BT-Drucksache 17/7487

Keine Liberalisierung des Buslinienverkehrs - Für einen Ausbau des Schienenverkehrs in der Fläche

Vom 26. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7487
17. Wahlperiode 26. 10. 2011

Antrag
der Abgeordneten Sabine Leidig, Thomas Lutze, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert
Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Roland Claus, Katrin
Kunert, Caren Lay, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Kornelia Möller, Jens
Petermann, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke, Sabine Stüber,
Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Keine Liberalisierung des Buslinienfernverkehrs – Für einen Ausbau des
Schienenverkehrs in der Fläche

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Bundesregierung plant die völlige Liberalisierung der Fernbusverkehre.
Diese ist nicht in eine Gesamtstrategie eingebettet. Sie berücksichtigt nicht
die Auswirkungen auf andere Verkehrsträger, insbesondere nicht diejenigen
auf den Schienenpersonenverkehr. Neben der Vermeidung von motorisiertem
Verkehr muss die strategische Zielsetzung einer nachhaltigen Verkehrspolitik
in der Verlagerung von motorisiertem Verkehr auf die Schiene bestehen.

2. Buslinienfernverkehre können eine sinnvolle Ergänzung des Eisenbahnper-
sonenfernverkehrs sein. Mit Fernbuslinien können insbesondere Relationen
angeboten werden, die bei fehlenden Schienentrassen nicht per Bahn ange-
boten werden können. Eine vollständige Liberalisierung des Fernbuslinien-
verkehrs führt jedoch dazu, dass Busunternehmen vorrangig Verkehre auf
Verbindungen zwischen den Großstädten anbieten. Dort stünden sie in direk-
ter Konkurrenz vor allem zum ICE-Verkehr der Deutschen Bahn AG. Insbe-
sondere solche Verbindungen auf den Hauptreisestrecken lassen sich wirt-
schaftlich im Buslinienfernverkehr betreiben. Dies droht unter den bestehen-
den Bedingungen eines eigenwirtschaftlichen Schienenpersonenfernverkehrs
dazu zu führen, dass aus Sicht der Deutschen Bahn AG nicht mehr rentable
Verbindungen eingestellt werden. Damit jedoch würde eine Liberalisierung
der Buslinienverkehre nicht zu einer Verbesserung von Verkehrsangeboten,
sondern eher zu deren Verschlechterung führen.

3. Für Busse sind Fahrten in die Innenstädte enorm zeitaufwändig. Während ein
innerstädtischer Extra-Halt die Eisenbahn rund drei Minuten Zeit kostet, sind
für einen Bushalt in einer Stadt durchschnittlich rund 15 Minuten Zeitverlust

zu veranschlagen. In der Folge werden bei Fernbuslinienverkehren kleinere
Zentren nicht angefahren beziehungsweise Bushalte oft an den Rand der
Städte verlegt. Zudem sind regelmäßige Buslinienfernverkehre von klein-
und mittelständischen Unternehmen nicht zu leisten, so dass von einer völli-
gen Liberalisierung der Fernbuslinienverkehre nur wenige große Busunter-
nehmen profitieren werden.

Drucksache 17/7487 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Bei der Deutschen Bahn AG wurden in jüngerer Zeit erhebliche Fortschritte
bei der Verwirklichung der Forderung nach Barrierefreiheit erzielt, auch
wenn der Prozess hin zu einer komplett barrierefreien Bahn noch lange nicht
abgeschlossen ist. Für Fernbusse soll es nach dem Willen der Bundesregie-
rung keinerlei Vorgaben zur Barrierefreiheit geben. Selbst wenn es diese in
späterer Zeit geben sollte, so sind die technischen Möglichkeiten zur umfas-
send barrierefreien Gestaltung bei Eisenbahnen deutlich besser als bei Fern-
bussen.

