BT-Drucksache 17/7359

Einsetzung einer Kommission des Deutschen Bundestages zur Regulierung der Großbanken

Vom 19. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7359
17. Wahlperiode 19. 10. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Fritz Kuhn, Dr. Thomas Gambke,
Lisa Paus, Katrin Göring-Eckardt, Priska Hinz (Herborn), Katja Keul,
Sven-Christian Kindler, Ute Koczy, Markus Kurth, Dr. Tobias Lindner,
Ingrid Nestle, Brigitte Pothmer, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Einsetzung einer Kommission des Deutschen Bundestages zur Regulierung
der Großbanken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

International tätige Großbanken stellen aufgrund ihrer Größe, Struktur und Ver-
netzung ein Risiko dar. Sie sind aufgrund des enormen Schadens, den eine
Pleite auslösen würde, zu groß und zu vernetzt zum Scheitern (too big to fail,
too interconnected to fail) und können deshalb im Falle einer Schieflage mit
einer staatlichen Rettung rechnen. De facto besteht für sie damit eine implizite
und kostenlose Staatsgarantie, die Vorteile bei der Refinanzierung gegenüber
kleineren Instituten bietet und das Eingehen größerer Risiken erlaubt. Das ver-
schafft ihnen eine Sonderstellung in der Wirtschaft sowie ökonomische und
politische Macht. Obwohl die Großbanken international agieren, fallen die Ret-
tungskosten letztlich im Sitzstaat an. So ergibt sich die Gefahr, dass die Ge-
winne privatisiert, die Verluste aber sozialisiert werden. Das gilt auch für Groß-
banken mit Sitz in Deutschland. Deshalb muss im Interesse der deutschen
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die Großbankenthematik gelöst werden.

II. Der Deutsche Bundestag setzt eine Kommission zur Regulierung der Groß-
banken ein.

Diese soll für Deutschland Vorschläge entwickeln, die geeignet sind, das Ge-
fährdungspotential, das mit systemrelevanten Banken verbunden ist, die damit
einhergehende implizite Staatsgarantie sowie die daraus folgenden Refinanzie-
rungsvorteile vollständig abzubauen. Die Kommissionsvorschläge sollen bis
zum 30. September 2012 erarbeitet werden, damit der Deutsche Bundestag
darauf aufbauend geeignete Gesetzesvorschläge noch in der 17. Wahlperiode
beraten und verabschieden und – soweit Änderungen im deutschen Recht nicht
ausreichend sind – Anregungen für die weitere europäische Gesetzgebung ge-

ben kann.

Die Kommission beschäftigt sich im Rahmen der Lösung der Großbankenpro-
blematik insbesondere mit den folgenden Themenfeldern:

● Trennsystem für Banken: Welche organisatorischen Eingriffe sind am besten
geeignet zu gewährleisten, dass künftige Staatshilfen bei Bankschieflagen
auf das klassische Einlagen- und Kreditgeschäft konzentriert und das ris-

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kante Investmentbanking von einer staatlichen Rettung ausgegrenzt werden
können? Inwieweit sollten Investmentbanking und klassisches Bankgeschäft
auch im laufenden Geschäftsbetrieb getrennt werden?

● Kapital- und Liquiditätszuschläge für systemrelevante Banken: Inwiefern
sind mit der Systemrelevanz überproportional steigende Kapital- und Liqui-
ditätszuschläge geeignet, bei systemrelevanten Banken einen starken Anreiz
zu setzen, ihre Systemrelevanz aus eigenem Antrieb aufzugeben? Welchen
Beitrag kann eine Schuldenbremse für Banken, also eine verbindlich einzu-
haltende, ungewichtete Eigenkapitalquote (Leverage Ratio) zur Begrenzung
des von Großbanken ausgehenden Systemrisikos und damit für mehr Finanz-
stabilität leisten? Werden in diesem Zusammenhang die in Basel III beschlos-
senen Maßnahmen als ausreichend empfunden?

● Wettbewerbsrecht: Kann über wettbewerbsrechtliche Maßnahmen wie expli-
zite Größenbeschränkungen, Entflechtung, Fusionskontrolle o. Ä. ein Beitrag
zur Lösung des Too-Big-To-Fail-Problems geleistet werden?

Der Kommission gehören neun Mitglieder des Deutschen Bundestages und
neun Sachverständige an. Die Fraktion der CDU/CSU benennt vier Mitglie-
der und vier Sachverständige, die Fraktion der SPD zwei Mitglieder und
zwei Sachverständige, die Fraktionen FDP, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN benennen je ein Mitglied und je einen Sachverständigen. Für
jedes Mitglied des Deutschen Bundestages kann ein stellvertretendes Mitglied
benannt werden. Die Sachverständigen sollen aus Finanzwirtschaft, Aufsichts-
behörden und Wissenschaft stammen. Vertreter der Bundesregierung oder ihr
nachgeordneter Behörden können an den Beratungen mitwirken. Die Kommis-
sion kann Anhörungen durchführen, Arbeitsgruppen einsetzen sowie Experti-
sen und Gutachten in Auftrag geben. Sie soll die Erkenntnisse aus der interna-
tionalen Diskussion, insbesondere die Ergebnisse vergleichbarer Kommissio-
nen in der Schweiz und in Großbritannien aufgreifen.

