BT-Drucksache 17/7940

Bahnpreiserhöhung stoppen

Vom 29. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7940
17. Wahlperiode 29. 11. 2011

Antrag
der Abgeordneten Sabine Leidig, Caren Lay, Dr. Kirsten Tackmann,
Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm,
Steffen Bockhahn, Roland Claus, Katrin Kunert, Michael Leutert,
Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Kornelia Möller, Jens Petermann,
Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke, Sabine Stüber,
Alexander Süßmair und der Fraktion DIE LINKE.

Bahnpreiserhöhung stoppen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Deutsche Bahn AG will am 11. Dezember 2011 die Fahrpreise um
3,9 Prozent im Fernverkehr und um 2,7 Prozent im Nah- und Regionalverkehr
anheben. Die tatsächliche Verteuerung liegt deutlich höher, da es ferner zu einer
Streichung von Sparpreisen, zu zusätzlichen Bedienzuschlägen und zu einer
Begrenzung des Mitfahrerrabatts kommt.

2. Die Deutsche Bahn AG hat seit 2003 und einschließlich der neuen Fahrpreis-
erhöhungen, die am 11. Dezember 2011 in Kraft treten sollen, die Fahrpreise
nominal um mehr als 30 Prozent und inflationsbereinigt um mehr als 15 Pro-
zent erhöht (siehe die beigefügte Grafik). Bei Berücksichtigung der vielen ver-
steckten Fahrpreiserhöhungen liegt der wirkliche Anstieg in diesen acht Jahren
bei rund 20 Prozent.

3. Es kam im genannten Zeitraum zu einem Abbau der Infrastruktur, zu einem
reduzierten Einsatz von rollendem Material und zu erheblichen Einschränkun-
gen von Service und Komfort. Gleichzeitig stieg die Zahl der Fahrgäste erfreu-
licherweise weiter an. Weniger Kapitaleinsatz bei mehr beförderten Personen
sollte zu sinkenden Fahrpreisen beitragen. Tatsächlich werden immer mehr
Fahrgäste zu immer höheren Fahrpreisen transportiert, obgleich der Einsatz von
rollendem Material und Infrastruktur deutlich und die Qualität der Dienstleis-
tung erkennbar rückläufig sind.

4. Die Deutsche Bahn AG hat angekündigt, im laufenden Jahr 2011 einen
Rekordgewinn von mehr als 2 Mrd. Euro auszuweisen. Da die Gewinne im aus-
ländischen Geschäft sehr niedrig und die Gewinne im Schienengüterverkehr
unterproportional sind, heißt das, dass die Deutsche Bahn AG einen großen Teil
ihres Rekordgewinns durch hohe und überproportional steigende Fahrpreise

von ihren Fahrgästen, die vielfach nicht auf andere Verkehrsmittel ausweichen
können, erzielt.

5. Im genannten Zeitraum haben sich die inflationsbereinigten Kosten im moto-
risierten Individualverkehr nicht wesentlich erhöht. Damit ergibt sich eine Aus-
einanderentwicklung der Kosten für Schienenfahrgäste einerseits und für Pkw-
Nutzerinnen und -Nutzer andererseits. Dazu kommt, dass sich auch die Qualität
im Straßen- und im Schienenverkehr auseinanderentwickelt: Auf der einen

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Seite mehr Motorleistung und mehr Komfort bei den Autos, auf der anderen
Seite weniger Service und Pünktlichkeit bei der Deutschen Bahn AG. Diese
Entwicklung steht offenkundig im Gegensatz zum offiziellen Ziel der Verkehrs-
politik, die Schiene als nachhaltigste motorisierte Verkehrsart zu fördern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. in ihrer Eigenschaft als Vertreterin der Eigentümerin der Deutschen Bahn
AG darauf hinzuwirken, dass die Preiserhöhung vom Dezember 2011 zurück-
genommen wird;

2. sich für eine grundsätzliche Reform des Bahnpreissystems einzusetzen, die
sozial ausgewogen und familienfreundlich ist und die insbesondere auf die
kontinuierliche Vergrößerung des festen Kundenstamms von Fahrgästen durch
die Förderung und den Ausbau der Mobilitätskarten der BahnCard 50 und
BahnCard 100 orientiert ist.

