BT-Drucksache 17/4837

Mietrecht sozial gerecht weiterentwickeln

Vom 22. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4837
17. Wahlperiode 22. 02. 2011

Antrag
der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Halina Wawzyniak, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert
Behrens, Karin Binder, Steffen Bockhahn, Roland Claus, Katrin Kunert, Caren Lay,
Sabine Leidig, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Kornelia Möller,
Jens Petermann, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke, Sabine Stüber,
Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Mietrecht sozial gerecht weiterentwickeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Heute und in den nächsten Jahrzehnten steht die gesamte bundesdeutsche Woh-
nungswirtschaft vor gewaltigen Herausforderungen: Eine flächendeckende,
bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit angemessenem Wohnraum
dauerhaft sicherzustellen, die energetische Sanierung der Bestände mit dem Ziel
einer radikalen Energieeinsparung und Reduzierung des klimaschädlichen CO2-
Ausstoßes in relativ kurzer Zeit zu bewältigen und die Anpassung der Bestände
an barrierefreies Wohnen für ein selbstbestimmtes Leben einer älter werdenden
Bevölkerung zu realisieren.

Basierend auf dem bisherigen Mietrecht und begleitet durch gezielte und wir-
kungsvolle öffentliche Förderung wurden in den vergangenen 20 Jahren in Ost-
und Westdeutschland flächenhaft Stadterneuerungsmaßnahmen durchgeführt.
Das bestehende Mietrecht war die Basis für den Interessenausgleich zwischen
Mieterinnen und Mietern sowie Vermietern und garantierte so einen überwie-
gend konfliktarmen und konsensorientierten Verlauf der Stadterneuerung. Die
ostdeutschen Innenstädte und Stadtumbaugebiete sind Zeugnis dieses erfolgrei-
chen Prozesses. Die soziale Stadterneuerung kann Vorbild sein für den vor uns
stehenden Prozess der energetischen Stadterneuerung.

Die Mietrechtsreform von 2001 wurde bisher von Mieter- wie auch Vermieter-
verbänden als tragfähiger Kompromiss zum Ausgleich bestehender unterschied-
licher Interessen akzeptiert. Eine Veränderung zu Gunsten der Vermieter, wie
von der Bundesregierung beabsichtigt, hat zwangsläufig ein Ungleichgewicht
zur Folge und beschleunigt die soziale Spaltung.

Dennoch besteht die Notwendigkeit, den sich ändernden Anforderungen an die
Wohnungs- und Immobilienwirtschaft auch durch ausgewogene Rechtsänderun-

gen für Mieterinnen und Mieter sowie Vermieter Rechnung zu tragen.

Es gilt einerseits, eine Kostenexplosion im Mietwohnungsbereich zu verhindern
und andererseits, eine ausreichende Investitionsmotivation für die Vermieter zu
schaffen. Mit einer Kombination aus neuen mietrechtlichen Regelungen und
verlässlicher, zielgenauer öffentlicher Förderung können Mieter- und Vermieter-
interessen in Einklang gebracht und die Ziele der energetischen Sanierung tat-
sächlich erreicht werden. Die finanzielle Situation vieler Haushalte – gerade im

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Hinblick auf stark gestiegene Heiz- und Nebenkosten sowie die Entwicklung der
Nettokaltmieten in den letzten Jahren – verbietet ein einseitiges Abwälzen der
Kosten für den altersgerechten und energetischen Umbau des Wohnungsbestan-
des auf die Mieterinnen und Mieter.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

Änderungen der mietrechtlich relevanten Gesetze vorzulegen, die ein sozial aus-
gewogenes Rechtsverhältnis zwischen Mieterinnen und Mietern sowie Vermie-
tern herstellen und dauerhaft sichern.

