BT-Drucksache 17/4950

Einsatz verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler sowie Vertrauenspersonen im innerstaatlichen, europäischen bzw. internationalen Kontext

Vom 25. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4950
17. Wahlperiode 25. 02. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, Dr. Konstantin
von Notz, Jerzy Montag, Ingrid Hönlinger, Monika Lazar, Claudia Roth (Augsburg),
Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Einsatz verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler sowie Vertrauenspersonen im
innerstaatlichen, europäischen bzw. internationalen Kontext

In den vergangenen Monaten sind mehrere Fälle bekannt geworden, in denen
Angehörige britischer Ermittlungsbehörden zum Zwecke verdeckter Informa-
tionsbeschaffung sowohl in die globalisierungskritische Szene als auch in die
Umwelt- und Tierschutzbewegung eingeschleust wurden. Einzelne dieser briti-
schen Polizeikräfte waren dabei Berichten zufolge über Jahre hinweg grenz-
überschreitend tätig, unter anderem auch im Bundesgebiet. Der im Herbst 2010
enttarnte Polizeibeamte Mark Kennedy hat hierzu in den Medien öffentlich
Stellung genommen und seinen Einsatz in der globalisierungskritischen Szene
in Deutschland – u. a. in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern – in Einzelhei-
ten geschildert. Mark Kennedy hat seit 2003 täglich über die Aktivitäten und
Pläne der Antiglobalisierungsbewegung berichtet und selbst aktiv an diversen
Demonstrationen und sonstigen Aktionen teilgenommen – zum Beispiel im
Rahmen der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm im Jahr 2007.
Dort hat er nach eigenen Angaben durch seine Berichte kurzfristig Einsätze der
deutschen Polizei mitgesteuert.

Zur Tarnung war Mark Kennedy von seiner Polizeidienststelle versetzt und als
Mitarbeiter der britischen National Public Order Intelligence Unit (NPOIU) ge-
führt worden, damals eine Unterorganisation der Association of Chief Police
Officers (ACPO), ihrerseits ein Zusammenschluss hochrangiger Polizeibeamter
ohne Behördenstatus. Erst kürzlich stellte die britische Regierung diese Einheit
unter die direkte Kontrolle der Metropolitan Police Service. Berichten zufolge
verfügt die ACPO noch über einen beträchtlichen Datenpool, auf den unter
anderem auch privatrechtlichen Unternehmen Zugriff gewährt wird.

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Aufklärung des Einsatzes von Mark Kennedy sowie weiterer verdeckt agie-
render Ermittler

1. Was wussten welche Bundesbehörden je über den britischen verdeckten Er-
mittler Mark Kennedy?
2. Einzelheiten zur Tätigkeit von Mark Kennedy im Bundesgebiet:

a) Wann genau war Mark Kennedy in Deutschland tätig,

b) je wie lange,

c) wo jeweils genau in Deutschland,

d) mit je welchen – präventiven oder repressiven – Ermittlungszielen,

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e) auf welcher Rechtsgrundlage,

f) falls dabei mit Beteiligung oder Wissen einer deutschen Dienststelle, je
welcher,

g) mit welchen Ermittlungsergebnissen,

h) welche Strafermittlungsverfahren wurden gegen ihn in Deutschland ge-
führt,

i) aus welchen Anlässen,

j) mit welchen Ergebnissen?

k) Wie viele personenbezogene Datensätze erhob und übermittelte Mark
Kennedy in Deutschland je an wen?

l) Zu wie vielen Personen in Deutschland ging Mark Kennedy zwecks bes-
serer Legendierung erotische Beziehungen ein, ohne dies pflichtgemäß
seine Vorgesetzten zu melden?

m)Welche deutschen Dienststellen führten Mark Kennedy während seiner
Einsätze in Deutschland?

n) Welche Hoheitsbefugnisse durfte er in Deutschland ausüben?

o) Wenn keine, wie rechtfertigt sich dann seine Einsatztätigkeit zur Erhe-
bung und Übermittlung personenbezogener Daten, u. a. aus dem Intimbe-
reich erlangter Daten?

