BT-Drucksache 17/3437

"Global Health Governance" stärken - Gesundheitsversorgung in Entwicklungs- und Schwellenländern voranbringen

Vom 27. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3437
17. Wahlperiode 27. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Harald Terpe, Marieluise Beck (Bremen),
Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, Viola von Cramon-Taubadel, Kai Gehring,
Priska Hinz (Herborn), Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Katja Keul, Maria Klein-
Schmeink, Ute Koczy, Tom Koenigs, Markus Kurth, Agnes Malczak, Kerstin Müller
(Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Elisabeth
Scharfenberg, Christine Scheel, Dr. Frithjof Schmidt, Dr. Wolfgang Strengmann-
Kuhn, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

„Global Health Governance“ stärken – Gesundheitsversorgung in Entwicklungs-
und Schwellenländern voranbringen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Menschenrecht auf bestmögliche gesundheitliche Versorgung bzw. das
Recht auf ärztliche Versorgung und Absicherung im Krankheitsfall, ist eine
globale Aufgabe und bedarf einer Neustrukturierung der „Global Health
Governance“ im Sinne einer effizienten Gesundheitsversorgung für alle.

Die derzeitigen Strukturen sind zu unübersichtlich und ineffizient, um dem
Anspruch von Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte,
dem Recht auf ärztliche Versorgung und Absicherung im Krankheitsfall und
den Millennium Development Goals aus dem Jahr 2000 zu genügen. Unzählige
Einzelprogramme die zum Teil miteinander konkurrieren oder im Widerspruch
zu nationalen Strategien stehen, erschweren die Entwicklung eigener, auf die
Situation des jeweiligen Landes zugeschnittener Gesundheitssysteme.

Die zentrale Rolle bei der Koordination der Akteure der globalen Gesund-
heitspolitik wie UNAIDS, GAVI, der Globale Fonds (GFATM), die Weltbank,
UNICEF, UNFPA, die Bill und Melinda Gates-Stiftung etc. (im Folgenden
„globale Gesundheitsinitiativen“) sollte die WHO (Weltgesundheitsorgani-
sation) übernehmen. Gleichzeitig sollten ihre Strukturen grundlegend reformiert
werden – hin zu einer offenen, fachlich unabhängigen und transparenten Instanz
in Fragen internationaler Gesundheitspolitik. Ziel ist, dass die koordinierte Ge-
bergemeinschaft mit den jeweiligen nationalen Regierungen gemeinsam verein-
barte Strategien zum Aufbau von Gesundheitssystemen vorantreibt. Damit
würde die Eigenverantwortung („ownership“) der Partnerländer verbessert und
lokale Systeme würden gestärkt („alignment“).
Globale Gesundheitspolitik lässt sich nicht auf die originär mit Gesundheits-
fragen befassten Organisationen beschränken. Die Medikamentenversorgung
zum Beispiel ist von der Ausgestaltung der internationalen Vereinbarungen zu
geistigen Eigentumsrechten abhängig, ebenso von der internationalen Handels-
politik. Aus diesem Grund sollte die WHO auch gegenüber internationalen
Organisationen wie der Welthandelsorganisation (WTO) oder der World Intel-

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lectual Property Organization (WIPO) als Anwältin der öffentlichen Gesundheit
und insbesondere der Bevölkerung in Entwicklungs- und Schwellenländern
auftreten, um Inkohärenzen zu vermeiden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich für eine Reform der WHO mit dem Ziel von mehr Transparenz und
Unabhängigkeit einzusetzen sowie sich an einer besseren finanziellen Aus-
stattung der WHO zu beteiligen; dies ist auch nötig, um die fachliche Un-
abhängigkeit der WHO zu verbessern;

2. sich für eine Stärkung der WHO einzusetzen und ihre Leitungs- und Koordi-
nierungsfunktion in Bezug auf globale Gesundheitsinitiativen zu unter-
stützen und hierzu Umsetzungsvorschläge wie z. B. zur Einrichtung eines
„Komitee C“ in die WHO einzubringen;

3. die Stärkung nationaler Gesundheitsprogramme in Schwellen- und Entwick-
lungsländern als Ziel der Koordinierung der globale Gesundheitsinitiativen
voranzutreiben, den Aufbau von ineffizienten Parallelstrukturen zu ver-
meiden und hierzu kurzfristig die IHP+ Initiative zu stärken;

4. mittel- und langfristig die Ausarbeitung klarer, völkerrechtlich verankerter
Richtlinien zu unterstützen, durch die die WHO als Koordinatorin der globa-
len Gesundheitsinitiativen anerkannt wird und gleichzeitig alle Initiativen
dazu verpflichtet werden, ihre Aktivitäten unter der Leitung der WHO mit-
einander abzustimmen;

5. den Einfluss einer reformierten WHO auf andere Politikbereiche als An-
wältin der öffentlichen Gesundheit und insbesondere der Bevölkerung in
Entwicklungs- und Schwellenländern zu stärken, um Inkohärenzen zu ver-
meiden.

