BT-Drucksache 17/4102

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP -17/3404, 17/4032- Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch

Vom 2. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4102
17. Wahlperiode 02. 12. 2010

Änderungsantrag
der Abgeordneten Fritz Kuhn, Brigitte Pothmer, Britta Haßelmann, Markus Kurth,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, Alexander
Bonde, Katrin Göring-Eckardt, Priska Hinz (Herborn), Sven-Christian Kindler,
Maria Klein-Schmeink, Stephan Kühn, Lisa Paus, Elisabeth Scharfenberg,
Christine Scheel, Dr. Harald Terpe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
– Drucksachen 17/3404, 17/4032 –

Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen
und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch

Der Bundestag wolle beschließen:

Nach Artikel 5 wird folgender Artikel 5a eingefügt:

,Artikel 5a

Änderung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes

Das Mindestarbeitsbedingungengesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III,
Gliederungsnummer 802-2, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt
durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. April 2009 (BGBl. I S. 818) geändert
worden ist, wird wie folgt geändert:

1. § 1 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 2 wird wie folgt gefasst:

„(2) Eine bundesweite Lohnuntergrenze für Arbeitsentgelte (Lohn-
untergrenze) wird unter umfassender Berücksichtigung der sozialen und
ökonomischen Auswirkungen festgesetzt. Durch die Lohnuntergrenze
wird die unterste Grenze der Entgelte in der Bundesrepublik Deutschland
festgelegt.“

b) Nach Absatz 2 wird folgender Absatz 3 eingefügt:

„(3) Mindestarbeitsentgelte für Wirtschaftszweige (Mindestarbeitsent-

gelte) können bundesweit oder regional oberhalb der Lohnuntergrenze
festgesetzt werden,

1. wenn in einem Wirtschaftszweig bundesweit oder regional die an Ta-
rifverträge gebundenen Arbeitgeber weniger als 40 vom Hundert der
unter den Geltungsbereich dieser Tarifverträge fallenden Arbeitneh-
mer und Arbeitnehmerinnen beschäftigen oder

Drucksache 17/4102 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. wenn eine der Spitzenorganisationen von Arbeitgebern oder Arbeit-
nehmern und Arbeitnehmerinnen einen Antrag hierfür stellt.“

c) Der bisherige Absatz 3 wird Absatz 4.

2. § 2 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 wird wie folgt gefasst:

„(1) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales errichtet eine un-
abhängige, ständige Kommission zur Bestimmung der Lohnuntergrenze
und von Mindestarbeitsentgelten (Kommission).“

b) In Absatz 2 Satz 1 und Absatz 4 werden die Wörter „Der Hauptaus-
schuss“ durch die Wörter „Die Kommission“ ersetzt.

c) In Absatz 5 Satz 4 werden die Wörter „des Hauptausschusses“ durch die
Wörter „der Kommission“ ersetzt.

3. § 3 wird wie folgt gefasst:

㤠3

Aufgabe der Kommission

(1) Die Kommission beschließt die Höhe der Lohnuntergrenze sowie Än-
derungen ihrer Höhe. Der Beschluss wird mit einfacher Stimmenmehrheit ge-
fasst. Er ist zu dokumentieren und zu begründen.

(2) Die Kommission prüft im Rahmen einer Gesamtabwägung, ob die Höhe
der Lohnuntergrenze insbesondere geeignet ist

1. angemessene Arbeitsbedingungen zu schaffen,

2. faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten
und

3. sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu erhalten.

Maßgebliche Unterschiede zwischen Regionen können berücksichtigt wer-
den.

(3) Die Kommission kann Stellungnahmen von sachverständigen Einzel-
personen und Organisationen einholen.

(4) Die Bundesregierung erlässt auf Vorschlag des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales die von der Kommission beschlossene Lohnuntergrenze
als Rechtsverordnung. Die Rechtsverordnung bedarf nicht der Zustimmung
des Bundesrates. Sie ist an der vom Bundesministerium für Arbeit und So-
ziales zu bestimmenden Stelle zu verkünden und tritt am Tage nach der Ver-
kündung in Kraft, sofern kein anderer Zeitpunkt bestimmt ist.

(5) Die Kommission kann unter umfassender Berücksichtigung der sozia-
len und ökonomischen Auswirkungen beschließen, ob für Wirtschaftszweige
bundesweit oder regional Mindestarbeitsentgelte festgesetzt, geändert oder
aufgehoben werden sollen. Absatz 1 Satz 2 und 3 gelten entsprechend.

