BT-Drucksache 17/6348

Rechte von Patientinnen und Patienten durchsetzen

Vom 29. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6348
17. Wahlperiode 29. 06. 2011

Antrag
der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Ingrid Hönlinger, Fritz Kuhn,
Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, Markus Kurth,
Harald Ebner, Katrin Göring-Eckardt, Sven-Christian Kindler, Memet Kilic,
Jerzy Montag, Dr. Konstantin von Notz, Brigitte Pothmer, Josef Philip Winkler und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rechte von Patientinnen und Patienten durchsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Ziel eines Patientenrechtegesetzes muss es sein, die Rechtsstellung von Patien-
tinnen und Patienten zu stärken und sie im Behandlungsprozess von Betroffenen
zu Beteiligten zu machen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sie keine homogene
Gruppe sind, sondern es kulturelle und soziale Unterschiede zwischen ihnen
gibt. Alter, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung,
sexuelle Identität, Bildungsstand sowie vorliegende Behinderungen oder chro-
nische Erkrankungen beeinflussen Einstellungen, Perspektiven, Wünsche und
Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten, ebenso wie Art und Grad der Er-
krankung.

Patientenrechte und Patientenberatung haben in Deutschland im europäischen
Vergleich ein hohes Niveau erreicht. So wurden in der Zeit der rot-grünen Bun-
desregierung verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die kollektiven Patienten-
rechte und die demokratische Teilhabe der Patientinnen und Patienten zu stär-
ken. Dazu gehören exemplarisch die Einrichtung eines Patientenbeauftragten,
die Finanzierung unabhängiger Patientenberatungsstellen und Selbsthilfegrup-
pen durch die gesetzlichen Krankenkassen sowie Mitwirkungsmöglichkeiten
der Patientinnen und Patienten im Gemeinsamen Bundesausschuss. Durch die
Rechtsprechung wurden individuelle Patientenrechte weiter ausgestaltet; so
wurde bei groben Behandlungsfehlern eine Beweislastumkehr bezüglich der
Ursächlichkeit eingeführt.

Die heute geltenden Patientenrechte sind jedoch wenig transparent. Für kranke
Menschen ist es in der Regel schwierig, sich über die eigenen Rechte zu infor-
mieren, da sich Regelungen zu Patientenrechten u. a. im Sozialrecht, im Zivil-
recht, im Arzneimittel- und im Medizinprodukterecht befinden. Patientinnen
und Patienten kennen daher oftmals ihre Rechte gegenüber ihren Heilbehand-

lern, den übrigen Leistungserbringern sowie den Kostenträgern nicht.

Das Patientengeheimnis und die ärztliche Schweigeplicht sind Ausdruck eines
besonders geschützten Verhältnisses zwischen Behandelnden und Patienten.
Heute vollzieht sich im Gesundheitssektor nicht nur eine organisatorische, son-
dern auch eine technische Revolution. Ausdruck dafür sind regelmäßig IT-tech-
nisch unterstützte Modelle wie die integrierte Versorgung, das Hausarztmodell

Drucksache 17/6348 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

und das sog. Disease Management Programm (DMP). Weitgehende Telematik-
anwendungen wie die elektronische Gesundheitskarte stehen vor der breiten
Einführung. Der Erhalt der informationellen Selbstbestimmung im Gesundheits-
bereich stellt den Gesetzgeber deshalb vor besondere Herausforderungen.

Ein modernes Patientenrechtegesetz muss die Funktion haben, die weit verstreu-
ten Rechtspositionen von Patienten, Ärzten und anderen Heilbehandlern – so-
weit dies möglich ist – in einem eigenständigen Abschnitt des Bürgerlichen
Gesetzbuchs (BGB) zusammenzuführen, die bisherige Rechtsprechung zum Be-
handlungsvertrag und daraus entstehende Rechte und Pflichten einzubeziehen
und so den normativen Rahmen insgesamt transparenter und anwendungsbezo-
gener zu kodifizieren. Darüber hinaus müssen die individuellen Patientenrechte
nach einem Behandlungsfehler substantiell verbessert und weiterentwickelt
werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. zu nachfolgenden Eckpunkten einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die
grundlegenden Prinzipien, Rechte und Pflichten von Patientinnen und Pa-
tienten und Heilbehandlern im Bürgerlichen Gesetzbuch, in der Zivilprozess-
ordnung (ZPO), im Gerichtsverfahrensgesetz, im Fünften Buch Sozialgesetz-
buch (SGB V) und im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) geregelt werden.
Die Vorgaben betreffen Ärztinnen und Ärzte sowie für Angehörige anderer
Heilberufe wie Heilpraktiker, Hebammen, Psycho- und Physiotherapeuten
und Krankenkassen:

a) im Bürgerlichen Gesetzbuch einen eigenständigen Abschnitt zum Be-
handlungsvertrag einzuführen, der bereits existierende Vorschriften sowie
die bisherige zivilrechtliche Rechtsprechung zusammenführt und fol-
gende Rechte von Patientinnen und Patienten gegenüber Heilbehandlern
normiert:

