BT-Drucksache 17/2419

Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz

Vom 7. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2419
17. Wahlperiode 07. 07. 2010

Antrag
der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,
Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Dr. Dagmar
Enkelmann, Katrin Kunert, Caren Lay, Sabine Leidig, Michael Leutert,
Thomas Lutze, Kornelia Möller, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kersten Steinke,
Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag hat sich mit der Neufassung des Artikels 22 des
Grundgesetzes nachdrücklich zu Berlin als Hauptstadt der Bundesrepublik
Deutschland bekannt und die Repräsentation des Gesamtstaates in der Haupt-
stadt als Aufgabe des Bundes festgeschrieben.

Das Berlin/Bonn-Gesetz vom 26. April 1994 (Berlin/BonnG, BGBl. I S. 918)
wirkt seit 1994 und hat seinen Sinn erfüllt. Die Verpflichtung des Bundes, die
Bundesstadt Bonn in Anerkennung dessen, dass sie „Wesentliches zum Aufbau
und zur Identifikation des demokratischen, an bundesstaatlichen Prinzipien ori-
entierten Deutschlands geleistet hat“ (Präambel Berlin/BonnG), besonders zu
fördern und dafür zu sorgen, dass für die Region Bonn „die Folgen des Verlus-
tes des Parlamentssitzes und des Regierungssitzes (…) durch Übernahme und
Ansiedlung neuer Funktionen und Institutionen von nationaler und internatio-
naler Bedeutung im politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Bereich
sowie durch Unterstützung bei notwendigen Umstrukturierungsmaßnahmen
angemessen ausgeglichen (werden)“ (§ 6 Berlin/BonnG), ist in der vom Deut-
schen Bundestag beabsichtigten Weise eingelöst worden.

Die Maßgaben des Berlin/BonnG zur „Sicherstellung einer dauerhaften und
fairen Arbeitsteilung zwischen der Bundeshauptstadt Berlin und der Bundes-
stadt Bonn“ und zur „Ansiedlung des Kernbereichs der Regierungsfunktionen
in der Bundeshauptstadt Berlin“ sind seit der Annahme des Gesetzes im Jahre
1994 umgesetzt worden, werden jetzt aber einer zukunftsfähigen Politikgestal-
tung nicht mehr gerecht.

Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise und die daraus folgende Krise
der europäischen Einheitswährung erfordern eine hohe operative Fähigkeit von
der Bundesregierung, die durch die permanente Teilung der Regierung in zwei

Regierungssitze mit Ministerialbeamten aller Bundesministerien an beiden
Standorten nicht gegeben ist.

So hat sich die Verteilung der Arbeitsstellen der Bundesregierung laut aktuellem
Teilungskostenbericht der Bundesregierung (Ausschussdrucksache 17(8)1405;
vom Bundesministerium der Finanzen vorgelegt am 11. Mai 2010) erst inner-
halb der zurückliegenden zwei Jahre zu Gunsten der Bundeshauptstadt Berlin

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entwickelt, in der heute gut die Hälfte der in den Bundesministerien Beschäftig-
ten (54 Prozent in Berlin und 46 Prozent in Bonn) tätig sind. Dennoch ist die
Trennung der Regierungstätigkeit 20 Jahre nach Herstellung der deutschen Ein-
heit überholt und unter dem Gesichtspunkt der Wahrnahme der Hauptstadtrolle
Berlins, der Koordinierung der Regierungsarbeit sowie der Beziehungen zwi-
schen Parlament und Bundesregierung in höchstem Maße ineffizient. Zugleich
behindert die Teilung der Bundesregierung auf zwei Standorte die notwendige
Nachwuchsarbeit in den Bundesministerien, da es junge Spitzenkräfte eher
nach Berlin als nach Bonn zieht.