5. Das für die Gewährung von Fahrgastrechten maßgebliche EU-Recht sieht für
den Busverkehr deutlich weniger anspruchsvolle Fahrgastrechte vor als für
den Eisenbahnverkehr. So sind in der Verordnung (EU) 181/2011 über Fahr-
gastrechte im Kraftomnibusverkehr verbindliche Ansprüche insbesondere
nur für Fahrten ab 250 Kilometer Länge vorgesehen. Finanzielle Ansprüche
können erst bei Verspätungen ab zwei Stunden geltend gemacht werden,
während beim Schienenverkehr Anspruch auf Entschädigung ab einer Stunde
Verspätung besteht. Unklare Formulierungen in der EU-Verordnung lassen
zudem befürchten, dass die Durchsetzung der Rechte für die Fahrgäste mit er-
heblichen Schwierigkeiten verbunden sein wird.

6. Unter den gegebenen Verkehrsmarktbedingungen können Buslinienfernver-
kehre zu Preisen angeboten werden, die im Durchschnitt ein Drittel unter den
Bahntarifen und zum Teil bei weniger als der Hälfte liegen. Bussen werden
keine Kosten angelastet, die den Trassen- und Stationsgebühren, die die
Eisenbahnunternehmen zu zahlen haben, entsprechen. So unterliegen Busse,
anders als schwere Lkw, bei Autobahnfahrten keiner Mautpflicht. Auch ist im
Schienenverkehr das Lohnniveau höher als im Busverkehr. Den Vorteilen,
die die Bahn hinsichtlich kürzerer Fahrtzeit und größerer Bequemlichkeit
bietet, stehen damit erheblich niedrigere Busverkehrspreise gegenüber.

7. Eine Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung kommt zu dem Ergebnis, dass im Fall einer Liberalisierung
des Buslinienfernverkehrs der Marktanteil desselben am gesamten öffentli-
chen Fernverkehr von derzeit faktisch 0 auf 15 bis 30 Prozent ansteigen kann.
Der Anteil der Schiene im Fernverkehrsmarkt würde damit nochmals deut-
lich gesenkt. Nach der Studie könnte sich die neue Verkehrsnachfrage bei den
Busfernlinien zu rund 60 Prozent aus Verlagerungen vom Schienenpersonen-
fernverkehr, zu 20 Prozent aus induziertem – durch das neue Angebot neu
entstandenem – Verkehr und lediglich zu 20 Prozent aus Verlagerung vom
Pkw-Verkehr ergeben.

8. Die Bahnreform ist insbesondere im Hinblick auf den Personenfernverkehr
auf der Schiene gescheitert. Ziel der Ende 1993 beschlossenen Bahnreform
war, den Anteil der Bahn am Modal Split zu erhöhen. Zwar liegt der Anteil
der Schiene am gesamten Personenverkehr auf dem Niveau des Jahres 1994.
Dies konnte jedoch nur durch deutliche Zugewinne im Schienenpersonen-
nahverkehr erreicht werden. Im Fernverkehr hingegen hat die Deutsche Bahn
AG die Zahl der angebotenen Züge in den letzten 15 Jahren deutlich redu-
ziert. Die Zahl der Fahrten im Fernverkehr sank im Zeitraum 1994 bis 2010;
die Verkehrsleistung (Personenkilometersumme) blieb trotz großer Investi-
tionen in Neu- und Ausbaustrecken weitgehend konstant. Damit aber sank
der Anteil der Schiene im gesamten deutlich gewachsenen Fernverkehrs-
markt erheblich. Die Schiene befindet sich offensichtlich insgesamt in einer
nicht gefestigten Marktposition.

9. Die Ursachen für das Scheitern der Bahnreform sind unter anderem in den
falschen Vorgaben der Verkehrspolitik im Bereich der Verkehrswegeinvesti-
tionen und in der Verkehrsmarktordnung zu suchen, die grundsätzlich die
Straße und den Luftverkehr begünstigt. Es ist jedoch auch die Deutsche Bahn

AG selbst, die erhebliche Mitverantwortung trägt, unter anderem durch die
fortgesetzte Ausdünnung der Verkehrsangebote in der Fläche und durch einen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7487

massiven und ungerechtfertigten Anstieg des Preisniveaus im Schienenver-
kehr, was nicht zuletzt mit der für Dezember 2011 angekündigten Fahrpreis-
erhöhung von rund 4 Prozent dokumentiert wird.