● Patientinnen und Patienten haben das Recht, sich behandeln oder nicht
behandeln zu lassen sowie das Recht, die Einwilligung jederzeit – so-
weit noch möglich – zu widerrufen.

● Patientinnen und Patienten haben das Recht auf eine rechtzeitige und
vollständige Aufklärung bzw. Beratung über die Diagnose und ge-
plante Behandlung, über die Erfolgsaussichten, die Art und den
Umfang der vorgeschlagenen Behandlung sowie die Risiken der und
Alternativen zur Behandlung oder einer anderen Dienstleistung mit
Gesundheitsbezug. Ergänzend zum ausführlichen Ärzte-Patienten-
gespräch sind verständliche Informationsblätter einzusetzen. Die Auf-
klärung muss in einem standardisierten Protokoll nachgewiesen wer-
den und darf nicht zu einer Haftungsbeschränkung führen. Das Proto-
koll enthält patientengerecht aufgearbeitete, relevante Informationen
und darf nicht zu Werbezwecken missbraucht werden.

● Patientinnen und Patienten haben das Recht, auf eine ausführliche Auf-
klärung oder Beratung aus eigenem Antrieb zu verzichten, nachdem sie
in allgemeiner Form über die beabsichtigte Diagnostik oder Behand-
lung informiert oder bei Beratungen zu genetischen Untersuchungen
schriftlich über die Beratungsinhalte unterrichtet wurden.

● Alter, Geschlecht, ethnische Herkunft, Religion, sexuelle Identität oder
Behinderung dürfen nicht zu Nachteilen führen.

● Patienteninformationen sind in verständlicher Sprache zur Verfügung
zu stellen. Alle Patientinnen und Patienten haben das Recht, bei der

Ausführung der Dienstleistung eine barrierefreie Kommunikations-
form in Anspruch nehmen zu können.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6348

● Patientinnen und Patienten haben das Recht auf eine Behandlung und
Pflege nach dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft.
Maßstab einer guten Behandlung sind ärztliche Standards nach aktuel-
len wissenschaftlichen Erkenntnissen. Soweit vorhanden, sind durch
hochwertige Studien abgesicherte (evidenzbasierte) Leitlinien bzw.
Konsensusrichtlinien von medizinischen Fachgesellschaften einzube-
ziehen.

● Grundlage jeder Behandlung ist ein Behandlungsvertrag. Patientinnen
und Patienten haben das Recht zu erfahren, wer ihr Vertragspartner ist.

● Psychisch kranke Patientinnen und Patienten mit wiederkehrenden
psychischen Krankheitsverläufen haben das Recht mit der psychiatri-
schen Einrichtung eine Behandlungsvereinbarung schließen zu kön-
nen, in der sie festlegen, welche Behandlung sie sich im Falle einer feh-
lenden Entscheidungsfähigkeit wünschen.

● Patientinnen und Patienten haben das Recht auf Einsichtnahme in die
vollständige, richtige und fälschungssichere, die die Heilbehandlung
betreffende Dokumentation sowie auf die zeitnahe Herausgabe von
Kopien der vollständigen Dokumentation auf eigene Kosten.

● Nach einem Krankenhausaufenthalt, einer ambulanten Operation oder
einer diagnostischen Maßnahme erhalten Patientinnen und Patienten
den Durchschlag des Arztbriefes ausgehändigt, der Auskunft gibt zu
den Diagnosen und den erbrachten Leistungen während der Behand-
lung.

● Patientinnen und Patienten müssen über eingetretene Komplikationen
und Fehler unterrichtet werden und Unterstützung bei der Problem-
lösung erfahren.

