BT-Drucksache 17/6931

Rüstungsexporte nicht zu Lasten von Menschenrechten genehmigen

Vom 7. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6931
17. Wahlperiode 07. 09. 2011

Antrag
der Abgeordneten Katja Keul, Hans-Christian Ströbele, Tom Koenigs, Kerstin
Andreae, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, Viola
von Cramon-Taubadel, Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Thilo Hoppe, Uwe
Kekeritz, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Ute Koczy, Dr. Tobias
Lindner, Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Ingrid Nestle, Omid Nouripour,
Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Elisabeth Scharfenberg,
Dr. Frithjof Schmidt, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rüstungsexporte nicht zu Lasten von Menschenrechten genehmigen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Einer restriktiven Rüstungsexportpolitik kommt eine besondere friedens- und
sicherheitspolitische Bedeutung zu, die sich unter anderem in Artikel 26 des
Grundgesetzes widerspiegelt: „Zur Kriegsführung bestimmte Waffen dürfen
nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Ver-
kehr gebracht werden.“ Waffen sind kein Gut wie jedes andere.

Das Grundgesetz, das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen
(KrWaffKontrG) und das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) bilden den gesetz-
lichen Rahmen, innerhalb dessen die Bundesregierung über Exportanträge für
Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter zu entscheiden hat. Zur näheren Qua-
lifizierung des Ermessensspielraums hat die Bundesregierung Rüstungsexport-
richtlinien erlassen, die auch den „Gemeinsamen Standpunkt des Rates der Euro-
päischen Union betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr
von Militärtechnologie und Militärgütern“ umfassen. Derzeit werden Rüstungs-
exportanträge grundsätzlich im Einzelfall bewertet.

Die Bundesregierung hat ihre Rüstungsexportrichtlinien in dem Bestreben erlas-
sen, „ihre Rüstungsexportpolitik restriktiv zu gestalten und durch die Begren-
zung und Kontrolle des Exports von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgü-
tern einen Beitrag zur Sicherung des Friedens, der Gewaltprävention, der Men-
schenrechte und einer nachhaltigen Entwicklung in der Welt zu leisten.“ Die im
Jahr 2001 überarbeiteten Rüstungsexportrichtlinien legen unabhängig vom
Empfängerland und dem konkreten Rüstungsgut fest, dass der Beachtung der
Menschenrechte im Empfängerland besonderes Gewicht beigemessen werden

muss. Hierzu heißt es in den Rüstungsexportrichtlinien: „Genehmigungen für
Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden grundsätzlich
nicht erteilt, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese zur internen Re-
pression im Sinne des EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren oder zu sonsti-
gen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen miss-
braucht werden. Für diese Frage spielt die Menschenrechtssituation im Empfän-

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gerland eine wichtige Rolle. In eine solche Prüfung der Menschenrechtsfrage
werden Feststellungen der EU, des Europarates, der Vereinten Nationen (VN),
der OSZE und anderer internationaler Gremien einbezogen. Berichte von inter-
nationalen Menschenrechtsorganisationen werden ebenfalls berücksichtigt.“

Der Export von Kriegswaffen an Drittstaaten ist grundsätzlich nicht zu ge-
nehmigen. Lediglich im Einzelfall können besondere außen- oder sicherheits-
politische Interessen der Bundesrepublik Deutschland für eine ausnahmsweise
zu erteilende Genehmigung sprechen. „Beschäftigungspolitische Gründe dür-
fen keine ausschlaggebende Rolle spielen.“

„Genehmigungen für Exporte nach KWKG und/oder AWG kommen nicht in
Betracht, wenn die innere Lage des betreffenden Landes dem entgegensteht,
z. B. bei bewaffneten internen Auseinandersetzungen und bei hinreichendem
Verdacht des Missbrauchs zu innerer Repression oder zu fortdauernden und
systematischen Menschenrechtsverletzungen.“

Genehmigungen für den Export sonstiger Rüstungsgüter sind nur zu erteilen,
wenn die im Rahmen der Vorschriften des Außenwirtschaftsrechts zu schützen-
den Belange der Sicherheit, des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder
der auswärtigen Beziehungen nicht gefährdet werden.

Der Anspruch, eine restriktive Gewaltprävention, Menschenrechte und nachhal-
tige Entwicklung berücksichtigende Rüstungsexportpolitik zu verfolgen, wird in
der Praxis nicht eingehalten. Die Kriterien der Rüstungsexportrichtlinien und
des gemeinsamen Standpunktes werden allzu oft industriepolitisch und export-
fördernd interpretiert. Deutschland ist zu einem der größten Exporteure von
Waffen und Rüstungsgütern weltweit geworden. Unter den Empfängern sind
nicht nur EU- und NATO-Staaten, sondern in zunehmenden Maße auch Dritt-
staaten mit verheerender Menschenrechtsbilanz. Hinzu kommt, dass im Rahmen
von Koproduktionen oder Zulieferungen deutsche Rüstungslieferungen über
andere Staaten in Krisenregionen landen. Durch deutsche Rüstungslieferungen
werden oft noch Jahre und Jahrzehnte nach der erfolgten Lieferung bestehende
Spannungen und Konflikte ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft.