10. Der im Zuge der Bahnreform 1993 neu in das Grundgesetz aufgenommene
Artikel 87e Absatz 4 verpflichtet den Bund dazu, zu gewährleisten, „daß
dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim
Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie
bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht
den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird“. Der
erhebliche Abbau des Schienennetzes und der weitreichende Rückgang der
Angebote im Schienenpersonenfernverkehr stehen nicht in Einklang mit
diesem Verfassungsauftrag.

11. Erforderlich ist eine Angebotskonzeption auch für den Schienenpersonen-
fernverkehr unter Berücksichtigung von Taktverkehren („Deutschland-
takt“). Einer solchen Angebotskonzeption haben sich die geplanten Aus-
und Neubaumaßnahmen im Schienennetz unterzuordnen. Auf Basis eines
Gesetzes zur Konkretisierung von Artikel 87e des Grundgesetzes könnten
dabei im Fall zusätzlicher Verkehrsangebote in begrenztem Umfang auch
Ausgleichszahlungen für den Schienenpersonenfernverkehr erfolgen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. ihre Pläne für eine vollständige Liberalisierung des Fernbuslinienverkehrs
aufzugeben;

2. im Hinblick auf die Anforderungen des Artikels 87e des Grundgesetzes einen
Gesetzentwurf zu erarbeiten, der der in der Verfassung enthaltenen Verpflich-
tung gerecht wird, die Fernverkehrsangebote auf dem Schienennetz der
Eisenbahnen des Bundes zumindest wieder auf das Niveau von vor 1994 zu
erhöhen. Die Oberzentren müssen mit mindestens sechs Zugpaaren täglich in
den Schienenpersonenfernverkehr eingebunden werden. Dabei ist zu prüfen,
inwieweit die Wiedereinführung der Zuggattung Interregio oder einer ver-
gleichbaren Zuggattung, die insbesondere zu einer deutlichen Verbesserung
der Fernverkehrsangebote in der Fläche führt, sinnvoll ist;

3. eine gesetzliche Regelung vorzuschlagen, mit der die Umsatzsteuer wie im
Nahverkehr auch im Personenfernverkehr auf der Schiene auf den ermäßig-
ten Satz von 7 Prozent gesenkt wird, um die Fahrpreise im Fernverkehr zu
senken. Als Eigentümerin der Deutschen Bahn AG hat die Bundesregierung
anschließend dafür zu sorgen, dass die Deutsche Bahn AG diese Steuersen-
kung 1:1 an ihre Kunden weiterreicht;

4. eine gesetzliche Regelung vorzuschlagen, die beinhaltet, dass die ab 2013
neu im Linienfernverkehr verkehrenden Busse barrierefrei ausgestaltet sein
müssen. Darüber hinaus müssen spätestens 2020 die im Linienfernverkehr
verkehrenden Busse barrierefrei aus- bzw. umgerüstet sein;

5. eine gesetzliche Regelung vorzuschlagen, mit der Fahrgästen angemessene
Rechte, zum Beispiel bei Verspätungen und fahrgastfreundliche Informa-
tionsrechte, garantiert werden, die auch bei Fahrten von weniger als 250 Ki-
lometer Entfernung zu gewähren sind. Fernbuslinienverkehre sind verbind-
lich in eine verkehrsträgerübergreifende Schlichtungsstelle einzubeziehen;

6. eine gesetzliche Regelung vorzuschlagen, die spätestens ab 2013 die Auswei-
tung der Lkw-Maut auf die Kraftomnibusse im Linienfernverkehr vorsieht.