● Als Behandlungsfehler soll gesetzlich definiert werden: Ein Behand-
lungsfehler ist eine nicht angemessene, insbesondere nicht sorgfältige,
nicht richtige oder nicht dem Stand der Wissenschaft entsprechende
Behandlung. Ein solcher Fehler liegt insbesondere dann vor, wenn
ohne fachliche Begründung erheblich gegen Standards von Fachgesell-
schaften, durch hochwertige Studienergebnisse abgesicherte (evidenz-
basierte) Leitlinien oder gegen Konsensusleitlinien verstoßen wurde.
Auch die fehlende, unvollständige, nicht dem Stand der Wissenschaft
entsprechende oder mangelhafte Aufklärung zu medizinischen Eingrif-
fen und deren Risiken oder eine unvollständige, nicht nachvollziehbare
Dokumentation des Behandlungsgeschehens begründen einen Behand-
lungsfehler.

● Solche Pflichtverletzungen können durch Ärztinnen und Ärzte sowie
durch zuarbeitende Personen begangen werden oder durch organisato-
rische Fehler bedingt sein.

● Es werden Ärztinnen und Ärzte und andere Heilbehandler, denen ein
Behandlungsfehler vorgeworfen wird, verpflichtet, die Akten zeitnah
und vollständig zur Verfügung zu stellen.

● Es wird eine zusätzliche Beweiserleichterung in Form einer „widerleg-
baren Vermutung“ für einfache Behandlungsfehler eingeführt, wenn
nachweislich der Patientin bzw. dem Patienten ein Schaden entstanden
ist und ein Behandlungsfehler vorliegt. In diesem Fall müssen die Ärz-
tinnen und andere Heilbehandler die Überzeugung des Gerichtes er-
schüttern, dass der eingetretene Schaden durch ihren Fehler eingetreten
ist. Bei groben Behandlungsfehlern soll weiterhin wie bisher die Be-

weislastumkehr gelten;

Drucksache 17/6348 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

b) im SGB V werden weitere Rechte von Patientinnen und Patienten gegen-
über Kostenträgern verankert:
● für die Bearbeitung von Anträgen durch die Kostenträger werden Zeit-

vorgaben gemacht. Die Bundesregierung wird beauftragt zu prüfen,
welche Fristen im Sinne einer Genehmigungsfiktion festgelegt werden
sollten, innerhalb derer eine Leistung als bewilligt gelten muss. Ent-
sprechende Regelungen sind für Privatversicherte im VVG zu schaf-
fen, soweit diese Leistungen von dem jeweiligen Vertrag erfasst sind.

● Die Verfahrensabläufe zwischen verschiedenen Kostenträgern und
Kostenträgerformen werden analog zu § 14 SGB IX konkretisiert.

● Versicherte haben das Recht einer barrierefreien Kommunikation.
● Auch Menschen ohne ausreichende deutsche Sprachkenntnisse haben

das Recht auf eine Aufklärung, die sie verstehen können. Deshalb muss
das Recht auf kostenlose Dolmetscherdienste zur Gewährleistung der
Aufklärung vor medizinischen Eingriffen im SGB V verankert werden.
Dabei ist darauf hinzuwirken, dass qualifizierte Dolmetscherdienste
zur Verfügung stehen.

● Bei Selektivverträgen sind vor Einschreibung und während der Lauf-
zeit des Vertrages die patientenrelevanten Informationen zugänglich zu
machen.

● Krankenkassen müssen die Versicherten bei der Verfolgung von Scha-
densersatzansprüchen, die bei der Inanspruchnahme von Versiche-
rungsleistungen aus Behandlungsfehlern, fehlerhaften Medizinproduk-
ten und Arzneimittel entstanden sind und die nicht nach § 116 SGB X
auf die Krankenkassen übergehen, unterstützen. Die Unterstützung von
Patientinnen und Patienten durch Gutachten des Medizinischen Diens-
tes der Krankenkassen wird als gesetzliche Leistung definiert. Zur Ver-
besserung der Qualität von Gutachten entwickelt der MDS einheitliche
Standards;

c) im SGB V werden weitere ergänzende Maßnahmen zur Förderungen der
Patientensicherheit und Wahrnehmung der Patienteninteressen eingefügt:
● Jede Einrichtung des Gesundheitswesens wird dazu verpflichtet, Maß-

nahmen und Strategien zur Fehlervermeidung einzuführen und konse-
quent einzusetzen.

● In den Qualitätsberichten der Krankenhäuser, welche auf der Grund-
lage von § 137 Absatz 3 Satz 1 Nummer 4 SGB V erstellt und veröf-
fentlicht werden müssen, wird verpflichtend der Umgang mit Beinahe-
fehlern, Maßnahmen zur Patientensicherheit, der Schutz der Patientin-
nen und Patienten vor gesundheitsgefährdenden und multiresistenten
Krankheitserregern sowie die sektorübergreifende Zusammenarbeit
mit Dritten in den genannten Bereichen transparent dargelegt.

