BT-Drucksache 17/5452

Entwurf eines Gesetzes zur begrenzten Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (Präimplantationsdiagnostikgesetz - PräimpG)

Vom 12. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5452
17. Wahlperiode 12. 04. 2011

Gesetzentwurf
der Abgeordneten René Röspel, Priska Hinz (Herborn), Patrick Meinhardt,
Dr. Norbert Lammert, Kerstin Andreae, Willi Brase, Dr. Ralf Brauksiepe, Marco
Bülow, Viola von Cramon-Taubadel, Ekin Deligöz, Katja Dörner, Petra Ernstberger,
Dr. Thomas Feist, Dirk Fischer (Hamburg), Kai Gehring, Ulrike Gottschalck,
Michael Groß, Wolfgang Gunkel, Gustav Herzog, Ingrid Hönlinger, Jürgen Klimke,
Ute Koczy, Daniela Kolbe (Leipzig), Agnes Krumwiede, Renate Künast, Monika
Lazar, Burkhard Lischka, Hilde Mattheis, Dr. Rolf Mützenich, Manfred Nink,
Sibylle Pfeiffer, Anton Schaaf, Ottmar Schreiner, Franz Thönnes, Waltraud Wolff
(Wolmirstedt), Jörn Wunderlich

Entwurf eines Gesetzes zur begrenzten Zulassung der Präimplantationsdiagnostik
(Präimplantationsdiagnostikgesetz – PräimpG)

A. Problem

Als Präimplantationsdiagnostik (PID) wird die genetische Untersuchung von
Embryonen bezeichnet, die wenige Tage alt sind und durch extrakorporale Be-
fruchtung im Rahmen einer reproduktionsmedizinischen Behandlung erzeugt
wurden. Für die Übertragung in die Gebärmutter der Frau werden von mehreren
Embryonen diejenigen ausgewählt, bei denen bestimmte Dispositionen für Erb-
krankheiten oder chromosomale Veränderungen ausgeschlossen werden kön-
nen.

Über viele Jahre bestand in der politischen und wissenschaftlichen Debatte weit-
gehende Einigkeit darüber, dass die PID durch das Embryonenschutzgesetz ver-
boten ist. So hat etwa die Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen
Medizin des Deutschen Bundestages in ihrem Schlussbericht vom 14. Mai 2002
(Bundestagsdrucksache 14/9020) in einem eigenen Kapitel ausführlich Stellung
zur PID bezogen. Die Mehrheit der Kommission ging in diesem Bericht davon
aus, dass die PID nach geltendem Recht verboten sei. Auch der Nationale Ethik-
rat ging in seiner Stellungnahme „Genetische Diagnostik vor und während der
Schwangerschaft“ aus dem Jahr 2003 davon aus, dass die PID in Deutschland
verboten sei (Nationaler Ethikrat 2003: Genetische Diagnostik vor und während
der Schwangerschaft).

Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 6. Juli 2010 (Az. 5 StR
386/09), wonach die Regelungen im Embryonenschutzgesetz nicht ein grund-
sätzliches Verbot der Präimplantationsdiagnostik umfassen, besteht gesetzlicher
Regelungsbedarf.

Der BGH hat in seiner Begründung ausgeführt, dass das Urteil nicht so zu inter-
pretieren sei, dass damit eine unbegrenzte Selektion von Embryonen im Rahmen
einer künstlichen Befruchtung anhand genetischer Merkmale zulässig sein dürfe

Drucksache 17/5452 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

und dass eine eindeutige gesetzliche Regelung der Materie wünschenswert
wäre.

B. Lösung

Um Rechtssicherheit für die betroffenen Paare und die Ärzte herzustellen, ist das
Embryonenschutzgesetz um eine Regelung zu ergänzen, wonach die genetische
Untersuchung eines Embryos im Rahmen einer künstlichen Befruchtung grund-
sätzlich verboten ist.

Nur in Ausnahmefällen wird eine solche Untersuchung für nicht rechtswidrig er-
klärt. In diesen Fällen muss bei den Eltern oder einem Elternteil eine human-
genetisch diagnostizierte Disposition vorliegen, die mit einer hohen Wahr-
scheinlichkeit zu Fehl- oder Totgeburten oder zum Tod des Kindes im ersten
Lebensjahr führen kann.

Weitere Voraussetzung ist die Verpflichtung, eine Beratung anzubieten sowie
das positive Votum einer Ethik-Kommission.