Berlin, den 18. Oktober 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Über drei Jahre nach der Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers ist
die sogenannte Too-Big-To-Fail-Problematik noch immer ungelöst: Banken und
Finanzinstitute in Europa und Deutschland können sich noch immer auf die
rettende Hand des Staates verlassen, wenn sie in eine Schieflage geraten oder zu
geraten drohen. Systemrelevante und nichtabwickelbare Banken erwiesen sich
zuletzt in der aktuellen europäischen Staatsschuldenkrise als hochproble-
matisch: Nachhaltige Lösungen im Falle Griechenland wurden immer wieder
mit dem Argument verhindert, dass der Finanzsektor eine Umschuldung nicht
verkraften und die Gefahr einer Bankenpleite unkontrollierbare Folge- und An-
steckungseffekte systemischen Ausmaßes nach sich ziehen könnten. Letztlich
verhindern also auch nichtabwickelbare systemrelevante Banken die erforder-
liche Entschuldung Griechenlands. Ein Teil der Lösung der europäischen Staats-
schuldenkrise muss daher auch in der Lösung der Too-Big-To-Fail-Problematik
liegen.

Die Problematik systemrelevanter Unternehmen kann sich auch in anderen

Teilen der Finanzbranche, etwa der Versicherungsbranche, und in anderen
Branchen stellen. In jeder Branche sind allerdings die Lösungsansätze unter-

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schiedlich. Deshalb ist es richtig, als Konsequenz aus der Finanzkrise zunächst
die Großbankenthematik anzugehen und dann weitere Branchen in den Blick
zu nehmen.

In der Schweiz hat die „Expertenkommission zur Limitierung volkswirtschaft-
licher Risiken von Großunternehmen“, die mit Vertretern aus Regierung, Auf-
sicht und Privatwirtschaft besetzt war, bereits im September 2010 weit rei-
chende Vorschläge zur Eindämmung der Problematik vorgelegt. Zu diesen Vor-
schlägen gehören beispielsweise mit der Systemrelevanz progressiv steigende
Eigenkapitalanforderungen, die Pflicht zur Emission von Fremdkapital, das in
einer Schieflage in Eigenkapital gewandelt werden kann (sog. CoCo-Bonds)
und somit auch Bankgläubiger mit in die Pflicht nimmt, oder die verpflichtende
Erstellung von Banktestamenten, in denen Pläne zur Abwicklung von Großban-
ken schon im Vorhinein festgelegt sind.

Auch in Großbritannien präsentierte im September 2011 die „Independent
Commission on Banking“ (die sog. Vickers-Commission) einen Bericht zur
Eindämmung der Großbankenproblematik. Der Kern der Vorschläge besteht in
der Forderung nach der obligatorischen Einführung eines internen Trennsys-
tems im Konzernaufbau von Banken, um im Fall von Schieflagen etwaige
staatliche Hilfen auf das realwirtschaftlich gewünschte Einlagen- und Kreditge-
schäft konzentrieren zu können, das riskante Investmentbanking hingegen
glaubhaft von solchen Hilfen ausgrenzen zu können.

In Deutschland wurde die Großbankenthematik bislang weitgehend verdrängt,
obwohl sie auch für Deutschland unbestreitbar besteht. Insbesondere das größte
Institut, die Deutsche Bank AG, hat mit einer Bilanzsumme von rd. 1,9 Bio.
Euro eine gefährliche Größe erreicht. Das Restrukturierungsgesetz ist für Groß-
banken wie sie nicht anwendbar, wie Experten anlässlich der entsprechenden
Bundestagsanhörung monierten. Im Verhältnis der Bilanzsumme der Bank zur
jährlichen deutschen Wirtschaftsleistung von rd. 2,5 Bio. Euro wird deutlich,
dass es sich um ein nicht hinnehmbares Großrisiko für die deutsche Volkswirt-
schaft handelt, für das die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler noch nicht einmal
angemessen entschädigt werden.

Ziel des Deutschen Bundestages ist es erstens sicherzustellen, dass Steuerzahle-
rinnen und Steuerzahler nicht mehr zwangsweise Bürgen und Versicherer ohne
Prämienzahlung sein müssen. Zweitens soll die Haftung als tragendes Prinzip
einer funktionsfähigen Marktwirtschaft in der deutschen Finanzwirtschaft wie-
derhergestellt werden: Es darf nicht länger sein, dass im Finanzsektor Gewinne
privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Die Lösung des Großbankenpro-
blems ist die wichtigste Voraussetzung hierzu. Mit diesem Antrag werden Ver-
fahren und Zeitplan festgelegt, um dieses Problem zu lösen.

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