BT-Drucksache 17/2439

Weitere iranische Flüchtlinge aus der Türkei in Deutschland aufnehmen

Vom 7. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2439
17. Wahlperiode 07. 07. 2010

Antrag
der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck (Köln), Josef Philip Winkler,
Claudia Roth (Augsburg), Omid Nouripour, Marieluise Beck (Bremen), Viola von
Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken, Ingrid Hönlinger, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz,
Katja Keul, Ute Koczy, Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Dr. Konstantin von
Notz, Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Weitere iranische Flüchtlinge aus der Türkei in Deutschland aufnehmen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit dem Amtsantritt des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad im
Jahr 2005 hat sich die Menschenrechtslage im Iran zunehmend verschlechtert.
Insbesondere seit den Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni 2009 und der in die-
sem Zusammenhang stehenden breiten Protestbewegung der iranischen Bürge-
rinnen und Bürger werden die Menschenrechte im Iran systematisch verletzt.

Aufgrund der Besorgnis erregenden Menschenrechtslage im Iran sehen sich
viele Bürgerinnen und Bürger, die ihre Rechte einfordern und verteidigen, ge-
zwungen, den Iran zu verlassen. Viele sind bisher in die Türkei geflohen. Am
31. Dezember 2009 waren bei dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten
Nationen (UNHCR) insgesamt 4 242 iranische Staatsangehörige mit Schutz-
bedarf in der Türkei registriert. Da den nichteuropäischen Flüchtlingen in der
Türkei der Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention versagt wird und zu-
dem die Unterstützung für Asyl- und Schutzsuchende sehr gering ist, befinden
sich viele iranische Flüchtlinge in einer prekären Lage.

Aus diesem Grund hat sich das Bundesministerium des Innern im Einvernehmen
mit dem Auswärtigen Amt dazu entschlossen, etwa 50 iranische Flüchtlinge auf
Grundlage von § 22 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes in Deutschland aufzuneh-
men. Der Deutsche Bundestag begrüßt diese Entscheidung, hält sie aber in An-
betracht der über 4 000 in der Türkei befindlichen iranischen Staatsbürgerinnen
und -bürger sowie ihrer gefährdeten Sicherheitslage in der Türkei nur für einen
ersten Schritt, dem weitere folgen müssen.

Die Bundesregierung hat die iranische Protestbewegung wiederholt durch ver-
schiedene Äußerungen unterstützt. Außerdem bekräftigte der Bundesminister

des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, am 3. März 2010 in seiner Rede vor
dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (VN), dass er sich mit den
iranischen Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidigern
solidarisiere und dass der Einsatz für Menschenrechte im ureigensten Interesse
der Bundesrepublik Deutschland sei. Menschenrechtspolitik erfordert konkrete
Handlungen. Diejenigen iranischen Bürgerinnen und Bürger, die sich unter
Einsatz ihres Lebens für Menschenrechte und Demokratie einsetzen, brauchen

Drucksache 17/2439 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

unserer Unterstützung. Diese muss angesichts der schwierigen Lage im Iran
schnell geleistet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,

1. so schnell wie möglich und unbürokratisch in Absprache mit den Bundeslän-
dern weitere iranische Flüchtlinge aus der Türkei in Deutschland aufzuneh-
men;

2. sich dafür einzusetzen, dass die Türkei ihren Territorialvorbehalt zur Genfer
Flüchtlingskonvention aufhebt, sodass auch nichteuropäische Flüchtlinge
den Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten;

3. in Verhandlungen mit der Türkei darauf zu bestehen, humanitäre Grundsätze
im Umgang mit iranischen Flüchtlingen in den Vordergrund zu stellen. Dazu
gehören mehr Rechtssicherheit für die Flüchtlinge, Erleichterung der Aus-
reise, Klärung der Identität, Gewährleistung der humanitär notwendigen Ge-
sundheitsversorgung.

Berlin, den 6. Juli 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Im Jahr 2009 sind im Iran bei Demonstrationen nach offiziellen Angaben
43 Menschen ums Leben gekommen. Nach Oppositionsquellen starben 72 Men-
schen. Zwischen den Präsidentschaftswahlen und dem 31. Dezember 2009 wur-
den über 5 000 Menschen verhaftet. Mindestens zwölf von ihnen sind während
der Haft aufgrund von Folter und Misshandlungen oder nicht gewährter medizi-
nischer Behandlung gestorben. Viele der Inhaftierten erhielten keinen Rechts-
beistand, obwohl der ihnen nach Artikel 14 des Internationalen Paktes über bür-
gerliche und politische Rechte (Zivilpakt) zusteht. Die Islamische Republik Iran
hat den Zivilpakt am 24. Juni 1975 ratifiziert und verletzt somit seine menschen-
rechtlichen Verpflichtungen.

