BT-Drucksache 17/5907

Frauen- und Mädchenfußball stärken - Fußballweltmeisterschaft der Frauen 2011 gesellschaftspolitisch nutzen

Vom 25. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5907
17. Wahlperiode 25. 05. 2011

Antrag
der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Claudia Roth (Augsburg),
Monika Lazar, Volker Beck (Köln), Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt,
Winfried Hermann, Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, Maria Klein-Schmeink,
Jerzy Montag, Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Wolfgang Wieland,
Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Frauen- und Mädchenfußball stärken – Fußballweltmeisterschaft der Frauen 2011
gesellschaftspolitisch nutzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Fußball zählt weltweit zu den populärsten Sportarten überhaupt. Mädchen- und
Frauenfußball hat auch in Deutschland in den letzten Jahren eine bedeutende
Entwicklung durchlaufen und ist heute bei Frauen wie Männern eine der belieb-
testen Teamsportarten. Die Erfolge der Fußballnationalmannschaft der Frauen
stehen inzwischen denen der Männer in nichts mehr nach. Über eine Million
Frauen und Mädchen sind Mitglied im Deutschen Fußball-Bund (DFB). Doch
auch wenn Fußball in Deutschland keine reine Männerdomäne mehr ist, sind die
Entwicklungspotenziale des Frauenfußballs weiterhin sehr groß. Die sportliche,
gesellschaftliche und politische Bedeutung des Frauenfußballs liegt noch immer
hinter der des Männerfußballs zurück. Das zeigt sich an der niedrigen Präsenz
im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und in der öffentlichen Wahrnehmung ins-
gesamt. Während im Profifußball der Männer teilweise exorbitante Spieler-
gehälter gezahlt werden, müssen sich Spielerinnen in der Ersten Bundesliga
vielfach mit Aufwandsentschädigungen begnügen.

Der große sportliche Erfolg der DFB-Nationalmannschaft der Frauen in den
letzten Jahren und das deutlich gewachsene Zuschauerinteresse können jedoch
auch als geschlechterpolitische Signale verstanden werden. Für immer mehr
Mädchen wird Fußball eine interessante Sportart. Erfolgreiche Sportlerinnen
bieten Identifikationsmöglichkeiten und haben eine Vorbildfunktion für Mäd-
chen. Neben den positiven Auswirkungen von Sport für das Wohlbefinden kön-
nen Fairness sowie die Anerkennung von Regeln eingeübt, soziale Kompeten-
zen erlernt und gegenseitiges Vertrauen vermittelt werden.

Frauenfußball wie der Sport insgesamt können eine wichtige integrationspoliti-

sche Rolle spielen. Für Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund kann
der Fußball Freiräume eröffnen. Die Mitgliedschaft in Vereinen und die Teil-
nahme an Turnieren bieten die Gelegenheit, verstärkt am öffentlichen Leben
teilzunehmen. Die von sportlicher Interaktion eröffneten Möglichkeiten des
Austauschs bieten zudem große Chancen in der Auswärtigen Kulturpolitik.

Die Fußballweltmeisterschaft der Frauen 2011 in Deutschland bietet die Mög-
lichkeit, weitere gesellschaftliche Entwicklungsimpulse zu setzen. Das Organi-

Drucksache 17/5907 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

sationskomitee hat sich das Ziel gesetzt, die Frauenfußballweltmeisterschaft
zum ersten klimafairen Sportgroßereignis in Deutschland zu machen. Zusätzlich
wird in den neun deutschen Weltmeisterschaftsarenen ein Umweltmanagement-
system eingeführt, welches unter anderem Schwerpunkte beim Energiesparen
und der Mülltrennung setzt. Die Einführung des Umweltmanagements kann
auch nach der Fußball-WM kontinuierliche Umweltverbesserungen in den
Stadien gewährleisten. Mit einem Kulturbegleitprogramm versuchen die Orga-
nisatorinnen und Organisatoren zudem, lokale Akteurinnen und Akteure einzu-
binden und auch so die Nachhaltigkeit der rund um die Weltmeisterschaft ange-
stoßenen Dynamiken zu erhöhen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Frauen- und Mädchenfußball verstärkt zu fördern und ihn als wichtiges
Instrument zur Verbesserung der Chancengleichheit und Integration zu ver-
stehen;