Berlin, den 29. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Zu Abschnitt I

Zu Nummer 1

Jahrelang hat die Deutsche Bahn AG (DB AG) ihre Kunden auf Spezialrabatte
bei Fahrpreisen orientiert. Dazu wurde die BahnCard (BC) 50 zeitweilig abge-
schafft. Die im Jahr 2003 neu eingeführte BC25 wird als Rabattkarte besonders
gefördert. Die BahnCard 100 (BC 100; ehemalige Netzkarte) wurde schon im-
mer zu Preisen angeboten, die jede Massenwirksamkeit verhindern. Gleichzei-
tig wurden immer wieder Werbekampagnen mit sehr niedrigen Bahnpreisange-
boten gestartet, die die BC 50 und BC 100 konterkarieren.

Bei der Preisanhebung am 11. Dezember 2011 setzt die DB AG diese Politik
fort: Die BC 25 (2. Klasse) steigt im Preis von 57 auf 59 Euro oder um 3,5 Pro-
zent, die BC 50 steigt von 230 auf 240 Euro oder um 4,3 Prozent und die
BC 100 steigt von 3 800 um 190 Euro auf 3 990 Euro oder um volle 5 Prozent.

Bei der für eine Massenwirksamkeit entscheidenden Mobilitätskarte, der BC 50,
gab es seit 2003 einen Preisanstieg von 138 Euro auf 240 Euro oder um 73,9 Pro-
zent. Eine solche Preispolitik richtet sich vor allem gegen die Stammkundschaft.

Inzwischen geht die DB AG auch dazu über, die als Ausgleich zu den hohen
Bahnpreisen und den hohen Preisen für die Mobilitätskarten BC 50 und BC 100
gewährten Sonderpreise zu reduzieren und teilweise abzuschaffen. Dazu erklärte
der Vorsitzende des Vereins autofrei leben!: „Im Schatten der Erhöhung des Nor-
malpreises werden die Sparpreise 50 und 25 ersatzlos abgeschafft. […] Die ehe-
maligen Spezialpreise (Festpreis ab 29 Euro pro Richtung über 250 km) werden
nun zu einem einzigen Sparpreis erhoben, bei denen die ,Ersparnis‘ am Schalter
darin besteht, zusätzlich 5 Euro Bedienzuschlag zu zahlen. Außerdem wird der
Mengenrabatt von ehemals 50 Prozent auf 9 Euro begrenzt und die Gültigkeit der
Tickets von zwei Tagen auf 10 Uhr des Folgetags begrenzt, sodass eine Zwi-
schenübernachtung nicht mehr möglich ist. Es verteuert sich die Reise für zwei

Personen mit BahnCard 25 von Frankfurt/Oder nach Norden mit dem Spezial-
preis (59 Euro) beim Kauf am Schalter von 142,75 auf 173,50 Euro. Dies ent-

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spricht einer Preiserhöhung von 22 Prozent. […] Der Wegfall des Mengenrabatts
von 50 Prozent bei den Sparpreisen hat zur Folge, dass sie die bei den Kunden be-
liebten Spartickets bei der Fahrt zu zweit exorbitant verteuern. Damit gibt die
Deutsche Bahn AG einen Vorteil des bisherigen Preissystems gegenüber der Be-
nutzung des Autos auf, weil sich die Pkw-Fahrt bekanntlich mit der Anzahl der
Mitfahrer verbilligt.“ (Pressemitteilung des Vereins vom 26. Oktober 2011).

