BT-Drucksache 17/4683

Quotenregelung für Aufsichtsräte und Vorstände gesetzlich festschreiben

Vom 9. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4683
17. Wahlperiode 09. 02. 2011

Antrag
der Abgeordneten Christel Humme, Caren Marks, Petra Crone, Franz Müntefering,
Dr. Eva Högl, Ingrid Arndt-Brauer, Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter Bartels,
Klaus Barthel, Sören Bartol, Klaus Brandner, Willi Brase, Bernhard Brinkmann
(Hildesheim), Marco Bülow, Edelgard Bulmahn, Ulla Burchardt, Elvira
Drobinski-Weiß, Garrelt Duin, Siegmund Ehrmann, Dr. h. c. Gernot Erler,
Petra Ernstberger, Elke Ferner, Dagmar Freitag, Sigmar Gabriel, Iris Gleicke,
Ulrike Gottschalck, Angelika Graf (Rosenheim), Kerstin Griese, Michael Groschek,
Michael Groß, Wolfgang Gunkel, Dr. Barbara Hendricks, Gabriele Hiller-Ohm,
Oliver Kaczmarek, Dr. h. c. Susanne Kastner, Ulrich Kelber, Dr. Bärbel Kofler, Ute
Kumpf, Christian Lange (Backnang), Burkhard Lischka, Katja Mast, Hilde Mattheis,
Petra Merkel (Berlin), Andrea Nahles, Dietmar Nietan, Aydan Özog˘uz, Thomas
Oppermann, Joachim Poß, Mechthild Rawert, Dr. Carola Reimann, Sönke Rix,
René Röspel, Karin Roth (Esslingen), Michael Roth (Heringen), Marlene Rupprecht
(Tuchenbach), Axel Schäfer (Bochum), Marianne Schieder (Schwandorf),
Ulla Schmidt (Aachen), Carsten Schneider (Erfurt), Swen Schulz (Spandau),
Rolf Schwanitz, Stefan Schwartze, Rita Schwarzelühr-Sutter, Sonja Steffen,
Christoph Strässer, Kerstin Tack, Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Franz Thönnes,
Ute Vogt, Uta Zapf, Dagmar Ziegler, Manfred Zöllmer, Brigitte Zypries,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Quotenregelung für Aufsichtsräte und Vorstände gesetzlich festschreiben

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Deutschland hat erhebliche Defizite bei der Gleichstellung in der Privatwirt-
schaft. So stagniert etwa der Anteil von Frauen in Führungspositionen weiter-
hin auf niedrigem Niveau.

Mehrere europäische Nachbarländer haben sich zum Ziel gesetzt, die Beteili-
gung von Frauen in Führungspositionen deutlich zu erhöhen. Sie haben bereits
gesetzliche Regelungen für die Einführung einer Quote für Aufsichtsräte und
Vorstände getroffen oder sind zurzeit dabei, sie zu entwickeln.
Die Bundesregierung dagegen hält am Prinzip der Freiwilligkeit fest. Das ist
nicht nachvollziehbar, denn die im Juli 2001 getroffene Vereinbarung der
damaligen Bundesregierung mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirt-
schaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Pri-
vatwirtschaft hat keine nennenswerten Fortschritte gebracht. Im Gegenteil, nach
fast 10 Jahren müssen wir feststellen: Freiwilligkeit führt nicht zu mehr Gleich-

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berechtigung. Nach wie vor sind Aufsichtsräte und Vorstände von Aktiengesell-
schaften fest in der Hand von Männern.

In den 30 im Deutschen Aktienindex (DAX 30) notierten Unternehmen lag der
Frauenanteil bei Vorstandsmitgliedern 2009 bei 0,55 Prozent und 2010 bei
2,16 Prozent. In den Aufsichtsräten dieser Unternehmen lag der Frauenanteil
auf der Anteilseignerseite 2009 bei 6,54 Prozent und 2010 bei 7,42 Prozent.
Von Juni 2009 bis Juli 2010 wurden 34 Positionen neu besetzt, davon zwei mit
Frauen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – Studie
„Aktionärinnen fordern Gleichberechtigung“, Berlin 2010).