Die Mautsätze für Kraftomnibusse im Linienfernverkehr sind ohne Zwi-

Drucksache 17/7487 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

schenschritte in der Höhe der im Wegekostengutachten 2007 errechneten
Werte anzulasten.

Berlin, den 26. Oktober 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 1

Bereits in ihrem Koalitionsvertrag vom Oktober 2009 vereinbarten CDU, CSU
und FDP eine weitgehende Liberalisierung des Buslinienfernverkehrs und in
diesem Sinn die Änderung des Personenbeförderungsgesetzes. Die Bundes-
regierung hat am 3. August 2011 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
personenbeförderungsrechtlicher Vorschriften beschlossen. Dadurch soll das
Personenbeförderungsgesetz (PBefG) u. a. dahingehend verändert werden, dass
der Buslinienfernverkehr vollständig freigegeben ist. Diese Gesetzesnovellie-
rung wurde am 23. September 2011 erstmalig im Bundesrat behandelt und soll
im Herbst 2011 im Bundestag beraten werden.

Statt sich entweder als Exekutive oder als 100-prozentige Eigentümerin der
Deutschen Bahn AG für eine deutliche Verbesserung des Schienenpersonenfern-
verkehrs einzusetzen, soll nach Willen der Bundesregierung mit der vollständi-
gen Freigabe des Fernbuslinienverkehrs Wettbewerbsdruck auf die Deutsche
Bahn AG ausgeübt werden. Dabei hat die Bundesregierung nach eigenen Anga-
ben „keine aktuellen Kenntnisse über die Anzahl der Fernbuslinien, die inner-
halb Deutschlands oder im grenzüberschreitenden Verkehr betrieben werden“,
(Antwort auf die Schriftliche Frage 147 des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert auf
Bundestagsdrucksache 17/5016). Ohne Kenntnis der Marktsituation soll also
eine völlig neue Gesetzeslage geschaffen werden.

Zu Nummer 2

Das am 21. März 1961 in Kraft getretene Personenbeförderungsgesetz untersagt
Buslinienfernverkehre lediglich unter spezifischen Bedingungen; Buslinien-
fernverkehre sind keinesfalls generell untersagt. Sie stehen allerdings unter
einem Genehmigungsvorbehalt. Die Genehmigung ist von den zuständigen Lan-
desbehörden zu untersagen, „wenn der beantragte Verkehr ohne eine wesentliche
Verbesserung der Verkehrsbedienung Verkehrsaufgaben übernehmen soll, die
vorhandene Unternehmer oder Eisenbahnen bereits wahrnehmen“ (§ 13 Absatz 2
Nummer 2 Buchstabe b PBefG). Ist dies nicht der Fall, handelt es sich also um
eine Verbesserung der Verkehrsaufgaben, ist dem vorhandenen Unternehmer
oder der Eisenbahnen die Möglichkeit einzuräumen, die „notwendige Ausge-
staltung des Verkehrs […] selbst durchzuführen […]“ (§ 13 Absatz 2 Nummer 2
Buchstabe c PBefG). Insbesondere Letzteres bedingte häufig das Versagen der
Genehmigung von Buslinienfernverkehren, wenn die Deutsche Bahn AG ihr
eigenes Angebot ausweitete oder verbesserte. Dies allerdings mit dem Problem,
dass die Deutsche Bahn AG dazu nicht Bahnverkehr anbieten muss, sondern
selbst Buslinien einsetzen kann.