Die Konsequenzen dieser ausufernden Genehmigungspraxis wurden in den
Staaten Nordafrikas auf tragische Weise evident. Die autoritären Regime der
Region nutzten auch deutsche Waffen und Rüstungsgüter, um die nach Freiheit
strebenden Demokratiebewegungen in ihren Ländern zu bekämpfen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Kriterien der Rüstungsexportrichtlinien und des Gemeinsamen Stand-
punktes des Rates der Europäischen Union betreffend gemeinsame Regeln
für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern
strikt anzuwenden und somit eine restriktive Genehmigungspraxis zu
gewährleisten. Dabei ist sicherzustellen, dass keine Genehmigungen für den
Export von Rüstungsgütern erteilt werden, wenn die innere Lage des be-
treffenden Landes dem entgegensteht und die zu schützenden Belange der
Sicherheit, des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder der auswärti-
gen Beziehungen gefährdet sind;

2. im Rüstungsexportbericht für alle Empfängerländer darzulegen, inwieweit
jeweils die Kriterien der Rüstungsexportrichtlinien, einschließlich des
Gemeinsamen Standpunktes der EU für Waffenausfuhren, erfüllt werden,
und dabei insbesondere das Ergebnis der Prüfung der Menschenrechtslage
hervorzuheben;

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3. geplante Kriegswaffenexporte an Drittstaaten rechtzeitig vor deren Vollzug
gegenüber dem Deutschen Bundestag zu begründen. Dabei ist das besondere
außen- oder sicherheitspolitische Interesse der Bundesrepublik Deutschland
im Einzelfall in geeigneter Weise darzulegen;

4. für Länder, in denen erhebliche Menschenrechtsverletzungen festgestellt
werden (z. B. im UN-Menschenrechtsbericht), einen generellen Genehmi-
gungsstopp für Kriegswaffen zu erlassen. Bei sonstigen Rüstungsgütern sind
zumindest der Genehmigungsanspruch aufzuheben und eine Genehmigung
nur im – gegenüber dem Bundestag zu begründenden – Ausnahmefall bei
besonderem sicherheitspolitischen Interesse zu erteilen;

5. wegen der aktuellen Entwicklung in Nordafrika und den arabischen Staaten
gemäß vorstehender Forderungsziffer insbesondere für die Länder Libyen,
Syrien, Jemen, Bahrein, die Vereinigten Arabischen Emirate, aber auch
Saudi-Arabien keine Kriegswaffen- und regelmäßig keine sonstigen Rüs-
tungsgüterlieferungen zu genehmigen;

6. die Federführung für Rüstungsexportpolitik vom Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie auf das Auswärtige Amt zu übertragen und den
Menschenrechtsbeauftragten in die Bewertung von Genehmigungsanfragen
mit einzubeziehen;

7. sich international, vor allem im Rahmen der EU und der Verhandlungen
über ein internationales Abkommen zur Kontrolle des Waffenhandels, für
eine restriktive Rüstungsexportpolitik einzusetzen.

Berlin, den 5. September 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Nicht nur die Ereignisse in Nordafrika, sondern auch skandalöse Ausfuhren
von Waffen und Waffenfabriken in Staaten wie Saudi-Arabien, denen selbst der
Menschenrechtsbericht der Bundesregierung zahlreiche Menschrechtsver-
letzungen attestiert, machen deutlich, dass enormer Handlungsbedarf bei der
deutschen Rüstungsexportkontrolle besteht. Deutsche Rüstungslieferungen
werden immer wieder – häufig erst Jahre nach der Lieferung – zur Störung des
friedlichen Zusammenlebens der Völker eingesetzt. Ursache ist eine groß-
zügige Genehmigungspraxis. Lösungsansätze dürfen nicht nur bei Einzelfällen
ansetzen, sondern müssen das System als Ganzes verbessern, um ähnliche
Fehlentwicklungen in der Zukunft zu verhindern.

Bei konsequenter Anwendung der Kriterien der Rüstungsexportrichtlinien der
Bundesregierung und des Gemeinsamen Standpunktes des Rates der Europäi-
schen Union betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von
Militärtechnologie und Militärgütern wären zahlreiche Waffen- und Rüstungs-
güterausfuhren in äußerst fragwürdige Empfängerländern unterblieben. Eine
verantwortliche und restriktive Rüstungsexportpolitik, die sich den Menschen-
rechten und der Friedenspolitik verschreibt, ist nur bei strenger und konse-
quenter Anwendung der genannten Kriterien möglich. Deshalb ist es angezeigt,
dass die Bundesregierung in ihren jährlichen Rüstungsexportberichten darlegt,
inwieweit die Empfängerländer die Kriterien der Rüstungsexportrichtlinien
einhalten. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Menschenrechtslage zu

legen.