2. sich für eine stärkere Präsenz von Frauenfußball in der öffentlichen Wahr-
nehmung und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzusetzen. Die Spiele
der Frauenbundesliga sollten neben der Männerbundesliga insbesondere
fester Bestandteil der Sportsendungen im gebührenfinanzierten Fernsehen
werden;

3. ein differenziertes Mädchen- und Frauenfußballangebot nicht nur im Spit-
zensport, sondern verstärkt auch im Breiten- und Freizeitsport zu fördern;

4. eine bessere Einbindung und Stärkung der Frauen in die Entwicklungs- und
Entscheidungsprozesse in Vereinen und Verbänden zu unterstützen und sich
dort für eine gezielte Frauenförderung einzusetzen. Dazu gehören sowohl
die Gewinnung ehrenamtlich tätiger als auch hauptberuflicher Mitarbeite-
rinnen und Funktionärinnen;

5. den Zugang zu Spiel- und Trainingsmöglichkeiten gerade auch für Mäd-
chen und Frauen zu gewährleisten;

6. sich für eine verstärkte Förderung des Fußballs auch als Schulsport für
Mädchen und in diesem Zusammenhang für die Fortbildung der weiblichen
Lehrkräfte sowie eine stärkere Vernetzung zwischen Schul- und Vereins-
sportangeboten einzusetzen;

7. das aktuell hohe Niveau der Mittel, die dem Bundesministerium für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend momentan für das Projekt „Jugend und
Sport“ zur Verfügung stehen, aufrechtzuerhalten. Es sollte in Bezug auf die
Einbeziehung von Mädchen evaluiert werden und gegebenenfalls stärker
auf diese ausgerichtet werden;

8. sich weiterhin für eine optimierte Talentförderung der Mädchen zu engagie-
ren, etwa durch eine zusätzliche Förderung von Mädchen und Frauen mit
Migrationshintergrund. Bei der Förderung von Programmen sollte auf ein
ausgeglichenes Geschlechterverhältnis in den betreffenden Vereinen und
Projekten geachtet werden;

9. der Integration von Migrantinnen durch die Sportpolitik einen noch höheren
Stellenwert beizumessen und mit zusätzlichen Ressourcen auszustatten.
Dabei sollen Migrantinnen auch als Multiplikatorinnen für Integration im
Verein eingesetzt werden. Auch hierzu sollte der Bund finanzielle Anreize
für die Vereine geben;

10. das Programm „Integration durch Sport“ des Bundesministeriums des In-
nern auch auf seine Wirkung auf Frauen und Mädchen zu evaluieren, dessen

finanzielle Ausstattung auf Dauer zu sichern und, wenn angemessen, zu er-
höhen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5907

11. in diesem Zusammenhang speziell Projekte wie „Bewegung und Gesund-
heit – mehr Migrantinnen in den Sport“ des Deutschen Olympischen Sport-
bunds (DOSB) aufzuwerten. Insbesondere sollte die Laufzeit dieses Pro-
jekts über die gewährten 18 Monate hinaus erhöht werden, da eine
gelungene Integration nur mit Initiativen gewährleistet werden kann, die
mittel- und langfristig ausgelegt sind;

12. die wissenschaftliche Forschung zum Thema Integration und Sport durch
das Bundesinstitut für Sportwissenschaften (BISP) verstärkt zu fördern;

13. sich intensiver gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie und andere For-
men der Diskriminierung im Sport einzusetzen und regelmäßige Schu-
lungsmaßnahmen für Übungsleiterinnen und Übungsleiter zu unterstützen;

14. die bei der Deutschen Sportjugend im DOSB e. V. angesiedelte Koordinie-
rungsstelle der Fanprojekte verstärkt finanziell zu fördern;

15. Nachhaltigkeitskriterien wie die der Frauenfußballweltmeisterschaft für
alle Sportgroßereignisse verbindlich zu machen und kontinuierlich aus-
zubauen. Dabei sind partnerschaftliche Lösungen zu verstärken, wie sie im
latenten Spannungsfeld von Sportausübung auf der einen Seite und Um-
welt- und Naturschutz auf der anderen Seite erforderlich sind;

16. diesen Anspruch auch stärker in den Breitensport zu tragen sowie Sportver-
eine im Rahmen des Projekts „Klimaschutz im Sport“ und darüber hinaus
intensiver zu unterstützen, Sportanlagen ökologisch und nachhaltig zu
bauen oder zu sanieren sowie erneuerbare Energien in Vereinsanlagen zu
nutzen;

