BT-Drucksache 17/5160

Entwicklungsorientierung in der Mikrofinanzbranche

Vom 21. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5160
17. Wahlperiode 21. 03. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Marieluise Beck
(Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel, Priska Hinz (Herborn),
Ulrike Höfken, Katja Keul, Sven-Christian Kindler, Tom Koenigs, Agnes Malczak,
Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Christine Scheel, Dr. Frithjof Schmidt, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwicklungsorientierung in der Mikrofinanzbranche

Die Mikrofinanzierung ist ein wichtiges entwicklungspolitisches Instrument. In
den Medien wurde dieses vielversprechende Konzept in den vergangenen Jahren
stark diskutiert. Vermehrt finden sich nun kritische Stimmen und Berichte über
die neu entstandene Branche. Der Mikrokreditmarkt wächst weitgehend unkon-
trolliert und zersplittert, Schätzungen gehen von einem weltweiten Volumen aus,
das 60 Mrd. US-Dollar übersteigt. Private Banken, wie etwa die Deutsche Bank,
versprechen ihren Anlegern hohe Gewinne und versuchen selber große Summen
abzuschöpfen. Den besorgniserregenden Berichten über private Verschuldungs-
spiralen bis hin zu Selbstmord, stehen zahlreiche Erfolge entgegen, die auf das
positive Potential der Mikrofinanz verweisen.

Deutschland ist über die KfW Bankengruppe der weltweit wichtigste staatliche
Akteur im Bereich der Mikrofinanzierung. Damit kommt Deutschland auch eine
besondere Verantwortung zu, wenn es um die Zukunft der Mikrofinanzierung
geht. Um die vielversprechende Mikrofinanzbranche weiterzuentwickeln,
braucht es eine stärkere Professionalisierung sowie Mechanismen, um in der
Vielzahl der Akteure verantwortungsvollen Umgang mit Mikrofinanzen sicher-
zustellen.

Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr mehrfach Kleine Anfragen
zur Mikrofinanzierung beantwortet. Mikroversicherungen wurden z. B. in der
Antwort auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/1518 behandelt,
Fragen zu Mikrokrediten und (in geringerem Umfang) Mikrosparangeboten
wurden in den Kleinen Anfragen auf Bundestagsdrucksachen 17/2680 und
17/4619 beantwortet. Trotzdem bleiben viele Fragen offen. Diese beziehen sich
vor allem auf die Art der geförderten Mikrofinanzinstitutionen (MFI), auf die
Refinanzierung, auf Verflechtungen in der Mikrofinanzbranche und die nötige
Regulierung.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche entwicklungspolitische Zielsetzung verfolgt die Bundesregierung in
ihrer Förderung von Mikrokrediten?

2. Welche MFI fördert die Bundesregierung (bitte nach Empfänger, Förderum-
fang und Dauer der Förderung aufschlüsseln)?

Drucksache 17/5160 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Wie hoch sind die Mittel, mit denen die Bundesregierung (auch über die
KfW Bankengruppe) lokale und regionale MFI unterstützt?

4. Wie hoch sind die Mittel, mit denen die Bundesregierung (auch über die
KfW Bankengruppe) internationale Großbanken oder Holdinggesellschaf-
ten bei der Durchführung von Mikrofinanzprojekten unterstützt?

5. Plant die Bundesregierung eine weitere Aufstockung der Mittel zur Förde-
rung von MFI in den kommenden Jahren?

6. Wie definiert die Bundesregierung ein „erfolgreiches“ Mikrofinanzpro-
gramm, und wie viele der von der Bundesregierung geförderten MFI sind
erfolgreich?

7. Wie viele durch Überschuldung verursachte Selbstmorde sind der Bundes-
regierung bei Kundinnen und Kunden bekannt, die Kredite bei durch die
Bundesregierung geförderten MFI aufgenommen haben?

8. Wie viele durch Überschuldung durch Mikrokredite verursachte Selbst-
morde sind der Bundesregierung generell bekannt?

9. Wie stellt die Bundesregierung in ihrer Förderung sicher, dass die entwick-
lungspolitische Zielsetzung gewahrt wird?

10. Wie viele der von der Bundesregierung unterstützten MFI sind börsen-
notiert, und in welcher Höhe werden börsennotierte MFI unterstützt (bitte
nach Höhe der Zahlung und Prozent der Gesamtförderung aufschlüsseln)?