Für diese Fälle werden in das Gesetz Verfahrensregelungen aufgenommen wie
die Beschränkung auf ein lizenziertes Zentrum, Einzellfallentscheidung einer
Ethik-Kommission sowie Dokumentations- und Berichtspflichten.

C. Alternativen

Ein ausnahmsloses Verbot der PID ist theoretisch denkbar. Ein solches Verbot
hätte jedoch erhebliche negative Auswirkungen auf Paare, die aufgrund einer
genetischen Vorbelastung ein hohes Risiko für eine Tot- oder Fehlgeburt haben
und sich im Rahmen einer reproduktionsmedizinischen Behandlung ihren Kin-
derwunsch erfüllen wollen.

Eine Freigabe der Anwendung der PID zur Feststellung schwerer Erbkrankhei-
ten hingegen würde insbesondere dazu führen, dass die Indikationsstellung zur
Anwendung der Diagnostik langfristig ausgeweitet werden würde. Die Erfah-
rungen in anderen Ländern, in denen die PID zugelassen ist, zeigen, dass eine
Begrenzung auf schwere Krankheitsbilder nicht möglich ist.

Ebenfalls denkbar wäre ein Verzicht auf eine gesetzliche Regelung der PID.
Ohne eine gesetzliche Regelung würde der Beschluss des Bundesgerichtshofs
weiter Bestand haben. Fragen des Lebensschutzes insbesondere in den frühesten
Entwicklungsstadien menschlichen Lebens sollen jedoch nicht durch Richter-
recht entschieden werden. Auch eine Anwendung der PID in der medizinischen
Praxis ohne konkrete Regelungsvorschriften ist abzulehnen, da hierdurch weiter
Rechtsunsicherheiten für betroffene Paare sowie für Ärzte und weiteres medizi-
nisches Personal bestehen würden.

D. Kosten

Die Auswirkungen auf die gesetzlichen und privaten Krankenkassen, die die
Anwendung der Präimplantationsdiagnostik im Rahmen reproduktionsmedizi-
nischer Behandlungen anteilig zu finanzieren haben, dürften angesichts der vor-
geschlagenen, klar und eng umgrenzten Zulassung der Präimplantationsdiag-
nostik sehr begrenzt sein.

Auswirkungen auf die Haushalte von Bund und Ländern hat die begrenzte Zu-
lassung der Präimplantationsdiagnostik nur, sofern diese als beihilfefähig aner-
kannt wird. Es steht zu erwarten, dass die Höhe dieser Mehrausgaben gering
ausfällt.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5452

Entwurf eines Gesetzes zur begrenzten Zulassung der Präimplantationsdiagnostik
(Präimplantationsdiagnostikgesetz – PräimpG)

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Embryonenschutzgesetzes

Das Embryonenschutzgesetz vom 13. Dezember 1990
(BGBl. I S. 2746), das durch Artikel 22 des Gesetzes vom
23. Oktober 2001 (BGBl. I S. 2702) geändert worden ist,
wird wie folgt geändert:

1. In § 1 Absatz 1 wird folgender Satz 2 angefügt:

„Abweichend von Absatz 1 Nummer 5 wird nicht be-
straft, wer im Rahmen von reproduktionsmedizinischen
Behandlungen, in deren Verlauf eine Untersuchung nach
§ 3a Absatz 2 durchgeführt wird, auch mehr Eizellen
einer Frau befruchtet, als ihr innerhalb eines Zyklus über-
tragen werden sollen.“

2. In § 3 wird Satz 2 aufgehoben.

3. Nach § 3 wird folgender § 3a eingefügt:

㤠3a

Genetische Untersuchung des Embryos vor der
Implantation (Präimplantationsdiagnostik)

(1) Wer einen Embryo vor dessen Übertragung auf
eine Frau genetisch untersucht, wird mit Freiheitsstrafe
bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Nicht rechtswidrig ist die Untersuchung, wenn

1. sie von einem Arzt und mit schriftlicher Zustimmung
der Frau vorgenommen wird,

2. sie in einer nach § 8a zertifizierten Einrichtung er-
folgt,

3. bei den Eltern oder einem Elternteil eine genetische
oder chromosomale Disposition diagnostiziert ist, die
nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft mit
hoher Wahrscheinlichkeit eine Schädigung des
Embryos, Fötus oder Kindes zur Folge hat, die zur
Tot- oder Fehlgeburt oder zum Tod im ersten Lebens-
jahr führen kann,

4. sie dazu dient, den Embryo auf das Vorhandensein
einer Schädigung nach Nummer 3 zu untersuchen,
und

5. die Ethik-Kommission (§ 8a) die Voraussetzungen
nach Nummer 3 bescheinigt.