(6) Die Bundesregierung, die Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und
der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie die Landesregierungen kön-
nen der Kommission unter Angabe von Gründen Vorschläge für die Höhe der
Lohnuntergrenze und ihre Änderung sowie für die Festsetzung, Änderung
oder Aufhebung von Mindestarbeitsentgelten unterbreiten.“

4. In § 4 Absatz 2 Satz 3 werden die Wörter „Der Hauptausschuss“ durch die
Wörter „Die Kommission“ ersetzt.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4102

5. § 8 wird wie folgt geändert:

a) In Absatz 1 Satz 1 wird der Angabe „§ 4 Abs. 3“ die Angabe „§ 3 Abs. 4
oder“ vorangestellt.

b) Absatz 2 wird aufgehoben.

c) In Absatz 3 Satz 1 wird der Angabe „§ 4 Abs. 3“ die Angabe „§ 3 Abs. 4
oder“ vorangestellt.‘

Berlin, den 30. November 2010

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Durch diese Regelungen wird die rechtliche Grundlage für eine allgemein ver-
bindliche Lohnuntergrenze geschaffen. Eine Lohnuntergrenze ist ein notwen-
diges und effektives Mittel zur Sicherstellung des Lohnabstandsgebots gegen-
über Regelleistungen, die ein soziokulturelles Existenzminimum gewährleisten.

Zu Nummer 1

Zu § 1 Absatz 2

Es wird die rechtliche Grundlage dafür geschaffen, in der Bundesrepublik
Deutschland eine Lohnuntergrenze für alle Arbeitsentgelte festzusetzen. Sie
bildet die unterste Grenze für Arbeitsentgelte in der Bundesrepublik Deutsch-
land und darf nicht unterschritten werden. Damit wird der Notwendigkeit Rech-
nung getragen, dass für die grundsätzlich freie Vereinbarung von Entgelten eine
unterste Grenze erforderlich ist, die unfaire Wettbewerbspraktiken auf Kosten
der Löhne, Lohndumping und Niedrigstlöhne in Zukunft verhindert. Die Lohn-
untergrenze wird unter umfassender Berücksichtigung der sozialen und öko-
nomischen Auswirkungen festgesetzt.

Zu § 1 Absatz 3

Mindestarbeitsentgelte für einzelne Wirtschaftszweige können oberhalb der
Lohnuntergrenze bundesweit oder regional festgesetzt werden. Voraussetzung
hierfür ist, dass Tarifverträge in dem Wirtschaftszweig nicht bestehen oder die
an bestehende Tarifverträge gebundenen Arbeitgeber insgesamt weniger als
40 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Wirtschafts-
zweig beschäftigen. Für Fälle, in denen diese Voraussetzungen nicht erfüllt
sind, die Tarifvertragsparteien aber dennoch zu keiner befriedigenden tarifli-
chen Regelung der Mindestentgelte kommen, erhalten die Spitzenorganisatio-
nen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen jeweils das
Recht der Antragsstellung auf Mindestarbeitsentgelte für den Wirtschaftszweig.
Die Entscheidung darüber, dass im Rahmen der Tarifautonomie kein befriedi-
gendes Ergebnis erzielt werden kann und stattdessen der gesetzliche Weg zur
Festsetzung von Mindestarbeitsentgelten beschritten wird, liegt damit bei den
Tarifparteien selbst.

Drucksache 17/4102 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Zu Nummer 2

Zu Buchstabe a

Die Kommission zur Bestimmung der Lohnuntergrenze und von Mindestar-
beitsentgelten wird als ständiges Gremium eingerichtet. Sie arbeitet als unab-
hängiges Gremium, ihre Mitglieder sind keinen Weisungen unterworfen.

Zu den Buchstaben b und c

Es handelt sich um Folgeänderungen zu Buchstabe a.

Zu Nummer 3

Zu § 3 Absatz 1

Die Kommission zur Bestimmung der Lohnuntergrenze und von Mindestar-
beitsentgelten wird beauftragt, über die Höhe der Lohnuntergrenze zu entschei-
den. Sie entscheidet auch über Änderungen ihrer Höhe und das Ausmaß der
Änderung. Die Beschlüsse werden mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst. Die
Beschlüsse können gegen die Vertreter der Wissenschaft, nicht aber gegen
beide Sozialpartner gefasst werden. Satz 3 schreibt für die Beschlüsse eine
schriftliche Begründung sowie die Dokumentation der inhaltlichen Entschei-
dungsfindung vor. Das schließt das zugrunde gelegte Datenmaterial und even-
tuelle Minderheitenvoten ein.