Busbetreiber klagten und klagen über eine aus ihrer Sicht exzessive Auslegung
dieser Regelung durch Einsprüche der Bundesbahn respektive der Deutschen
Bahn AG gegen geplante Busfernverkehre.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/7487

Im Vorfeld der geplanten Liberalisierung des Fernbusverkehrs kam es zu einer
Vielzahl von Meldungen, wonach die Deutsche Bahn AG als Reaktion auf die-
sen Schritt ihr Fernverkehrsangebot ein weiteres Mal deutlich reduzieren wird.
Ein exemplarisches Zitat: ,Die Deutsche Bahn (DB) droht wegen der geplanten
Zulassung von Fernbussen in Deutschland, viele Regionen vom ICE-Verkehr
abzukoppeln. „Das Busangebot wird dazu führen, dass ohnehin schlecht gefüllte
ICE noch unwirtschaftlicher werden“, sagte ein Bahn-Manager. […]. Der
Manager nannte beispielhaft Städte wie Magdeburg, Flensburg, oder selbst
Leipzig, die ihre ICE-Verbindungen infolge der neuen Konkurrenz ganz oder teil-
weise verlieren könnten.‘ (FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND vom 19. Mai
2011).

Bisher haben nur wenige Großunternehmen wie die Deutsche Touring GmbH
und Veolia Verkehr GmbH angekündigt, in den Fernbuslinienverkehr einzustei-
gen (siehe z. B. FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND vom 6. Juni 2011).

Zu Nummer 3

Im Grunde gab es bereits eine Art „Großtest“ für Busfernverkehre auf einer Ver-
bindung mit Schienenverkehr. Die Deutsche Bundesbahn richtete 1988 eine
Fernbusverbindung zwischen Heilbronn und Würzburg ein. Das als „Interregio-
Bus“ bezeichnete Daimler-Fahrzeug (von dem fünf Exemplare angeschafft
wurden) war aufwändig mit zwei Klassen, Kaffeemaschine und Telefon ausge-
stattet und verkehrte im Zweitstundentakt ohne Zwischenhalt auf der Strecke.
Mit der Verbindung sollte u. a. in Würzburg ein Anschluss an einen Intercity
nach Hamburg hergestellt werden. Nach zwei Jahren musste die Verbindung
wegen mangelnder Rentabilität, Unpünktlichkeit und fehlender Akzeptanz bei
Fahrgästen aufgegeben werden; im Schnitt fuhren nur 20 Fahrgäste mit dem
Bus. Der Eilzug auf derselben Verbindung benötigte 94 bzw. 97 Minuten; der
Interregio-Bus war mit 90 bzw. 92 Minuten etwas schneller. Allerdings hielt der
Eilzug fünf Mal, während der Fernbus ohne Zwischenhalt verkehrte. Der Zeit-
aufwand für zusätzliche Zwischenhalte war je Halt auf 10 bis 15 Minuten
geschätzt und deshalb verworfen worden. Der Eilzug hatte bei vergleichbarer
Gesamtreisezeit also eine deutlich größere Erschließungswirkung.

Zu Nummer 4

In ihrer Antwort auf die Schriftliche Frage 148 des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert
(Bundestagsdrucksache 17/5016) führt die Bundesregierung aus, dass „die erst
kürzlich vom Rat und vom Europäischen Parlament verabschiedete Verordnung
zu Fahrgastrechten im Omnibusverkehr […] keine Pflicht zum Einsatz barriere-
freier (Fern-)Busse (vorsieht). Vor diesem Hintergrund beabsichtigt die Bundes-
regierung nicht, die Genehmigung für den innerstaatlichen Busfernlinienverkehr
an den Einsatz barrierefreier Busse zu binden.“ Dies widerspricht der von
Deutschland ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention, nach der Menschen
mit Behinderung ein gleichberechtigter Zugang zu Transportmitteln zu gewähr-
leisten ist (Artikel 9) und Maßnahmen zu unterlassen sind, die mit der Konven-
tion unvereinbar sind (Artikel 4).

Zu Nummer 5

Es ist in keiner Weise einzusehen, warum Fahrgastrechte bei Fahrten bis 250 Ki-
lometer Länge nicht gelten sollen. Bei Verspätungen sollte, selbst wenn Fahrzei-
ten bei Bussen verkehrsbedingt weniger exakt kalkulierbar sind als im Zug-
verkehr, ein Entschädigungsmindestanspruch von 25 Prozent des Fahrpreises
bereits bei Verspätungen unter zwei Stunden gewährt werden.