(3) Ordnungswidrig handelt derjenige, der die Unter-
suchung nach Absatz 2 durchführt, ohne dass der Frau
zuvor ein Angebot zur frauenärztlich-reproduktionsme-
dizinischen, humangenetischen und psychosozialen Be-
ratung gemacht wurde. Ordnungswidrig handelt auch
derjenige, der die Untersuchung nach Absatz 2 durch-
führt, obwohl er nicht über die in der Rechtsverordnung
nach § 8c bestimmte Qualifikation verfügt. Ordnungs-

widrigkeiten nach den Sätzen 1 und 2 können mit einer
Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro bestraft werden.

(4) Nicht bestraft wird in den Fällen der Absätze 1
und 3 die Frau, auf die ein Embryo übertragen werden
soll.“

4. Nach § 8 werden folgende §§ 8a bis 8c eingefügt:

㤠8a

Ethik-Kommission, Zertifizierte Zentren

(1) Die Bundesregierung beruft eine interdisziplinär
zusammengesetzte Ethik-Kommission, die genetische
Untersuchungen nach § 3a Absatz 2 Nummer 5 überprüft.
Ein Arzt, der genetische Untersuchungen an Embryonen
vornimmt, kann nicht Mitglied sein, soweit die Kommis-
sion über Untersuchungen des Arztes entscheidet.

(2) Die Bundesregierung benennt ein Zentrum, das die
genetischen Untersuchungen im Rahmen des § 3a durch-
führen darf. Bei der Auswahl des Zentrums soll die Bun-
desregierung die Erreichbarkeit für die Bevölkerung be-
rücksichtigen. Das Zentrum soll Teilnehmer am Register
des Deutschen IVF- Registers e. V. sein.

§ 8b

Monitoring, Datenerhebung

(1) Die Bundesregierung erstellt jährlich bis zum
1. September einen Bericht über die Zahl der jährlich
durchgeführten genetischen Untersuchungen an Embryo-
nen nach § 3a, der eine wissenschaftliche Auswertung
umfasst. Der Bericht basiert auf anonymisierten Daten.
Er ist bis zum 1. September eines jeden Jahres dem Deut-
schen Bundestag zuzuleiten.

(2) Die Ethik-Kommission und das ernannte Zentrum
nach § 8a übermitteln jährlich bis zum 1. Juni die für den
Bericht nach Absatz 1 notwendigen Informationen, ins-
besondere die Zahl der durchgeführten und nicht durch-
geführten genetischen Untersuchungen an Embryos nach
§ 3a an das Bundesministerium für Gesundheit. Die Er-
hebung und Übermittlung erfolgt anonymisiert.

§ 8c

Verordnungsermächtigung

Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechts-
verordnung nach öffentlicher Anhörung der medizini-
schen Fachverbände und der Gendiagnostik-Kommission
(§ 23 des Gendiagnostikgesetzes) zu bestimmen:

1. Anforderungen an die ärztliche Qualifikation im Sin-
ne des § 3a Absatz 2 einschließlich der regelmäßig zu
absolvierenden Fortbildung,

2. Anforderungen an die frauenärztlich-reproduktions-
medizinische, humangenetische und psychosoziale
Beratung vor einer genetischen Untersuchung eines
Embryos nach § 3a und an die Beratungsstellen,

Drucksache 17/5452 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Art und Umfang der von der Ethik-Kommission und
dem Zentrum nach § 8b zu übermittelnden Informa-
tionen.“

5. In § 10 wird nach den Wörtern „Maßnahmen der in“ die
Angabe „§ 3a und“ eingefügt.

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 12. April 2011

René Röspel
Priska Hinz (Herborn)
Patrick Meinhardt
Dr. Norbert Lammert
Kerstin Andreae
Willi Brase
Dr. Ralf Brauksiepe
Marco Bülow
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Petra Ernstberger
Dr. Thomas Feist
Dirk Fischer (Hamburg)
Kai Gehring
Ulrike Gottschalck
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Gustav Herzog
Ingrid Hönlinger
Jürgen Klimke
Ute Koczy
Daniela Kolbe (Leipzig)
Agnes Krumwiede
Renate Künast
Monika Lazar
Burkhard Lischka
Hilde Mattheis
Dr. Rolf Mützenich
Manfred Nink
Sibylle Pfeiffer
Anton Schaaf
Ottmar Schreiner
Franz Thönnes
Waltraud Wolff (Wolmirstedt)
Jörn Wunderlich