p) Welche Festlegungen gemäß Artikel 17 des Beschlusses 2008/616/JI des
Rates trafen vor seinen Einsätzen in Deutschland jeweils die hieran betei-
ligten deutschen Dienststellen?

q) Welche „Verträge“ über seine Einsätze wurden je zwischen wem abge-
schlossen, wie BKA-Präsident Jörg Ziercke kürzlich im Innenausschuss
des Deutschen Bundestages formulierte?

r) Wie wirkten in diesem Fall das Bundeskriminalamt (BKA) sowie ggf.
weitere Bundesbehörden mit den zuständigen Behörden Großbritanniens
sowie der Bundesländer zusammen, in denen Mark Kennedy sich aufhielt?

s) Agierte Mark Kennedy auch in Bundesländern, ohne dass deren Sicher-
heitsbehörden – v. a. durch das BKA – vorher informiert waren?

t) Wenn ja, wie lauten die Einzelheiten?

3. a) Welche Informationen entsprechend den Fragen 2a bis 2t liegen der Bun-
desregierung mit nachgeordnetem Bereich zu laufenden oder abgeschlos-
senen Aktivitäten weiterer ausländischer verdeckt agierender Polizeibe-
diensteter in Deutschland vor?

b) Ist die Bundesregierung bereit, hierfür und zwecks eigenen Überblicks
– etwa über föderale Kooperationsfälle – Informationen aller Bundes-
länder anzufordern?

c) Falls nein, warum nicht?

4. a) Welche Informationen entsprechend den Fragen 2a bis 2t liegen der
Bundesregierung mit nachgeordnetem Bereich zu laufenden oder abge-
schlossenen Aktivitäten deutscher verdeckt agierender Polizeibediensteter
im Ausland vor?

b) Ist die Bundesregierung bereit, hierfür und zwecks eigenen Überblicks
– etwa über föderale Kooperationsfälle – Informationen aller Bundeslän-
der anzufordern?
c) Falls nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4950

5. Welche geldwerten Zuwendungen, Vorteile bzw. Aufwendungsersatz erhiel-
ten

a) die in Deutschland verdeckt tätigen ausländischen Polizeibediensteten,

b) die im Ausland verdeckt tätigen deutschen Polizeibediensteten je im Hin-
blick darauf jeweils durch (welche?) deutsche Dienststellen bzw. auf de-
ren Geheiß durch Dritte?

6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass angesichts
der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Auskunftsanspruch des
Deutschen Bundestages (Beschlüsse vom 17. Juni 2009 – 2 BvE 3/07 – und
vom 1. Juli 2009 – 2 BvE 5/06) Antworten auf parlamentarische Anfragen zu
konkreten Fällen verdeckt agierender ausländischer Ermittler nicht verwei-
gert werden dürfen, etwa aus einsatztaktischen Gründen?

7. a) Welche Informationen liegen der Bundesregierung zum Einsatz des ver-
deckten Ermittlers Simon Brenner alias Simon Bromma (u. a. eingesetzt
vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg in Heidelberg) vor?

b) Inwieweit waren Bundesbehörden an diesem Einsatz beteiligt?

c) Welche Bundesbehörden wurden je über den Verlauf und die Ergebnisse
dieser Einsätze (laufend) in Kenntnis gesetzt?

II. Generelle Handhabung des grenzüberschreitenden Einsatzes verdeckter Er-
mittler

1. a) Hält die Bundesregierung die verdeckte Tätigkeit ausländischer Polizei-
bedienstete im Rahmen der Gefahrenabwehr für vereinbar mit dem
Grundgesetz und den rechtsstaatlichen Grundsätzen?

b) Wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage und mit welcher Begründung?

