BT-Drucksache 17/657

Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 622 Absatz 2 Satz 2 BGB) - Diskriminierungsfreie Ausgestaltung der Kündigungsfristen bei Arbeitsverhältnissen

Vom 9. Februar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/657
17. Wahlperiode 09. 02. 2010

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Jerzy Montag, Beate Müller-Gemmeke, Ingrid Hönlinger,
Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, Memet Kilic, Maria Klein-Schmeink,
Markus Kurth, Brigitte Pothmer, Elisabeth Scharfenberg, Christine Scheel,
Dr. Harald Terpe, Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs
(§ 622 Absatz 2 Satz 2 BGB) – Diskriminierungsfreie Ausgestaltung
der Kündigungsfristen bei Arbeitsverhältnissen

A. Problem

Mit Urteil vom 19. Januar 2010 (C 555/07) hat der Europäische Gerichtshof
(EuGH) festgestellt, dass das unionsrechtliche Verbot der Diskriminierung we-
gen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78/EG des
Rates vom 27. November 2000 einer Regelung entgegensteht, nach der vor Voll-
endung des 25. Lebensjahrs liegende Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers
bei der Berechnung der Kündigungsfrist nicht berücksichtigt werden.

§ 622 Absatz 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sieht aber genau
dies vor.

Die nationalen Gerichte sind unionsrechtlich verpflichtet, diese Norm nicht wei-
ter anzuwenden. Deutschland ist unionsrechtlich verpflichtet, diese Norm aufzu-
heben.

B. Lösung

§ 622 Absatz 2 Satz 2 BGB wird gestrichen.

C. Alternativen

Keine

D. Kosten
Keine

Eine Auswertung, die Altersgruppen und Unternehmenszugehörigkeit in Bezie-
hung setzt, liegt nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes vom 19. Januar
2009 nicht vor. Nach Angaben der Gewerkschaften betrifft die Rechtslage zahl-
reiche Tarifverträge, in denen die 25-Jahresgrenze übernommen wurde.

Drucksache 17/657 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs
(§ 622 Absatz 2 Satz 2 BGB) – Diskriminierungsfreie Ausgestaltung
der Kündigungsfristen bei Arbeitsverhältnissen

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs

In § 622 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der
Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I
S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Gesetz vom
28. September 2009 (BGBl. I S. 3161) geändert worden ist,
wird Satz 2 aufgehoben.

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am ersten Tag des auf die Verkündung
folgenden Kalendermonats in Kraft.

Berlin, den 9. Februar 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

schäftigungszeiten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern, die vor Vollendung des 25. Lebensjahrs liegen, bei
der Berechnung der Kündigungsfrist nicht berücksichtigt
werden, gegen das unionsrechtliche Verbot der Diskriminie-
rung wegen des Alters (EuGH, Urteil vom 19. Januar 2010,
C 555/07 – „Kücükdeveci“).

§ 622 Absatz 2 Satz 2 BGB ist – im Wortlaut bis heute unver-
ändert – seit dem 9. Juli 1926 in Kraft (RGBl. I S. 399). Die
gesetzlichen Kündigungsfristen waren zunächst in verschie-
denen Gesetzen geregelt. In seiner Erstfassung galt § 622
BGB nur für Angestellte in Diensten höherer Art (vgl. Hesse
in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2009, § 622
Rn. 1 ff.). Durch das 1. Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vom
14. August 1969 kam es zu einer Vereinheitlichung (BGBl. I
S. 1106).

Die Schwelle von 25 Jahren war das Ergebnis eines Kom-
promisses zwischen der damaligen Regierung, die eine ein-
heitliche Verlängerung der Kündigungsfrist für Beschäftigte
über 40 Jahren um drei Monate gewünscht hat, den Befür-
wortern einer stufenweisen Verlängerung dieser Frist für
alle Beschäftigte und den Befürwortern einer stufenweisen
Verlängerung ohne Berücksichtigung der Beschäftigungs-
dauer. Ziel dieser Regel im Jahre 1926 war es, die Arbeit-
geberseite von den Belastungen durch die längeren Kündi-
gungsfristen teilweise freizustellen, nämlich bei Beschäftig-
ten unter 25 Jahren (vgl. EuGH, a. a. O.).

