BT-Drucksache 17/5985

Bekämpfung der Genitalverstümmelung durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit

Vom 26. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5985
17. Wahlperiode 26. 05. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Thilo Hoppe, Monika Lazar,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel,
Ekin Deligöz, Katja Dörner, Kai Gehring, Britta Haßelmann, Priska Hinz (Herborn),
Ulrike Höfken, Katja Keul, Tom Koenigs, Agnes Krumwiede, Agnes Malczak,
Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Tabea Rößner, Claudia Roth (Augsburg),
Krista Sager, Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bekämpfung der Genitalverstümmelung durch die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit

Schätzungsweise 150 Millionen Mädchen und Frauen auf der Welt sind an ihren
Genitalien verstümmelt. Jedes Jahr kommen etwa drei Millionen Mädchen
hinzu. Die weibliche Genitalverstümmelung wird in 28 Ländern Afrikas, verein-
zelt auch im Süden der Arabischen Halbinsel und in einigen Ländern Asiens
praktiziert. Auf dem afrikanischen Kontinent ist die Praxis der Genitalverstüm-
melung am weitesten verbreitet. Die Begründungen für Genitalverstümmelung
unterscheiden sich in den verschiedenen Regionen. Oftmals beruhen die Recht-
fertigungen auf patriarchalen Strukturen, häufig werden die Verstümmelungen
als religiöse bzw. gesellschaftliche Pflicht legitimiert. Die betroffenen Mädchen
und Frauen leiden unter verheerenden psychischen und körperlichen Folgen. Bei
der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM – Female Genital Mutilation) wer-
den die äußeren weiblichen Geschlechtsorgane teilweise oder vollständig ent-
fernt. In besonders gravierenden Fällen wird die Vagina zugenäht und nur eine
kleine Öffnung belassen (Infibulation). Meist wird der Eingriff von Laien, ohne
Narkose und mit primitiven Hilfsmitteln wie Messern, Glasscherben oder
Rasierklingen durchgeführt. Zunehmend wird aber auch die Medikalisierung
des Eingriffs zum Problem. Die Durchführung in Krankenhäusern erweckt den
Anschein eines normalen Eingriffs.

Aber das Gegenteil ist der Fall: Dieser Eingriff in die Integrität des weiblichen
Körpers ist eine schwere Menschenrechtsverletzung. Genitalverstümmelung ist
Ausdruck einer weltweit verbreiteten Diskriminierung und Gewalt gegen das
weibliche Geschlecht. Die Frauen erleiden extreme körperliche und seelische
Schäden. Unmittelbar nach der Verstümmelung können lebensbedrohliche In-
fektionen auftreten. Insbesondere bei der invasivsten Form der FGM, der Infi-

bulation, drohen langfristig Inkontinenz und die Bildung von Fisteln. Die Frauen
müssen mit irreparablen Schäden ihrer Gesundheit leben. Schmerzen und Kom-
plikationen beim Wasserlassen, bei Menstruation, Geschlechtsverkehr und Ent-
bindungen sind die Folgen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt,
dass bis zu 25 Prozent der von weiblicher Genitalverstümmelung betroffenen

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Frauen und Mädchen an den unmittelbaren und langfristigen Folgen sterben.
Neben diesen massiven körperlichen Verletzungen wird auch die psychische In-
tegrität der betroffenen Frauen und Mädchen zerstört.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung der Bekämpfung von weib-
licher Genitalverstümmelung in der deutschen Entwicklungszusammen-
arbeit bei, und wie äußert sich dieser Stellenwert?

2. In welchen Ländern wird nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung
FGM praktiziert, wie wird FGM in der Zusammenarbeit mit diesen Ländern
thematisiert, und in welchen Ländern zeichnen sich aus Sicht der Bundes-
regierung Fort- bzw. Rückschritte ab?

3. Ist das Thema der FGM Teil der bilateralen Regierungsverhandlungen mit
den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, in denen
FGM praktiziert wird, und wenn ja, wie stellt die Bundesregierung sicher,
dass die Bekämpfung der FGM Teil des Verhandlungsergebnisses ist?

In welchen Ländern ist dies der Fall?

4. Welchen Ansatz verfolgt die Bundesregierung, um FGM in Entwicklungs-
ländern zu bekämpfen?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung den von Terre des Femmes in ihrer
Stellungnahme zu der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages zum Thema
„Bekämpfung von Genitalverstümmelungen“ am 19. September 2007 emp-
fohlenen Ansatz, der u. a. dem Gesundheitspersonal und den religiösen
Würdenträgern eine Schlüsselrolle zuweist?

6. Welche Projekte und Maßnahmen hat das Bundesministerium für wirt-
schaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zur Bekämpfung
von FGM bislang umgesetzt und welche Projekte und Maßnahmen sind ge-
plant (bitte einzeln nach Ländern, Jahren und Volumen auflisten und nach
Maßnahmen der Technischen Zusammenarbeit und Finanziellen Zusam-
menarbeit differenzieren)?