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5452

Begründung

A. Allgemeines

Der vorliegende Gesetzentwurf dient dem Ziel, die nach dem
Urteil des Bundesgerichtshofes vom 6. Juli 2010 (Az. 5 StR
386/09) bestehenden Rechtsunsicherheiten im Hinblick auf
die Zulässigkeit und die Grenzen der Anwendung der Präim-
plantationsdiagnostik aufzulösen. Zu diesem Zweck wird
das Embryonenschutzgesetz (ESchG) um einen Paragraphen
zur Präimplantationsdiagnostik (PID) ergänzt.

Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf ist die Durchführung
einer PID grundsätzlich verboten. Erfahrungen bei der An-
wendung der PID im Ausland zeigen, dass trotz einschrän-
kender rechtlicher Zulassungskriterien zur Einstufung von
Krankheitsmerkmalen wie „schwere Erbkrankheit“, „nicht
heilbar“ oder „nicht therapierbar“ eine Ausweitung der In-
dikation auf immer mehr Krankheiten wie zum Beispiel
Chorea Huntington, Mukoviszidose oder einer Brustkrebs-
Disposition oder gar Behinderungen wie Trisomie 21
(Down-Syndrom) stattfindet.

Verboten ist nach dem Gesetzentwurf weiterhin eine PID, die
der Wunscherfüllung der Zusammensetzung genetischer An-
lagen von Kindern nach dem Willen der Eltern dienen soll
wie zum Beispiel die HLA-Typisierung, bei der die PID zur
Bestimmung der immunologischen Verträglichkeit des un-
tersuchten Embryos zu einem bereits vorhanden Kind, das
an einer schweren Krankheit leidet, vorgenommen wird.
Ebenfalls verboten ist die Durchführung der PID bei einem
extrakorporalen Embryo, um spontane, also nicht auf Grund-
lage einer genetischen Disposition der Eltern basierende
Chromosomenstörungen festzustellen (Aneuploidie-Scree-
ning).

Eine Zulassung der PID analog zur vorgeburtlichen geneti-
schen Untersuchung (Pränataldiagnostik – PND) ist nicht
vertretbar. Die PND dient grundsätzlich der Vorsorge – also
dem Schutz von Mutter und Kind während einer Schwanger-
schaft. Eine Konfliktlage ist gegeben und ein möglicher
Schwangerschaftsabbruch nach einer PND ist laut § 218a
Absatz 2 des Strafgesetzbuchs nur dann nicht rechtswidrig,
wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichti-
gung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnis-
se der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist,
um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwer-
wiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seeli-
schen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden,
und diese Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare
Weise abgewendet werden kann. Diese Konfliktlage liegt je-
doch im Rahmen reproduktionsmedizinscher Behandlungen,
in denen eine „schwerwiegende“ Erkrankung des Embryos
diagnostiziert wird, nicht vor. Zum einen besteht keine
Schwangerschaft, zum anderen dient die PID der Selektion
von Embryonen aufgrund bestimmter Merkmale. Es gibt
zwar ein Recht auf Fortpflanzung, das aus dem Recht auf
freie Entfaltung der Persönlichkeit folgt, aber kein Recht auf
ein Kind mit bestimmten Merkmalen.

In wenigen Fällen jedoch ist die Durchführung der PID nach
diesem Gesetzentwurf vertretbar und zulässig. Das Krite-
rium für die Zulassung ist hierbei nicht ein bestimmtes
Krankheitsbild beim Embryo, sondern die (Über-)Lebensfä-

higkeit des Embryos. Beweggrund für die Zulassung sind
das Leiden und die berechtigten Interessen von Paaren, deren
genetische Vorbelastung zu Fehl- oder Totgeburten führen
kann.

