BT-Drucksache 17/7655

Die Billigkeitsrichtlinie zu den Umstellungskosten aus der Umwidmung von Frequenzen den Realitäten anpassen

Vom 8. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7655
17. Wahlperiode 08. 11. 2011

Antrag
der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Dietmar Bartsch,
Dr. Petra Sitte, Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn,
Roland Claus, Dr. Rosemarie Hein, Caren Lay, Sabine Leidig, Michael Leutert,
Ulla Lötzer, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Kornelia Möller, Jens Petermann,
Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander
Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann, Johanna Voß und der Fraktion DIE LINKE.

Die Billigkeitsrichtlinie zu den Umstellungskosten aus der Umwidmung von
Frequenzen den Realitäten anpassen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Jahr 2010 hat die Bundesnetzagentur die Funkfrequenzbereiche 800 MHz,
1,8 GHz, 2 GHz und 2,6 GHz versteigert. Diese Frequenzen sollen für den Auf-
bau des neuen Mobilfunkstandards Long Term Evolution (LTE) genutzt
werden. Für die bisherigen Nutzer dieser Frequenzen, insbesondere des Fre-
quenzbereichs 790 bis 862 MHz (800 MHz-Band), führt die mit der Versteige-
rung verbundene Umwidmung zu finanziellen Belastungen. Theater, Konzert-
säle, Kirchen, Konferenzzentren, Kleinunternehmen der Veranstaltungsbranche
sowie Produzenten und Dienstleister aus der Film- und Fernsehbranche benöti-
gen diesen Frequenzbereich für ihre drahtlosen Mikrofonanlagen. Durch die
Frequenzumstellung wird vielerorts die Anschaffung neuer Geräte erforderlich,
da es zu Störungen kommt, wenn in der Nähe der Einrichtung eine LTE-An-
tennenanlage betrieben wird. Der Bund, der über die Umwidmung der Frequen-
zen beschloss und dem die Versteigerung einen Erlös von 4,38 Mrd. Euro er-
brachte, hat zugesagt, sich in angemessener Weise an den Kosten zur Umrüs-
tung der drahtlosen Mikrofonanlagen zu beteiligen.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hatte dem Haushalts-
ausschuss des Deutschen Bundestages im September 2011 eine überarbeitete
Verwaltungsvorschrift (Richtlinie über die Gewährung von Billigkeitsleistun-
gen des Bundes an Sekundärnutzer wegen anrechenbarer störungsbedingter
Umstellungskosten aus der Umwidmung von Frequenzen im Bereich 790 bis
862 MHz – Billigkeitsrichtlinie) vorgelegt, welche den Ausgleich wirtschaftli-
cher Nachteile infolge der Umwidmung von Frequenzen regelt. Der Haushalts-
ausschuss hat diese Richtlinie gebilligt. Damit wurden die Mittel freigegeben.
Bei der Überarbeitung der Richtlinie wurden die Forderungen der Verbände in
den entscheidenden Punkten nicht berücksichtigt.

Ausgleichsleistungen werden hiernach als reine Billigkeitsleistungen verstan-
den. Ein Rechtsanspruch soll nicht bestehen und etwaige Leistungen sind in je-
dem Fall in Höhe der bereitgestellten Haushaltsmittel gedeckelt.

Drucksache 17/7655 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Darüber hinaus ist der Anwendungsbereich der Billigkeitsrichtlinie so eng ge-
fasst, dass nach Angaben des Deutschen Bühnenvereins etwa 90 Prozent der
privaten und kommunalen Theater nicht erfasst werden. Die Amateurtheater
gehen nach Angaben des Bundes Deutscher Amateurtheater e. V. in der Praxis
sogar komplett leer aus.

Die Billigkeitsrichtlinie geht in vielen Bereichen von Annahmen aus, die mit
der Praxis des Spielbetriebes von Theatern, Bühnen und Kinos nicht überein-
stimmen. So darf z. B. das störungsbetroffene Gerät nicht älter als fünf Jahre
sein. Üblicherweise werden derartige Geräteeinheiten aber für einen Zeitraum
von 10 bis 15 Jahren angeschafft. Die maßgebliche Nutzungsdauer wirkt sich
auch auf die Höhe der Billigkeitsleistung aus. Die Billigkeitsrichtlinie geht von
einer linearen Wertminderung von einem Fünftel des Anschaffungswertes pro
Jahr bzw. einem Achtel pro Jahr bei Antragstellern, die einen steuerbegünstig-
ten Zweck im Sinne der Abgabenordnung verfolgen, aus. Dies führt dazu, dass
es auch bei vergleichsweise kurzer Nutzungsdauer zu relativ hohen Wertminde-
rungen kommt, obwohl die Geräte in der Realität häufig über einen deutlich
längeren Zeitraum genutzt werden.