11. Wie viele der von der Bundesregierung unterstützten MFI haben einen
gesellschaftlichen Auftrag, vergleichbar mit den deutschen Sparkassen, und
wie lautet dieser?

12. Welche Vor- und Nachteile sieht die Bundesregierung bei der Förderung

a) großer, internationaler MFI,

b) lokaler, gemeinnützig orientierter MFI?

13. Wie beurteilt die Bundesregierung unter entwicklungspolitischen Gesichts-
punkten die Gefahr, dass durch den Aufbau weltweit operierender Mikro-
finanzkonzerne, der Aufbau von lokaler Eigeninitiative und Ownership
unterhöhlt wird und in den Entwicklungsländern genossenschaftliche und
am Gemeinwohl orientierte Ansätze in der Finanzsektorentwicklung ver-
drängt werden?

14. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass es sich bei der ge-
förderten Finanzholding ProCredit Holding AG um ein Institut handelt, das
sich fast ausschließlich im Besitz von Gebern wie KfW Bankengruppe,
Internationale Finanz-Corporation (IFC) oder The Netherlands Develop-
ment Finance Company (FMO) befindet und dass die Vertreter dieser Geber
auch den Aufsichtsrat kontrollieren?

a) Steht die Tatsache, dass ProCredit Holding AG ausschließlich über
Tochtergesellschaften finanziert, die mehrheitlich von ProCredit
Holding AG kontrolliert werden, nicht im Widerspruch zur Bestrebung
eigenständige Finanzdienstleister in Partnerländern aufzubauen?

b) Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass ProCredit Holding AG
entschieden hat, keine Kredite mehr unter einem Betrag von 4 000 Euro
zu gewähren, und wenn dies zutrifft, wie beurteilt sie dies?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5160

15. Wie hoch ist der Prozentsatz der Kredite (vergeben von MFI, die durch die
Bundesregierung auch über die KfW Bankengruppe oder andere gefördert
werden), die aus Eigenkapital oder eigenkapitalähnlichen Finanzmitteln be-
reitgestellt werden, und wie hoch ist der Prozentsatz der Kredite, die aus
Mitteln vergeben werden, die am internationalen Kapitalmarkt aufgenom-
men wurden?

16. In welchem Umfang sind die durch die deutsche Entwicklungszusammen-
arbeit (EZ) geförderten MFI ganz oder teilweise auf Refinanzierung durch
Kredite angewiesen?

a) Wie viel Prozent der von der deutschen EZ geförderten MFI betreibt
überhaupt keine Ersparnisbildung?

b) Bei wie viel Prozent der von der deutschen EZ geförderten MFI liegt die
Refinanzierung durch Ersparnisse unter 50 Prozent?

c) Bei wie viel Prozent der von der deutschen EZ geförderten MFI liegt die
Refinanzierung durch Ersparnisse über 50 bzw. über 75 Prozent?

17. Wie hoch sind die durchschnittlichen Zinssätze, die MFI, welche von der
deutschen EZ gefördert werden, für Kredite zu zahlen haben, die sie an den
internationalen Kapitalmärkten aufgenommen haben?

18. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass die Citibank und die KfW Ban-
kengruppe 2006 Forderungen der Nichtregierungsorganisation BRAC an
die Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer verbrieft haben und dass das
Gesamtvolumen der Verbriefung bei 150 Mio. Euro lag?

a) Hat die KfW Bankengruppe in weiteren Fällen Forderungen von MFI an
Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer verbrieft?

b) Hat die Bundesregierung Kenntnis von weiteren Verbriefungen von For-
derungen von MFI an Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer durch
Großbanken?

c) Wie beurteilt die Bundesregierung diese Verbriefungen?

19. Wie groß ist die Summe der Kredite, die die von der Bundesregierung ge-
förderten MFI als Devisendarlehen bzw. als Lokalwährungsdarlehen bereit-
stellen (bitte in absoluten Zahlen und in Prozentzahlen)?

20. In welchen Fällen haben sich aus der Tatsache, dass MFI Kredite in Hart-
währung aufgenommen haben, Probleme und Restrukturierungsbedarfe
aufgrund einer Abwertung der Lokalwährung ergeben?