Die zweistufige Beschränkung der Zulässigkeit der Durch-
führung einer PID – auf die genetische Vorbelastung der
Paare bzw. eines Teils der Paare sowie die Lebensfähigkeit
der Embryonen – stellt sicher, dass einer Ausweitung der In-
dikationsstellung klare Grenzen gesetzt werden. Diesem
Zweck dienen auch die weiteren Regelungen in dem vorlie-
genden Gesetzentwurf wie die Einrichtung einer Ethik-
Kommission, die die Zulässigkeit der PID bescheinigt, so-
wie eines zertifizierten Zentrums, an dem die PID durchge-
führt werden darf. Weiterhin sieht der Gesetzentwurf unter
anderem eine Verordnungsermächtigung für die Anforde-
rungen an die ärztliche Qualifikation, an die Beratung und
die Berichtspflicht durch die Ethik-Kommission über die
von ihr geprüften Fälle vor.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1

Zu Nummer 1 (§ 1 – Klarstellung zur Befruchtung von
mehr als drei Eizellen)

Durch die Ergänzung des § 1 Absatz 1 Nummer 5 wird klar-
gestellt, dass die Befruchtung von mehr als drei Eizellen in-
nerhalb einer reproduktionsmedizinischen Behandlung in
den Fällen ausdrücklich zulässig ist, in denen im Verlauf der
Behandlung eine Untersuchung nach § 3a Absatz 2 erforder-
lich sein wird. Nach übereinstimmender Auffassung von Ex-
perten ist für die Durchführung einer PID die Befruchtung
von rund acht bis neun Eizellen erforderlich. Mithin müssen
für eine Erfolg versprechende PID mehr menschliche Em-
bryonen hergestellt werden, als später auf die Frau übertra-
gen werden sollen. Hieraus ergibt sich, dass eine PID nach
der bisher vorherrschenden Interpretation der Vorgaben des
Embryonenschutzgesetzes (so genannte Dreier-Regel) unzu-
lässig wäre.

Ohne eine klarstellende Zulassung der Befruchtung von
mehr als drei Eizellen würde das Vorgehen im Rahmen einer
PID auch der „(Muster-)Richtlinie zur Durchführung der as-
sistierten Reproduktion“ der Bundesärztekammer aus dem
Jahr 2006 widersprechen. Die Bundesärztekammer kommt
in der (Muster-)Richtlinie „zu der Schlussfolgerung, dass es
gegenwärtig nicht zulässig ist, mehr als drei Eizellen zu be-
fruchten und in einem Zyklus dann nur einen oder allenfalls
zwei dieser Embryonen zu übertragen.“

Aus Gründen der Rechtssicherheit ist es daher zwingend er-
forderlich, eine Regelung zur Zulässigkeit der Befruchtung
von mehr als drei Eizellen im Rahmen einer reproduktions-
medizinischen Behandlung zu treffen, sofern die Durchfüh-
rung einer PID geplant ist. Da die Durchführung einer PID
nur in den Fällen zulässig ist, in denen eine humangenetisch
diagnostizierte Disposition bei den Eltern oder einem Eltern-
teil vorliegt und die weiteren Voraussetzungen des § 3a Ab-
satz 2 vorliegen müssen (siehe dort), ist bereits vor der Ent-

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nahme der Eizellen klar, ob eine PID durchgeführt wird oder
nicht.

Zu Nummer 2 (§ 3 – Streichung der Ausnahmeregelung
zum Verbot der Geschlechtswahl)

Nach § 3 Satz 2 des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) ist
es zulässig, dass ein Arzt im Rahmen einer reproduktionsme-
dizinischen Behandlung eine Samenzelle auswählt, um hier-
über das Geschlecht des späteren Embryos mit dem Ziel aus-
zuwählen, das spätere Kind „vor der Erkrankung an einer
Muskeldystrophie vom Typ Duchenne oder einer ähnlich
schwerwiegenden geschlechtsgebundenen Erbkrankheit zu
bewahren“. Hierzu muss die drohende Krankheit von der
nach Landesrecht zuständigen Stelle als entsprechend
schwerwiegend anerkannt worden sein. Jedoch liegen der
Bundesregierung keinerlei Erkenntnisse vor, dass diese Aus-
nahmeregelung seit Verabschiedung des Embryonenschutz-
gesetzes jemals genutzt wurde.

Vielmehr werden in der wissenschaftlichen Debatte erheb-
liche Zweifel an der vorliegenden Ausnahmeregelung geäu-
ßert. So führt die Einstufung einer Krankheit als „schwer-
wiegend“ über die zuständigen Stellen der Länder – sofern
das Verfahren jemals angewendet werden würde – absehbar
zu einer Zersplitterung des Rechts in einem grundrechtlich
als besonders schützenswert zu erachtenden Bereich. Auch
die Hervorhebung des Krankheitsbildes Muskeldystrophie
vom Typ Duchenne wird in der wissenschaftlichen Debatte
als potentiell diskriminierend abgelehnt. Hinzu kommt, dass
bisher eine effiziente Spermatozoentrennungstechnik fehlt,
wodurch es an einer Anwendungsperspektive fehlt.