Die Änderungen sollen Folgendes regeln:

1. Im gesamten Bundesgebiet werden qualifizierte Mietspiegel sowie Betriebs-
und Heizkostenspiegel flächendeckend eingeführt. Die Erstellung erfolgt auf
einheitlicher Grundlage. Die ortsübliche Vergleichsmiete wird in einem
transparenten und für alle Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbaren Ver-
fahren auf der Grundlage aller Bestandsmieten gebildet. Die Zuständigkeit
hierfür soll bei den Ländern liegen.

2. Die Erhöhung der Nettokaltmiete bei bestehenden Mietverhältnissen und bei
Neuvermietung wird an die Verbesserung des bisherigen Wohnstandards ge-
koppelt. Ohne wohnwertverbessernde Maßnahmen sind Mieterhöhungen nur
im Rahmen des Inflationsausgleiches zulässig.

3. Die Höhe der Wohnkosten für angemessenen Wohnraum darf höchstens
30 Prozent des Nettoeinkommens eines Mieterhaushaltes betragen. Die gene-
relle Obergrenze wird durch das bundesdurchschnittliche Haushaltsnettoein-
kommen bestimmt. Die Höhe des Wohngeldes wird in Anlehnung an die
Mieten- und Einkommensentwicklung jährlich so angepasst, dass Mietstei-
gerungen ausgeglichen werden.

4. Die höchstmögliche Umlage der Modernisierungskosten auf die Miete wird
auf 5 Prozent begrenzt.

5. Energetische Sanierungsmaßnahmen und die Schaffung barrierefreien
Wohnraums werden für den Vermieter erleichtert durch einen Rechtsan-
spruch auf öffentliche Förderung.

Es werden die haushalterischen Voraussetzungen für einen auskömmlichen
finanziellen Rahmen der entsprechenden Förderprogramme geschaffen. Ziel
ist die Verdoppelung der Sanierungsquote der Wohnungsbestände (Stand
2009) und die Reduzierung des CO2-Ausstoßes um 80 Prozent bis 2050.

6. Energetische Sanierungsmaßnahmen sind nur dann duldungspflichtig, wenn
durch die Maßnahmen für die Mieterinnen und Mieter keine unzumutbaren
Härten entstehen und die Energieeinsparung mindestens den aktuellen Vor-
gaben der Energieeinsparverordnung (EnEV) entspricht.

7. Im Rahmen der öffentlichen Förderung der Modernisierungsmaßnahmen ge-
währleistet die Bundesregierung eine kostenlose Mieter- und Energiebera-
tung.

8. Zur Vermeidung von Obdachlosigkeit ist eine ersatzlose Räumung der Woh-
nung nach Kündigung nicht zulässig.

Berlin, den 21. Januar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4837

Begründung

Ursprüngliche Regelungen des Mietrechts zur Dämpfung der Miethöhe haben
ihre Wirkung verloren. Inzwischen haben sie sich in ihr Gegenteil verkehrt. Die
aktuell geführten wohnungspolitischen Debatten und neue Studien belegen, dass
der Markt in Regionen mit verknappten Wohnungsangeboten mit Mietpreis-
treiberei reagiert. So stiegen laut einer Studie des Marktforschungsinstituts
empirica ag vom September 2010 die Mieten in deutschen Großstädten im
Jahresvergleich zwischen 7 (Hamburg und Frankfurt am Main) und 14 Prozent
(Berlin). Verdrängung und Entmischung der Bevölkerung einerseits und die Ent-
stehung sozialer Brennpunkte andererseits sind die Folgen. Im Interesse einer
nachhaltigen Stadt- und Sozialpolitik ist ein mietrechtliches Gegensteuern drin-
gend geboten.

Ohne ausgewogene Neuregelungen im Mietrecht besteht die Gefahr, dass die
Notwendigkeit energetischer Sanierung und altersgerechter Anpassung des
Wohnungsbestandes, verbunden mit regionaler Wohnungsknappheit, zur Be-
gründung für Mietpreistreiberei wird.

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