21. In Fällen, in denen die KfW Bankengruppe MFI über Darlehen an Zwi-
schenholdings finanziert, zu welchen Konditionen werden gewährte Dar-
lehen

a) von der deutschen EZ (über die KfW Bankengruppe) an internationale
Zwischenholdings vergeben,

b) von internationalen Zwischenholdings an MFI im Kundengeschäft ver-
geben,

c) von MFI vor Ort an die Kunden vergeben?

22. Welche Kosten entstehen durch diese Finanzierung über Zwischen-
holdings?

23. Welche Vorteile sieht die Bundesregierung in der Finanzierung über
Zwischenholdings?

Drucksache 17/5160 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

24. Wie stellt die Bundesregierung in diesen Konstruktionen zwischen KfW
Bankengruppe, Zwischenholdings, MFI und Endverbrauchern Transparenz
sicher, gerade vor dem Hintergrund, dass sich an den Zwischenholdings
wiederum private Investoren beteiligen, die mit ihren Anlagen Geld verdie-
nen wollen und keinerlei entwicklungspolitische Motivation haben?

25. Welchen Einfluss haben private Investoren über Zwischenholdings oder
über die Beteiligung an Fonds, welche in der Mikrofinanzbranche Investie-
ren, auf

a) die Renditeerwartung der MFI,

b) die Konditionen bei der Vergabe von Mikrokrediten?

26. Welche Zinsen berechnen im Durchschnitt private Kapitalgeber, die sich an
der Refinanzierung (Kredite) öffentlich kofinanzierter Mikrobanken betei-
ligen?

27. Welche Renditeerwartungen haben die Privaten, die Eigenkapital auch für
öffentlich geförderte MFI bereitstellen, und welche Renditeerwartungen
wurden bislang realisiert?

28. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass Steuergelder nicht in Zwischen-
holdings oder Fonds fließen, aus denen private Investoren Gewinne schöp-
fen?

29. Welche Erfolge wurden in den Ländern, in denen die Bundesregierung den
Aufbau von funktionierenden Finanzsystemen unterstützt, erzielt (bitte ein-
zeln nach Ländern auflisten)?

a) In welchen Ländern existieren Aufsichtsbehörden, die umfassende Re-
geln für den jeweiligen Finanzmarkt vorgegeben haben, und inwiefern
können sie durchgesetzt werden (bitte nach einzelnen Ländern und Be-
hörden auflisten)?

b) In welchen Ländern existieren Kreditinformationsbüros, und inwiefern
sind die Informationen dieser Einrichtungen zum einen umfassend und
zum anderen bindend, so dass dort als überschuldet registrierte Kredit-
nehmer keine weiteren Kredite mehr erhalten können?

c) Was sind die regulatorischen und finanzsystemischen Mindestanforde-
rungen an ein Land in dem sich die Bundesregierung in der Mikrofinan-
zierung engagiert?

d) In welchen Ländern wurden brutale Inkassopraktiken wie das „house-
breaking“ wirkungsvoll von den Aufsichtsbehörden unterbunden und
geahndet?

e) In welchen Ländern wurden die MFI wirkungsvoll zum Ausweis des
effektiven Jahreszinses verpflichtet?

30. An welchen konkreten Punkten ist es in den vergangenen Jahren gelungen,
Gesetze im Bankbereich auch auf den Mikrofinanzsektor anzuwenden?

31. Welche Bereiche werden mit von der Bundesregierung geförderten Mikro-
krediten vor allem finanziert (Antworten bitte jeweils nach Ländern auflis-
ten)?

a) Welcher Prozentsatz der Mikrokredite dient der Finanzierung kleinbäu-
erlicher Landwirtschaft?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5160

b) Ist das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung der Meinung, dass der klassische Mikrokredit mit hohen
Zinsen überhaupt in relevantem Umfang für die Landwirtschaftsfinan-
zierung infrage kommt?

c) Welcher Prozentsatz der Mikrokredite, die über Institute, die durch die
deutsche EZ gefördert werden, bereitgestellt werden, dient der Konsum-
finanzierung?

d) Welcher Prozentsatz der Mikrokredite, die über Institute, die durch die
deutsche EZ gefördert werden, bereitgestellt werden, dient der Bildungs-
finanzierung?

e) Welcher Prozentsatz der Mikrokredite, die über Institute, die durch die
deutsche EZ gefördert werden, bereitgestellt werden, dient der Eröff-
nung von Klein(st)-Unternehmen?

Berlin, den 18. März 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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