Zu § 3 Absatz 2

Absatz 2 stellt sicher, dass die Kommission bei der Festlegung der Höhe der
Lohnuntergrenze die dem Gesetz zugrunde liegenden Ziele berücksichtigt. Die
Entscheidung der Kommission muss daher insbesondere geeignet sein, ange-
messene Arbeitsbedingungen zu schaffen, faire und funktionierende Wettbe-
werbsbedingungen zu gewährleisten sowie sozialversicherungspflichtige Be-
schäftigung zu erhalten. Maßgebliche Unterschiede zwischen Regionen können
durch die Festlegung einer unterschiedlich hohen Lohnuntergrenze für die je-
weiligen Regionen berücksichtigt werden, wenn andernfalls die genannten
Ziele nicht erreicht werden können.

Zu § 3 Absatz 3

Die Kommission soll die Möglichkeit zur Einholung von Stellungnahmen von
allen sachverständigen Personen und Organisationen erhalten, deren Informa-
tionen sie für zweckdienlich und notwendig erachtet.

Zu § 3 Absatz 4

Absatz 4 bestimmt, dass die Rechtsverordnung zur Festsetzung der Höhe der
Lohnuntergrenze von der Bundesregierung erlassen wird. Nach Prüfung des
Beschlusses der Kommission schlägt das Bundesministerium für Arbeit und
Soziales die Verabschiedung einer Rechtsverordnung vor. Der Vorschlag der
Kommission kann nur unverändert in die Rechtsverordnung übernommen wer-
den.

Zu § 3 Absatz 5

Die Kommission entscheidet auch, ob Mindestarbeitsentgelte für einzelne Wirt-
schaftszweige festgesetzt, geändert oder aufgehoben werden sollen und hierfür
ein Fachausschuss eingerichtet werden soll. Dafür müssen zunächst die Voraus-
setzungen des § 1 Absatz 3 erfüllt sein. Die Kommission trifft dann nach um-
fassender Berücksichtigung der sozialen und ökonomischen Auswirkungen

eine unabhängige Entscheidung darüber, ob ein Mindestarbeitsentgelt für einen
Wirtschaftszweig festgesetzt, geändert oder aufgehoben wird.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/4102

Zu § 3 Absatz 6

Die Bundesregierung hat ein Vorschlagsrecht gegenüber der Kommission. Ein
Vorschlagsrecht für die Höhe der Lohnuntergrenze und für Mindestarbeitsent-
gelte haben auch die Spitzenorganisationen von Arbeitgebern und Arbeitsneh-
mern sowie die Landesregierungen.

Zu Nummer 4

Es handelt sich um Folgeänderungen zu Nummer 2.

Zu Nummer 5

Zu Buchstabe a

Die Ergänzung stellt eine Folgeänderung zu Nummer 3 dar.

Zu Buchstabe b

Der bisher in § 8 Absatz 2 formulierte Vorrang von Entgeltregelungen in Tarif-
verträgen, die vor dem 16. Juli 2008 abgeschlossen wurden, und von solchen in
Folgetarifverträgen, die mit diesen in einem zeitlichen und sachlichen Zusam-
menhang stehen, wird gestrichen. Durch einen Vorrang für Entgeltregelungen
in bestehenden Tarifverträge und Folgetarifverträgen vor den durch dieses Ge-
setz festgesetzten Mindestarbeitsentgelten wird der Schutz vor Niedrigstlöhnen
verhindert und der Gesetzeszweck geradewegs ad absurdum geführt. Denn da-
durch dürfen weiter Niedrigst- statt Mindestlöhne gezahlt werden. Die tariflich
entlohnte Friseurin in Sachsen müsste weiter für etwas mehr als 3 Euro Stun-
denlohn arbeiten. Eine Streichung des Vorrangs stellt somit sicher, dass das Ziel
des Gesetzes erreicht wird und ein lückenloser Schutz vor Niedrigstlöhnen er-
reicht wird.

Zu Buchstabe c

Es handelt sich um eine Folgeänderung zu Buchstabe b.

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