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Der Wert von Kriegswaffenausfuhren an Drittstaaten war 2009 mit 783 Mio. Euro
mehr als doppelt so hoch wie der an Verbündete in EU und NATO (321 Mio.
Euro), obwohl Kriegswaffenausfuhren in Drittstaaten nur in begründeten Aus-
nahmefällen zu genehmigen sind. Die Bundesregierung fällt ihre Entscheidung
diesbezüglich in geheim tagenden Gremien. Art und Umfang der Geheim-
haltung sind weit überzogen. Die Beweggründe können durch Parlament und
Öffentlichkeit derzeit nicht überprüft werden. Um mehr Transparenz und
Kontrolle, gerade im sensiblen Bereich der Rüstungsausfuhren an Drittstaaten,
zu erreichen, ist eine dezidierte Darlegung der jeweiligen außen- und sicher-
heitspolitischen Interessen, die eine ausnahmsweise erteilte Genehmigung von
Kriegswaffen rechtfertigen, gegenüber dem Bundestag zwingend notwendig.

Das friedliche Zusammenleben der Völker ist auch gestört, wenn die Gefahr
besteht, dass deutsche Rüstungsgüter, die keine Kriegswaffen sind, zur Unter-
drückung und Repression im Innern missbraucht werden. Deshalb ist es Auf-
gabe der Bundesregierung und der ihrer Durchführungsorganisationen, § 7
AWG und die Rüstungsexportrichtlinien zu nutzen, um den Handel mit
Rüstungsgütern stärker als bisher zu beschränken. Weltweit gibt es zahlreiche
Staaten, die sich aufgrund der desolaten Menschenrechtslage deutlich für den
Export von Kriegswaffen disqualifiziert haben und denen gegenüber es geboten
ist, den Export sonstiger Rüstungsgüter erheblich einzuschränken. Bei Ver-
stößen gegen die Menschenrechte sind konsequent besondere Maßnahmen
gegen die jeweiligen Länder zu erlassen. Das Außenwirtschaftsgesetz gibt der
Bundesregierung bereits die Möglichkeit, per Verordnung solche Maßnahmen
in die Außenwirtschaftsverordnung aufzunehmen. Sie setzt derzeit jedoch
lediglich Embargos der VN oder EU um. Der Ermessensspielraum der Bundes-
regierung bei der Erteilung von Exportgenehmigungen für Kriegswaffen an
Länder, in denen (z. B. im UN-Menschenrechtsbericht) erhebliche Menschen-
rechtverletzungen festgestellt wurden, soll gesetzlich begrenzt werden.

In den Ländern Libyen, Syrien, Jemen, Bahrein und Saudi-Arabien ist es in den
letzten Monaten zu schweren Menschenrechtsverletzungen bei den Versuchen
gekommen, Demokratiebewegungen zu unterdrücken. Die Streitkräfte wurden
mit Kriegswaffen im eigenen Lande oder wie in Bahrein sogar in Interventio-
nen aus dem Nachbarstaat Saudi-Arabien gegen die Bevölkerung eingesetzt.

Die Frage des zuständigen Bundesministeriums ist keinesfalls eine rein for-
melle Frage, sondern entscheidend für eine inhaltlich ausgewogene Entschei-
dung.

Es zeigt sich immer wieder, dass Probleme in der Rüstungsexportkontrolle aus
Fehleinschätzungen der Lage in den Empfängerländern resultieren. Die Be-
wertung eines Exportantrags anhand der Kriterien der Rüstungsexportricht-
linien und des Gemeinsamen Standpunkts der EU bedarf einer profunden
Sachkenntnis bezüglich des jeweiligen Empfängerlandes. Es ist weniger wirt-
schaftspolitisches als außenpolitisches Fachwissen gefragt. Dies bestätigte
selbst der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie, Hans-Joachim Otto, in der 119. Sitzung des Deutschen
Bundestages am Mittwoch, den 6. Juli 2011: „Das Ressort, das ich hier zu ver-
treten habe, ist nach den Politischen Grundsätzen für den Export von Rüstungs-
gütern, die wir alle kennen, aufgrund seiner Interessenlage nur zu einem ge-
ringeren Teil betroffen, nämlich nur hinsichtlich der Frage, inwieweit Arbeits-
plätze eine Rolle spielen, und das darf nur eine nachgeordnete Rolle spielen.“

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