7. In welchem finanziellen Umfang werden die jeweiligen Schwerpunkte,
Projekte und Programme auf bi- und multilateraler Ebene mit deutschen
Mitteln gefördert (bitte nach Projekten, Programmen, Titeln, Jahr und
Volumina auflisten)?

8. In welchem Umfang werden im Rahmen der deutschen Entwicklungszu-
sammenarbeit Gelder für Aufklärungsprojekte in den betreffenden Ländern
gezahlt (bitte nach Projekten, Ländern, Volumina auflisten)?

9. In welchem Umfang fördert das BMZ die Aktivitäten privater Träger im
Kampf gegen FGM (bitte nach Trägern, Ländern, Jahren, Volumina auflis-
ten)?

10. Inwiefern setzt sich die Bundesregierung in der Zusammenarbeit mit afri-
kanischen Partnerländern dafür ein, dass das Maputo-Protokoll (Zusatzpro-
tokoll zur African Charter on Human and Peoples‘ Rights) von allen Mit-
gliedstaaten der Afrikanische Union (AU) unterzeichnet, ratifiziert und bei
der AU hinterlegt wird?

11. In welchen Ländern, die FGM praktizieren, existiert eine Gesetzgebung ge-
gen FGM, und wie beurteilt die Bundesregierung deren Anwendung?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5985

Inwiefern und in welchem Rahmen setzt sich die Bundesregierung im
Rahmen ihrer Entwicklungszusammenarbeit für eine Implementierung der
bestehenden Gesetze ein bzw. für die Verabschiedung entsprechender Ge-
setze in den Ländern, in denen keine Gesetze gegen FGM existieren?

12. Mit welchem Ergebnis hat die Bundesregierung ihre bisherige Arbeit im
Bereich der FGM evaluiert, und welche Kriterien werden der Evaluation
zugrunde gelegt?

13. Wie sind die Arbeiten des Projekts und des Sektorvorhabens „Überwindung
der weiblichen Genitalverstümmelung“ in ihren Zielrichtungen und Bud-
gets voneinander abzugrenzen (bitte auch jeweils anhand eines Beispiels
erläutern)?

14. Mit welchen Partnerorganisationen arbeitet die Bundesregierung in ihrer
Arbeit im Bereich der FGM zusammen?

Wie wird auf eine Selbstständigkeit der Organisationen vor Ort hingearbei-
tet, welche eine Kontinuität für Aktivistinnen und Aktivisten vor Ort auch
nach dem Ende der finanziellen Förderung gewährleistet?

15. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Organisation Target, die
nicht Mitglied im Netzwerk Integra ist?

Wie beurteilt die Bundesregierung den Ansatz von Target, FGM mit der
„Kraft des Islam“ zu beenden?

16. Wie trägt die Bundesregierung bei der Unterstützung des indonesischen Ge-
sundheitssystems der Tatsache Rechnung, dass in Indonesien nach Angaben
des UNHCR FGM (UNHCR: Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten
Nationen) praktiziert wird?

17. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die Verbreitung
von FGM in Indonesien und die dort praktizierten Typen (analog der Klas-
sifikation der WHO) vor?

18. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die Verbreitung
von FGM in den Ländern Jemen, Oman, Vereinigte Arabische Emirate,
Bahrain und Irak und die dort praktizierten Typen (analog der Klassifikation
der WHO) vor?

19. Welchen Ansatz verfolgt die Bundesregierung in diesen Regionen, um
FGM zu bekämpfen?

Inwiefern werden die Verbreitung von FGM und deren schädliche Folgen
für die Entwicklung der Gesellschaft in diesen Ländern, beispielsweise bei
der Entwicklungszusammenarbeit im Gesundheitssektor in Jemen, berück-
sichtigt?

20. Wie kann die Bundesregierung ihrem Bekenntnis zu den Menschenrechten
in der Entwicklungszusammenarbeit mit Ländern gerecht werden, die den
Schutz der physischen und psychischen Integrität von Frauen nur unzurei-
chend umsetzen?

21. Wie steht die Bundesregierung zu der Tatsache, dass Ghana und Senegal als
sichere Herkunftsstaaten gelten, obwohl dort FGM praktiziert wird?

22. Wie unterstützt die Bundesregierung Migranten- und Migrantinnenorgani-
sationen in Deutschland, die FGM in Deutschland bekämpfen bzw. Aufklä-
rungsarbeit und Unterstützung für die betroffenen Mädchen und Frauen
leisten, und welche Fort- bzw. Rückschritte sind aus der Sicht der Bundes-
regierung zu verzeichnen?

Drucksache 17/5985 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
23. Welche konkreten Ergebnisse (bitte mit Projektbezeichnungen, Aufteilung
der Zuständigkeitsbereiche und Zeitplänen) hat die interministerielle Bund-
Länder-NRO-Arbeitsgruppe (NRO: Nichtregierungsorganisation) bisher
erzielt, deren Federführung mittlerweile vom BMZ auf das Bundesministe-
rium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend übergegangen ist und zu
deren Gründung die Bundesregierung vom Deutschen Bundestag im Juni
2008 aufgefordert wurde (Bundestagsdrucksache 16/9420)?

Berlin, den 26. Mai 2011

Renate, Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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