BT-Drucksache 17/4759

Entwurf eines .... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs - Strafbarkeit der Genitalverstümmelung

Vom 9. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4759
17. Wahlperiode 09. 02. 2011

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Monika Lazar, Jerzy Montag, Katja Dörner, Kai Gehring,
Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, Ute Koczy, Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner,
WolfgangWieland, Josef PhilipWinkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Strafbarkeit der
Genitalverstümmelung

A. Problem

Ziel der Gesetzesänderung ist es, rechtliche Schutzlücken der aktuellen Gefähr-
dungslage für Mädchen und Frauen bezüglich der weiblichen Genitalverstüm-
melung in Deutschland zu schließen.

Nach Schätzungen der Frauenrechtsorganisation TERRE DES FEMMES e. V.
leben rund 18 000 von Genitalverstümmelungen betroffene und rund 5 000 ge-
fährdete Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund in Deutschland (Stand:
April 2010).

Mit der Gesetzesänderung sollen Rechtsklarheit und Transparenz für alle Betei-
ligten wie beispielsweise medizinisches Fachpersonal, Migranten, Juristen,
Lehrer, Erzieher, Polizisten und Sozialarbeiter geschaffen werden. Eine allge-
meingültige Rechtsnorm ist für einen Schutz vor weiblicher Genitalverstümme-
lung zwingend notwendig.

Der Staat hat die Pflicht, die gefährdeten Mädchen und Frauen vor einem Ein-
griff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen. Somit
fällt auch die Genitalverstümmelung (englisch: Female Genital Mutilation, kurz
FGM) in den Schutzbereich des Artikels 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes
(GG) und ist auch unter das aus Artikel 2 Absatz 1 GG (in Verbindung mit
Artikel 1 Absatz 1 GG) resultierende Grundrecht auf selbstbestimmte Sexualität
zu fassen.

Maßnahmen zur Eindämmung der Gefahr vor Genitalverstümmelungen sind
verfassungsrechtlich angezeigt: Genitalverstümmelungen sind schwerwiegende
Grundrechtsverletzungen. Sie gelten auch international seit 1995 als Men-
schenrechtsverletzung. Sie betreffen mehrheitlich minderjährige Mädchen. Die
erlittenen Verletzungen sind niemals revidierbar. Der Eingriff ist weder mit Re-
ligion noch mit Tradition zu rechtfertigen. Deutschland hat sich rechtsverbind-
lich internationalen Verträgen wie beispielsweise der Kinderrechtskonvention
der Vereinten Nationen (VN) und der VN-Frauenrechtskonvention zum Schutz
der Menschenrechte unterworfen. Auf dieser Grundlage liegt eine rechtliche
und nicht nur eine moralische oder ethische Verpflichtung vor, aktiv gegen die
weibliche Genitalverstümmelung in Deutschland vorzugehen.

Großen Teilen der Öffentlichkeit fehlt das Bewusstsein für die Strafbarkeit von
Genitalverstümmelungen. Daneben bestehen rechtliche Unklarheiten bei der

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exakten strafrechtlichen Einordnung. Es muss deutlich gemacht werden, dass
es sich um ein Verbrechen handelt. Aus diesen Gründen ist eine ausdrückliche
Strafbewehrung als schwere Körperverletzung dringend notwendig.

Grundsätzlich gilt gemäß § 3 des Strafgesetzbuchs (StGB) das deutsche Straf-
recht für im Inland begangene Taten. Wie Erfahrungen aus Frankreich zeigen,
unterliegen Mädchen bei sogenannten Ferienbeschneidungen im Ausland
einem deutlich höheren Risiko, Opfer der Genitalverstümmelung zu werden als
in Deutschland. Problematisch ist, dass eine solche Genitalverstümmelung, die
im Ausland an Mädchen und Frauen vorgenommen wird, sofern sie nicht be-
reits über § 7 oder die Grundsätze des § 9 in Verbindung mit § 3 StGB erfasst
wird, nur dann in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden kann, wenn sie im
Katalog der Auslandsstraftaten gemäß § 5 aufgeführt ist. Es ist daher erforder-
lich, die Genitalverstümmelung ausdrücklich mit in diesen Katalog aufzuneh-
men.