● Zur Stärkung der kollektiven Patientenrechte erhalten die Patientenver-
treterinnen und -vertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss und sei-
nen Untergruppen Stimmrecht in Verfahrensfragen und eine bessere
personelle Unterstützung zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben;

d) im Gerichtsverfassungsgesetz und in der ZPO werden Regelungen einge-
fügt, um Patientinnen und Patienten vor Gericht zu stärken:
● für Arzthaftungsverfahren und Medizinrecht werden an den Zivilge-

richten entsprechende Spruchkörper benannt,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/6348

● der § 404 der ZPO wird dahingehend geändert, dass das Gericht vor der
Bestellung der Gutachterin bzw. Gutachters die Parteien über die beab-
sichtigte Bestellung unterrichtet und ihnen die Möglichkeit einräumt,
binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen.

● Die Bundesregierung wird beauftragt darzulegen, wie der Widerspruch
zwischen der zivilrechtlichen Verjährungshöchstfrist nach § 199 Ab-
satz 2 BGB und den Fristen zur Aufbewahrung von Arztakten nach der
Musterberufsordnung für Deutsche besser Ärzte harmonisiert werden
kann.

2. Zur Art, Häufigkeit und Entwicklung von Behandlungsfehlern wird unter
Federführung des Robert Koch-Instituts ein Monitoring geführt, welches
öffentlich zugänglich ist (Anzahl und Anlass von Verfahren, festgestellte
Fehler, Haftungsentscheidungen und Haftungssumme etc.).

3. Es wird zügig ein bundesweites Endoprothesenregister aufgebaut. Die Ergeb-
nisse sind so aufzubereiten, dass sie Ärztinnen und Ärzten sowie Patientinnen
und Patienten eine Entscheidungshilfe bieten.

4. Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland wird schrittweise weiter
ausgebaut. Die Patienteninformationen des Instituts für Qualität und Wirt-
schaftlichkeit im Gesundheitswesen werden weiterentwickelt.

5. Die Bundesregierung wird damit beauftragt, einen ausgearbeiteten Vorschlag
vorzulegen, wie eine Nachweispflicht für die Berufshaftpflichtversicherung
von Leistungserbringern, die Patientinnen und Patienten beraten, untersuchen
und behandeln, eingeführt und aufsichtsrechtlich sichergestellt werden kann.

6. Zur Verbesserung der außergerichtlichen Verfahren zur Schadensregulierung
wirkt die Bundesregierung darauf hin, dass die Verfahrensabläufe der
Schlichtungs- und Gutachterkommissionen bei den Ärztekammern einheit-
lich nach definierten Qualitätsstandards gestaltet werden und sich dabei an
den Empfehlungen der Europäischen Kommission „Grundsätze für die außer-
gerichtliche Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten“ orientieren. Auch bei
den Psychotherapeuten unterstützt die Bundesregierung ein bundeseinheit-
liches Verfahren der Landespsychotherapeutenkammern zum Umgang mit
Behandlungsfehlern. Die Beteiligung von Patientenvertretungen in beraten-
der Funktion wird für die Gremien beider Kammern angeregt.

7. Die Bundesregierung wird beauftragt, die Einführung eines Entschädigungs-
fonds für Härtefälle zu prüfen. Dieser Fonds soll auf Fälle beschränkt wer-
den, bei denen Patientinnen und Patienten einen schweren gesundheitlichen
Schaden erlitten haben, aber nicht endgültig nachgewiesen werden kann, dass
dies auf einem ärztlichen Behandlungsfehler beruht. Das Bundesministerium
für Gesundheit legt dazu dem Parlament einen Bericht vor, in dem die Finan-
zierung über eine Umlage der gesetzlichen und privaten Krankenkassen so-
wie die Einbeziehung von ambulanten und stationären Behandlungsfehlern
Gegenstand der Prüfung sind.

8. Der Umgang mit Patientendaten und Informationen muss durch weitere ge-
setzliche Vorkehrungen in den dafür vorgesehenen bereichsspezifischen Ge-
setzen abgesichert werden. Dabei sind Zweckbindung und Erforderlichkeit,
der Transparenzgrundsatz, aber auch die Grundsätze der Datensicherheit und
des technischen Datenschutzes zu berücksichtigen. Das Verständnis der Pa-
tientinnen und Patienten für die Risiken der Medizintelematik sollte systema-
tisch gefördert werden.