2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass

a) es mit dem Grundgesetz und den rechtsstaatlichen Grundsätzen unverein-
bar wäre, verdeckt in Deutschland ermittelnde ausländische Polizei-
bedienstete ungeachtet des Beamtenstatus und der Dienstpflichten recht-
lich wie einen ohne solche Rechtsbindungen privat agierenden V-Mann
(vulgo „Dreigroschenjunge“) zu behandeln,

b) bejahendenfalls die Gefahr droht, dass die Polizei bestehende Vorausset-
zungen für den Einsatz deutscher verdeckter Ermittler (z. B. § 110 der
Strafprozessordnung – StPO, § 20g Absatz 2 Nummer 5 des Bundeskri-
minalamtgesetzes – BKAG) gezielt unterläuft, indem sie ausländische
Polizisten einsetzt,

c) deshalb diese Regelungen ebenso auf alle ausländischen Polizisten ange-
wendet werden müssen?

3. a) Oder hält die Bundesregierung eine spezifische neue bundesgesetzliche
Regelung der verdeckten Tätigkeit von ausländischen Polizeiermittlern
im Bundesgebiet für erforderlich?

b) Wenn nein, weshalb nicht?

c) Wenn ja, welchen konkreten Inhalt sollte nach Auffassung der Bundes-
regierung eine solche Regelung haben?

4. Falls nach Auffassung der Bundesregierung vorgenannte gesetzliche Rege-
lungen nicht entsprechend für ausländische verdeckte Ermittler anwendbar
sind und deren Handeln begrenzen, wie stellt die Bundesregierung dann im
Einzelfall sicher, dass verdeckt agierende Polizeiangehörige ausschließlich

aus solchen Staaten im Bundesgebiet eingesetzt werden, in denen die recht-
lichen Vorgaben für den Einsatz verdeckter Ermittler den in der Bundesrepu-
blik Deutschland geltenden Standards gerecht werden und auch für Tätigkei-
ten hierzulande gelten?

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5. a) Hält es die Bundesregierung für erforderlich, die Kontrolle derartiger
Tätigkeiten seitens des Bundeskriminalamtes oder ggf. einer anderen
Bundesbehörde zu verstärken?

b) Wenn nein, weshalb hält die Bundesregierung die derzeitige Kontrolle
für ausreichend?

c) Wenn ja, wie gedenkt die Bundesregierung die Kontrolle konkret auszu-
gestalten?

6. a) Hält es die Bundesregierung für erforderlich, die parlamentarische Kon-
trolle derartiger Tätigkeiten zu verstärken?

b) Wenn nein, weshalb hält die Bundesregierung die derzeitige Kontrolle
für ausreichend?

c) Wenn ja, wie gedenkt die Bundesregierung die Kontrolle konkret auszu-
gestalten?

7. a) Ist es nach Auffassung der Bundesregierung mit dem Grundgesetz bzw.
den Grundsätzen des bundesdeutschen Rechtsstaats vereinbar, dass auf
dem Bundesgebiet ausländische verdeckte Ermittler tätig sind, die nach-
weislich Angehörige einer nichtstaatlichen Einrichtung sind und für
diese Personendaten beschaffen, auf deren Daten- und Informations-
sammlungen auch andere Akteure als staatliche Sicherheitsbehörden
Zugriff haben?

b) Wenn ja, wie begründet das die Bundesregierung?

c) Wenn nein, mit welchen Maßnahmen hat die Bundesregierung dies in
der Vergangenheit verhindert, bzw. wie gedenkt sie dies in Zukunft zu
verhindern?

8. a) Liegen der Bundesregierung Informationen vor, die darauf hindeuten,
dass Bundesbedienstete jeweils zur Tarnung oder zur Umgehung von
Eingriffsvoraussetzungen private Unternehmen oder Vereinigungen ge-
gründet oder genutzt haben, um dortige Mitarbeiter verdeckt polizeili-
che Aufklärungsarbeit sowohl im In- wie im Ausland leisten zu lassen?

b) Wenn ja, welche Informationen sind dies im Einzelnen?

