BT-Drucksache 17/4439

Einheitlichen EU-Flüchtlingsschutz garantieren

Vom 19. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4439
17. Wahlperiode 19. 01. 2011

Antrag
der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Josef Philip Winkler, Marieluise
Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Ulrike Höfken, Ingrid Hönlinger, Thilo Hoppe,
Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs, Agnes Malczak, Jerzy Montag,
Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Einheitlichen EU-Flüchtlingsschutz garantieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 regelt die Mindest-
normen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder
Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz und den
Inhalt des zu gewährenden Schutzes.

Die Europäische Kommission hatte am 23. Oktober 2009 (als Teil ihrer sog.
Asylstrategie vom Juni 2008 (KOM(2008) 360 endgültig) einen Vorschlag für
die Neufassung der Flüchtlingsanerkennungs-Richtlinie vorgelegt (KOM(2009)
551 endgültig). Gemeinsam mit der Reform der Asylverfahrensrichtlinie zielt
die Neufassung darauf, Asylsuchende und Personen, die um subsidiären Schutz
nachsuchen, gleich zu behandeln. Dafür sollten die Zuerkennungsverfahren und
die sozialen Folgerechte für die beiden Gruppen von Schutzberechtigten verein-
heitlicht werden. In Deutschland handelte es sich zum 30. September 2010 um
25 961 Menschen mit einem subsidiären Schutzstatus nach § 25 Absatz 3 des
Aufenthaltsgesetzes.

Der EU-Kommissionsvorschlag für die Neufassung der Flüchtlingsanerken-
nungs-Richtlinie geht auf das 2004 vom Europäischen Rat beschlossene Haager
Programm zurück, in dem gefordert wird, „ein gemeinsames Asylverfahren und
einen einheitlichen Status für Menschen einzuführen, denen Asyl oder subsidiä-
rer Schutz gewährt wird“ (EU-Ratsdokument 2005/C 53/01, S. 3). Im „Europäi-
schen Pakt zu Einwanderung und Asyl“ wurde vom Europäischen Rat im Jahr
2008 konkretisiert, „nach Möglichkeit 2010, spätestens aber 2012, ein einheit-
liches Asylverfahren mit gemeinsamen Garantien einzuführen und einen ein-
heitlichen Status für Flüchtlinge einerseits und für Begünstigte des subsidiären
Schutzes andererseits anzunehmen“ (EU-Ratsdokument 13440/08, S. 11).
Im Jahr 2010 ersuchte der Europäische Rat im „Stockholmer Programm“ den
Rat und das Europäische Parlament erneut, „bis spätestens 2012 gemäß
Artikel 78 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ein ge-
meinsames Asylverfahren und einen einheitlichen Status für Personen, denen
Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt wird, zu schaffen“ (EU-Ratsdokument
5731/10, S. 114). Obwohl die Bundesregierung diesem gemeinsamen Reform-

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anliegen damit erneut zugestimmt hat, entzieht sie sich in den Verhandlungen
zur Neufassung der Flüchtlingsanerkennungs-Richtlinie mit zahlreichen Vor-
behalten dem Konsens. Die belgische EU-Ratspräsidentschaft konnte die
Richtlinie im zweiten Halbjahr 2010 nicht, wie angestrebt, zu einem Abschluss
bringen; die Verhandlungen werden nun von der im ersten Halbjahr 2011 am-
tierenden ungarischen Ratspräsidentschaft fortgesetzt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

in den Verhandlungen über die Flüchtlingsanerkennungs-Richtlinie (2004/83/
EG des Rates) im Rat – entsprechend den Zusagen im „Stockholmer Programm“
sowie dem „Europäischen Pakt zu Einwanderung und Asyl“– ihre Vorbehalte
gegen die im Neufassungsentwurf der EU-Kommission (KOM(2009) 551 end-
gültig) vorgeschlagene Angleichung der Rechte von subsidiär Schutzberechtig-
ten mit denen von Flüchtlingen gemäß Kapitel VII dieser Richtlinie aufzugeben.
Diesen Grundsatz muss sie auch bei anstehenden Gesetzgebungsverfahren auf
nationaler Ebene berücksichtigen.