Berlin, den 26. Oktober 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Die Förderung der globalen Gesundheit ist ein zentraler Bestandteil der
deutschen Außen-, Entwicklungs- und Gesundheitspolitik. Auch international
ist das Menschenrecht auf Gesundheit längst anerkannt. Bereits in der All-
gemeinen Erklärung der Menschenrechte wird in Artikel 25 ganz konkret das
Recht auf ärztliche Versorgung und Absicherung im Krankheitsfall festgehal-
ten. Bekräftigt wird das Recht auf Gesundheit im Pakt über wirtschaftliche, so-
ziale und kulturelle Rechte (Artikel 12). Im Jahr 2000 haben 189 Staaten in den
Millennium Development Goals (MDG) eine klare Aussage zu den globalen
Gesundheitszielen getroffen und eine Kehrtwende in der globalen Gesundheit
gefordert. In den MDG 4, 5 und 6 haben die Staaten vereinbart, die Kinder-
sterblichkeit zwischen 1990 und 2015 um zwei Drittel zu senken, die Mütter-
sterblichkeit um drei Viertel zu verringern und der Ausbreitung von HIV/Aids,
Malaria und weiteren Krankheiten bis 2015 Einhalt zu gebieten.

Die derzeitigen Strukturen der „Global Health Governance“ sind zu unübersicht-
lich und ineffizient, um dem Anspruch der genannten Deklarationen zu genügen.
Die globalen Initiativen sind hoch fragmentiert und unkoordiniert. Intergouver-

nementale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen haben unzählige

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3437

Einzelprogramme ins Leben gerufen, treiben ihre jeweiligen Agenden voran,
konkurrieren untereinander oder mit Initiativen bzw. Programmen der Regierun-
gen vor Ort und bilateralen Gebern. Dies erschwert die Umsetzung nationaler
Strategien zur Entwicklung eigener, auf die Situation des jeweiligen Landes
zugeschnittener Gesundheitssysteme.

Die Ineffizienz ist unbestritten. 2009 betonte die Generaldirektorin der Welt-
gesundheitsorganisation (WHO), Margaret Chan, bei einer internationalen
Ministerkonferenz in Genf, es sei unabdingbar geworden, die Koordination
der Organisationen und die Integration nationaler Gesundheitsprogramme zu
verbessern. Auch die EU fordert inzwischen, dass die Rolle der WHO als Ko-
ordinierungsorgan gestärkt werden müsse. Am 31. März 2010 verabschiedete
die EU-Kommission ihre Strategie zur Rolle der EU in der globalen Gesund-
heitspolitik. Explizit wird darin betont, „dass die WHO eine stärkere Führungs-
rolle […] im Hinblick auf die Verbesserung der globalen Gesundheit“ über-
nehmen solle (KOM(2010)128).

Die zentrale Rolle bei der Koordination der globalen Gesundheitsinitiativen
muss und kann allein die WHO übernehmen. Gleichzeitig muss auch die WHO
selber reformiert werden. In einem Bericht des Europarates wurde mit Bezug
auf die so genannte Schweinegrippen-Pandemie die intransparente Ent-
scheidungsfindung und falsche Prioritätensetzung bei der Bekämpfung von
Gesundheitsgefahren kritisiert (Bericht No. 12283 des Social Health and
Family Affairs Committee vom 7. Juli 2010). Diese Missstände müssen be-
seitigt werden. Dies gilt sowohl für die Beziehungen der WHO zur Pharma-
industrie im genannten Fall der Schweinegrippen-Pandemie, als auch für die
Arbeitsweise der WHO insgesamt. Die WHO bleibt jedoch die einzig legiti-
mierte, internationale Autorität in Gesundheitsfragen und muss daher die Ko-
ordination der bislang weithin unkoordiniert agierenden und ineffizienten
globalen Gesundheitsinitiativen übernehmen. Allein die WHO hat durch die
Staatengemeinschaft das dafür nötige Mandat übertragen bekommen: In der
Verfassung der Weltgesundheitsorganisation heißt es in Artikel 2a, sie sei die
„leitende und koordinierende Stelle des internationalen Gesundheitswesens“.
Weiter heißt es in Artikel 2b, „sie schafft und unterhält eine wirksame Zusam-
menarbeit mit den Vereinten Nationen, den Spezialorganisationen, den staat-
lichen Gesundheitsämtern, den Fachkreisen und weiteren in Frage kommenden
Organisationen“. Darüber hinaus sieht die Verfassung der WHO vor, dass die
Organisation völkerrechtliche Verträge und Abkommen initiieren kann
(Artikel 2k).