B. Lösung

Genitalverstümmelung wird ausdrücklich als schwere Körperverletzung im
Strafgesetzbuch geregelt, indem eine entsprechende eigenständige Nummer in
§ 226 Absatz 1 StGB eingeführt wird. Damit gilt ein Strafrahmen von einem
bis zehn Jahren Freiheitsstrafe, wenn die schwere Folge der vorsätzlichen Kör-
perverletzung fahrlässig oder bedingt vorsätzlich verursacht wird. Da die
schwere Folge im Fall der Genitalverstümmelung in aller Regel absichtlich
oder zumindest wissentlich herbeigeführt wird, greift hier regelmäßig die er-
höhte Mindeststrafandrohung von drei Jahren. Die Höchststrafe beträgt 15 Jahre
(§ 38 Absatz 2 StGB). Im minder schweren Fall gilt hier wiederum ein Straf-
rahmen von einem bis zehn Jahren (§ 226 Absatz 3 Alternative 2).

Eine besondere Regelung der Verjährung ist bei dieser Ausgestaltung nach der
aktuellen Rechtslage nicht erforderlich. Mit dem am 1. Oktober 2009 in Kraft
getretenen 2. Opferrechtsreformgesetz vom 29. Juli 2009 wurde eine zuvor
vom Deutschen Bundestag geforderte (Bundestagsdrucksachen 16/9420, 16/9694,
16/18331 D) Lösung der Verjährungsproblematik bei der Genitalverstümme-
lung an minderjährigen Betroffenen erzielt. Dies geschah zum einen, indem das
bisher auf Sexualstraftaten beschränkte Ruhen der Verjährung bis zur Vollen-
dung des 18. Lebensjahres des Opfers in § 78b StGB auf den Tatbestand der
Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) ausgedehnt wurde, womit
Fälle der Genitalverstümmelung durch Eltern miterfasst werden sollten. Zum
anderen wurde das Ruhen nach § 78b auf die Tatbestände der gefährlichen und
der schweren Körperverletzung (§§ 224, 226 StGB) unter der Voraussetzung
erstreckt, dass mindestens ein Beteiligter durch dieselbe Tat § 225 verletzt, also
eine Misshandlung von Schutzbefohlenen begeht. Damit wurden auch die Taten
Dritter, die die Genitalverstümmelung ausführen, in das Ruhen der Verjährung
einbezogen. Durch die Erweiterung des § 226 StGB im vorliegenden Gesetzent-
wurf ändert sich hieran nichts.

Die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts auf Genitalverstümmelungen bei
vorübergehenden Aufenthalten im Ausland wird durch eine Ergänzung der
Auslandsstrafbarkeit ausgeweitet. Ansatzpunkt für die Aufnahme von Genital-
verstümmelung in den Katalog der Auslandsstraftaten ist der Schutz von inlän-
dischen Rechtsgütern.

Ohne dass eine Änderung des § 395 der Strafprozessordnung (StPO) nötig wäre,
besteht wie bei allen vorsätzlichen Körperverletzungsdelikten die Berechtigung
zur Nebenklage. Durch die Ergänzung der Genitalverstümmelung in § 226 StGB
können Nebenklägerinnen gemäß § 397a Absatz 1 Nummer 3 StPO bei – regel-
mäßig gegebenen – schweren körperlichen oder seelischen Schäden die Bestel-
lung eines Opferanwalts beantragen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4759

C. Alternativen

Der Gesetzentwurf des Bundesrates (Bundestagsdrucksache 17/1217) sieht mit
§ 226a StGB-E einen neuen eigenen Straftatbestand der „Genitalverstümme-
lung“ vor. Danach soll mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft wer-
den, „wer die äußeren Genitalien einer Frau durch Beschneidung oder in ande-
rer Weise verstümmelt“ (Absatz 1). In minder schweren Fällen soll auf Frei-
heitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren erkannt werden (Absatz 2).