§ 622 Absatz 2 Satz 2 BGB spiegelt die damalige Einschät-
zung des Gesetzgebers wider, dass es jüngeren Beschäftigten
regelmäßig leichter falle und schneller gelinge, auf den Ver-
lust ihres Arbeitsplatzes zu reagieren, und dass ihnen größere
Flexibilität zugemutet werden könne (vgl. EuGH, a. a. O.).

Die Regelung behandelt aber selbst junge Beschäftigte unter-
einander ungleich, weil sie diejenigen jungen Menschen
trifft, die ohne oder nach nur kurzer Berufsausbildung früh
eine Arbeitstätigkeit aufnehmen, nicht aber diejenigen, die
nach langer Ausbildung später in den Beruf eintreten (EuGH,
a. a. O.).

pflichtet, diese Norm nicht weiter anzuwenden. Andererseits
besteht nach innerstaatlichem Recht eine Bindung der Ge-
richte an Gesetz und Recht (Artikel 20 Absatz 3 des Grund-
gesetzes – GG). Danach kann eine nationale Rechtsvorschrift
nur unangewendet bleiben, wenn sie vom Bundesverfas-
sungsgericht für verfassungswidrig erklärt wird (Artikel 100
Absatz 1 Satz 1 GG). Hieraus wird ein Normverwerfungs-
monopol des Bundesverfassungsgerichtes abgeleitet.

Das Bundesverfassungsgericht hat Vorlagen betreffend § 622
Absatz 2 Satz 2 BGB aber bereits als unzulässig zurückge-
wiesen. Es sei auch ohne Vorlage nicht auszuschließen, dass
das Gesetz dem europäischen Gemeinschaftsrecht wider-
spreche. Die Sache sei daher nicht entscheidungserheblich
(BVerfG, Beschluss vom 18. November 2008 – 1 BvL 4/08).
Zudem ist eine Vorlage bei dem EuGH durch das Bundesver-
fassungsgericht selbst im Bundesverfassungsgerichtsgesetz
bislang nicht vorgesehen.

Die Europäische Kommission hat der Bundesregierung am
9. Oktober und am 29. Oktober 2009 ihre Stellungnahmen in
den Vertragsverletzungsverfahren wegen unzureichender
Umsetzung dreier EU-Richtlinien gegen Diskriminierung
übersandt. Die Bundesrepublik Deutschland wurde gemäß
Artikel 226 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Euro-
päischen Gemeinschaft aufgefordert, binnen zweier Monate
die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um ihren ver-
traglichen Pflichten nachzukommen. Anderenfalls drohen
Klageverfahren vor dem EuGH. Zu möglichen Maßnahmen
hat sich die Bundesregierung bislang nicht geäußert (vgl.
Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN, Bundestagsdrucksache 17/421).

Die ersatzlose Streichung der europarechtswidrigen Vor-
schrift des § 622 Absatz 2 Satz 2 BGB kann nur ein erster
und notwendiger Schritt sein, dem alsbald weitere Anglei-
chungen im Arbeitsrecht und öffentlichen Dienstrecht an
zwingende europäische Vorgaben folgen müssen. Die Anti-
Diskriminierungsrichtlinien müssen vollständig in nationa-
les Recht umgesetzt werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/657

Begründung

Der EuGH hat am 19. Januar 2010 die Rechtssache
„Kücükdeveci“ entschieden. Daraus ergibt sich, dass § 622
Absatz 2 Satz 2 BGB von den nationalen Gerichten nicht
weiter angewendet werden darf, weil er das europarecht-
liche Verbot der Altersdiskriminierung missachtet. Nach
dem Urteil verstößt die bisherige Regelung, nach der Be-

Der Grundsatz der Gleichbehandlung in Beschäftigung und
Beruf ist heute ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts,
der in der Richtlinie 2000/78/EG konkretisiert wird (EuGH,
a. a. O.).

Solange die damit unvereinbare Vorschrift nicht aufgehoben
wird, sind deutsche Gerichte einerseits unionsrechtlich ver-

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