Drucksache 17/7487 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Zu Nummer 6

Busse belasten die Straßen in vergleichbarer Form wie Lastkraftwagen. Die Be-
lastung der Straßen steigt progressiv mit dem Gewicht des Fahrzeugs. Laut einer
Untersuchung der britischen Cambridge University gilt ,als Faustregel für den
Straßenfraß durch Lkw das „Gesetz der vierten Potenz“ […] Ein Vierzig-Ton-
nen-Lastzug mit zehn Rädern entspricht in seinem Schadenspotential 163 840
vierrädrigen Mittelklassewagen. (DER SPIEGEL, 12/1991). Auch die Maut-
pflichtigkeit schwerer Lastkraftwagen wurde insbesondere mit der enormen
Belastung der Verkehrswege durch schwere Lkw, was eine entsprechend hohe
anteilige Anlastung der Kosten für den Bau und Erhalt des Verkehrswegs erfor-
dern würde, begründet. Es gibt keine überzeugenden Gründe dafür, im Linien-
fernverkehr eingesetzte Busse nicht mit einer vergleichbaren Maut zu belasten,
zumal Züge für jeden gefahrenen Kilometer Trassenpreise zahlen müssen. Zu-
sätzlich sind Stationspreise für jeden Zughalt zu zahlen.

Deswegen müssen Fernbusse im Linienverkehr im Sinne der Wettbewerbs-
gleichheit wie Lkw mautpflichtig werden und damit die bestehende Ausnahme
von der Mautpflicht für Kraftomnibusse aufgehoben werden. Laut dem für die
zulässige Höhe der Lkw-Maut maßgeblichen Wegekostengutachten aus dem
Jahr 2007 müssen (Reise-)Busse eine Maut in Höhe von 10 Cent pro Kilometer
auf Autobahnen zahlen. Eine Mauterhebung kann eventuell erst ab dem Jahr
2013 erfolgen, weil für die Mautpflicht von Bussen noch technische und vertrag-
liche Vorkehrungen bzw. Anpassungen getroffen werden müssen. Keine
Busmaut ist für Buslinien im öffentlichen Personennahverkehr und Busse im
(touristischen) Gelegenheitsverkehr vorzusehen.

Zu Nummer 7

Die Planungsgesellschaften BVU Beratergruppe Verkehr+Umwelt GmbH, itp
Intraplan Consult GmbH untersuchten im Zuge ihrer Studie „Überprüfung des
Bedarfsplans für die Bundesschienenwege“ (Abschlussbericht, November 2010:
www.bmvbs.de/cae/servlet/contentblob/59400/publicationFile/30358/schlussbe-
richt-schienen-de.pdf) auch die Auswirkungen einer Fernbusliberalisierung.
Dazu nahmen sie die bestehenden Fernbusverbindungen Berlin–Dresden und
Berlin–Hamburg als Grundlage ihrer Abschätzungen. Die bei den Fernbusver-
bindungen zu zahlenden Fahrpreise lagen deutlich unter denen der Deutschen
Bahn AG und in beiden Fälle noch leicht unter denen des Fahrpreises bei Einsatz
einer BahnCard 50. Daraus folgerten die Sachverständigen: „Dies bedeutet, dass
der SPFV in Punkt-Punkt-Relationen gegenüber dem Bus nur dann konkurrenz-
fähig ist, wenn er deutliche Vorteile in Bezug auf Fahrtzeiten und die Bedie-
nungshäufigkeiten aufweisen kann.“ Die Fahrtzeitvorteile der Deutschen Bahn
AG sind gegeben – auf der Strecke Berlin–Dresden liegt die kürzeste Fahrtzeit
per Fernbus bei 150 Minuten, diejenige im Schienenpersonenfernverkehr bei
128 Minuten. Auf der Verbindung Berlin–Hamburg benötigt der Fernbus min-
destens 190 Minuten, der ICE 101 Minuten. Bei diesen Rahmenbedingungen
hält der Fernbus auf der „wettbewerbsstarken“ Relation Berlin–Hamburg einen
Marktanteil von 8 Prozent; auf der „wettbewerbsschwächeren Relation“ Berlin–
Dresden liegt der Marktanteil des Fernbusses sogar bei 16 Prozent.