Abschreckend ist auch die Preispolitik bei den Reservierungen. Jahrelang
wurde argumentiert, das Reservieren via Internet müsse preiswerter als das am
Schalter sein. Entsprechend kosten Reservierungen bis zum 10. Dezember 2011
im Internet 2,50 Euro und am Schalter 4,50 Euro. Nachdem damit Hunderttau-
sende Fahrgäste zum Internet abwanderten und Tausende Schalter – auch be-
gründet mit der „Kundenpräferenz für das Internet“ – geschlossen wurden, wer-
den am 11. Dezember 2011 die Kosten für eine Reservierung per Internet um
60 Prozent auf 4 Euro angehoben und die am Schalter um 50 Cent auf ebenfalls
4 Euro gesenkt. Wenige Wochen zuvor wurde verkündet, dass die DB AG ein
weiteres Mal in großem Umfang die Zahl ihrer Schalter reduziert.

Zu Nummer 2

Als Referenzpunkt wurde das Jahr 2003 gewählt, weil in diesem Jahr ein neues
Bahnpreissystem etabliert wurde. Es startete zunächst im Dezember 2002 unter
der Bezeichnung PEP, u. a. mit der Abschaffung der BC 50. Bis Mitte 2003
kam es nach massenhaften Protesten zu erheblichen Modifikationen und zur
Wiedereinführung der BC 50.

Seit diesem Zeitpunkt wurden nach den jeweiligen Angaben der DB AG die
Fahrpreise nominell um 31,5 Prozent im Fernverkehr und um 31,1 Prozent im
Nahverkehr angehoben. Die kumulierte Inflation liegt im gleichen Zeitraum bei
15,4 Prozent. Real hat die DB AG bereits bei Zugrundelegung der offiziellen
Durchschnittswerte der Fahrpreiserhöhungen damit ihre Fahrpreise doppelt so
stark angehoben, wie die Preise durch die Inflation anstiegen.

Zu Nummer 3

Im genannten Zeitraum 2003 bis 2009 hat die DB AG das Schienennetz um
weitere 2 000 km (von 35 600 auf 33 700 km) abgebaut. Die Zahl der Züge pro
Tag im Nah- und Fernverkehr wurde von 30 190 im Jahr 2003 auf 26 713 im
Jahr 2010 (oder um 11,5 Prozent) reduziert. Die Zahl der Sitzplätze im Fern-
verkehr wurde von 233 240 im Jahr 2003 auf 210 186 im Jahr 2010 (oder
um 9,8 Prozent) abgebaut. Auch im Nahverkehr gab es einen Abbau der Sitz-
plätze – trotz eines erheblichen Anstiegs der Fahrgastzahlen (2003 waren es
1,107 Millionen Sitzplätze; 2010 nur noch 1,041 Millionen Sitzplätze). Im
gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Fahrgäste (Nah- und Fernverkehr) von
1,682 Milliarden auf 1,950 Milliarden oder um 16 Prozent. Im Nah- und Re-
gionalverkehr stieg die Zahl der Fahrgäste von 1,54 Milliarden auf 1,82 Milliar-
den oder um 16,7 Prozent. (Angaben jeweils nach Daten und Fakten, heraus-
gegeben von der DB AG).

Seit 2009 kam es zu erheblichen Qualitätsverlusten im Schienenverkehr durch
das S-Bahn-Berlin-Desaster, das Winterchaos in den Jahren 2009/2010 und
2010/2011 und die „Sauna-ICE“ im Sommer 2010.

Zu Nummer 4

„Wir sind das einzige Bahnunternehmen Europas, das in der Krise Gewinne ge-
macht hat. 1,7 Milliarden Euro 2009, 1,9 Milliarden Euro 2010 – und 2011 wol-

len wir mehr als zwei Milliarden Euro verdienen“, so Rüdiger Grube im „We-
serkurier“ am 7. Oktober 2011.