Der aktuelle Teilungskostenbericht der Bundesregierung (Ausschussdrucksache
17(8)1405) verdeutlicht, dass die Kosten der anhaltenden Trennung der Regie-
rungsstellen im Jahr 2010 im Vergleich zu vergangenen Jahren sogar noch wei-
ter auf bis zu 10,64 Mio. Euro (2009: 8,82 Mio. Euro) anwachsen werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. ein Beendigungsgesetz zum Berlin/BonnG vorzulegen, das den jetzigen
Zustand der Zweiteilung der Bundesregierung zwischen Berlin und Bonn
aufhebt;

2. mit dem vollständigen Umzug des Bundeskanzleramtes nach Berlin bis zum
Jahre 2013 die Aufhebung des jetzigen Zustandes einzuleiten;

3. einen Umzugsplan für alle Bundesministerien aufzustellen, nach dem bis
zum Jahre 2017 die Zusammenführung der Bundesministerien in Berlin er-
folgen soll;

4. in Zusammenarbeit mit dem Senat der Bundeshauptstadt Berlin eine Mach-
barkeitsstudie zur Unterbringung der Bundesministerien mit Erstsitz und
Zweitsitz aus der Bundesstadt Bonn in der Bundeshauptstadt Berlin auf dem
Areal des ehemaligen Flughafens Tempelhof bei einem Verzicht auf separate
Neubauvorhaben zu erstellen;

5. aus dem Umzugskatalog jene Einrichtungen auszunehmen, die

a) in ihrem Wirken ausdrücklich mit der Region Köln/Bonn verbunden sind
(z. B. Haus der deutschen Geschichte),

b) durch die Anwendung moderner Kommunikationsmittel ihre Funktion
gegenüber der Bundesregierung ohne Einschränkung erfüllen können
(z. B. Bundeszentralregister);

6. ein Begleitgesetz zum Berlin/BonnG vorzulegen, das bei konsequenter Wah-
rung des Mitbestimmungsrechts der Belegschaften die personalrechtlichen
Konsequenzen des Berlin/BonnG regelt.

Berlin, den 6. Juli 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2419

Begründung

Das Berlin/BonnG hatte die historische Aufgabe, den Umzug des Deutschen
Bundestages und der Bundesregierung von Bonn nach Berlin so zu gestalten,
dass Bonn aus diesem Umzug keine Nachteile erwachsen würden. Diese Auf-
gabenstellung ist laut Bundesregierung bereits in der von ihr im April 2006
gezogenen Bilanz (vgl. Bundestagsdrucksache 16/1241) erfüllt worden. Bonn
erhielt den in Deutschland einmaligen Status einer Bundesstadt und ist – so die
genannte Bilanz – „in den letzten Jahren mit Hilfe des Bundes in eine Phase der
Umstrukturierung getreten und hat sich erneuert“. Die Region Bonn hat sich
nach dem teilweisen Umzug der Bundesregierung nach Berlin mit großzügiger
finanzieller Unterstützung des Bundes (vgl. Ausschussdrucksache 17(8)1405,
Anlagen 7 und 8) zu einer Region der Qualifikation, Bildung und Forschung
(etwa durch die Erweiterung sowie die Gründung von mehreren Fach-
hochschulstandorten wie der Fachhochschule Bonn Rhein-Sieg, dem Rhein-
AhrCampus Remagen, der Internationalen Fachhochschule Bad Honnef-Bonn
sowie der Hochschule der Sparkassen-Finanzgruppe Bonn University of
Applied Sciences), zu einem bedeutenden Kulturstandort und zugleich zum
bedeutendsten UN-Standort in Deutschland entwickelt. In Bonn sind mittler-
weile 19 UN-Behörden angesiedelt, darunter das Klimasekretariat der Verein-
ten Nationen, wichtige Institute der Universität der Vereinten Nationen sowie
das Regionalbüro Europa der Weltgesundheitsorganisation. Damit bündeln sich
in dieser Region bedeutende politische, kulturelle und zukunftsgerichtete
Potenziale, die die Bundesstadt deutlich positiv von vielen anderen Regionen
und Kreisen in Deutschland abhebt (vgl. Prognos-Zukunftsatlas Regionen
2007; Bonn Platz 44, Bundeshauptstadt Berlin Platz 245).

