BT-Drucksache 17/5248

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 17/4821, 17/5239 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften 2011 (Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 - WehrRÄndG 2011)

Vom 23. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5248
17. Wahlperiode 23. 03. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Agnes Malczak, Kai Gehring, Marieluise Beck (Bremen),
Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel, Katja Dörner, Priska Hinz
(Herborn), Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Memet Kilic,
Ute Koczy, Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Dr. Konstantin von Notz,
Omid Nouripour, Tabea Rößner, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele, Josef Philip Winkler und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/4821, 17/5239 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften 2011
(Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 – WehrRÄndG 2011)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht und die Einführung eines freiwil-
ligen Wehrdienstes für Frauen und Männer sind zu begrüßen. Dieser Schritt hätte
bereits vor Jahren erfolgen müssen. Die allgemeine Wehrpflicht ist sicherheits-
politisch schon lange nicht mehr begründbar. Die Aufgaben der Bundeswehr
haben sich seit Ende des Kalten Krieges maßgeblich gewandelt. Nicht mehr die
territoriale Landesverteidigung, sondern die Teilnahme an UN-mandatierter
multilateraler Krisenbewältigung ist für die Bundeswehr heute strukturbestim-
mend. An der Bewältigung dieser Aufgaben waren und sind Grundwehrdienst-
leistende nicht beteiligt. Mit dem Ziel der Nachwuchswerbung ist die allgemeine
Wehrpflicht rechtlich nicht begründbar. Der massive Eingriff in die Freiheits-
rechte junger Männer ist demnach seit Jahren nicht zu rechtfertigen und von
Wehrgerechtigkeit konnte schon lange nicht mehr die Rede sein. Die meisten
unserer europäischen Partner haben dies erkannt und die Wehrpflicht schon
lange abgeschafft. Es ist höchste Zeit, dass auch Deutschland diesen Schritt geht.
Die Aussetzung ist zwar nicht die Abschaffung der Wehrpflicht, aber ein Schritt
in die richtige Richtung.
Problematisch ist jedoch, dass die Entscheidung für die Aussetzung in Deutsch-
land nicht aus sicherheitspolitischen Überlegungen heraus, sondern aus finan-
ziellen Gründen erfolgte. Ein Nachdenken darüber, wie die Aufgaben der Bun-
deswehr in Zukunft aussehen sollen und welche Rolle der freiwillige Wehrdienst
darin einnehmen soll, erfolgte nicht. Dilettantisch ist, wie dieser Schritt schließ-
lich konkret gegangen wurde. Er wurde unzureichend in den Gesamtprozess der
Bundeswehrreform eingebunden.

Drucksache 17/5248 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Der ehemalige Bundesminister der Verteidigung, Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg, hat es versäumt, eine klare Aufgabenkritik an den Anfang der Re-
form zu stellen. Stattdessen wurde die Debatte über die Reform durch die Frage
des Umfangs der Streitkräfte dominiert. Die tiefgreifenden strukturellen Ver-
änderungen der Streitkräfte dürfen nicht ohne einen breiten gesellschaftlichen
und politischen Konsens über Auftrag und Aufgaben der Streitkräfte entschie-
den werden. Hierzu fehlt es an einer ehrlichen sicherheitspolitischen Debatte.
Besonders ein neues Weißbuch, welches ressortübergreifend und unter enger
Beteiligung von Parlament und der deutschen Öffentlichkeit entstehen sollte,
ist dafür notwendig. Solche Grundlagen sind entscheidend für die demokra-
tische Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft und für den Erfolg
einer Reform. Eine Verständigung über die Ausrichtung der Bundeswehr hätte
vor den administrativen Schritten erfolgen müssen.

Ein schlüssiges Gesamtkonzept für die Bundeswehr als Freiwilligenarmee liegt
bis heute nicht einmal in Ansätzen vor. Gleichzeitig muss die Bundeswehr ab
Juli dieses Jahres bereits mit den Folgen der Aussetzung der Wehrpflicht um-
gehen. „Aufgaben“ und „Strukturen“, „Nachwuchsgewinnung“ und „Attrakti-
vität“ sind nur einige Stichwörter für Fragen, auf die es bisher lediglich skizzen-
hafte Antworten gibt. Die Finanzierung der bisherigen Reformüberlegungen,
die nur in Eckpunkten existiert, ist zudem ungewiss. Leidtragende dieses ver-
stolperten Reformschrittes sind die Bundeswehr, ihre Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter im militärischen und zivilen Dienst sowie in den Kreiswehrersatz-
ämtern und Musterungszentren und diejenigen jungen Menschen, die sich heute
schon zum freiwilligen Wehrdienst verpflichtet haben.