Diese Alternative ist jedoch aus inhaltlichen und systematischen Gründen ab-
zulehnen. Der Formulierungsvorschlag beschreibt die Breite möglicher Tat-
handlungen nur unzureichend. Mit der Beschränkung auf äußere Genitalien
werden nicht alle Formen der Genitalverstümmelung vollständig erfasst. Der
Begriff der „Frau“ lässt Zweifel bestehen, ob auch weibliche Kinder von dem
Straftatbestand geschützt sind. Die Betroffenen von Genitalverstümmelung
sind jedoch mehrheitlich Mädchen im Alter zwischen vier und zwölf Jahren.

Ein eigenständiger Straftatbestand der Genitalverstümmelung wäre eine sym-
bolische Gesetzgebung, die sich nicht in die Systematik der Körperverletzungs-
delikte der aufeinander aufbauenden §§ 223 bis 226 StGB einpassen würde, die
nach Tatschwere und innerer Haltung sachgerecht differenzieren. Er würde für
die meisten Fälle eine geringere Strafe vorsehen als hier vorgesehene Ergän-
zung des § 226 StGB (schwere Körperverletzung). Der vorliegende Gesetzent-
wurf bewirkt – wie schon der insoweit übereinstimmende Gesetzentwurf von
2009 (Bundestagsdrucksache 16/12910) –, dass regelmäßig eine Mindeststraf-
androhung von drei Jahren Freiheitsstrafe nach § 226 Absatz 2 StGB eingreift,
weil die schwere Folge absichtlich oder wissentlich herbeigeführt wurde. Es ist
in strafrechtspolitischer Hinsicht kein Grund ersichtlich, warum die Genitalver-
stümmelung weniger strafwürdig sein soll als andere Fälle schwerer Körperver-
letzung.

D. Kosten

Keine.

Drucksache 17/4759 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Strafbarkeit der
Genitalverstümmelung

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuchs

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung
vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geän-
dert durch …, wird wie folgt geändert:

1. § 5 wird wie folgt geändert:

Nach Nummer 8 wird folgende Nummer 8a eingefügt:

„8a. Schwere Körperverletzung im Fall des § 226 Ab-
satz 1 Nummer 3, wenn der Täter Deutscher ist
oder die Person, gegen die die Tat begangen wird,
zur Zeit der Tat ihren gewöhnlichen Aufenthalt im
Inland hat;“.

2. § 226 Absatz 1 wird wie folgt geändert:

a) In Nummer 2 wird das Wort „oder“ durch ein
Komma ersetzt.

b) Nach Nummer 2 wird folgende Nummer 3 eingefügt:

„3. die weiblichen Genitalien teilweise oder ganz
verliert oder diese auf andere Art verstümmelt
werden oder dauernd nicht mehr gebraucht wer-
den können oder “.

c) Nummer 3 wird Nummer 4.

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 8. Februar 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/4759

Begründung

A. Allgemeines

Laut Schätzungen der Frauenrechtsorganisation TERRE DES
FEMMES e. V. leben rund 18 000 von Genitalverstümme-
lungen betroffene und 5 000 gefährdete Mädchen und
Frauen mit Migrationshintergrund in Deutschland (Stand:
April 2010).

Der Staat hat die Pflicht, die gefährdeten Mädchen und
Frauen vor einem Eingriff in das Recht auf Leben und kör-
perliche Unversehrtheit zu schützen. Somit fällt auch die
Genitalverstümmelung (englisch: Female Genital Mutila-
tion, kurz FGM) in den Schutzbereich des Artikels 2 Absatz 2
Satz 1 des Grundgesetzes (GG) und ist auch unter das aus
Artikel 2 Absatz 1 GG (in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1
GG) resultierende Grundrecht auf selbstbestimmte Sexuali-
tät zu fassen.

