BT-Drucksache 17/5527

ELENA - Meldepflicht aufheben und Daten der Beschäftigten löschen

Vom 13. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5527
17. Wahlperiode 13. 04. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Beate Müller-Gemmeke,
Kerstin Andreae, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic,
Sven-Christian Kindler, Jerzy Montag, Brigitte Pothmer, Elisabeth
Scharfenberg, Maria Klein-Schmeink, Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

ELENA – Meldepflicht aufheben und Daten der Beschäftigten löschen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. umgehend eine gesetzliche Regelung vorzulegen, welche

a) die bestehenden Meldepflichten der Arbeitgeber nach § 97 Absatz 1 Satz 1
des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) mit sofortiger Wirkung
aufhebt und

b) die Löschung sämtlicher bislang gemeldeter personenbezogener Daten
vorsieht sowie

2. umgehend Rechtsklarheit für alle Beteiligten des ELENA-Verfahrens zu
schaffen, ob, und wenn ja, in welchem Umfang und in welcher Form das
ELENA-Verfahren fortgeführt werden soll;

3. im Falle, dass die Bundesregierung beabsichtigt, das ELENA-Verfahren fort-
zuführen, umgehend und konkret darzulegen,

a) auf welche Weise ein kostenmäßig für alle Beteiligten vertretbarer und un-
bürokratischer Wirkbetrieb erreicht werden kann und

b) auf welche Weise die Bundesregierung einen verfassungsrechtlich zuläs-
sigen Betrieb des ELENA-Verfahrens sicherstellt, bei dem Datensparsam-
keit garantiert wird und es zu keiner weiteren Absenkung der notwendigen
Datensicherheitsstandards kommt.

Berlin, den 12. April 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Drucksache 17/5527 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

Das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises (ELENA) befindet sich
seit Anfang 2010 im teilweisen Wirkbetrieb. Insbesondere die Arbeitgeber kom-
men derzeit ihrer gesetzlichen Einmeldepflicht nach. Bereits im Oktober 2010
lagen bei der Zentralen Sammelstelle (ZSS) die Daten von über 30 Millionen
Beschäftigten mit insgesamt 283 Millionen Datensätzen vor, das entspricht
ca. 83 Prozent der möglichen einsendenden Stellen. Der Koalitionsausschuss der
Regierungsfraktionen hat am 18. November 2010 festgelegt, dass der Beginn
der Datenabrufe durch Behörden gesetzlich von 2012 auf 2014 verschoben wer-
den soll. Hierfür dürften die völlig aus dem Ruder gelaufenen Kosten und der
massive Widerstand von Kommunen, von Unternehmerseite sowie von Daten-
schützern maßgeblich gewesen sein. Gegen das ELENA-Verfahren sind zudem
Klagen beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Mit der Aussetzung des
Wirkbetriebes verschärft sich aber die ohnehin verfassungsrechtlich höchst
problematische Tatsache, dass ein gewaltiger Vorratsdatenspeicher mit zum Teil
sehr sensitiven Daten von sämtlichen Beschäftigten in der Bundesrepublik
Deutschland entsteht, der zumindest bis 2014, also für bis zu vier Jahre völlig
funktionslos bleibt und zu keinerlei konkreten Zwecken vorgehalten wird. Für
den Beschluss der Bundesregierung aus dem November 2010 liegt bis heute
keine gesetzliche Regelung vor. Bis zu einer möglichen Gesetzesänderung bleibt
es deshalb bei der jetzigen Regelung des ELENA-Verfahrensgesetzes. Danach
sind alle Arbeitgeber und Dienstherren seit 1. Januar 2010 im Rahmen des Ver-
fahrens ELENA gemäß § 97 Absatz 1 SGB IV verpflichtet, der ZSS für jeden
Beschäftigten, Beamten oder Richter monatlich gleichzeitig mit der Entgelt-
abrechnung eine Meldung zu erstatten, welche die Daten enthält, die in die er-
fassten Nachweise (§ 95 Absatz 1) aufzunehmen sind.

Zu Nummer 1a

Die sofortige Aufhebung der Meldepflichten der Arbeitgeber ist die zwingende
Konsequenz aus dem Beschluss der Bundesregierung, den Wirkbetrieb des
ELENA-Verfahrens in Form von Behördenabrufen mindestens bis 2014 auszu-
setzen. Gegenstand dieses Moratoriums sind Verarbeitungen personenbezoge-
ner Daten und Informationen von über 30 Millionen Beschäftigten, die dem
Schutzgehalt des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung unterfal-
len. Mit der Entscheidung zur Aussetzung des Verfahrens für einen derart langen
Zeitraum entfällt jegliche Rechtfertigung für die Beibehaltung der Übermitt-
lungspflicht, weil ansonsten ohne hinreichenden Grund eine Gefährdung der In-
tegrität und Vertraulichkeit der Daten von Millionen von Beschäftigten in Kauf
genommen würde.