Gegen den Begriff „schwerwiegend“ zur Abgrenzung der
Zulässigkeit der Durchführung einer Auswahl von Samen-
zellen zur Geschlechtswahl wird zudem eingewandt, dass
dieser ungeeignet ist, da nur die Betroffenen die „Schwere“
einer Erkrankung – subjektiv – bewerten können und somit
der Begriff „schwerwiegend“ ohne weitere Konkretisierun-
gen nicht zur Abgrenzung von rechtlich Zulässigem von
rechtlich Unzulässigem taugt. Folglich erscheint die ersatz-
lose Streichung dieses Satzes ohne negative Auswirkungen
für Paare mit genetischen Vorbelastungen möglich und im
Sinne der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit auch als er-
forderlich.

Zu Nummer 3 (§ 3a – neu – Präimplantationsdiagnostik)

Da für die Regelung der Präimplantationsdiagnostik (PID)
umfassende Vorgaben erforderlich sind, werden die notwen-
digen Änderungen des Embryonenschutzgesetzes in einem
neuen § 3a zusammengefasst. Der neue § 3a sieht vor, dass
bei Vorliegen schwerwiegender Gründe eine Untersuchung
von bereits befruchteten Eizellen in klar umgrenzten Fällen
zulässig ist.

Zu Absatz 1

Absatz 1 verbietet die genetische Untersuchung eines Em-
bryos im Rahmen einer künstlichen Befruchtung. Die Hand-
lung ist mit Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit
Geldstrafe strafbewehrt. Nach dem Urteil des BGH vom
6. Juli 2010 (Az. 5 StR 386/09) ist eine im Rahmen einer
künstlichen Befruchtung durchgeführte Präimplantations-
diagnostik (PID), die mittels Blastozystenbiopsie an nicht-
totipotenten Zellen (Trophoblastzellen) vorgenommen wird,

keine nach dem ESchG strafbare Handlung. Durch die Än-
derung in § 3a Absatz 1 (neu) wird die Strafbarkeitslücke ge-
schlossen. Eine Präimplantationsdiagnostik ist grundsätzlich
verboten. Ausnahmen vom Verbot ergeben sich aus § 3a
Absatz 2 (neu; siehe dort).

Zu Absatz 2 (Zulassung der Präimplantationsdiagnostik
unter engen Bedingungen)

Absatz 2 regelt die zulässige Ausnahme vom Verbot der Prä-
implantationsdiagnostik nach Absatz 1. Eine genetische Un-
tersuchung eines Embryos ist demnach nur dann nicht
rechtswidrig, wenn die in den Nummern 1 bis 5 genannten
Voraussetzungen kumulativ vorliegen. Die Rechtswidrigkeit
der Untersuchung entfällt demnach nur dann, wenn jede ein-
zelne der in Absatz 2 genannten Voraussetzungen erfüllt ist.

Zulässig ist nach dem vorliegenden Gesetzentwurf und ent-
sprechend dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 6. Juli
2010 nur die Durchführung einer PID mittels Biopsie
nicht-totipotenter Zellen (Blastozystenbiopsie). Die – im
Ausland übliche – Durchführung einer PID bereits im frühen
6-8-Zell-Stadium ist durch das Verbot des Klonens in § 6
Absatz 1 ESchG ausdrücklich verboten. Der genaue Zeit-
punkt, ab wann die einzelnen Zellen des Embryos nicht mehr
totipotent sind, lässt sich nicht eindeutig ermitteln. Nach
dem Stand der Wissenschaft kann jedoch davon ausgegan-
gen werden, dass die Zellen des Trophoblasten, die die äuße-
ren Zellen der Blastozyste (Embryo etwa am fünften Tag)
darstellen, und aus denen die Plazenta hervorgehen wird,
nicht mehr totipotent sind. Die in dieser Phase durchgeführte
Entnahme einer oder zweier Zellen des frühen Embryos
stellt aufgrund der Pluripotenz der entnommenen Zellen kein
Klonen im Sinne des § 6 Absatz 1 ESchG dar.

Absatz 2 Nummer 1 sieht vor, dass die genetische Untersu-
chung dann nicht rechtswidrig ist, wenn sie von einem Arzt
durchgeführt wird. Durch die Aufnahme dieses Tatbestands-
merkmals in Absatz 2 erübrigt sich eine Regelung in den
§§ 9 und 11. Weitere Voraussetzung ist, dass die Frau, von
der die Eizelle stammt, oder der der Embryo übertragen wer-
den soll, der Untersuchung zugestimmt hat. Entsprechend
dem üblichen ärztlichen Vorgehen sind die Eltern und insbe-
sondere die Frau vor der Übertragung des Embryos bzw. der
Embryonen erneut aufzuklären, und es muss vor der Über-
tragung eine Zustimmung der Mutter vorliegen.

