BT-Drucksache 17/1767

Einigkeit über die Definition des Tatbestandes des Aggressionsverbrechens im IStGH-Statut erzielen

Vom 19. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1767
17. Wahlperiode 19. 05. 2010

Antrag
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Marieluise Beck (Bremen),
Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken, Ingrid Hönlinger, Thilo Hoppe, Uwe
Kekeritz, Katja Keul, Memet Kilic, Ute Koczy, Agnes Malczak, Jerzy Montag,
Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele, Josef Philip Winkler und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Einigkeit über die Definition des Tatbestandes des Aggressionsverbrechens
im IStGH-Statut erzielen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Auf der Überprüfungskonferenz zur Prüfung etwaiger Änderungen des Römi-
schen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 31. Mai bis 11. Juni
2010 in Kampala, Uganda bietet sich der Weltgemeinschaft die Möglichkeit, das
Verbrechen der Aggression zu definieren, damit der Internationale Straf-
gerichtshof (IStGH) künftig darüber seine Gerichtsbarkeit ausüben kann. In der
2002 eingesetzten Sonderarbeitsgruppe zur Findung einer Definition des Ag-
gressionsverbrechens spielte die Bundesrepublik Deutschland eine aktive Rolle.

Die auch nach dem letzten Treffen der Sonderarbeitsgruppe offene Meinungs-
verschiedenheit, ob der IStGH ein Aggressionsverbrechen nur dann verfolgen
dürfe, wenn der UN-Sicherheitsrat eine staatliche Angriffshandlung festgestellt
habe, wird vermutlich erst im Rahmen der Kampala-Konferenz gelöst werden
können. Die Bundesregierung steht in dieser Frage richtigerweise auf dem
Standpunkt, dass der IStGH unabhängig vom Sicherheitsrat müsse handeln kön-
nen. Es wäre zu begrüßen, wenn sie sich mit ihrer Auffassung auf der Kampala-
Konferenz durchsetzen könnte.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt die aktive Rolle der Bundesregierung in
diesen Punkten und fordert sie auf,

1. sich im Rahmen der Überprüfungskonferenz zur Prüfung etwaiger Änderun-
gen des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom
31. Mai bis 11. Juni 2010 in Kampala, Uganda für eine Definition des Ver-

brechens der Aggression einzusetzen und aktiv darauf hinzuwirken, dass der
Internationalen Strafgerichtshof künftig seine Gerichtsbarkeit über das Ver-
brechen der Aggression wird ausüben können;

2. sich im Rahmen der Verhandlungen über die Definition des Verbrechens der
Aggression dafür einzusetzen, dass der Internationale Strafgerichtshof
Aggressionsverbrechen auch unabhängig von einer Feststellung einer staat-

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lichen Angriffshandlung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
wird verfolgen können.

Berlin, den 18. Mai 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut)
wurde im Rahmen einer Staatenkonferenz in Rom im Juni und Juli 1998 erarbei-
tet, bei der die Bundesrepublik Deutschland eine führende Rolle übernahm. Ar-
tikel 123 des IStGH-Statuts sieht vor, sieben Jahre nach Inkrafttreten des Statuts
„eine Überprüfungskonferenz zur Prüfung etwaiger Änderungen des Statuts“
einzuberufen. Diese Überprüfungskonferenz wird vom 31. Mai bis 11. Juni 2010
in Kampala, Uganda stattfinden. Sie soll zur Konsolidierung des IStGH beitra-
gen und die Idee der internationalen Strafgerichtsbarkeit weiter stärken.

In Rom konnte noch keine Einigung über die Definition des Verbrechens der
Aggression gefunden werden. Zwar wurde das Verbrechen in den materiellen
Zuständigkeitsbereich des IStGH aufgenommen, dieser kann seine Gerichtsbar-
keit mangels Definition jedoch einstweilen nicht ausüben. Noch in Rom wurde
der Auftrag erteilt, auf eine Einigung über das Aggressionsverbrechen hinzuwir-
ken. Seit 2002 hat sich eine Sonderarbeitsgruppe der Vertragsstaatenversamm-
lung dieser Aufgabe angenommen. Diese Arbeitsgruppe hat nach intensiven Be-
ratungen, an der auch Nichtvertragsstaaten mitwirken konnten und mitgewirkt
haben, einen Entwurf erarbeitet, der so weit ausgereift ist, dass er eine Einigung
in Kampala bei entsprechendem politischen Willen ermöglicht. Die Bundes-
republik Deutschland hat auch in der Sonderarbeitsgruppe für das Aggressions-
verbrechen eine aktive Rolle gespielt.