In anderen europäischen Staaten wurden gerade auch im Hinblick auf Wertmin-
derungsaspekte Lösungen gefunden, die zu deutlich besseren Ergebnissen füh-
ren. So erhalten z. B. in Großbritannien die betroffenen Einrichtungen bei der
Versteigerung von Funkfrequenzen bereits im Vorfeld eine Zusicherung, wo-
nach sie 60 Prozent der ursprünglichen Anschaffungskosten von Geräten er-
setzt bekommen, die sie aufgrund der Umwidmung der Frequenzen nicht mehr
nutzen können.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Richtlinie über die Gewährung von Billigkeitsleistungen des Bundes an
Sekundärnutzer wegen anrechenbarer störungsbedingter Umstellungskosten
aus der Umwidmung von Frequenzen im Bereich 790 bis 862 MHz unter
folgenden Maßgaben zu ändern:

a) Es muss sichergestellt sein, dass Einrichtungen, deren Geräteeinheiten
wegen der Umwidmung der Frequenzen nicht mehr genutzt werden
können, mindestens 30 Prozent der ursprünglichen Anschaffungskosten
ersetzt bekommen.

b) Der Gegenstand der Billigkeitsrichtlinie ist auf Geräteeinheiten auszu-
dehnen, die ab dem 1. Januar 2001 angeschafft worden sind.

c) Die Billigkeitsleistung wird zu dem Zeitpunkt ausgezahlt, zu dem der
Antrag zur Aufstellung einer LTE-Antennenanlage im Beeinflussungs-
radius von der zuständigen Behörde genehmigt wird;

2. dafür Sorge zu tragen, dass diejenigen Frequenzbereiche, auf die die Nutze-
rinnen und Nutzer drahtloser Mikrofonanlagen wegen der Frequenzbereichs-
umwidmung 2010 ausweichen mussten, von künftigen Umwidmungen im
Rahmen einer möglichen weiteren Digitalen Dividende (Digitale Dividende II)
ausgenommen sind.

Berlin, den 8. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7655

Begründung

Zu Nummer 1

Zu Buchstabe a

Die derzeitige Fassung der Billigkeitsrichtlinie geht hinsichtlich der Berech-
nung der Höhe der Billigkeitsleistung davon aus, dass die gegenständlichen Ge-
räteeinheiten von Antragstellern, die keine steuerbegünstigten Zwecke im
Sinne der Abgabenordnung verfolgen, bei maximaler Nutzungsdauer bzw. Ab-
schreibung 20 Prozent betragen und von Antragstellern, die gemeinnützige,
mildtätige und kirchliche Zwecke verfolgen, 12,5 Prozent. Ziel des Antrages ist
sicherzustellen, dass der Kostenersatz aus der Wertminderung bzw. Komplett-
abschreibung in Höhe des fiktiven Restbuchwerts in diesen Fällen mindestens
30 Prozent beträgt. Im Übrigen werden die Regelungen zur Ermittlung der
Billigkeitsleistung für jüngere Geräte entsprechend angepasst, so dass für diese
die Leistungen nach Nutzungsjahren gestaffelt linear ansteigen.

Zu Buchstabe b

Die Billigkeitsrichtlinie beschränkt sich derzeit auf die Nutzerinnen und Nutzer
von Geräteeinheiten, die nicht älter als fünf Jahre sind, und schließt somit zahl-
reiche Einrichtungen insbesondere aus dem Amateur- und nichtkommerziellen
Bereich von einer Inanspruchnahme entsprechender Leistungen aus. Daher soll
der zeitliche Anwendungsbereich auf zehn Jahre erweitert werden.

Zu Buchstabe c

Nach der derzeitigen Fassung der Billigkeitsrichtlinie erfolgen Billigkeits-
leistungen erst zu einem Zeitpunkt, zu dem eine Störung tatsächlich besteht.
Für die betroffenen Antragstellerinnen und Antragsteller ist es in der Praxis
hingegen unabdingbar, ihre Geräteeinheiten vor diesem Zeitpunkt auszu-
tauschen, um einen ungehinderten und ununterbrochenen Aufführungs- und
Dienstbetrieb zu ermöglichen. Um zusätzliche Belastungen, die etwa durch die
Aufnahme von Krediten zur Zwischenfinanzierung entstehen, zu vermeiden,
sollen daher auch die Billigkeitsleistungen entsprechend früh fließen.

Zu Nummer 2

Gegenstand der Umwidmung und Versteigerung waren bisher die Frequenz-
bereiche 800 MHz, 1,8 GHz, 2 GHz und 2,6 GHz. Es ist davon auszugehen,
dass in Zukunft weitere Frequenzbereiche umgewidmet werden. Dabei muss
sichergestellt werden, dass die Investitionen in drahtlose Mikrofonanlagen, die
jetzt wegen der aktuellen Umwidmung erforderlich werden, auch über künftige
Umwidmungen hinaus Bestand haben. Die Einrichtungen, die diese Anlagen
nutzen benötigen diesbezüglich Planungssicherheit.

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