Berlin, den 28. Juni 2011
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Drucksache 17/6348 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

Zu Nummer 1

Die bislang bestehenden Regelungen zu Patientenrechten sind über eine Viel-
zahl gesetzlicher Vorschriften und höchstrichterliche Urteile verstreut. Des-
wegen ist es geboten, einen zusammenhängenden zivilrechtlichen Regelungs-
komplex zu schaffen, bei der einerseits bestehende zivilrechtliche Urteile und
Vorschriften zum Verhältnis der Patientin bzw. des Patienten zur Heilbehand-
lerin bzw. zum Heilbehandler integriert und andererseits weitere Rechte und
Pflichten normiert werden. Weitere Änderungen sind außerdem bspw. im Ge-
richtsverfahrensgesetz, im SGB V und im VVG erforderlich.

Als Heilbehandlerin oder Heilbehandler sollten dabei nicht nur Ärztinnen und
Ärzte erfasst werden, sondern alle Personen, die eine Heilbehandlung durchfüh-
ren. Eine solche Ergänzung der gesetzlichen Vorschriften könnte beispielsweise
durch die Einführung einer eigenständigen Regelung zum Heilbehandlungsver-
trag im Bürgerlichen Gesetzbuch erfolgen.

Zu Nummer 1 Buchstabe a

Bei Behandlungsverträgen muss zukünftig eindeutig klargestellt sein, wer Ver-
tragspartner der Patientin bzw. des Patienten ist und gegen wen sich danach
haftungsrechtliche oder andere Ansprüche richten.

Von den Patientinnen und Patienten wird immer mehr Eigenverantwortung im
Behandlungsprozess erwartet. Obwohl in den letzten Jahren einige Ansätze für
verständliche Patienteninformationen auf den Weg gebracht wurden, fehlen In-
formationen und Entscheidungshilfen, die Patientinnen und Patienten bei ihren
Entscheidungen unterstützen. Die Heilbehandlerin bzw. der Heilbehandler soll
gesetzlich verpflichtet werden, auf Verlangen der Patientin bzw. des Patienten in
einem persönlichen Gespräch umfassend und vor Beginn der Behandlung über
alle wesentlichen Belange der Behandlung zu informieren. Dies betrifft die Art,
den Umfang und die Durchführung des Eingriffes, daraus erwachsende Risiken
sowie den weiteren Verlauf der Erkrankung. Dabei sind auf Verlangen die Pa-
tientin oder der Patient auch über Behandlungsalternativen aufzuklären.Vor-
gesehen ist ebenso eine Verpflichtung zur rechtzeitigen Aufklärung über die
Kosten der Behandlung sowie darüber, ob ein Dritter diese Kosten übernimmt.
Die erfolgte Aufklärung muss in einem schriftlichen Protokoll nachgewiesen
werden. Die Pflicht von Heilbehandlern Patientinnen und Patienten zu infor-
mieren, muss umso mehr gelten, wenn besondere gesundheitsrelevante Risiken
bestehen. Bei den von den Patientinnen und Patienten selbst zu finanzierenden
sog. IGeL-Leistungen (IGeL = Individuelle Gesundheitsleistungen) steht der
Marketingaspekt oft im Vordergrund. Deshalb wird die ärztliche Aufklärungs-
pflicht in diesen Fällen oft unzureichend wahrgenommen.

Das Recht auf umfassende und verständliche Information gilt für alle Patienten;
insbesondere auch für Erkrankte, bei denen beispielsweise durch eine Behinde-
rung oder sprachliche Verständigungsschwierigkeiten der Kommunikationsauf-
wand größer ist. Die Rahmenbedingungen sind so zu gestalten, dass Ärztinnen
und Ärzte sich ausreichend Zeit nehmen können, um beispielsweise mit Men-
schen zu sprechen, die Lernschwierigkeiten haben.

Das Recht auf Selbstbestimmung muss nach der UN-Behindertenrechtskonven-
tion auch für Menschen realisiert werden, deren Einwilligungsfähigkeit vorüber-
gehend durch eine psychische Erkrankung eingeschränkt ist. Deshalb sollen psy-
chiatrische Einrichtungen verpflichtend eine Behandlungsvereinbarung für
Patienten mit wiederkehrenden Krankheitsverläufen anbieten.
Das Recht auf die zeitnahe Herausgabe der vollständigen Krankenakte verhin-
dert, dass zivilrechtliche Klagen zu Lasten der Klagenden verzögert werden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/6348

Nach der Musterberufsordnung für Ärzte darf auch eine elektronische Kranken-
akte nicht nachträglich geändert werden. Bei elektronischen Krankenakten muss
durch entsprechende Softwarekonstruktionen sichergestellt werden, dass nach-
trägliche Änderungen der Patientenakte vollständig protokolliert werden und
der Autor jederzeit identifizierbar ist.

Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Behandlung und
Pflege nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse durchgeführt
wird. Die Anwendung von evidenzbasierten Leitlinien und Konsensusricht-
linien trägt zu einer sicheren Behandlung bei. Die Verpflichtung, über Fehler
und eingetretene Komplikationen informiert zu werden, schafft ebenfalls Ver-
trauen in dem Verhältnis zwischen Patient und Heilbehandler.

Das Robert Koch-Institut geht von 40 000 vermuteten medizinischen Behand-
lungsfehlern im Jahr aus. Nur rund 30 Prozent der medizinischen Behandlungs-
fehler werden gerichtlich anerkannt. Menschen, die durch einen medizinischen
Behandlungsfehler gesundheitlich geschädigt wurden, müssen die Chance einer
gerechten Entschädigung erhalten. Ein geschädigter Patient muss grundsätzlich
beweisen, dass ein Schaden eingetreten ist und durch eine Pflichtverletzung des
Heilbehandlers verursacht wurde. Der eindeutige Nachweis der Kausalität zwi-
schen Behandlungsfehler und eingetretenem Schaden ist jedoch in vielen Fällen
für Patienten schwer zu führen. Die Einführung einer Beweiserleichterung in
Form einer widerlegbaren Vermutung beim Nachweis des Kausalzusammen-
hangs zwischen einfachem Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden stärkt
die Rechte von geschädigten Patientinnen und Patienten. Der Heilbehandler
bzw. die Heilbehandlerin muss die Vermutung eines Zusammenhangs zwischen
Schaden und Pflichtverletzung erschüttern.

Zu Nummer 1 Buchstabe b

Patienten und Patientenorganisationen beklagen häufig eine sehr zögerliche Be-
arbeitung von Anträgen für Rehabilitationsmaßnahmen und Hilfsmittel durch
die Kostenträger. Dies kann zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands
der Versicherten führen. Wenn z. B. ein Shuntventil, welches für Kehlkopflose
zur Kommunikation unbedingt erforderlich ist, zu zögerlich genehmigt wird,
dann hat dies operative Maßnahmen zur Konsequenz.

Die Einführung einer Genehmigungsfiktion muss einhergehen mit einer ausrei-
chenden personellen Ausstattung des Medizinischen Dienstes der Krankenkas-
sen (MDK). Oft wird die Entscheidung über Anträge durch Kapazitätsengpässe
beim MDK verzögert.

Bei Menschen mit einer Behinderung verzögert sich außerdem häufig die Ent-
scheidung für eine Kostenübernahme durch Streitigkeiten zwischen den Kosten-
trägern. Patientinnen und Patienten müssen ein Recht auf zügige Bearbeitung
von Anträgen auf Leistungen erhalten. Dieses Recht muss für gesetzlich und pri-
vat Versicherte gleichermaßen gelten.

Die Pflicht von Kostenträgern, Patientinnen und Patienten zu informieren, muss
auch gelten, wenn sie wählen können zwischen verschiedenen Vertragsformen,
wie dies zum Beispiel bei der integrierten Versorgung der Fall ist.

Auch Menschen ohne ausreichende Sprachkenntnisse haben das Recht auf eine
Aufklärung vor medizinischen Eingriffen. Wenn diese Aufklärung nicht durch
muttersprachliche Heilbehandler gewährleistet werden kann, sind durch die
Kostenträger Dolmetscherdienste zu finanzieren.

Neben der gutachterlichen Unterstützung von Patientinnen und Patienten vor
Gericht benötigen diese weitere Formen der Unterstützung durch die Kosten-

träger. Der bestehende § 66 SBG V, der die Unterstützung der Versicherten bei
Verhandlungsfehlern normiert, soll deshalb keine freiwillige Leistung bleiben,

Drucksache 17/6348 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

sondern muss für die Krankenkassen Pflichtaufgabe werden. Die Unterstützung
der Patienten durch Gutachten des MDK als Regelleistung ist sinnvoll, muss
aber auch damit verbunden sein, dass die Gutachter fortlaufend für diese Auf-
gabe qualifiziert und die Gutachten nach einheitlichen Qualitätsstandards erar-
beitet werden. Die Gutachter des MDK sollen auch Patientinnen und Patienten
vor Gericht unterstützen. Die personelle Ausstattung des MDK ist entsprechend
anzupassen.