Zusätzliche Voraussetzung zum Entfallen der Rechtswidrig-
keit normiert Nummer 2. Danach darf die Untersuchung nur
in der nach § 8a zertifizierten Einrichtung erfolgen.

Nach Nummer 3 muss weiterhin vor der Untersuchung eine
genetische oder chromosomale Disposition der zukünftigen
Eltern (oder eines Elternteils) diagnostiziert sein. Diese Dis-
position muss mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Schädi-
gung des Embryos, Fötus oder Kindes zur Folge haben, die
mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Tot- oder Fehlgeburt oder
zum Tod im ersten Lebensjahr führen kann.

Eine „hohe Wahrscheinlichkeit“ für das Auftreten einer
Krankheit liegt vor, wenn sie wesentlich von der Wahr-
scheinlichkeit für die Durchschnittsbevölkerung abweicht.
Die Eintrittswahrscheinlichkeit ist nach den Gesetzlichkei-
ten der Übertragbarkeit und Kombination erblicher Anlagen
genetisch einzuschätzen: Eine Wahrscheinlichkeit von 25 bis
50 Prozent wird als hohes Risiko bezeichnet. Das „Risiko

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/5452

des Paares“ muss nicht auf einer Belastung beider Partner
beruhen, sondern kann sich auch bei nur einem Partner erge-
ben.

Für die meisten lebensbedrohenden Erkrankungen bzw. De-
fekte im Sinne des vorliegenden Entwurfs gilt, dass der Tod
des Kindes in den ersten Tagen oder Wochen nach der Ge-
burt zu erwarten ist. Nur in den seltensten Fällen steht zu er-
warten, dass eine genetische Disposition zum Tod des Kin-
des etwa nach zehn oder elf Monaten führt. Somit eröffnet
die Abgrenzung „im ersten Lebensjahr“ hinreichende Mög-
lichkeiten für eine der medizinischen Praxis und Lebens-
wirklichkeit angemessene Anwendung der PID in einem be-
grenzten, grundgesetzlich zulässigen Rahmen.

Nummer 4 stellt klar, dass die Untersuchung des Embryos
dazu dienen soll, den Embryo auf das Vorhandensein einer
Schädigung nach Nummer 3 zu untersuchen, die zu einer
Tot- oder zu einer Fehlgeburt des Embryos bzw. Fötus oder
zum Tod des Kindes im ersten Lebensjahr führen kann.
Durch die Festlegung, dass nur genetische Konstellationen
untersucht werden dürfen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit
zu einer Schädigung nach Nummer 3 führen, wird das Auf-
treten von genetischen Überschussinformationen vermieden.

Weitere Voraussetzung für das Entfallen der Rechtswidrig-
keit ist nach Nummer 5, dass die nach § 8a eingesetzte Ethik-
Kommission die in Nummer 3 beschriebenen Voraussetzun-
gen bescheinigt. Die Kommission hat daher im Einzelfall zu
prüfen, ob die auf der genetischen oder chromosomalen Dis-
position der Eltern beruhende hohe Wahrscheinlichkeit für
eine Schädigung des Embryos, Fötus oder Kindes besteht
und dass diese Schädigung ebenfalls mit hoher Wahrschein-
lichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt oder zum Tod des Kin-
des im ersten Lebensjahr führen kann. Die genetische Unter-
suchung ohne Bescheinigung führt zur Strafbarkeit.

Ein so genanntes Aneuploidie-Screening wird durch die vor-
liegende Regelung hingegen wirksam ausgeschlossen.

Zu Absatz 3 (Ordnungswidrigkeiten)

Absatz 3 regelt zusätzlich Ordnungswidrigkeitstatbestände
hinsichtlich der genetischen Untersuchung. Nach Satz 1 darf
eine Untersuchung nach einem Angebot für eine frauen-
ärztlich-reproduktionsmedizinische, humangenetische und
psychosoziale Beratung der Frau erfolgen. Diese Regelung
orientiert sich an den einschlägigen Vorgaben des Gendia-
gnostikgesetzes.