Die Grundrechte sind nicht nur Abwehrrechte des Einzelnen
gegen den Staat, sondern bedeuten auch die Verpflichtung
des Staates gegenüber dem Einzelnen, sich ab einer gewis-
sen Intensität des Grundrechtseingriffs um die Gewährleis-
tung von dessen Freiheiten zu kümmern (BVerfG 39, S. 1,
42). Dies ist Ausdruck der verfassungsrechtlichen Werte-
ordnung, an welche die Staatsgewalten gebunden sind (Arti-
kel 20 Absatz 3, Artikel 1 Absatz 3 GG).

Die staatliche Schutzpflicht gilt im Hinblick auf die körper-
liche Unversehrtheit, sowohl im biologisch-physiologischen
als auch im geistig-seelischen Bereich, und beginnt wegen
der Notwendigkeit des umfassenden Grundrechtsschutzes
bei nicht unerheblicher Gefährdung bereits ab dem Zeit-
punkt des Eintritts eines konkreten, grundrechtsbezogenen
Risikos.

Nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der
Vereinten Nationen von 1948 haben Frauen und Mädchen
das Recht, selbstbestimmt, frei und in Würde zu leben.
Hinzu kommen die Konvention über die Rechte der Kinder
der Vereinten Nationen von 1989 und die Konvention zur
Eliminierung aller Formen der Diskriminierung gegen
Frauen (Frauenrechtskonvention) der Vereinten Nationen
von 1979 sowie die Allgemeine Empfehlung Nr. 14 der
Frauenrechtskonvention von 1990.

Bei der weiblichen Genitalverstümmelung handelt es sich
um Eingriffe an den weiblichen Genitalien, die meistens an
Mädchen zwischen dem 7. Lebenstag und dem 18. Lebens-
jahr erfolgen. Dabei werden wesentliche Teile der weib-
lichen Sexualorgane beschädigt, in der Regel sogar entfernt.
Der Eingriff ist weder mit Religionen noch mit Traditionen
zu legitimieren. Das in Artikel 4 Absatz 1, 2 GG geschützte
Grundrecht der Glaubensfreiheit bzw. der ungestörten Reli-
gionsausübung der Eltern muss in diesen Fällen gegenüber
dem in Artikel 2 Absatz 1 GG verankerten Grundrecht auf
körperliche Unversehrtheit des Kindes zurückstehen.

Genitalverstümmelung ist strafbar. Sie ist aufgrund der ge-
nutzten Instrumente und der Art ihrer Verwendung in der
Regel zumindest als gefährliche Körperverletzung gemäß
den §§ 223, 224 Absatz 1 Nummer 2 sowie gegebenenfalls
den Nummern 4 und 5 StGB einzuordnen. Selbst bei einer
Einwilligung der Betroffenen oder ihrer gesetzlichen Ver-

treter (Eltern) ist eine strafrechtliche Rechtfertigung aus-
geschlossen. Denn die Tat würde dennoch gegen die guten
Sitten im Sinne des § 228 StGB verstoßen. Sie zielt auf die
Kontrolle über die Sexualität der minderjährigen und später
erwachsenen Frauen, die Verhinderung ihrer sexuellen
Selbstbestimmung und ihrer freien Entwicklung.

Großen Teilen der Öffentlichkeit fehlt jedoch das Bewusst-
sein für die Strafbarkeit von Genitalverstümmelungen. Da-
rüber hinaus besteht eine rechtliche Unklarheit, ob Genital-
verstümmelung über die gefährliche Körperverletzung hi-
naus unter den Verbrechenstatbestand der schweren Körper-
verletzung (§ 226 StGB) fällt. In der juristischen
Fachliteratur ist umstritten, ob auch Teile des Körpers als
dessen „Glied“ im Sinne des § 226 Absatz 1 Nummer 2
StGB angesehen werden können, die nicht durch Gelenke
mit dem Körper verbunden sind und andererseits auch nicht
zu den inneren Organen zählen. Im Unrechtsgehalt steht
Genitalverstümmelung jedoch unabhängig davon den Fällen
des Verlustes oder der Gebrauchsunfähigkeit eines Körper-
gliedes in nichts nach. Aus diesen Gründen ist eine aus-
drückliche Strafbewehrung in Form der Einführung in § 226
StGB mit dessen erhöhter Strafandrohung dringend notwen-
dig. Eine Einordnung als Vergehen der gefährlichen Körper-
verletzung gemäß § 224 Absatz 1 Nummer 2 würde der Be-
deutung des unumkehrbaren Verlustes der Integrität des
weiblichen Genitalorgans und gravierenden lebenslangen
Folgen für die Gesundheit und die sexuelle Entfaltung nicht
gerecht.