Der vorgelegte Gesetzentwurf beinhaltet zudem Regelungen, die höchst proble-
matisch sind. Der Entwurf beinhaltet kein ausdrückliches Verbot eines Dienstes
Minderjähriger (Straight 18). Deutschland engagiert sich gegen den Einsatz
von Kindersoldaten. Dieses Engagement ist nur glaubwürdig, wenn Deutsch-
land in seiner eigenen Armee Konsequenz zeigt und Minderjährige nicht in den
militärischen Dienst aufnimmt. Für das zentrale Leitbild der Soldatinnen und
Soldaten der Bundeswehr – den Staatsbürger in Uniform – ist es zudem Voraus-
setzung, dass Menschen, bevor sie sich zum militärischen Dienst bei der Bun-
deswehr verpflichten, im vollen Besitz ihrer staatsbürgerlichen Rechte sind.

Mit § 58 des Wehrpflichtgesetzes (Artikel 1 Nummer 6 des vorliegenden Ge-
setzentwurfs) soll die Erhebung von personenbezogenen Daten siebzehnjähriger
Frauen und Männer bei den Meldebehörden eingeführt werden. Der Zweck die-
ser Datenerhebung ist das Sammeln von Adressen zur Versendung von Werbung
für den freiwilligen Wehrdienst und die Bundeswehr. Die Daten sollen für ein
Jahr gespeichert werden, so die Betroffenen nicht Einspruch erheben. Artikel 9
des Gesetzentwurfs schafft zwar im Melderechtsrahmengesetz ein Wider-
spruchsrecht gegen die Erhebung bei den Meldebehörden. Jedoch erfahren die
Betroffenen von der Erhebung nur bei Anmeldung und durch jährliche öffent-
liche Bekanntmachungen. Der Eingriff in die Grundrechte junger Menschen
durch die massenhafte Speicherung ihrer Daten ist gegenüber ihrem Zweck – der
Werbung für einen freiwilligen Dienst – äußerst fragwürdig. Dieser Eingriff ist
besonders schwerwiegend, da es sich bei den Betroffenen um Minderjährige
handelt. Gleichzeitig würde die Bundeswehr durch diese Möglichkeit einen
nicht zu rechtfertigenden Vorteil gegenüber zivilen Arbeitgebern, aber auch
gegenüber Anbietern ziviler Freiwilligendienste gewinnen. Im Hinblick auf die
zivilen Freiwilligendienste ist dabei auch zu betonen, dass jeder Freiwilligen-
dienst wertvoll und eine derartige Ungleichstellung abzulehnen ist.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine konsequente Begrenzung des freiwilligen Wehrdienstes auf volljährige

Frauen und Männer einzuführen,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5248

2. von der massenhaften Speicherung von Daten zum Zwecke der Werbung für
den freiwilligen Wehrdienst durch die Kreiswehrersatzämter bzw. der ihnen
nachfolgenden Organisationsstruktur abzusehen,

3. den weiteren Reformprozess der Bundeswehr entlang einer noch zu führen-
den Debatte über die künftigen Aufgaben der Bundeswehr zu gestalten,

4. das Parlament an den strukturellen Veränderungen der Streitkräfte in größt-
möglichem Umfang zu beteiligen,

5. zeitnah zusätzliche Instrumente und Strategien zu entwickeln, die das Prin-
zip der inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform in einer Bundes-
wehr ohne Wehrpflicht festigen, weiterentwickeln und nachhaltig stärken,

6. zeitnah ein schlüssiges Nachwuchsrekrutierungskonzept und Personalstruk-
turmodell vorzulegen, welches den Realitäten der Bundeswehr ohne Wehr-
pflicht Rechnung trägt,

7. konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Attraktivität des Dienstes mit
besonderem Augenmerk auf eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und
Dienst bei der Bundeswehr mit einem konkreten Zeitplan und einem schlüs-
sigen und verantwortbaren Finanzierungskonzept zu entwickeln,

8. ein neues Reservistenkonzept zu erarbeiten,

9. den Übergangscharakter des Wehrrechtsänderungsgesetzes 2011 mit Blick
auf die Umstellung der Bundeswehr auf eine Freiwilligenarmee dadurch zu
unterstreichen, dass 2012 ein Entwurf zur Novellierung des Soldatengeset-
zes vorgelegt wird, der die Reformelemente aufgreift und in einem einheit-
lichen Gesetz zusammenfasst.

Berlin, den 22. März 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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