9. a) Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Association
of Chief Police Officers (ACPO) sowie über die National Public Order
Intelligence Unit (NPOIU) vor?

b) Kann die Bundesregierung ausschließen, dass ACPO und/oder NPOIU
verdeckt ermittelte personenbezogene Daten deutscher Staatsbürger an
Unternehmen der privaten Wirtschaft verkauft, weitergeleitet oder in
sonstiger Weise zur Verfügung gestellt haben?

c) Wenn nein, welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung zum
Schutze des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bzw. des Per-
sönlichkeitsrechts deutscher Einwohner?

10. a) Wie beabsichtigt die Bundesregierung, den Einsatz Mark Kennedys und
sämtlicher anderer auf dem Bundesgebiet tätigen ausländischen ver-
deckten Ermittler gegenwärtig und in Zukunft aufzuklären und einer
rechtlichen Überprüfung zu unterziehen?

b) Welche Stelle/Stellen werden konkret damit beauftragt?

c) Wird die Bundesregierung von den jeweiligen Landesregierungen Infor-
mationen und sonstige Unterstützung bei der Aufklärung bzw. Überprü-
fung anfordern?

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11. a) Hält es die Bundesregierung für erforderlich, die rechtlichen Vorgaben
der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf den Einsatz verdeck-
ter Ermittler inländischer Behörden zu erweitern bzw. konkreter auszu-
gestalten?

b) Wenn nein, weshalb hält die Bundesregierung die derzeitigen Regelun-
gen für ausreichend?

c) Wenn ja, wie gedenkt die Bundesregierung die Regelung konkret auszu-
gestalten?

Wird sie insbesondere den Verhaltenskodex für verdeckte Ermittlungen
ausdrücklich gesetzlich regeln?

12. a) Hält es die Bundesregierung für erforderlich, die europäischen rechtli-
chen Vorgaben im Hinblick auf den Einsatz verdeckter Ermittler zu än-
dern bzw. konkreter auszugestalten?

b) Wenn nein, weshalb hält die Bundesregierung die derzeitigen Regelun-
gen für ausreichend?

c) Wenn ja, worauf wird die Bundesregierung konkret hinwirken?

13. a) Wie viele deutsche Ermittlungspersonen sind nach Kenntnis der Bun-
desregierung derzeit im Ausland tätig?

b) Zu je welchem Zweck bzw. mit je welchem Einsatzziel sind diese Perso-
nen tätig?

c) Welche Art von Kontrolle üben die entsendenden Polizeibehörden bzw.
sonstige Stellen über diese Personen aus?

14. a) Wie beabsichtigt die Bundesregierung etwaige Informationslücken im
Hinblick auf die Tätigkeit von verdeckt agierenden ausländischen Er-
mittlern im Bundesgebiet zu schließen?

b) Ist die Bundesregierung nun auch angesichts der oben zitierten Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts bereit, den Fragestellern die-
jenigen Fragen zu beantworten, die sie in ihrer Antwort auf die Kleine
Anfrage der Fraktion DIE LINKE. – Bundestagsdrucksache 17/4333 –
zu beantworten unterließ?

c) Wie beantwortet sie die dortigen Fragen 19 und 20 nun,

aa) auch soweit nicht „größtenteils“ die Bundesländer zuständig sind,
sondern originär der Bund,

bb) nachdem sie hierfür zu den in Frage 4b genannten Zwecken Erkun-
digungen bei den Ländern eingeholt hat, soweit diese (mit-)zustän-
dig sind,

cc) auch soweit die Bundesregierung ihre Erkenntnisse als noch nicht
„abschließend“ erklärt, nun bezüglich aller ihr vorliegenden („vor-
läufigen“) Erkenntnisse?

d) Wie beantwortet sie die dortigen Fragen 9, 11, 12, 13 und 18 nunmehr

aa) auch soweit diesbezügliche sog. Statistiken „nicht einheitlich“, son-
dern uneinheitlich sein mögen,

bb) nachdem sie hierfür zu den in Frage 4b genannten Zwecken Erkun-
digungen bei den Ländern eingeholt hat, soweit diese (mit-)zustän-
dig sind?
Berlin, den 25. Februar 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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