Bislang bestehen in folgenden europäischen Ländern spe-
zialgesetzliche Regelungen gegen Genitalverstümmelung:
Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Italien,
Norwegen, Österreich, Schweden und Spanien.

In Frankreich ist die weibliche Genitalverstümmelung unter
den Artikeln 222-9 und 222-10 des Code Pénal als Verstüm-
melung strafbar und wurde seit 1983 in über 36 Prozessen
strafrechtlich verfolgt. Es droht unter erschwerenden Um-
ständen (Straftat gegenüber Minderjährigen und von Eltern
oder Aufsichtsperson begangen) ein Freiheitsentzug von bis
zu 20 Jahren. Positive Erfahrungen mit der rechtlichen Sig-
nalwirkung sind unter anderem aus Frankreich bekannt, wo
bereits vor zehn Jahren Eltern und eine Beschneiderin zu
Haftstrafen verurteilt wurden.

Die Bedeutung, die Genitalverstümmelung in Deutschland
in den Straftatbestand des § 226 StGB mit aufzunehmen,
geht somit weit über eine rein symbolische Wirkung hinaus.
Das Ziel der Gesetzesänderung ist es, rechtliche Schutz-
lücken der aktuellen Gefährdungslage für Mädchen und
Frauen bezüglich der weiblichen Genitalverstümmelung zu
schließen.

Grundsätzlich gilt gemäß § 3 das deutsche Strafrecht für im
Inland begangene Taten. Um sicherzustellen, dass eine Ge-
nitalverstümmelung auch dann in Deutschland strafrechtlich
verfolgt werden kann, wenn sie bei einem vorübergehenden
Aufenthalt im Ausland vorgenommen wird, ist es erforder-
lich, die Tat in den Katalog der Auslandsstraftaten gegen in-
ländische Rechtsgüter aufzunehmen. In diesem sind unter
anderem bereits Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestim-

Drucksache 17/4759 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

mung enthalten. Weiterhin forderte das Europäische Parla-
ment bereits 2001 die Mitgliedstaaten der Europäischen
Union auf, bei der Ausarbeitung spezifischer Rechtsvor-
schriften zusammenzuarbeiten, um Genitalverstümmelung
im Namen des Rechts der Person auf Unversehrtheit, Ge-
wissensfreiheit und Gesundheit zu unterbinden. Diese For-
derung wurde am 24. März 2009 mit dem Initiativbericht
des Europäischen Parlaments erneut bekräftigt (P6_TA-
PROV(2009)0161).

Über das Strafrecht hinaus muss der Schutz betroffener oder
gefährdeter minderjähriger Mädchen auch in den Bereichen
Aufenthaltsrecht und Familienrecht im Mittelpunkt stehen.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuchs)

Zu § 5 Nummer 8a

Die Genitalverstümmelung ist bisher nicht im Katalog des
§ 5 aufgeführt, der die Auslandstaten gegen inländische
Rechtsgüter betrifft. Die entsprechende Ergänzung der Vor-
schrift stellt sicher, dass auch über den von den §§ 3, 7, 9
erfassten Bereich der Geltung des deutschen Strafrechts
hinaus Genitalverstümmelungen und ihre Veranlassung in
Deutschland verfolgt werden können, wenn die Mädchen
und jungen Frauen ins Ausland gebracht werden und dort
diesen brutalen Eingriff erleiden.

Strafrechtlich geschützt sind Betroffene, wenn sie ihren ge-
wöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. Für diese rein
strafrechtlich auszulegende Voraussetzung kommt es nicht
auf einen besonderen ausländerrechtlichen Rechtsstatus an.
Der strafrechtliche Schutz kann insbesondere nicht von ei-
nem legalen Aufenthalt abhängen. Entscheidend sind allein
die faktischen Umstände.