Ordnungswidrig nach Satz 2 handelt zudem der Arzt, der
eine genetische Untersuchung ohne die in der Rechtsverord-
nung nach § 8c bestimmten Anforderungen an die ärztliche
Qualifikation und regelmäßige Fortbildung durchführt. Die
Nichteinhaltung dieser Gebote führt nicht zur Strafbarkeit
nach Absatz 1, sondern Rechtsfolge ist die Begehung einer
Ordnungswidrigkeit mit in der in Satz 3 genannten Straf-
androhung.

Zu Nummer 4 (§§ 8a bis 8c – Ethik-Kommission, Zen-
tren, Berichtspflichten, Rechtsverordnung)

In das ESchG eingefügt werden durch Nummer 4 Vorschrif-
ten über die Ethik-Kommission, das zur Durchführung von
Präimplantationsdiagnostiken berufene Zentrum, eine Be-

richtspflicht der Bundesregierung einschließlich der dazu
notwendigen Regelungen über die Datenerhebung sowie
eine Verordnungsermächtigung.

Zu § 8a – neu – (Ethik-Kommission, Zertifizierte Zentren)

Nach § 8a Absatz 1 (neu) beruft die Bundesregierung die in
§ 3a Absatz 2 Nummer 4 genannte Ethik-Kommission. Die
Kommission ist interdisziplinär zusammenzusetzen, um
fachlich differenzierte Entscheidungen treffen zu können.
Ein Arzt, der selbst genetische Untersuchungen an Embryos
vornimmt, kann nicht Mitglied sein, soweit die Kommission
über Untersuchungen des Arztes entscheidet.

§ 8a Absatz 2 (neu) regelt die Zertifizierung des Zentrums,
an denen die Präimplantationsdiagnostik nach § 3a Absatz 2
durchgeführt werden darf. Das Zentrum wird durch die Bun-
desregierung benannt.

Berücksichtigen soll die Bundesregierung dabei die Erreich-
barkeit des Zentrums für die Bevölkerung und dass das Zen-
trum im IVF-Register e. V. registriert ist. Im Übrigen gelten,
insbesondere für die Ernennung, Befristung, die Rücknahme
oder einen Widerruf die allgemeinen Verwaltungsverfah-
rensvorschriften.

Zu § 8b – neu – (Monitoring, Datenerhebung)

Aufgrund der erheblichen Bedenken in der Gesellschaft hin-
sichtlich der Folgen einer Zulassung der PID und der noch
nicht in Gänze absehbaren Auswirkungen der begrenzten
Zulassung der PID auf die Eltern im Hinblick auf die Ent-
scheidung über eine Geburt ihres Kindes bzw. ihrer Kinder,
ist es dringend geboten, dass die Anwendung der PID strikt
beobachtet wird.

Bis zum 1. September eines jeden Jahres hat daher die Bun-
desregierung nach Absatz 1 einen auf anonymisierten Daten
beruhenden Bericht über die Zahl der durchgeführten gene-
tischen Untersuchen einschließlich einer wissenschaftlichen
Bewertung zu erstellen. Der Bericht ist zum gleichen Datum
dem Deutschen Bundestag zuzuleiten.

Für die Erstellung des Berichts besteht nach Absatz 2 sowohl
für die Ethikkommission als auch das zertifizierte Zentrum
eine Pflicht zur Übermittlung der relevanten Daten an das
Bundesministerium für Gesundheit. Auch diese Übermitt-
lung erfolgt anonymisiert. Art und Umfang der zu übermit-
telnden Informationen werden durch Rechtsverordnung
nach § 8c Nummer 3 festgelegt.

Zu § 8c – neu – (Verordnungsermächtigung)

§ 8c ermächtigt die Bundesregierung zum Erlass einer
Rechtsverordnung, die das Nähere zur Durchführungen die-
ses Gesetzes regelt. Hierzu gehören die Anforderungen an
die ärztliche Qualifikation des Arztes einschließlich einer re-
gelmäßig zu absolvierenden Fortbildung (Nummer 1), An-
forderungen an die frauenärztlich-reproduktionsmedizini-
sche, humangenetische und psychosoziale Beratung der Frau
nach § 3a Absatz 3 und an die Beratungsstellen (Nummer 2)
sowie Art und Umfang der von der Ethik-Kommission zu
übermittelnden Daten.

Drucksache 17/5452 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Zu Nummer 5 (§ 10)

Durch die Änderung wird klargestellt, dass niemand ver-
pflichtet werden darf, Maßnahmen, die Präimplantations-
diagnostik betreffend, durchzuführen.

Zu Artikel 2

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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