Am 13. August 2009 äußerte der VN-Sonderberichterstatter Manfred Nowak in
einer Pressemitteilung seine Sorge über Folter in iranischen Gefängnissen und
Verurteilungen aufgrund erzwungener Geständnisse. In einem gemeinsamen
Bericht vom 19. Februar 2010 bestätigten die VN-Sonderberichterstatter
Martin Scheinin und Manfred Nowak, dass politische Gefangene im Iran in
so genannter Incommunicado-Haft gehalten oder in Geheimgefängnissen unter-
gebracht werden (A/HRC/13/42).

Auch die Zahl der vollstreckten Todesurteile ist gestiegen. Nach den Angaben der
Bundesregierung fand seit der Amtsübernahme von Mahmud Ahmadinedschad
eine Vervierfachung der ausgeführten Todestrafen statt (Bundestagsdrucksache
17/1722). Laut den in Teheran befindlichen Botschaften von EU-Staaten wurden
2009 mindestens 370 Todesstrafen vollstreckt. Amnesty International spricht in
seinem neuesten Jahresbericht von mindestens 388 Hinrichtungen. Damit ist die
Zahl vollstreckter Todesurteile im Jahr 2009 um 10 bis 16 Prozent im Vergleich
zum Vorjahr gestiegen (Bundestagsdrucksache 17/1722).

Die Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit haben seit dem 12. Juni
2009 zugenommen. Fast alle reformorientierten Zeitungen, Zeitschriften und

sonstigen Printmedien wurden geschlossen oder erhielten Publikationsverbote.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2439

Im Januar 2009 wurde im Iran das Gesetz zur Internetkriminalität verabschiedet,
das die Veröffentlichung von „verbotenen“ Inhalten verhindert und Vorschriften
zur Preisgabe von vertraulichen Daten enthält. Außerdem hat die iranische
Regierung Maßnahmen ergriffen, die den freien Zugang zu Fernseh- und Rund-
funkübertragungen behindern.

Insbesondere Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger sind willkür-
lichen Festnahmen, strafrechtlicher Verfolgung, Folter und unrechtmäßigen Ge-
richtsverfahren ausgesetzt, weil sie sich im besonderen Maße für Menschen-
rechte und Demokratie im Iran einsetzen. Viele von ihnen fliehen daher in die
Türkei. Die Republik Türkei hat die Genfer Flüchtlingskonvention aber mit
einem Territorialvorbehalt ratifiziert, sodass nichteuropäische Flüchtlinge
lediglich einen zeitlich begrenzten Asylbewerberstatus, aber keinen Flüchtlings-
status erhalten. Außerdem ist die Unterstützung für Asyl- und Schutzsuchende
in der Türkei sehr gering. Beispielsweise unterhält die Türkei keine Aufnahme-
zentren für Flüchtlinge. Auch die Behandlung von ernsthaften Erkrankungen
und die Versorgung mit Medikamenten gestalten sich schwierig. Weiterhin
müssen für unterschiedliche Zwecke Gebühren an die türkischen Behörden
entrichtet werden. Insbesondere für mittellose Flüchtlinge sind diese Gebühren
unzumutbar.

Daher ist es begrüßenswert, dass die Bundesregierung zugesagt hat, etwa 50 ira-
nische Flüchtlinge aus der Türkei aufzunehmen. Bislang konnten jedoch erst
wenige Personen nach Deutschland einreisen. Angesichts der schwierigen Lage
der betroffenen iranischen Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschen-
rechtsverteidiger in der Türkei, muss deren Ausreise zügiger erfolgen. Überdies
sollte es ein Gebot der Menschlichkeit sein, dass die Bundesregierung in Ab-
stimmung mit den Bundesländern mehr Betroffene aufnimmt als bislang zuge-
sagt. Besonders berücksichtigen sollte die Bundesregierung die prekäre Lage
der Bahaí und der Homosexuellen im Iran.

Die Bundesregierung sollte sich hier an anderen westlichen Staaten orientieren,
die weitreichendere Maßnahmen ergriffen haben. Die USA (1 169), Kanada
(255), Australien (89), Schweden (45), Großbritannien (5), Finnland (5), die
Niederlande (4) und Frankreich (3) haben allein im Jahr 2009 bereits 1 575 ira-
nische Flüchtlinge aus der Türkei im Rahmen eines Resettlement-Programms
mit dem UNHCR aufgenommen. Während eines Gespräches mit den Mitglie-
dern des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen
Bundestages am 16. Juni 2010 regte der VN-Hochkommissar für Flüchtlinge,
António Guterres, an, dass Deutschland dem Beispiel anderer Staaten folgen
und ebenfalls ein dauerhaftes Resettlement-Programm mit dem UNHCR ab-
schließen solle.

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