17. analog zu den Initiativen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung zu fairem Handel und nachhaltiger Be-
schaffung auf den DFB und andere Sportverbände einzuwirken, bei der
Ausstattung ihrer Teams und bei der Vorbereitung und Durchführung von
Sportveranstaltungen nur Produkte und Dienstleistungen einzusetzen, die
verbindlich und überprüfbar die ILO-Kernarbeitsnormen (ILO = Interna-
tionale Arbeitsorganisation) berücksichtigen;

18. verstärkt kulturelle Begleitprogramme zu internationalen Sportveranstal-
tungen zu fördern, um die sich hier bietenden Chancen des interkulturellen
Dialogs und Austauschs zu nutzen;

19. im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik im Bereich der
Sportförderung verstärkt den Frauen- und Mädchensport zu berücksichti-
gen;

20. den DFB und andere Sportverbände verstärkt in ihrem Versuch zu unterstüt-
zen, sportliche Kontakte auch zu Verbänden aus Ländern aufzubauen, zu
denen die üblichen Wege des politischen und diplomatischen Kontakts ver-
schlossen oder stark eingeschränkt sind.

Berlin, den 25. Mai 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Drucksache 17/5907 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

Der große sportliche Erfolg der DFB-Nationalmannschaft der Frauen in den
letzten Jahren kann als geschlechterpolitisches Signal verstanden werden. Sie-
ben Europa- und zwei Weltmeistertitel haben zu einer deutlich größeren Wahr-
nehmung des Frauenfußballs auf der Ebene des Spitzensports beigetragen. Er-
folgreiche Spielerinnen im Spitzensport, insbesondere in der vermeintlichen
Männerdomäne Fußball, nehmen eine wichtige Vorbildfunktion für Mädchen
und junge Frauen ein. Ein differenziertes Angebot sollte im Spitzensport wie im
Breiten- und Freizeitsport gefördert werden. Dort werden andere Maßnahmen
als in der Spitzensportförderung benötigt. Staatlich geförderte Sportangebote
sollen daher vor allem kompetenzorientiert sein und enger mit Bildungseinrich-
tungen kooperieren.

Eine stärkere Präsenz von Frauenfußball in den Medien würde seine Popularität
fördern. In den Vereinen und Verbänden sind sowohl mehr ehren- wie hauptamt-
lich aktive Frauen wichtige Unterstützerinnen. Fußball sollte auch in den Schu-
len ein Angebot für Mädchen darstellen; dazu wird eine verstärkte Fortbildung
des Lehrpersonals erforderlich sein.

Auch beim Fußball kommt es immer wieder zu Diskriminierungen. Häufig wird
beispielsweise Homosexualität von Spielerinnen und Spielern tabuisiert.
Gleichzeitig böten die sportlichen Vorbilder viele Gelegenheiten, Vorurteile ab-
zubauen. Diskriminierungen müssen hier verstärkt thematisiert und geahndet
werden und hierzu ehrenamtliche wie hauptamtliche Vereinsvertreterinnen und
Vereinsvertreter geschult und unterstützt werden.

Die Frauenfußballweltmeisterschaft 2011 in Deutschland bietet Chancen, wei-
tere Entwicklungsimpulse zu setzen. Wie der Sport insgesamt kann Frauenfuß-
ball eine wichtige integrationspolitische Rolle spielen. Durch seinen verbinden-
den Charakter unterstützt er die Integration von Migrantinnen und Migranten
sowie den Austausch zwischen sozialen Gruppen und Generationen auf eine
spielerische und ungezwungene Weise. Die Bundesregierung unterhält aus die-
sem Grund seit 1989 das Programm „Integration durch Sport“. Vereine, die an
diesem Programm teilnehmen, sind jedoch etwa zu zwei Dritteln männlich be-
setzt.

Gerade für Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund kann der Fußball al-
lerdings Freiräume eröffnen. Ihr Zugang zum Sport ist jedoch oft begrenzt. Noch
immer wirken soziale, sprachliche, kulturelle und religiöse Barrieren. In diesem
Zusammenhang unterhält der DOSB seit 2006 das Netzwerkprojekt „Bewegung
und Gesundheit – mehr Migrantinnen in den Sport“.

