;

9. angesichts der fortwährenden schweren Menschrechtsverletzungen, Ab-
schiebungen nach Syrien sofort zu stoppen, das deutsch-syrische Rücküber-
nahmeabkommen unverzüglich aufzukündigen und Asyl- und Asylfolgean-
träge von syrischen Staatsangehörigen beim Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge der Menschenrechtslage in Syrien angemessen zu entscheiden,

Drucksache 17/8132 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
10. Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe gegenüber Syrien
einer ständigen Prüfung zu unterziehen und sicherzustellen, dass sie dem
eigenen Anspruch gerecht wird, bei den Menschen anzukommen und
regierungsfern eingesetzt zu werden;

11. die Türkei bei der Aufnahme der Flüchtlinge aus Syrien zu unterstützen;

12. der Firma Siemens deutlich zu machen, dass eine Fortsetzung der Vertrags-
verhandlungen für den Baus eines Gaskraftwerkes im Wert von 305 Mio.
Euro nicht gewünscht ist, solange sich das Assad-Regime an der Macht
hält.

Berlin, den 13. Dezember 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Der über acht Monate alte Aufstand in Syrien hat eine dramatische Lage ge-
schaffen, die dringend ein einheitliches internationales Vorgehen erfordert. We-
gen seiner Verbundenheit mit dem Iran und seiner vielfältigen Verflochtenheit
mit den Nachbarstaaten wird die weitere Entwicklung in Syrien Auswirkungen
über seine geografischen Grenzen hinaus haben. Angesichts des brutalen Vor-
gehens des Assad-Regimes gegen die Aufständischen ist mit einer Konfliktver-
schärfung zu rechnen.

Denn wenn weiter nur von einem Teil der internationalen Staatengemeinschaft
Druck auf das Regime ausgeübt wird, kann das die Lage eskalieren lassen, weil
es dem Regime die Illusion vermittelt, es könne die Krise überstehen.

Auf diesem Hintergrund ist es dringend erforderlich, in einer internationalen
konzertierten Aktion das Assad-Regime zu isolieren und ihm deutlich zu ma-
chen, dass es keine Rückkehr zum Status quo ante geben wird. Dem Regime
muss deutlich gemacht werden, dass es angesichts der begangenen Menschen-
rechtsverletzungen und Verbrechen sowie angesichts der Sanktionen und der
Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage keine Chance hat, dauerhaft an der
Macht zu bleiben oder gar Syrien in eine bessere Zukunft zu führen.

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