Die von der Bundesregierung gezogene Bilanz wird durch andere Statistiken
unterstützt. So weist der vom Bundesverband Öffentlicher Banken Deutsch-
lands im Jahr 2006 herausgegebene „Demografieatlas Deutschland“ die Region
Bonn als eine der stärksten Zuwanderungsregionen Deutschlands aus.

Trotz dieser für Bonn und die Region Bonn überaus positiven Entwicklungen
hält die Bundesregierung an einer Aufteilung der Regierungsfunktionen zwi-
schen Bonn und Berlin fest, wie sie 1994 für notwendig erachtet worden war.
Diese Aufteilung beträgt etwa 46 Prozent der Regierungsstellen in der Bundes-
stadt Bonn und etwa 54 Prozent in der Bundeshauptstadt Berlin (in absoluten
Zahlen: 9 037 Stellen in Bonn, 10 405 in Berlin; zusätzlich Bundeskanzleramt
mit 509,80 in Berlin und 27 in Bonn vgl. Ausschussdrucksache 17(8)1405).
Von den in der laufenden 17. Wahlperiode existierenden 16 Bundesministerien
(einschließlich des Bundespresseamtes und des Bundeskanzleramtes inklusive
des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien) haben im Jahr
2010 nur sieben die Mehrheit ihrer Angestellten in Berlin, neun aber in Bonn.

Dieser Zustand ist 20 Jahre nach der Herstellung der deutschen Einheit nicht
mehr zu rechtfertigen. Die Zweiteilung der Bundesregierung in eine Bonner
und eine Berliner Sektion schwächt die Rolle Berlins als Bundeshauptstadt und
widerspricht allen Grundsätzen einer effizienten Gestaltung der Arbeitsabläufe.
Verweise darauf, dass die Zweiteilung der Stärkung des föderalen Systems in
der Bundesrepublik Deutschland diene, greifen nicht. Wollte man das föderale
System durch eine Verteilung einzelner Ressorts auf Standorte außerhalb Ber-
lins tatsächlich stärken, müsste man mehrere Standorte in den alten und neuen
Bundesländern ins Auge fassen. Das kann für bestimmte Teilressorts einzelner
Bundesministerien auch durchaus realisiert werden, wobei positive Erfahrun-
gen wie etwa die Komplettansiedlung des Deutschen Patent- und Markenamts
in München genutzt werden sollten. Die Beschäftigung von knapp der Hälfte
der Regierungsangestellten außerhalb der Bundeshauptstadt jedoch ist ein
Anachronismus und die Konzentration dieser Arbeitsstellen in einer einzigen

Stadt – Bonn – ist es erst recht. Damit wird dem Föderalismus nicht gedient,
sondern seine Grundidee wird entwertet.

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Ein Beendigungsgesetz zum Berlin/BonnG begründet sich schließlich mit der
Präambel zum Berlin/BonnG selbst. Die Leistungen für Bonn wurden mit dem
Hinweis begründet, dass Bonn „Wesentliches zum Aufbau und zur Identifika-
tion des demokratischen, an bundesstaatlichen Prinzipien orientierten Deutsch-
lands geleistet hat“, die Begründung der Leistungen für Berlin indes bezog sich
nicht auf bereits von der Stadt Geleistetes, sondern darauf, dass Berlin „in über
40 Jahren deutscher Teilung ein Symbol des Willens zur deutschen Einheit
war“. Heute ist die Situation eine andere: Berlin ist nicht mehr nur ein solches
Symbol, sondern hat von Bonn die Aufgabe übernommen, Wesentliches zum
Aufbau und zur Identifikation des demokratischen, an bundesstaatlichen Prinzi-
pien orientierten Deutschlands zu leisten, und es erfüllt diese Aufgabe erfolg-
reich.

Aus all diesen Gründen ist es höchste Zeit, die Bundesregierung mit Ausnahme
ausgewählter Ressorts einzelner Bundesministerien komplett in der Bundes-
hauptstadt Berlin anzusiedeln. Eine Vorreiterrolle des Bundeskanzleramtes bei
diesem Prozess ist so wünschenswert wie logisch.

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