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Die größten Gewinne erzielte die DB AG im Jahr 2010 bei DB Regio mit
729 Mio. Euro, was 32,8 Prozent des Gesamtgewinns von damals 1,866 Mrd.
Euro entsprach. Die zweitgrößte Gewinnposition waren die 601 Mio. Euro Ge-
winn von DB Netze Fahrweg. Dazu trugen der Personenverkehr der DB, die
Personennahverkehre der privaten Betreiber, der Schienengüterverkehr der DB
(Railion) und der Schienengüterverkehr privater Bahnbetreiber bei. Zu den Ge-
winnen bei DB Schenker Logistics schrieb Christian Böttger, Professor im
Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule für Technik und Wirt-
schaft in Berlin: „Bei dieser Rechnung fehlen die Kapitalkosten für all die
Übernahmen. Die Zinsen für die 7,5 Milliarden Euro teuren Zukäufe fressen
die Gewinne auf. Fakt ist: Die Logistiktochter Schenker hat noch nie ihre Kapi-
talkosten verdient. Das gleiche gilt für den Kauf von Arriva. Hier müsste sich
der derzeitige Gewinn des Konzerns verdoppeln, damit man auf null käme. Die
Deutsche Bahn AG zahlt jedes Jahr drauf und am Ende haftet der Steuerzahler.“
(in: Euro 03/2011).

2008 hatte die DB AG mitgeteilt, die Fahrpreise in diesem Jahr (2008) nicht er-
höhen zu wollen – „dank steigender Gewinne.“ (Focus vom 31. März 2008).
Damals waren die Gewinne von 1,68 Mrd. Euro im Jahr 2006 auf 1,72 Mrd.
Euro 2007 angestiegen. Damit rechtfertigten die nochmals deutlich höheren
Gewinne in den Jahren 2010 und 2011 auch nach den eigenen Maßstäben der
DB AG ein Aussetzen von Fahrpreiserhöhungen.

Zu Nummer 5

Nach offiziellen Angaben stiegen die Kosten im motorisierten Individualver-
kehr im Zeitraum 2003 bis 2009 um 14,3 Prozent. Das entsprach dem Anstieg
der Inflation (Verkehr in Zahlen 2010/2011, S. 289).

Zu Abschnitt II

Zu Nummer 1

Der Bund als alleiniger Eigentümer der DB AG kann sehr wohl in besonderen
Fällen Einfluss auch auf das operative Geschäft der Bahn nehmen. Im Jahr
2002 nahm die damalige (SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bundes-
regierung das Thema Bahnpreisreform PEP in den Koalitionsvertrag auf und
forderte eine Umsetzung dieses Systems. Die gegenwärtige Bundesregierung
bezieht sich in ihrem Koalitionsvertrag vom Herbst 2009 auf den Deutschland-
takt und will die Einführung eines Integralen Taktfahrplans in Deutschland prü-
fen.

Zu Nummer 2

Zum Vergleich: In der Schweiz befanden sich im Jahr 2010 insgesamt 429 000
Menschen im Besitz eines Generalabonnements, was der BC 100 (einer Netz-
karte) entspricht. In Deutschland gibt es gerade mal 37 000 BC 100. In der
Schweiz haben 2,4 Millionen Menschen ein „Halbtaxticket“, was grundsätzlich
mit der BC 50 verglichen werden kann. In Deutschland haben nur 1,7 Millio-
nen Menschen eine BC 50. 2,6 Millionen haben eine BC 25. Es gibt gute Argu-
mente dafür, dass die BC 25 nicht den qualitativen Charakter der BC 50 hat.
Doch selbst wenn die Summe der BC 50 und der BC 25 gewählt wird, gibt es in
Deutschland nur 4,2 Millionen BahnCardinhaber (BC 50, BC 25 und BC 100
addiert). In der Schweiz besitzen 2,9 Millionen Menschen ein Halbtaxabo oder
ein Generalabonnement. Übertragen auf die gut zehn Mal größere Einwohner-
zahl Deutschlands entspricht dies knapp 30 Millionen Menschen, die bei
„Schweizer Verhältnissen“ in Deutschland eine solche Mobilitätskarte für
Bahnfahrten haben müssten. Dies zeigt, welches Potential die DB AG im Fall

einer offensiven Preispolitik mit dem Schwerpunkt Kundenbindung mobilisie-
ren könnte.

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