Das Aggressionsverbrechen ist mit der Entwicklung des Völkerstrafrechts auf
das Engste verbunden. Das Nürnberger Militärtribunal hat das Führen eines
Angriffskriegs zum schwersten internationalen Verbrechen erklärt. Die Völker-
rechtskommission der Vereinten Nationen stellt das Verbrechen der Aggression
in eine Reihe mit Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und
Kriegsverbrechen, und auch das britische House of Lords bestätigt die völker-
gewohnheitsrechtliche Geltung dieses Straftatbestandes. Dementsprechend fin-
det sich das Aggressionsverbrechen bereits jetzt in der Liste der Kernverbrechen
des IStGH-Statuts. Dem Gerichtshof die Ausübung seiner Gerichtsbarkeit über
dieses Verbrechen zu ermöglichen würde deshalb die Vervollständigung des
IStGH-Statuts bedeuten, so wie es die überwältigende Mehrheit der Vertrags-
staaten des IStGH wünscht. Die entsprechende Entscheidung wäre daher gebo-
ten. Zwingende Gründe, die gegen eine solche Fortentwicklung des IStGH-Sta-
tuts sprächen, gibt es nicht. Nicht zu befürchten ist eine Vermischung des Rechts
gegen den Krieg (jus contra bellum) mit dem Recht im Krieg (jus in bello), dem
Humanitären Völkerrecht. Denn bereits auf primärer völkerrechtlicher Ebene
existieren seit der Schaffung von Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charta beide Rechte
neben- und miteinander und das Völkerstrafrecht würde diese Koexistenz ledig-
lich auf der sekundärrechtlichen Ebene widerspiegeln. Eine Aushöhlung des Ge-
waltverbots ist auch bei einer demgegenüber engeren Fassung des Straftat-
bestandes nicht zu befürchten, denn ebenso wie das Strafrecht im nationalen
Recht ist auch das Völkerstrafrecht nach dem Rom-Statut die Ultima Ratio aller

denkbarer Sanktionen. Die Bundesregierung ist daher bei der Umsetzung der im

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1767

Rahmen der Sonderarbeitsgruppe gefundenen Lösungsvorschläge auf der Über-
prüfungskonferenz in Kampala zu unterstützen.

Meinungsverschiedenheiten bestehen noch im Hinblick auf die Rolle des UN-
Sicherheitsrates. Dessen ständige Mitglieder vertreten die Auffassung, der
IStGH dürfe ein Aggressionsverbrechen nur dann verfolgen, wenn der Rat eine
staatliche Angriffshandlung festgestellt habe. Dagegen tritt eine deutliche Mehr-
heit der Vertragsstaaten für die Unabhängigkeit des IStGH vom Sicherheitsrat
ein. Dies ist die richtige Auffassung. Andernfalls träte der Gerichtshof als juris-
tisches Organ in eine so große Abhängigkeit von einem politischen Organ, dass
seine Glaubwürdigkeit eingeschränkt würde. Denn der IStGH markiert einen
Wendepunkt in der internationalen Strafverfolgung: Mit seiner Schaffung ver-
suchte die internationale Gemeinschaft, die internationale Strafverfolgung von
den Vorwürfen der „Siegerjustiz“ und der „Politik unter dem Deckmantel der
Justiz“ zu befreien. An dem Prinzip der Unabhängigkeit der Justiz festzuhalten
ist daher eine zentrale Forderung, an das moderne Völkerstrafrecht, die im Üb-
rigen auf ein berühmtes US-amerikanisches Versprechen von Nürnberg zurück-
geht. Denn dort verkündete der Chefankläger der USA, Robert Jackson, dass
sich das Recht, das sich durch seine Anklage erstmalig gegen deutsche Aggres-
soren wende, in der Zukunft auch gegen alle anderen Nationen werde richten
müssen. Es wäre bedauerlich, wenn diese vorausschauende Betrachtung Robert
Jacksons in Kampala aus dem Blick geriete. Dementsprechend hat sich die
Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Sonderarbeitsgruppe für eine
Trennung der Kompetenzbereiche des UN-Sicherheitsrates und des IStGH stark
gemacht. Dies ist richtig und unterstützenswert.

In Kampala eröffnet sich den Vertragsstaaten des IStGH die historische Chance,
eine Jahrhundertfrage der Völkerrechtsentwicklung zu entscheiden und dem
Klima der Straflosigkeit endlich auch im Hinblick auf Angriffskriege entschlos-
sen entgegenzutreten. Diese Chance muss genutzt werden. Denn andernfalls
könnte sich das Fenster der Möglichkeiten für lange Zeit wieder schließen.

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