Betrachtet man die 200 größten Wirtschaftsunternehmen, erreichen Frauen einen
Anteil von 8,6 Prozent, wobei drei Viertel als Arbeitnehmervertreterinnen im
Aufsichtsrat vertreten sind.

Diese Zahlen sprechen für sich.

Norwegen hat bereits 2003 als erstes Land eine Geschlechterquote von 40 Pro-
zent für Aufsichtsräte eingeführt. Die Erfahrungen Norwegens legen nahe, dass
der Schlüssel zum Erfolg eine Quote ist, die gesetzlich und sanktionsbewehrt
festgeschrieben wird. Heute sind 42 Prozent der norwegischen Aufsichtsräte
Frauen (vor der Gesetzesverabschiedung waren es 7 Prozent).

Das Parlament der Niederlande beschloss mit großer Mehrheit Ende 2009, eine
Quote von 30 Prozent für Aufsichtsräte und Vorstände einzuführen. Ab 2016 ist
diese gesetzliche Quotenregelung für Firmen mit mehr als 250 Mitarbeitern
vorgesehen.

Belgien und Frankreich planen ebenfalls gesetzliche Regelungen, Spanien hat
für 2015 ein Gleichberechtigungsgesetz mit einer 40-Prozent-Quote im „board“
vorgesehen.

Die Besetzung des Aufsichtsrates von Aktiengesellschaften kann auch in
Deutschland nicht mehr der freiwilligen Selbstregulierung überlassen bleiben.
Dies gilt ebenso für die Vorstände.

Durch wissenschaftliche Untersuchungen inzwischen hinlänglich belegt (Stu-
dien von der McKinsey & Company, Inc. und dem Global Markets Institute at
Goldman Sachs), haben Frauen andere Herangehensweisen und kommen zu
anderen Schlussfolgerungen in wirtschaftlichen Zusammenhängen und damit in
unternehmerischen Entscheidungen. Unternehmen mit einem höheren Frauen-
anteil haben insgesamt eine positive Auswirkung auf die Unternehmensleistung.

So hat auch die Regierungskommission „Deutscher Corporate Governance
Kodex“ seine Qualifikationsanforderungen präzisiert und fordert von Aufsichts-
räten, konkrete Pläne für mehr Frauen in ihren Bereichen vorzulegen. Dies sind
jedoch lediglich Empfehlungen, die nicht bindend sind. Weiter fehlen daher
auch Überlegungen zu möglichen Sanktionen.

Die Diskussion um die Einführung einer Quote für Führungspositionen hat
durch die Ankündigung der Deutschen Telekom AG vom März letzten Jahres,
eine Frauenquote von 30 Prozent in den unternehmenseigenen Führungsposi-
tionen einführen zu wollen, zusätzlich an Fahrt gewonnen. So positiv die einzel-
nen freiwilligen Aktionen zu bewerten sind: es bleiben einzelne Handlungs-
aktivitäten. Strukturen werden dadurch nicht verändert. Deshalb müssen Unter-
nehmen auf breiter Basis dazu gebracht werden, dass sich ihr Handeln und ihr
Entscheiden am Ziel der Gleichberechtigung ausrichtet.

Tatsächliche Gleichstellung von Frauen in Führungspositionen, auch in Auf-
sichtsräten und Vorständen, zu verwirklichen, lässt sich nur mit einer gesetzlich
geregelten Quote erreichen. Damit eine Umsetzung der Quotenbesetzungen

auch tatsächlich und effektiv erfolgt, bedarf es dazu entsprechender gesetz-
licher Sanktionen.

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Rechtliche Verpflichtungen

Das deutsche und internationale Recht, dem sich Deutschland gegenüber ver-
pflichtet hat, stellt hohe gleichstellungspolitische Anforderungen an die Politik.