Zu Nummer 8

Im Schienenpersonennahverkehr lag das Verkehrsaufkommen (Zahl der Fahr-
ten) 1994 bei 1 369 Millionen beförderten Personen; 2009 waren es 2 369 Mil-
lionen beförderte Personen. Die Verkehrsleistung im Schienenpersonennahver-
kehr stieg im gleichen Zeitraum von 30,3 Milliarden Personenkilometern (Pkm)
auf 47,1 Milliarden Pkm. Im Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) betrug das

Aufkommen 1994 139 Millionen beförderte Personen; 2009 waren es nur noch

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/7487

124 Millionen beförderte Personen. Die Leistung im SPFV lag 1994 bei
34,8 Milliarden Pkm; 2009 waren es 34,5 Milliarden Pkm.

Der SPFV verlor Anteile am Modal Split insbesondere an den Flugverkehr. Die
zwei wesentlichen Gründe dafür sind eine Verkehrsmarktordnung, die die
Schiene benachteiligt und die Straße und den Flugverkehr begünstigt. So ist der
gesamte gewerbliche Luftverkehr von einer Besteuerung auf Kerosin befreit und
im internationalen Luftverkehr wird keine Mehrwertsteuer fällig. Der Verkehr
auf der Schiene hingegen muss Energiesteuern (auf Strom bzw. Diesel) zahlen
und für den Schienenpersonenfernverkehr sind die vollen 19 Prozent Mehrwert-
steuer zu zahlen. Lediglich im Schienenpersonennahverkehr unter einer Stunde
bzw. unter 50 Kilometer Entfernung gilt der ermäßigte Mehrwertsteuersatz. Zu-
dem erfolgten in den letzten Jahrzehnten ein Abbau des Schienennetzes und ein
Rückgang des Angebots im Fernverkehr, insbesondere die vollständige Aufgabe
der Fernverkehrszuggattung Interregio.

Zu Nummer 9

Allein im Zeitraum 2003 bis Dezember 2011 – einschließlich der für Mitte De-
zember 2011 angekündigten Fahrpreissteigerungen – stiegen die Fahrpreise im
Fernverkehr um 31,5 Prozent und im Nahverkehr um 31,1 Prozent. Unter Be-
rücksichtigung der Inflation ergibt dies einen realen Anstieg um gut 15 Prozent.
Zu beachten sind dabei noch versteckte Preiserhöhungen; so erhöhte sich im ge-
nannten Zeitraum allein der Preis für die BahnCard 50 um 74 Prozent. Vor dem
Hintergrund der Verschlechterungen im Schienenverkehr (Sommer- und Win-
terchaos; S-Bahn Berlin-Krise), des Reallohnstillstands und der Offensive von
Billigfliegern und preiswerten Busangeboten trägt eine solche Preispolitik dazu
bei, dass Bahnfahren für immer weniger Menschen attraktiv und bezahlbar ist.

Zu Nummer 10

Artikel 87e Absatz 4 des Grundgesetzes lautet abschließend: „Das Nähere wird
durch Bundesgesetz geregelt.“ Bis heute gibt es kein Bundesgesetz, das regelt,
wie bei den „Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz“ dem „Wohl der All-
gemeinheit“ und „den Verkehrsbedürfnissen“ Rechnung zu tragen ist. Die der-
zeitige Bundesregierung will daran offenkundig nichts ändern.

Zu Nummer 11

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP vom Oktober 2009 wird auf
S. 39 festgehalten: „Wir werden die Vorschläge zur Einführung eines Deutsch-
landtaktes im Schienenpersonenverkehr einer sorgfältigen Überprüfung unter
Beteiligung der Länder unterziehen.“

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.