Die WHO sollte ihre Potentiale künftig besser nutzen und ihre verfassungs-
mäßigen Aufgaben umsetzen. Einen ersten Schritt dahin hat die WHO bereits
getan, als sie sich 2006 in einem gemeinsamen Papier mit der Weltbank auf das
Konzept der „Three Ones“ verpflichtete. Für jedes Land sollte ein abgestimm-
tes HIV/Aids-Programm aufgelegt werden, außerdem sollte für jedes Land eine
AIDS-Koordinierungsstelle eingerichtet und ein abgestimmtes Monitoring-
und Evaluierungssystem entwickelt werden. Damit hat die WHO begonnen, die
Paris-Accra-Agenda konkret auf den Gesundheitssektor anzuwenden. Ein
erster, bislang jedoch praktisch nicht verwirklichter und ungenügender Schritt.

Ziel einer neu aufgestellten Global Health Governance muss sein, Einzel-
projekte verschiedener Organisationen in Entwicklungs- und Schwellenländern
zu (Gesundheits-)sektorbezogenen Gesamtprojekten umzugestalten, um das
unkoordinierte Nebeneinander verschiedener Initiativen zu beenden. Diese
Gesamtprojekte müssen sich eng an den dortigen nationalen Gesundheits-
systemen ausrichten, welche im Zentrum der Programme stehen müssen. Die
koordinierte Gebergemeinschaft muss mit den jeweiligen nationalen Regierun-
gen gemeinsam vereinbarte Strategien zum Aufbau von Gesundheitssystemen

vorantreiben. Dadurch würden gleichzeitig die Eigenverantwortung („owner-
ship“) der Partnerländer verbessert und lokale Systeme gestärkt („alignment“).

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2007 wurde die so genannte „International Health Partnership + Related Initia-
tives“ (IHP+) ins Leben gerufen. Sie vereint die wichtigsten Akteure der globa-
len Gesundheitspolitik, darunter die WHO, die Weltbank, UNICEF, UNFPA,
UNAIDS, GAVI, den Globalen Fonds (GFATM) und die Bill und Melinda
Gates-Stiftung. Die Initiative wird ebenfalls von verschiedenen Gebernationen,
u. a. auch Deutschland, und Entwicklungsländern unterstützt. Die IHP+ hat die
Aufgabe, die verschiedenen Initiativen zu koordinieren. Die WHO ist in der
IHP+ Initiative, wie in der globalen Gesundheitsarchitektur bislang jedoch
lediglich eine Organisation unter vielen.

Um die Koordination der globalen Gesundheitsinitiativen zu verbessern, sollte
zum einen die Kompetenz der WHO, internationale Verträge zu initiieren und
auszuhandeln, besser genutzt werden. Denkbar wäre die Aushandlung eines
völkerrechtlichen Vertrags, der die WHO als Koordinatorin der globalen
Gesundheitsinitiativen anerkennt und die Akteure dazu verpflichtet, ihre Pro-
gramme unter der Leitung der WHO zu harmonisieren. Bislang kann die WHO
dieser Aufgabe noch nicht ausreichend nachkommen.

Zum anderen ist es vor diesem Hintergrund notwendig, Koordinierungsinitiati-
ven wie die IHP+ stärker in die WHO zu integrieren. Ein gangbarer Vorschlag
ist hier die Etablierung eines „Komitee C“ bei der Weltgesundheitsversamm-
lung (WHA). Während sich das „Komitee A“ mit programmatischen Fragen
und das „Komitee B“ mit Budgetangelegenheiten auseinandersetzt, könnte ein
„Komitee C“ die Koordinierung der globalen Gesundheitsinitiativen über-
nehmen. Dieses Komitee könnte den Initiativen eine Plattform geben, sich zu
präsentieren und gleichzeitig verbindliche Abstimmungen ermöglichen. Be-
schlüsse des Komitee C würden in die Vollversammlung gegeben, abschlie-
ßende Entscheidungen wären so der Staatengemeinschaft im Plenum der WHA
vorbehalten.

Das Menschenrecht auf bestmögliche gesundheitliche Versorgung bzw. das
Recht auf ärztliche Versorgung und Absicherung im Krankheitsfall, ist eine
globale Aufgabe und bedarf einer Neustrukturierung der „Global Health
Governance“ im Sinne einer effizienten Gesundheitsversorgung für alle.

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