So stellt das Grundgesetz in Artikel 3 Absatz 2 fest, „Frauen und Männer sind
gleichberechtigt“ und fordert von der Politik, Gleichberechtigung durchzuset-
zen:

„Der Staat fördert die tatschliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von
Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

Im Artikel 23 der EU-Grundrechtecharta heißt es entsprechend:

„Gleichheit von Männern und Frauen

Die Gleichheit von Männern und Frauen ist in allen Bereichen, einschließlich
der Beschäftigung, der Arbeit und des Arbeitsentgeltes, sicherzustellen.

Der Grundsatz der Gleichheit steht der Beibehaltung oder der Einführung spezi-
fischer Vergünstigungen für das unterrepräsentierte Geschlecht nicht entgegen.“

Darüber hinaus: Die Bundesrepublik Deutschland hat 1985 das Übereinkom-
men der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung
der Frau von 1979 ratifiziert. Das Übereinkommen ist für die Bundesrepublik
Deutschland am 9. August 1985 in Kraft getreten.

Weiter folgt die Verpflichtung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur
Gewährleistung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Arbeits-
und Beschäftigungsfragen u. a. aus der Richtlinie 2006/54/EG.

Allein auf der Grundlage des verfassungsrechtlichen Auftrages zur Herstellung
von Chancengleichheit in Beschäftigung und Beruf und damit zur gleich-
berechtigten Teilhabe von Frauen und Männern auch in Führungspositionen ist
eine gesetzliche Quotenregelung für Aufsichtsräte und Vorstände zwingend
erforderlich.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der eine Quote für Männer und Frauen von
mindestens 40 Prozent für Aufsichtsratsmandate festschreibt,

2. die Umsetzung der Quotenregelung für die Aufsichtsräte durch die Einfüh-
rung einer Stichtagsregelung spätestens für das Jahr 2015 gesetzlich zu ver-
ankern,

3. in dem Gesetzentwurf weiter festzulegen, dass für die Quotierung der Auf-
sichtsräte gilt, dass sowohl die Anteilseigner- wie die Arbeitnehmerseite die
Quote erfüllen müssen,

4. den Geltungsbereich der gesetzlichen Regelung dahingehend zu fassen, dass
neben den Aktiengesellschaften alle mitbestimmungspflichtigen Unterneh-
men einbezogen werden,

5. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der in festzulegenden Schritten die Einfüh-
rung einer Quote von mindestens 40 Prozent für Vorstände festschreibt und
der eine Regelung trifft, dass neben dem bzw. der Vorstandsvorsitzenden je-
weils ein Stellvertreter dem anderen Geschlecht angehören muss,

6. dafür Sorge zu tragen, dass die Erarbeitung von Qualifikationsstandards für
alle Aufsichtsratsmitglieder (und Beiratsmitglieder) erfolgt,

7. eine gesetzliche Regelung vorzusehen, die eine Begrenzung der Aufsichts-
ratsmandate durch eine Person festlegt,

Drucksache 17/4683 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
8. entsprechend gesetzlich zu regeln, dass neben Aufsichtsrat und Vorstand
auch die großen Ausschüsse, wie z. B. Personal-, Haupt- und Präsidial-
ausschuss, ebenfalls quotiert werden,

9. dafür Sorge zu tragen, dass die bereits vorhandenen Datenbanken von
Frauen in und für Führungspositionen entsprechend vernetzt werden und
insgesamt die Netzwerkarbeit in diesem Zusammenhang unterstützt wird,

10. gesetzliche Sanktionsregelungen für den Fall der Nichterreichung der
Quote sowohl für die Aufsichtsräte als auch für die Vorstände vorzusehen,
die im Ergebnis zur Nichtigkeit der Beschlüsse der Gesellschaft führen
können, aber auch dem Umstand einer schrittweisen Einführung einer
Quote für Vorstände Rechnung tragen.

Berlin, den 9. Februar 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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