Zu Nummer 1 Buchstabe c

Eine hohe Qualität und Sicherheit der gesundheitlichen Versorgung ist nur mög-
lich, wenn konsequent versucht wird, aus vermeidbaren Fehlern, Schäden und
Beinahefehlern zu lernen. Dabei sind Medizin und Pflege mit ihren komplexen
und schnellen Arbeitsabläufen sehr anfällig für solche Fehler. Heute werden sie
häufig nicht offengelegt. Deshalb muss die erste Priorität darin bestehen, in Ein-
richtungen des Gesundheitswesens alles zu tun, um Fehler systematisch aufzu-
arbeiten und präventiv Fehlerquellen zu beseitigen. In den Qualitätsberichten
muss die Patientensicherheit aufgenommen und für Patientinnen und Patienten
verständlich dargelegt werden.

Mit der Etablierung von Patientenvertretungen aus maßgeblichen Patientenorga-
nisationen und Selbsthilfegruppen im Gemeinsamen Bundesausschuss wurde
ein wichtiger Grundstock für kollektive Patientenrechte gelegt, die Transparenz
dieses Gremiums wurde deutlich verbessert. Inzwischen sind die Patientenver-
tretungen gut angenommen worden, unter Beteiligung der Interessensvertretung
von Patientinnen und Patienten entstehen bessere Lösungen. Deshalb ist es an
der Zeit, den Patientenvertretungen mehr Rechte einzuräumen, sie mit ausrei-
chend personellen Ressourcen auszustatten. Ein Antrags- und Abstimmungs-
recht der Patientenvertretungen zu Verfahrensfragen im Gemeinsamen Bundes-
ausschuss ist ein Beitrag, damit Entscheidungen nicht länger verzögert werden
können.

Zu Nummer 1 Buchstabe d

Zivilrechtsverfahren nach Behandlungsfehlern sind langwierig sowie mit hohen
finanziellen Risiken für die Klagenden und einer erheblichen psychischen Be-
lastung verbunden. Spezialisierte Kammern für Arzthaftungs- und Medizinrecht
ermöglichen eine Konzentration von Fachwissen und können zu schnelleren
Verfahren führen.

Die Gutachterin bzw. der Gutachter werden durch das Gericht bestellt. Das Ge-
richt besitzt ausreichende Kenntnisse, um über die Sachkunde der zu bestellen-
den Gutachterin zu entscheiden. Um jedoch eine bessere Transparenz für die Pa-
tientinnen und Patienten zu gewährleisten, teilt das Gericht vor Bestellung einer
bestimmten Gutachterin bzw. eines bestimmten Gutachters den Parteien mit,
welche Person es beabsichtigt zu bestellen. Das Gericht räumt den Parteien die
Möglichkeit ein innerhalb von zwei Wochen hierzu Stellung zu nehmen.

Nach § 199 Absatz 1 BGB beginnt die Laufzeit der dreijährige Verjährungsfrist
erst, wenn die Patientin oder der Patient Kenntnis über die den Anspruch be-
gründenden Umstände erlangt. Die Verjährungshöchstfrist liegt gemäß § 199
Absatz 2 BGB bei 30 Jahren. Die Aufbewahrungsfrist für ärztliche Behand-
lungsunterlagen, ärztliche Aufzeichnungen und Arztbriefen liegt jedoch nach
der Musterberufsordnung für Deutsche Ärzte bei zehn Jahren. Daher ist es erfor-
derlich die Aufbewahrungsfrist entsprechend zu verlängern.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/6348

Zu Nummer 2

Verlässliche Informationen zur tatsächlichen Häufigkeit von Behandlungs-
fehlern fehlen vollständig. Die letzten geschätzten Angaben des Robert Koch-
Instituts wurden 2001 veröffentlicht.

Zu Nummer 3

Ein bundesweites Endoprothesenregister, wie es bereits in 20 anderen Ländern
in Europa, Australien, Kanada, Neuseeland und den USA Ländern aufgebaut
wurde, trägt zur Medizinproduktesicherheit bei und erlaubt eine Beurteilung der
Langlebigkeit der Endoprothesen bereits vor dem Eingriff. Patienten und Ope-
rateure müssen deshalb dort Einsicht nehmen können. Das von einer Kranken-
kasse, Herstellern und ärztlichen Berufsverbänden entwickelte Modell eines
Endoprothesenregisters kann nur ein erster Schritt sein, da es nicht alle Ver-
sicherten erfasst.