Berlin, den 18. Januar 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestagsdrucksache 17/3797) geht hervor,
dass die Bundesregierung zahlreiche Vorbehalte gegen die von der EU-Kom-
mission vorgeschlagene Neufassung der Flüchtlingsanerkennungs-Richtlinie
angemeldet hat. Demnach wendet sie sich – neben Tschechien als einzigem
Mitgliedstaat – generell dagegen, dass subsidiär Schutzberechtigte mit Flücht-
lingen gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention gleichgestellt werden.
Deutschland hat jedoch dem Grundsatz der Schutzangleichung mit dem Ziel
eines gemeinsamen Raumes des Asyl- und Flüchtlingsschutzes wiederholt mit
allen anderen EU-Mitgliedstaaten zugestimmt. Die Bundesregierung begründet
ihre neue Haltung mit der mitunter unterschiedlichen Art und Dauer des
Schutzbedürfnisses der beiden Personengruppen. Die Bundesregierung sollte
diese Position revidieren, da die Annahme unzutreffend ist, dass der subsidiäre
Schutzstatus vorwiegend vorübergehender Natur sei.

Bei den laut Ausländerzentralregister zum 30. September 2010 nach § 25 Ab-
satz 3 des Aufenthaltsgesetzes in Deutschland lebenden 25 961 anerkannten
subsidiär Geschützten liegen mehrheitlich dauerhaft menschenrechtliche Ab-
schiebehindernisse vor. Es handelt sich bei dieser Personengruppe um Men-
schen, bei denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder Verwal-
tungsgerichte festgestellt haben, dass ihnen bei einer Rückkehr in ihr Herkunfts-
land Folter, Todesstrafe oder andere gravierende Menschenrechtsverletzungen
drohen. Diese menschenrechtlichen Abschiebungshindernisse bestehen in den
jeweiligen Herkunftsländern, wie beispielsweise Afghanistan, Somalia oder dem
Iran, oft jahrelang.

Die Aufhebung von Einschränkungen der Rechte von Personen mit subsidiä-
rem Schutzstatus ist unumgänglich, um den Grundsatz der Nichtdiskriminie-
rung entsprechend der Auslegung in der jüngsten Rechtsprechung des Euro-

päischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) (Urteile vom 15. Februar
2006 in den Rechtssachen Niedzwiecki gegen Deutschland und Okpisz gegen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4439

Deutschland) und die uneingeschränkte Achtung des UN-Übereinkommens
über die Rechte des Kindes zu gewährleisten.

Die Bundesregierung wendet sich gegen Artikel 24 Absatz 2 des Neufassungs-
vorschlags, der den Aufenthaltstitel für subsidiär Schutzberechtigte anstatt von
derzeit mindestens einem Jahr auf mindestens zwei Jahre erweitern soll. Sie ver-
sucht auch die Ausstellung von Reisedokumenten für subsidiär Geschützte zu
verhindern, wenn diese nicht über einen gültigen nationalen Pass oder ein ent-
sprechendes Reisedokument verfügen oder aus objektiven Gründen keine derar-
tigen Dokumente erhalten können. Aus Sicht des belgischen EU-Ratsvorsitzes
sprechen keine objektiven Gründe für diese Ungleichbehandlung von subsidiär
Schutzberechtigten mit Flüchtlingen, die nur in drei Mitgliedstaaten – darunter
Deutschland – praktiziert wird. Die Bundesregierung sollte die beiden Vorbe-
halte zurücknehmen.