Dieses Projekt ist für viele Migrantinnen die erste Berührung mit Sport über-
haupt, aber auch mit Sport im Verein. Sport ist für die körperliche und seelische
Entwicklung von Kindern von großer Bedeutung. Ein früher Einstieg in den
Sport, aber auch in das Vereinsleben durch gezielte Projekte, insbesondere für
junge Migrantinnen, ist wichtig. Projekte sollen die Nachhaltigkeit von Integra-
tion in den Vordergrund stellen und auf einen längeren Zeitraum ausgelegt sein,
als dies bis jetzt der Fall ist. Zum einen bedeutet dies eine Ausweitung des För-
derzeitraums, zum anderen das Aufzeigen einer Perspektive für eine langfristig
von staatlichen Mitteln unabhängige Fortführung der Programme. Für die Um-
setzung einer solchen zweigleisigen Strategie beispielhaft ist die Evaluierung
des Programms „Integration durch Sport“. Durch solches Qualitätsmanagement
wird die Voraussetzung für eine stetige Verbesserung der geförderten Pro-
gramme geschaffen. Die Ziele dieser Programme, auch das Ziel einer unabhän-
gigen Fortführung, können so im Laufe des Förderzeitraums präzise den jewei-
ligen Anforderungen angepasst werden.
Die Idee des Sports kann dabei auch von Migrantinnen selbst weitergetragen
werden. Hierzu schlägt der Evaluationsbericht des BISP zum Projekt „Integra-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5907

tion durch Sport“ vor, auch Migrantinnen als Multiplikatorinnen für Integration
im Verein einzusetzen.

Mit der Nachhaltigkeitsstrategie „Green Goal“ hat sich das WM-Organisations-
komitee in Kooperation mit dem Öko-Institut e. V. und der Deutschen Bundes-
stiftung Umwelt das Ziel gesetzt, die Frauenfußballweltmeisterschaft zum
ersten klimafairen Sportgroßereignis in Deutschland zu machen. Das soll durch
die Vermeidung, Reduzierung und den Ausgleich negativer Auswirkungen der
WM auf Klima und Umwelt erreicht werden. Mit dem Programm sollen auch die
Organisatoren/Organisatorinnen, Spielerinnen, Zuschauer/-innen und die Öf-
fentlichkeit für die Umweltrelevanz von Sportgroßveranstaltungen sensibilisiert
werden.

Mit einem Kulturbegleitprogramm, das überregionale und lokale Projekte in den
neun Austragungsstädten umfasst, versuchen die Organisatoren/Organisato-
rinnen zudem, lokale Akteure/Akteurinnen einzubinden. An verschiedenen
WM-Spielorten wird etwa in Abendveranstaltungen auf den Status und die
Bedeutung von Frauenfußball in den Teilnehmerländern der FIFA-WM 2011
(FIFA = Fédération Internationale de Football Association) aufmerksam ge-
macht. Auch die noch immer widrigen Bedingungen von Spitzensportlerinnen
in Deutschland für die Ausübung ihres Sports werden dabei thematisiert.

Die von sportlicher Interaktion eröffneten Möglichkeiten des Austauschs bieten
auch große Chancen in der Auswärtigen Kulturpolitik. Frauenfußball kann poli-
tisch dazu beitragen, Bemühungen um eine Verbesserung der Lage der Men-
schen- und speziell der Frauenrechte zu begleiten. In Krisenregionen wie in Af-
ghanistan kann Fußball zur sozialen Stabilisierung beitragen. In Staaten mit
diktatorischen Regimes wie etwa Nordkorea kann er als Kontaktmedium dienen,
wenn andere politische und diplomatische Kanäle verschlossen sind. So reiste
eine von der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg) geleitete Delegation aus
Mitgliedern des Organisationskomitees der Frauenfußballweltmeisterschaft
2011 und des Deutschen Bundestages nach Pjöngjang, um während der
„Welcome-Tour“ zur Frauenfußballweltmeisterschaft auch das WM-Teilnehmer-
land Nordkorea zu besuchen.

Die Fußballweltmeisterschaft der Frauen 2011 in Deutschland bietet die Mög-
lichkeit, wichtige gesellschaftliche Entwicklungsimpulse zu setzen. Die durch
sie geschaffene öffentliche Aufmerksamkeit für den Frauenfußball darf nicht
ungenutzt bleiben.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.