Zu Nummer 4

Patientinnen und Patienten müssen die Möglichkeit haben, sich unabhängig,
neutral, verlässlich und qualitätsgesichert informieren und beraten lassen zu
können. Diese Beratung muss niedrigschwellig, leicht erreichbar und kostenlos
sein. Mit der über die gesetzliche und private Krankenversicherung finanzierten
Unabhängigen Patientenberatung Deutschland wurde ein erster und wichtiger
Schritt hin zu einem längst erforderlichen Informations- und Beratungsangebot
für Patientinnen und Patienten etabliert. Die derzeit aufgebauten 21 Standorte,
das bundesweite Beratungstelefon und die Onlineberatung decken aber längst
nicht den Bedarf ab. Die Unabhängige Beratung muss deshalb weiter ausgebaut
werden, ebenso wie z. B. die evidenzbasierten, allgemeinverbindlichen Patien-
teninformationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesund-
heitswesen.

Zu Nummer 5

Nach der Musterberufsordnung der Bundesärztekammern sind Ärztinnen und
Ärzte sowie Krankenhäuser zwar verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversiche-
rung abzuschließen, diese Vorgabe wird aber nicht überprüft. Deshalb kam es in
der Vergangenheit zu Fällen, bei denen Patientinnen und Patienten erfolgreich
vor Gericht geklagt haben, am Ende aber finanziell erfolglos waren, weil die
Ärzte nicht versichert waren. Ziel ist, dass alle Leistungserbringer (Ärztinnen
und Ärzte, andere Berufsgruppen mit Behandlungsverantwortung sowie Kran-
kenhäuser) dazu verpflichtet sind, eine ausreichende Berufshaftpflichtversiche-
rung abzuschließen oder auf anderem Wege eine gleich wirksame Sicherheit
dafür bieten, dass Ansprüche von Opfern von Behandlungsfehlern (finanziell
und organisatorisch) erfüllt werden können. Diese wird über eine Nachweis-
pflicht regelmäßig überprüft. Hierzu müssen Bund und Länder die überwachen-
den Stellen festlegen und die Versicherungsträger verpflichten, Änderungen im
Versicherungsverhältnis an die überwachende Stelle weiterzuleiten.

Zu Nummer 6

Neben einer zivilrechtlichen Klage auf Schadensersatz haben Patientinnen und
Patienten die Möglichkeit, bei einer Gutachterkommission und Schlichtungs-
stelle der Ärzte- und Psychotherapeutenkammern eine kostenlose Klärung
durchführen zu lassen, wenn sie eine fehlerhafte Behandlung vermuten. Rund
11 000 Anträge im Jahr werden bei den Gutachterkommissionen und Schlich-
tungsstellen der Ärztekammern zu vermuteten ärztlichen Behandlungsfehlern

gestellt. Das Verfahren hat für die Patientinnen und Patienten den Vorteil, dass

Drucksache 17/6348 – 10 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

es kostenlos ist, auf einfachem Weg beantragt werden kann und schneller als vor
Gericht zu einer Entscheidung führt. Die Reichweite dieses Verfahrens könnte
erheblich verbessert und patientenfreundlicher werden, wenn die Verfahrens-
abläufe bei den Ärzte- und Psychotherapeutenkammern der einzelnen Länder
jeweils einheitlich nach definierten Qualitätsstandards gestaltet würden.

Zu Nummer 7

In anderen Staaten wurden mit einem solchen Patientenentschädigungsfonds als
ergänzendes außergerichtliches Konzept gute Erfahrungen gemacht. Für Patien-
tinnen und Patienten mit schweren gesundheitlichen Schäden und schwer zu
führendem Nachweis, dass ärztliches Verschulden zu der Schädigung geführt
hat, kann der Ansatz von Bedeutung sein, wenn sie aus gesundheitlichen und
finanziellen Gründen die Belastung eines langjährigen Gerichtsverfahrens nicht
eingehen können. Ein haftungsunabhängiger Entschädigungsfonds ist deshalb
zu prüfen.

Zu Nummer 8

Gesundheitsdaten erfahren europaweit einen hervorgehobenen Schutz und zahl-
reiche Gesetze zielen auf den Schutz der informationeller Selbstbestimmung der
Patientinnen und Patienten. In vielen nationalen Programmen stellen sich daten-
schutzrechtliche Herausforderungen, die jedoch die informationelle Selbst-
bestimmung von Patientinnen und Patienten zu wenig berücksichtigen. Die
unübersichtliche rechtliche Lage im Gesundheitsdatenschutz wird seit Jahren
kritisiert und es werden gesetzliche Vorkehrungen gefordert.

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