Von hoher integrationspolitischer Bedeutung ist der in Artikel 26 Absatz 3 des
Neufassungsvorschlags vorgesehene volle Zugang zu beschäftigungsbezoge-
nen Bildungsangeboten und berufsbildenden Maßnahmen für subsidiär Schutz-
berechtigte. Für die Betroffenen würde dies eine notwendige Verbesserung
darstellen, da sie derzeit häufig jahrelang nicht in der Lage sind zu arbeiten
bzw. nicht mit den Anforderungen des Arbeitsmarkts vertraut sind. Dagegen
spricht sich die Bundesregierung aber ebenso aus wie gegen die Streichung des
Artikels 29 Absatz 2 (bisheriger Artikel 28 Absatz 2). Dieser Artikel erlaubt es
bisher den Mitgliedstaaten, die Sozialhilfe für subsidiär Schutzbedürftige auf
Kernleistungen zu beschränken, anstatt ihnen die notwendige Sozialhilfe wie
Staatsangehörigen des jeweiligen Mitgliedstaats zu gewähren. Auch die medi-
zinische Versorgung will die Bundesregierung für subsidiär Schutzberechtigte
weiterhin auf Kernleistungen beschränken. Beide Streichungsvorschläge soll-
ten von der Bundesregierung akzeptiert werden.

Die Bundesregierung hat einen Vorbehalt gegen Artikel 32 des Neufassungs-
vorschlags angemeldet, der vorsieht, dass Personen mit Anspruch auf inter-
nationalen Schutz Zugang zu Wohnraum unter den Bedingungen erhalten, die
mit den Bedingungen für andere Drittstaatsangehörige gleichwertig sind. Zu-
dem sollten auch Maßnahmen zur Verhinderung der Diskriminierung und der
Gewährleistung der Chancengleichheit in diesem Bereich von den Mitglied-
staaten ergriffen werden. Die Bundesregierung sollte den Vorbehalt zurückneh-
men, da Schutzberechtigte häufig Opfer direkter oder indirekter Diskriminie-
rung auf dem Wohnungsmarkt sind.

Es ist integrationspolitisch kontraproduktiv, subsidiär Schutzbedürftigen die
Teilnahme an den Integrationskursen in Deutschland zu verweigern. Die Bun-
desregierung sollte den Vorbehalt gegen Artikel 34 des Neufassungsvorschlags
zurücknehmen, der die derzeitige Ungleichbehandlung von Flüchtlingen und
Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz beim Zugang zu Integrations-
maßnahmen aufhebt. Dies erscheint geboten, da mehr als 16 Mitgliedstaaten
nicht zwischen den beiden Rechtsstellungen differenzieren und die EU-Kom-
mission darauf hinweist, dass die Differenzierung dem Ziel der Integration wi-
derspricht und im Gegenteil Diskriminierung befördern kann. Zudem läuft die
Unterscheidung dem Mandat des Stockholmer Programms zuwider, das die
Mitgliedstaaten zu „wirksameren Integrationsmaßnahmen in den Mitgliedstaa-
ten“ mit dem „Ziel der Gewährung vergleichbarer Rechte, Verantwortlichkeiten
und Chancen für alle“ aufruft (EU-Ratsdokument 5731/10, S. 106).

Im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Euro-
päischen Parlaments hat die Berichterstatterin Jean Lambert in einem Arbeits-
dokument die allgemeine Unterstützung für die Vorschläge empfohlen und be-
sonders die darin enthaltene Schaffung eines einheitlichen Schutzstatus durch

Angleichung von Rechten begrüßt (Entwurf eines Berichts vom 28. September
2010, 2009/0164(COD)). Eine Stellungnahme des Europäischen Parlaments in

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dieser Sache steht allerdings noch aus. Das Europäische Parlament und der Rat
haben sich allerdings am 14. Dezember 2010 auf eine Neuregelung der so-
genannten Daueraufenthalts-Richtlinie (Richtlinie 2003/109/EG) geeinigt, die
– dem Grundsatz der Schutzangleichung entsprechend – Flüchtlingen und
subsidiär Schutzberechtigen die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthalts-
berechtigten in der EU gewährt.

Die Flüchtlingsanerkennungs-Richtlinie muss nun im Rat unter ungarischer
Ratspräsidentschaft weiterverhandelt werden, da besonders die Bundesregie-
rung mit ihren zahlreichen Vorbehalten eine Einigung im Sinne einer Schutz-
angleichung bisher verhindert hat.

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