Zu Nummer 1b

Die sofortige Pflicht zur Löschung der Datenbestände ergibt sich aus zwei Grün-
den: Zum einen fehlt es für die weitere Vorhaltung der eingemeldeten Daten an
einer tragfähigen Rechtsgrundlage. Denn es fehlt – mindestens noch bis 2014 –
an dem die Speicherung legitimierenden Zweck des Einsatzes des ELENA-Ver-
fahrens für Auskünfte, Bescheinigungen und Nachweise nach § 95 Absatz 1
SGB IV. Folgerichtig kommt deshalb das allgemeine datenschutzrechtliche Ge-
bot zur Löschung unzulässig gespeicherter Daten gemäß § 35 Absatz 1 Num-
mer 1 des Bundesdatenschutzgesetzes zur Anwendung. Zum anderen ergibt sich
die Pflicht zur Löschung der vorhandenen Datenbestände aus der gegenwärtig
bestehenden und offenbar auf unbestimmte Zeit weiter andauernden Unmög-
lichkeit der Zentralen Sammelstelle, dem verfassungsrechtlich verbürgten
(BVerfGE 65, S. 1 ff.) und einfachgesetzlich in § 103 Absatz 4 SGB IV festge-

schriebenen Auskunftsrecht der Bürgerinnen und Bürger nachkommen zu kön-
nen. Damit aber besteht für die betroffenen Beschäftigten keine hinreichende

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5527

Möglichkeit, die Richtigkeit der von den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern
eingemeldeten Daten selbst überprüfen zu können. In der Folge fehlt es an der
erforderlichen Transparenz der Datenverarbeitung und somit an einer zentralen
Voraussetzung für die gesetzlich vorgeschriebene selbstbestimmte Wahrneh-
mung der Datenschutzrechte.

Zu Nummer 2

Auch wenn durch die sofortige Umsetzung von Punkt 1. dem drohenden Verdikt
der Verfassungswidrigkeit des bereits angelaufenen ELENA-Verfahrens zumin-
dest in Teilen begegnet werden kann, bedarf es gleichwohl einer umgehenden
und abschließenden Entscheidung über die Zukunft von ELENA insgesamt, um
Planungssicherheit für alle Beteiligten zu erreichen und die weiteren Kosten für
die Steuerzahler so gering als möglich zu halten.

Zu Nummer 3a

Nach allen bislang vorliegenden Bewertungen der voraussichtlichen Kosten
(z. B. Gutachten des Normenkontrollrates vom 13. September 2010) bestehen er-
hebliche Zweifel, ob das mit dem ELENA-Verfahren von Beginn angestrebte
Ziel von Kostenersparnissen bei Behörden sowie Arbeitgeberinnen und Arbeit-
gebern noch erreicht werden kann, ohne grundlegende Veränderungen des Ver-
fahrens vorzunehmen. Sollte die Bundesregierung entgegen aller Bedenken
gleichwohl am derzeitigen ELENA-Verfahren festhalten wollen, bedürfte es zu-
mindest umgehend der Vorlage einer transparenten Kalkulation, welche Verände-
rungen des Verfahrens mit welchen Kostenfolgen in Betracht gezogen werden.

Zu Nummer 3b

Gegen die Einführung des ELENA-Verfahrens bestehen weiterhin ganz erheb-
liche verfassungsrechtliche Bedenken, die auch vor dem Hintergrund der Auf-
nahme des teilweisen Wirkbetriebes neue Nahrung erhalten haben (vgl. den Jah-
resbericht 2010 des Berliner Datenschutzbeauftragten, S. 58 ff.; ferner Tätig-
keitsbericht 2011 des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schles-
wig-Holstein, S. 48 ff.).

Angesichts der Vielzahl der beteiligten Stellen und der zugriffsberechtigten Per-
sonen, denen grundsätzlich der gesamte Bestand bundesdeutscher Beschäftig-
tendaten offen steht, sowie der fehlenden überzeugenden Überprüfung der Iden-
tität durch Signaturverfahren bestehen erhebliche Missbrauchsrisiken. Teilweise
werden ganze Berufsgruppen (z. B. Beamte) eingemeldet, obwohl bei ihnen von
vornherein klar ist, dass es in der Regel zu keiner Nutzung ihrer Daten kommen
wird. Dementsprechend liegt es nahe, zur Bewertung der Zulässigkeit des
ELENA-Verfahrens auch die Grundsätze des Urteils des Bundesverfassungsge-
richts zur Vorratsdatenspeicherung vom 2. März 2010 heranzuziehen. Vor die-
sem Hintergrund bestehen bereits gegen die derzeitige gesetzliche Umsetzung
grundlegende – auch verfassungsrechtliche – Bedenken. Auch eine weitere He-
rabsetzung von Sicherheitsvorkehrungen, welche zum Schutz der Integrität und
Vertraulichkeit des Datenbestandes festgelegt werden müssen, würde erst Recht
die Verfassungswidrigkeit des ELENA-Verfahrens nach sich ziehen.

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