Zu § 226 Absatz 1 Nummer 3

Eine explizite Nennung der weiblichen Genitalverstümme-
lung unter § 226 Absatz 1 Nummer 3 entspricht den natio-
nalen und internationalen Schutzverpflichtungen und den
schweren Folgen der Tat, die die Betroffenen in ihrer Le-
bensqualität dauernd empfindlich beeinträchtigen.

Die Genitalverstümmelung erhält damit den Status als Ver-
brechen der schweren Körperverletzung mit einem Strafrah-
men von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Bei der
gefährlichen Körperverletzung wäre der Strafrahmen statt-
dessen grundsätzlich sechs Monate bis zu zehn Jahre, wobei
auch die Annahme eines minder schweren Falles mit einer
Strafandrohung von drei Monaten bis fünf Jahren Freiheits-
strafe möglich wäre.

Weil die Folgen typischerweise absichtlich oder wissentlich
verursacht werden, beträgt die Mindeststrafe für diejenigen,
die die Genitalverstümmelung selbst durchgeführt haben,
wie bei den anderen Fällen schwerer Körperverletzung in
der Regel mindestens drei Jahre (§ 226 Absatz 2). Wird
hierbei ein minder schwerer Fall angenommen, gilt wie-
derum ein Strafrahmen von einem bis zehn Jahren Freiheits-
strafe (§ 226 Absatz 3 Alternative 2). In minder schweren
Fällen ohne Absicht oder Wissentlichkeit ist der Strafrah-
men auf sechs Monate bis fünf Jahre begrenzt (§ 226 Ab-
satz 3 Alternative 1). Soweit Anstiftung oder Beihilfe, etwa
durch Angehörige, begangen wird, gelten die allgemeinen
Regelungen über Strafmilderung (§§ 26, 27, 28, 49).

Unter die beschriebene Strafandrohung des § 226 fällt eine
Körperverletzung im Sinne von § 223 f., wenn sie zur Folge
hat, dass die verletzte Person die weiblichen Genitalien teil-
weise oder ganz verliert oder diese auf andere Art verstüm-
melt werden. Das Gleiche gilt, wenn die Genitalien dauernd
nicht mehr gebraucht werden können. Damit wird ein
Gleichlauf zu § 226 Absatz 1 Nummer 2 hergestellt, der es
dem Verlust eines wichtigen Gliedes gleichstellt, wenn die
verletzte Person dieses dauerhaft nicht mehr gebrauchen
kann.

Mit dieser Tatbestandsformulierung sollen alle in der Praxis
vorkommenden Formen der Genitalverstümmelung erfasst
werden, wie sie auch von der Weltgesundheitsorganisation
klassifiziert wurde. Hierzu gehören vier Formen: Fast aus-
nahmslos wird die Klitoris zum Teil oder vollständig ampu-
tiert (Klitoridektomie). Bei der Exzision werden über eine
teilweise oder vollständige Entfernung der Klitoris hinaus
auch die inneren Labien (Schamlippen) teilweise oder voll-
ständig herausgeschnitten. Es kommt vor, dass zusätzlich
Haut und Gewebe aus der Vagina ausgeschabt werden (In-
trocision). In etwa 15 Prozent aller Fälle werden außerdem
die äußeren Labien teilamputiert und über der Vagina so
miteinander vernäht, dass lediglich eine reiskorngroße Öff-
nung für Urin und Menstruationsblut verbleibt (Infibu-
lation). Als akute Folgen der Prozedur sind Schmerzen,
hoher Blutverlust, Schock und mögliche Todesfolge zu nen-
nen. Das Spektrum der Langzeitfolgen umfasst unter ande-
rem eine lebenslange Traumatisierung, chronische Infekte
und Schmerzen sowie Unfruchtbarkeit, Inkontinenz und
eine erhöhte Mortalität für Schwangere und Säuglinge.
Diese schwerwiegenden Folgen rechtfertigen eine aus-
drückliche Gleichstellung mit anderen Fällen schwerer Kör-
perverletzung.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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